Wir freuen uns, einen Beitrag von Prof. Dr. Gregor Thüsing veröffentlichen zu können. Der Autor ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn.
Mobbing am Arbeitsplatz, sei es durch Kollegen oder durch Vorgesetzte, stellt für die Beschäftigten eine tiefgreifende Belastung dar. In den vergangenen Jahren hat sich die Rechtsprechung dem Thema immer wieder angenommen – nun tut es auch die Politik. Gefordert wird ein neues Gesetz zum Schutz der Arbeitnehmer (BT-Drucks. 19/6129 und BT-Drucks. 19/16480). Nur wer sich vergewissert, welche gesetzlichen Regelungen zum Thema Mobbing bereits bestehen und wie die Mobbing-Fälle in der bisherigen Rechtsprechung gehandhabt wurden, kann bewerten, ob ein neues Mobbinggesetz in der geforderten Form tatsächlich erforderlich ist, um einen ausreichenden Beschäftigtenschutz zu gewährleisten. Dazu im Folgenden einige Überlegungen, die helfen, allgemeine Fragen des Schuldrechts nochmal in Erinnerung zu rufen:
- Das Bundesarbeitsgericht definierte Mobbing zunächst als „das systematische Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte.“[1] In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung wurde der Begriff konkretisiert und Mobbing als „fortgesetzte, aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende, der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweisen, die nach ihrer Art und ihrem Ablauf im Regelfall einer übergeordneten, von der Rechtsordnung nicht gedeckten Zielsetzung förderlich sind und jedenfalls in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzen“ definiert.[2] Das alles sind Formeln, die ohne Ansehung leer sind. Aber präziser wird man das kaum fassen können. Mobbing ist ein typos, der nur in wertender Gesamtschau beschrieben, aber nicht definiert werden kann – wie der Kunstbegriff oder der Religionsbegriff des Grundgesetzes.
- Arbeitgeber sollen verpflichtet werden, „geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahmen zur Unterbindung von Mobbing zu ergreifen, wie beispielsweise Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung“.[3] Eine solche Pflicht des Arbeitgebers folgt bereits in Form einer Fürsorgepflicht aus § 242 BGB.[4] Der Arbeitgeber hat die Grundrechte des Arbeitnehmers, in diesem Zusammenhang insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht, zu achten und zu schützen.[5] Dass dieser Grundsatz zum Teil gesetzliche Konkretisierungen erfahren hat, wie etwa vormals in § 4 Abs. 1 Nr. 1 Beschäftigtenschutzgesetz oder jetzt in § 12 Abs. 3 AGG, ändert nichts an dessen Gemeingültigkeit. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des AGG ist der Arbeitgeber verpflichtet, Maßnahmen zur Verhinderung von Mobbing zu ergreifen, soweit ihm diese zumutbar sind. Hierzu kann auch die Abmahnung oder Kündigung des mobbenden Mitarbeiters oder die Umsetzung das Mobbing-Betroffenen in ein anderes Umfeld gehören – ob hierauf tatsächlich ein Anspruch besteht, kann indes nur im Einzelfall beurteilt werden.[6] Niemand aber bestreitet die Möglichkeit, solche Maßnahmen zu ergreifen.[7]
- Verletzt der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht, indem er geeignete Maßnahmen nicht ergreift, ist ihm die Mobbinghandlung zurechenbar – etwa weil er selbst oder ein Erfüllungsgehilfe gem. § 278 BGB sie vornimmt – oder trifft ihn ein Organisationsverschulden, können dem Arbeitnehmer Ansprüche auf Ersatz sowohl des materiellen als auch des immateriellen Schadens zustehen.[8] Deliktische Ansprüche gegen den Arbeitgeber oder einen mobbenden Mitarbeiter nach den §§ 823 ff. BGB sind ebenso naheliegend.[9] Auch das ist unbestritten.[10]
- Soweit gefordert wird, eine Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen in Fällen von Mobbing von mindestens drei Jahren festzuschreiben[11], ist erneut auf den gesetzlichen status quo hinzuweisen: Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren nach §§ 195, 199 BGB gilt bereits. Die Frist für Schadensersatzansprüche bei Verletzung der Gesundheit beträgt nach § 199 Abs. 2 BGB sogar 30 Jahre. Arbeitsvertragliche Ausschlussfristen gelten nicht für die Haftung wegen Vorsatzes und greifen so in Mobbingfällen regelmäßig nicht ein.[12]
- Eine geforderte Stärkung der Rechte des Betriebsrats hinsichtlich von Präventionsmaßnahmen[13] wäre rein deklaratorisch: Mobbingregeln in Verhaltenskodizes sind bereits jetzt mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG als Regelungen zur Ordnung des Betriebs.[14]
- Auch das geplante Maßregelungsverbot[15] bedarf keiner zusätzlichen Rechtsgrundlage – ein solches besteht bereits in § 612a BGB.[16] Gleiches gilt für das geforderte Leistungsverweigerungsrecht – im Falle des nachgewiesenen Mobbings folgt ein solches bereits aus § 273 BGB.[17] Auch hier: unbestritten.[18]
- Eine wesentliche Änderung der jetzigen Rechtslage würde jedoch die geforderte Beweiserleichterung im gerichtlichen Verfahren mit sich bringen.[19] Es gilt der allgemeine Grundsatz, nach dem der Gläubiger die anspruchsbegründenden Tatsachen beweisen muss, Beweiserleichterungen greifen nicht ein.[20] Insoweit besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen Mobbing-Fällen, die unter das AGG fallen – hier greift die Beweiserleichterung nach § 22 AGG – und solchen, die nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen sind.
- Die Fraktion Die Linke fordert zudem ein Verbandsklagerecht der Gewerkschaften.[21] Ein solches Recht wird wegen allem Möglichen gefordert.[22] Eingeführt wurde es bislang nicht. Es wäre also ein Systembruch, es gerade hier zu tun – und es wäre umso brüchiger, als das deutsche Recht ja (anders als das französische[23]) noch nicht einmal ein Klagerecht der Gewerkschaft zur Durchsetzung des Tariflohns eines einzelnen Arbeitnehmers kennt. Wenn sie sich aber noch nicht einmal in dieser Weise schützend vor den eigenen Tarifvertrag stellen kann, dann wäre es beim Mobbing sicherlich begründungsbedürftig. Und das insbesondere deswegen, weil der Arbeitnehmer vielleicht aus gutem Grund gar nicht will, dass seine Demütigungen und Belästigungen in die (Gerichts-)Öffentlichkeit getragen we
Umgesetzt wird das alles nicht – es handelt sich ja um Anträge der Opposition. Aber wichtig ist so eine Diskussion allemal. Wer mehr wissen, will, der kann am 27.1.2019 Parlamentsfernsehen schauen – die Sachverständigenanhörung in der Ausschusssitzung Arbeit und Soziales wird live übertragen und ist danach in der Mediathek abrufbar.
Nachweise
[1] BAG, Beschl. v. 15.1.1997 – 7 ABR 14/96, NZA 1997, 781.
[2] LAG Thüringen, Urt. v. 15.2.2001 – 5 Sa 102/00, NZA-RR 2001, 577 (579); siehe auch LAG Hamm, Urt. v. 25.6.2002 – 18 (11) Sa 1295/01, NZA-RR 2003, 8 (Ls.); LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16.8. 2001 – 6 Sa 415/01, NZA-RR 2002, 121 (122); siehe auch MAH ArbR/Reinfeld, § 34 Rn. 62 m.W.N.
[3] BT-Drucks. 19/6128, S. 3.
[4] BGH, Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223 (225); ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 615; Benecke, RdA 2008, 357 (359).
[5] BGH, Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223 (225 f.) m.w.N.; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 615.
[6] BGH, Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223 (226); Urt. v. 16.5.2007 – 8 AZR 709/06, NZA 2007, 1154 (1159).
[7] ErfK/Niemann, § 626 BGB; Rn. 117; Küttner/Poeche, Mobbing, Rn. 3; MAH ArbR/Reinfeld, § 34 Rn. 66; Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, Persönlichkeitsrechtsschutz, Rn. 35 ff.; Seel, öAT 2013,158 (159); Benecke, Rda 2008, 357 (364); dies., NZA-RR 2003, 225 (226).
[8] Siehe BGH, Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223 (227); Urt. v. 16.5.2007 – 8 AZR 709/06, NZA 2007, 1154 (1165) m.W.N.
[9] BGH, Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223 (225);
[10] Siehe etwa ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 617 und 623; Küttner/Poeche, Mobbing, Rn. 3; MAH ArbR/Reinfeld, § 34 Rn. 67; Benecke, RdA 2008, 357 (359); diess.., NZA-RR 2003, 225 (227).
[11] BT-Drucks. 19/16480, S. 2.
[12] BAG, Urt. v. 20.6.2013 – 8 AZR 280/12, NZA 2013, 1265 (1267); siehe auch BAG, Urt. v. 16.5.2007 – 8 AZR 709/06, NZA 2007, 1154.
[13] So gefordert in BT-Drucks. 19/16480, S. 2.
[14] Henssler, NZA Beilage 2018, 31 (36); siehe dazu auch Schwede, ArbRAktuell 2019, 7 (9); Sasse/Schönfeld, RdA 2016, 346 (349). Aus der Kommentarliteratur: BetrVG/Richardi § 87 Rn. 177 ff. mwN.
[15] BT-Drucks. 19/6128, S. 3.
[16] Dazu umfassend HWK/Thüsing, § 612a BGB Rnr. 1 ff.; Thüsing, NZA 1994, S. 728.
[17] Siehe dazu BGH, Urt. v. 19.1.2016 – 2 AZR 449/15, NZA 2016, 1144 (1149); v. 23.1.2007 – 9 AZR 557/06, NZA 2007, 1166 (1167); hierzu muss die behauptete Pflichtverletzung des Arbeitgebers indes genau bezeichnet werden, ein pauschales Berufen auf Mobbing genügt nicht, siehe BAG, Urt. v. 13.3.2008 – 2 AZR 88/07, BeckRS 2008, 54095.
[18] ErfK/Preis, § 611a Rn. 617; Küttner/Poeche, Mobbing, Rn. 4; Schaub/Koch/Koch, Mobbing; Schaub/Ahrendt, § 36 Rn. 160; Kreitner, DStR 1997, 1292 (1294).
[19] BT-Drucks. 19/6128, S. 3.
[20] Ausführlich BAG, Urt. v. 16.5.2007 – 8 AZR 709/06, NZA 2007, 1154 (1162); für eine Modifikation zugunsten des Arbeitnehmers noch LAG Thüringen, Urt. v. 15.2.2001 – 5 Sa 102/00, NZA-RR 2001, 577 (580).
[21] BT-Drucks. 19/16480, S. 1.
[22] Ein engagiertes Plädoyer für ein Verbandsklagerecht bei Diskriminierungen Joussen, RdA 2015, S.305, 307. Kraftvoll dagegen Höpfner für das Tarifrecht RdA 2015, 94, 95: „Allen Vorschlägen zur Einführung eines Verbandsklagerecht gemein ist ein völlig unbegründetes Misstrauen gegen die Selbstbestimmungskraft der einzelnen Arbeitnehmer, um derentwillen Tarifautonomie überhaupt nur existiert. Sie führen, konsequent zu Ende gedacht, zu einer Pervertierung von Tarifautonomie als eine kollektivistische Bevormundung des Arbeitnehmers.“
[23] S. hierzu schon Thüsing, DB 1999, 1552.