Wir freuen uns über einen weiteren Gastbeitrag von Max Randerath, Student an der Uni Frankfurt. Vielen Dank dafür!
In einem BGH Urteil (VIII ZR 45/09) vom 14.7.2010 ging es um die Haftung des Vermieters bei eigenmächtiger Wohnungsräumung. Neben examensrelevanten Fragen aus dem BGB-AT und der Beweislast beim Schaden wird dabei auch auf das meist unbekannte „nachvertragliche Schuldverhältnis“ und deren Pflichtverletzung durch verbotene Eigenmacht gem. § 858 I BGB eingegangen.
Sachverhalt
M ist Mieter einer Wohnung des Vermieter V. Ab dem 19.02.2005 taucht er ohne jemanden Bescheid zu geben an einem unbekannten Ort unter. Aufgrund einer Vermisstenmeldung wird die Wohnung 4 Tage später und noch mal einen Monat später auf polizeiliche Anordnung geöffnet und durchsucht. Der darüber informierte Vermieter kündigte am 20.04.2005 die Wohnung, weil die Mieten März/April nicht gezahlt wurden. Weil er den Aufenthaltsort des M nicht herausfinden konnte kündigt er durch Einwurf des Kündigungsschreibens in den Briefkasten des M, obwohl er wusste das dieser nicht da ist.
Am 19.05.2010 öffnet V die nach der Polizeidurchsuchung wieder verschlossene Wohnung und nimmt sie in Besitz und entsorgt teilweise Gegenstände der Einrichtung, einen Teil lagert er ein. Plötzlich taucht der M wieder auf und will Schadensersatz in Höhe von 60.000 € für die entsorgten Gegenstände, wobei die Höhe des Betrags streitig ist. Zu Recht?
Lösung
I. Anspruch aus § 280 I BGB
1. Wirksames Schuldverhältnis
a) Mietvertrag
In Betracht kommt zunächst der zwischen M und V geschlossene Mietvertrag. Dieser könnte allerdings durch V am 20.04.2005 wirksam gekündigt worden sein.
Die Kündigung ist eine einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung, die nach § 130 I BGB wirksam wird, wenn sie dem Erklärungsempfänger zugeht.
Bei Zugang unter Abwesenden geht eine Willenserklärung normalerweise dann zu, wenn sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt und unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist. Zu diesem Bereich gehört auch der Briefkasten des M. Das der V weiß das M nicht da ist schadet hier nicht, denn eine Willenserklärung geht auch dann zu, wenn der Empfänger in Urlaub, Haft oder sonstiger Abwesenheit verhindert ist.
Die Kündigung ist also wirksam und es liegt kein wirksames Schuldverhältnis vor.
Exkurs: Oftmals begegnet die Problematik im Arbeitsrecht, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer kündigt, obwohl er weiß, dass dieser im Urlaub ist. Auch hier wird ein Zugang bejaht, da auch der Arbeitgeber, wie auch hier der Vermieter, Kündigungsfristen einzuhalten hat. Im Arbeitsrecht hat dies meist weitreichende Folgen, da der Arbeitnehmer nach § 4 I KSchG innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage erheben muss, da die Kündigung ansonsten als wirksam betrachtet wird §§ 13 I 2, 7 S.1 KSchG. Wegen drohenden Missbrauchs durch den Arbeitgeber gibt das BAG in diesen Fällen dem Arbeitnehmer die Möglichkeit die Kündigungsschutzklage unter den Voraussetzungen des § 5 KSchG nachträglich zuzulassen.
b) „nachvertragliches Schuldverhältnis“
Trotzdem bestehen nach der Kündigung noch verschiedene nachvertragliche Pflichten, die hier ein nachvertragliches Schuldverhältnis begründen.
Exkurs: Neben dem vorvertraglichen Schuldverhältnis (culpa in contrahendo) gibt es also auch ein nachvertragliches Schuldverhältnis (culpa post contractum finitum). Entwickelt wurde die Rechtsfigur durch Rechtsprechung und Rechtswissenschaft und erfasst denknotwendig nach dem Wegfallen der Hauptpflichten nur Nebenpflichten.
2. Pflichtverletzung
Als Pflichtverletzung kommt hier die eigenmächtige Entsorgung der Einrichtung in Betracht. Dabei könnte es sich um verbotene Eigenmacht § 858 BGB handeln.
Voraussetzung dafür ist, dass der unmittelbare Besitzer ohne dessen Willen im Besitz gestört wird, ohne dass das Gesetz die Störung gestattet.
Möglicherweise könnte die Besitzstörung aber gestattet sein, wenn hier ein Fall der erlaubten Selbsthilfe nach § 229 BGB vorliegt.
Der Mieter ist nach § 546 BGB verpflichtet dem Vermieter die Sache zurückzugeben, wozu auch grundsätzlich die Räumung der Sachen gehört.
Der BGH verneint hier jedoch eine Selbsthilfe, denn
„die nicht durch einen gerichtlichen Titel gedeckte eigenmächtige Inbesitznahme der Wohnung und deren eigenmächtiges Ausräumen durch den Vermieter stellen jedenfalls solange, wie der Mieter seinen an der Wohnung bestehenden Besitz nicht erkennbar aufgegeben hat, eine verbotene Eigenmacht im Sinne des § 858 I BGB und zugleich eine unerlaubte Selbsthilfe im Sinne von § 229 BGB dar.
Das gilt selbst dann, wenn der gegenwärtige Aufenthaltsort des Mieters unbekannt und/oder das Mietverhältnis wirksam gekündigt und ein vertragliches Besitzrecht des Mieters entfallen ist.“
Es sei die Pflicht des Vermieters sich einen Räumungstitel zu verschaffen und zwecks rechtmäßiger Besitzverschaffung aus diesem vorzugehen.
Erlaubte Selbsthilfe liegt demnach nicht vor und eine Pflichtverletzung durch verbotene Eigenmacht liegt vor.
3. Vertretenmüssen, § 280 I 2 BGB: wird vermutet
4. Schaden
Grundsätzlich trifft bei Schadensersatzansprüchen den Anspruchsteller (M) die Beweislast des Schadens.
Bei eigenmächtiger Inbesitznahme von Gegenständen kehrt sich die Beweislast jedoch um, sodass der V hier beweisen muss das der Schaden nicht 60.000€ beträgt.
Der BGH geht jedoch noch weiter:
„Die Beweislast erstreckt sich zugleich auf den Bestand, den Zustand und die wertbildenden Merkmale der Gegenstände, die sich in der durch verbotene Eigenmacht in Besitz genommenen Wohnung befunden haben. Zu den Obhutspflichten des Beklagten…gehört es auch die Interessen…des verhinderten Klägers zu wahren. Der Beklagte hätte deshalb nicht nur dafür Sorge tragen müssen, dass an den in Besitz genommenen Gegenständen während der Dauer ihrer Obhut oder anschließenden Einlagerung keine Beschädigungen oder Verluste eintreten. Es hätte ihm vielmehr schon bei Inbesitznahme oblegen, ein aussagekräftiges Verzeichnis der verwahrten Gegenstände aufzustellen und deren Wert schätzen zu lassen, um dem Kläger eine Sicherung seiner Ansprüche zu ermöglichen (vgl. BGHZ 3, 162, 172f.).
Ein Anspruch aus § 280 I BGB in Höhe der 60.000 € ist also gegeben.
II. Weitere Ansprüche
Weiterhin hat M gegen den V einen verschuldensunabhängigen (!) Anspruch aus § 231 BGB.
Dieser ist gegeben, weil sich V über die Voraussetzungen und Umfang des Selbsthilferechts irrt. Von der Ersatzpflicht erfasst wird insbesondere die eigenmächtige Entsorgung des in Besitz genommenen Hausrats und anderer Gegenstände. Den Vermieter trifft nämlich mit seiner Inbesitznahme zugleich eine Obhutspflicht (s.o), welche einer Entsorgung grundsätzlich entgegensteht.
Außerdem hat er Ansprüche aus § 823 I BGB und §§ 823 II i.V.m § 858 BGB.