Auch im Dezember veröffentlichen wir wieder einen Beitrag eines Mitglieds des Phi Delta Phi – Hoffmann Becking Inns. Marcel Werner berichtet über seine Erfahrungen innerhalb einer NGO in Südosteuropa und der Frage was nach dem Studium folgen wird. Insbesondere durch zahlreiche Veranstaltungsplattformen und Expertengespräche, aber auch durch aktive Beratung der Regierungen, unterstützen NGO´s den Reformprozess in Südosteuropa. Der vorliegende Beitrag zeigt einige Missstände, mit welchen sich die NGO´s auseinadersetzen, auf, Aktuell bereitet sich der Autor auf einen weiteren Auslandsaufenthalt vor.
Die allgemeine Ausgangssituation
Wirtschaft oder Staat – Wohin nach dem Studium? Was möchte ich und was bin ich bereit zu leisten und gegebenenfalls auch zu opfern? Diese Fragen beschäftigen wahrscheinlich jeden Studenten während seiner Ausbildung. Waren vor einigen Jahren Großkanzleien kaum bekannt, konkurrieren sie heute gemeinsam mit dem Staatsdienst unter den beliebtesten Arbeitgebern bei Juristen. Ganz plakativ: hier 100.000 € Einstiegsgehalt aber durchaus wenig Freizeit und dort weitgehende Autonomie aber unter Umständen die Beschäftigung mit weniger spektakulären Fällen, als es der Tatort vermuten lässt.
Nachdem ich im Sommer ein Praktikum in einer der führenden internationalen Wirtschaftskanzleien absolviert hatte, war mir klar, es handelt sich um eine ganz eigene Welt, in welcher das juristische Handwerk, welches an der Uni gelehrt wird, meist eher zweitrangig ist. Diese Tatsache möchte ich überhaupt nicht kritisieren, denn es hat mir sehr viel Freude bereitet und ich könnte mir sehr gut vorstellen, für eine gewisse Dauer in einer solchen Kanzlei zu arbeiten. Die Kanzleien bilden die Neueinsteiger praktisch noch einmal völlig neu aus und man kann sehr viel lernen. Die universitäre Ausbildung vermittelt mit der Fähigkeit zu analytischem Denken und der Abwägung von Argumenten lediglich (aber immerhin) eine Ausgangsposition, so zumindest das meinige Empfinden und das vieler Anwälte, mit denen ich mich austauschen konnte.
Südosteuropa – Die Arbeit in einer Nichtregierungsorganisation
Gewährleistung eines funktionierenden Justizapparats
Da ich mich aber auch für die internationale Politik interessiere, verschlug es mich anschließend nach Rumänien. Dort absolvierte ich ein Praktikum im Rechtsstaatsprogramm einer großen NGO. Im folgenden Bericht werde ich einige Themen aufzählen, welche typischerweise das Aufgabengebiet einer NGO in Südosteuropa umfassen, um den Lesern eine Vorstellung über dortige Tätigkeiten zu ermöglichen.
Ein ganz anderes Aufgabenfeld, dennoch spannend und vielseitig. Im Rahmen des Praktikums beschäftigte ich mich mit Reformen der Justiz, Minderheiten, insbesondere Roma in Südosteuropa, und der Antikorruption, aber auch dem Asylrecht. Man beriet postkommunistische Regierungen bei Entwürfen zu neuen Strafgesetzbüchern und erarbeitete gemeinsam mit anderen NGOs Ideen, um das Justizwesen transparenter zu gestalten und das Vertrauen der Menschen in die Justiz nach jahrzehntelangem Kommunismus und Vetternwirtschaft wieder herzustellen. Gleichzeitig versuchte man die Transparenz und Effektivität der Gerichtsprozesse nachhaltig zu gewährleisten. Oftmals ziehen sich diese über Jahre hinweg, sodass sich kaum ein Durchschnittsbürger die hohen Prozess- und Anwaltskosten leisten kann. Hinzu kommt, dass es in einigen Regionen keine Prozesskostenhilfe gibt. Dies nutzen Richter und Anwälte oftmals aus, um sich gegenseitig abzusprechen und die anfallenden Anwaltskosten durch aufschiebende Prozesstage in die Höhe zu treiben und dann untereinander zu teilen.
Asylrecht – Eine Frage der Differenzierung
Als besonders interessant erwies sich für mich auch die Auseinandersetzung mit deutschem Asylrecht. Ein Gebiet, welches ich persönlich zuvor nur beiläufig kannte. Spannend war es insbesondere deshalb, weil in der Zeit meines Praktikums die Entscheidung der Bundesregierung fiel, das Asylrecht zu verschärfen.[1] Die Bundesregierung stufte drei weitere Balkanstaaten als sichere Herkunftsstaaten ein, namentlich sind dies Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Abgelehnte Asylbewerber können nun schneller abgeschoben werden. Dies betrifft vor allem die Minderheit der Roma, welche sich seit ein paar Jahren auch auf deutschen Straßen niederlässt. Abgelehnt wird ein Großteil der Asylanträge oftmals, weil die Menschen nicht immer als politisch verfolgt im Sinne des Grundgesetzes (Art. 16a GG) gelten. Die Bundesregierung möchte damit insbesondere die Armutseinwanderung bekämpfen. Korrekt ist sicherlich, dass das Asylrecht häufig missbraucht wird. Aber man muss zwischen den einzelnen Einwanderungsgruppen differenzieren. Während des Praktikums fand ich bspw. heraus, dass es den Roma in den einzelnen Balkanstaaten sehr unterschiedlich ergeht.
In einigen Ländern, so z.B. in Rumänien, werden Roma gesellschaftlich isoliert und verstoßen. Man lässt sie nicht am alltäglichen Leben teilhaben und sie leben vielfach unter menschenunwürdigen Bedingungen. Politisch verfolgt werden sie jedoch nicht. In anderen Staaten hingegen sind Roma durchaus der Gewalt rechter Gruppierungen ausgesetzt. Man zündet ihre Häuser an oder missbraucht sie. So berichten zahlreiche NGOs bspw. über solche Vorfälle in Serbien und Ungarn. Mir wurde deutlich, dass man sich jedes Land individuell anschauen muss.
Dass die Bundesregierung Serbien und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten einstuft, erschließt sich einem, wenn man bedenkt, dass bspw. Serbien seit 2012 als offizieller Beitrittskandidat der EU gilt und die Verhandlungen Anfang 2014 begonnen haben. Es erscheint ziemlich paradox, dass die EU ein Land aufnehmen würde, welches nicht als sicheres Herkunftsland gilt, in welchem Minderheiten diskriminiert und verfolgt werden.
In der gesamten Asyldebatte sollten wir jedoch nicht vergessen, dass der Großteil der Migranten einen akademischen Hintergrund besitzt. Die Abwanderung junger qualifizierter Menschen stellt ein typisches Problem der Länder in Südosteuropa dar, was auch dem dort sehr niedrigen Lebensstandard und Einkommen geschuldet ist.
Korruption und Systemkonflikt
Der gesamte Balkan gilt nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens als rechtlich sehr instabil. Der Justiz mangelt es oftmals an Effizienz. Auch der ständige Systemkonflikt zwischen Ost und West führt zu keiner Stabilisierung, wenngleich sich der Großteil der Transformationsstaaten für eine EU-Mitgliedschaft begeistern kann und eine solche auch anstrebt. Ein weiteres Problem ist die Korruption. Im alltäglichen Leben wird in jeder gesellschaftlichen Schicht bestochen. Egal ob für einen Führerschein, ein Staatsexamen oder einen Arztbesuch. Mit einem gewissen Geldbetrag lässt sich vieles vereinfachen. Die monotone Medienlandschaft, oftmals durch das Establishment kontrolliert, lässt keine unabhängige Berichterstattung zu. Dies führt dazu, dass gesellschaftliche Probleme oftmals kaum diskutiert werden. Glücklicherweise kristallisiert sich seit einigen Jahren aber heraus, dass zahlreiche Bürger Verantwortung übernehmen wollen und sich zusammenschließen, um auf Missstände aufmerksam zu machen und ihr Recht auf gesellschaftliche Teilhabe leben. Auch durch Veranstaltungen und Maßnahmen der Weiterbildung westlicher NGOs wird gewährleistet, dass auf solche Missstände aufmerksam gemacht wird.
Rechtsstaatlichkeit auf dem Balkan
Die Verfassungen der Länder sind modernisiert und demokratisiert worden. Die Gewaltenteilung, für uns selbstverständlich, findet nach und nach Akzeptanz. Die Verfassungsgerichtsbarkeit, welche in vielen Ländern aufgrund der sozialistischen Regierungen nicht ausgeführt wurde, wird von der Bevölkerung erfreulicherweise genutzt, um Rechte einzuklagen, sodass sich die Verfassungsgerichte durch spektakuläre Urteile zu einem von Politik und Gesellschaft angesehenen Akteur entwickelt haben.
Insbesondere im Hinblick auf die Rechtstaatlichkeit erzielen die Länder Südosteuropas (vor allem Kroatien und Rumänien) spürbare Fortschritte, wenngleich es noch zahlreiche Probleme gibt. Besonders problematisch sind ungelöste Erb- und Eigentumsfragen, die auf Altlasten sozialistischer Zeit zurückzuführen sind. Teilweise liegen diese Verfahren zehn oder 20 Jahre zurück. Laut dem Gericht für Menschenrechte in Straßburg werden Menschenrechte verletzt, falls ein Verfahren länger als fünf Jahre andauert. Daraus ergibt sich, dass hier täglich gegen Menschenrechte verstoßen wird.
Anwaltsvergütungen in Kroatien – ein spezielles Thema
Was sich mir als besonders bizarr aufgetan hat ist das System der Anwaltsvergütungen in Kroatien, welche jeglichen Rahmen sprengen. Der Interessensverein der Rechtsanwälte in Kroatien erlegt den Bürgern wucherartige Gebühren in Form von festen Tarifen auf. Bei einem Streitwert von 2.000,000 € beträgt das Honorar der Anwälte in Deutschland ca. 400,00 Euro, das in Kroatien 2.300,00 €. Diese Differenz steigt mit steigendem Streitwert, sodass Rechtsanwaltsgebühren oftmals bis zu 20-mal höher sind als in Deutschland. Ein Rechtsschutz ist hier kaum gewährleistet. Auch die Dauer der Verhandlungstage führt dazu, dass Gerichtsverfahren unnötig in die Länge gezogen werden und den Anwälten zusätzliche Honorare bringen. Die Prozesskostenhilfe wird nach dem Gesetz über Prozesskostenhilfe in solchen Fällen gewährt, in denen es um eine für den Empfänger existentielle Frage geht, was in der Praxis so eng wie möglich ausgelegt wird. Personen, die ein Haus oder eine Wohnung besitzen, haben gesetzlich keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe, unabhängig vom Wert der Wohnung, des Hauses oder den Kosten des Verfahrens. Dies führt dazu, dass Zivilprozesse oftmals zugunsten des finanziell Überlegenen entschieden werden.
Zusammenarbeit mit anderen NGO´s
Während meines Praktikums war es mir möglich, mich mit zahlreichen NGO’s zu beschäftigen, so z.B. Transparency International, Human Right Watch, Amnesty International oder Unicef. Daneben beschäftigte ich mich mit Berichten der EU-Kommission oder der Weltbank. Mit Vertretern der EU-Kommission in Bukarest konnte ich mich dankenswerterweise sogar austauschen und an europäischen Dialogen und Konferenzen teilnehmen.
Der deutsche Jurist – besonders populär auf dem internationalen Parkett
Insgesamt war es sehr interessant, Land, Leute und Kultur kennenzulernen und Vorurteile abzubauen. In Zeiten der europäischen Integration sollten wir uns alle ein selbstständiges Bild unserer Mitmenschen machen und uns nicht allzu stark durch Medien beeinflussen lassen. Wir müssen objektiv und sachlich bleiben und ein gewisses Maß an politischem Interesse aufbringen, denn auch dies ist die Verantwortung die ein Jurist trägt. Für mich persönlich hat sich das Praktikum mehr als ausgezahlt. Ich fühle mich bestärkt darin, eine internationale politische Berufslaufbahn einzuschlagen. Ob bei einer Behörde oder einer NGO ist mir noch nicht klar, aber dafür ist ja auch noch ein wenig Zeit……
Was sich insgesamt jedoch allgemein beobachten lässt und ich auch in meinem Arbeitsumfeld feststellen konnte, ist die Tatsache, dass beinahe alle Führungspositionen von Personen bekleidet werden, die Rechtswissenschaft studiert haben. Sowohl innerhalb von Botschaften und anderen Behörden, als auch innerhalb von Nichtregierungsorganisationen ließ sich dies feststellen. Man teilte mir mehrmals mit, dass sich Juristen schnell in komplexe Sachverhalte einarbeiten können und oftmals über eine schnelle Auffassungsgabe verfügen. Zudem seien sie eloquent und objektiv, was bei schwierigen Thematiken oftmals von Vorteil ist. Ich erfreute mich insbesondere der Tatsache, dass gerade Juristen aus Deutschland sehr populär sind. Nie vergessen werde ich die Antwort eines Französischen Diplomaten, als ich fragte, weshalb in einigen Organisationen überdurchschnittlich viele Deutsche vertreten sind: ,, Sie sind eben fleißig, diszipliniert und verantwortungsbewusst. Naja und außerdem haben sie Jura in Deutschland studiert, einem der angesehensten Länder was die juristische Ausbildung betrifft.‘‘
Der Autor befand sich im Sommer 2014 in Bukarest, Rumänien, wo er in einer international tätigen NGO gearbeitet hat.
[1] https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/015/1801528.pdf
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