Wir freuen uns, einen weiteren Gastbeitrag veröffentlichen zu können, der von Ass. iur. Margaretha Pirzer stammt, die nach dem Zweiten Staatsexamen im vergangenen November aktuell in einer Wirtschaftskanzlei in Tel Aviv arbeitet und sich dort mit grenzüberschreitenden Erbfällen auseinandersetzt. Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über das europäische Nachlasszeugnis und dessen Kollision mit nationalen Registervorschriften.
Wir erleben heutzutage eine zunehmende Mobilität in Europa. Grenzen werden unbedeutend und oft haben wir mehr als nur ein Land, in dem wir arbeiten, leben oder unseren Besitz verteilen. Auch vor dem Erbrecht macht diese Entwicklung nicht Halt. So war es nur eine Frage der Zeit, bis sich der europäische Gesetzgeber der Probleme und Bedürfnisse eines grenzüberschreitenden Erbfalles annimmt und als Antwort die Erbrechtsverordnung, Verordnung EU Nr. 650/2012, im Folgenden „EU-ErbVO“ genannt, erließ, welche am 17.08.2015 in Kraft trat. Im Zuge der ErbVO wird ein Europäisches Nachlasszeugnis, im Folgenden „Zeugnis“, eingeführt, welches den Rechtsverkehr bei grenzüberschreitenden Erbfällen wesentlich erleichtern und Kosten merklich reduzieren soll.
A. Konkreter Fall
Um die Wirkungen des Zeugnisses auf erbrechtliche Mandate genauer beleuchten zu können und deutlich zu machen wie schnell ein ausländischer Bezug erbrechtlich relevant werden kann, sei folgender Fall eines deutschen Erben dargestellt:
Ein deutscher Staatsbürger, der seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte, verstirbt am 09.09.2015. Der Sohn, eingesetzt als Alleinerbe, bekommt ohne weitere Probleme den deutschen Erbschein ausgestellt. Unser Erbe wäre damit auch zufrieden, hätte der Vater nicht schon vor langer Zeit auch eine Liegenschaft in Österreich erworben. Doch so einfach wie die Ausstellung des Erbscheins in Deutschland gelingt unserem Erben die Umschreibung im österreichischen Grundbuch nicht.
B. Das Problem
Nach der bisherigen Rechtslage war für eine Umschreibung des Eigentümers im österreichischen Grundbuch ein nationaler Nachweis der Erbenstellung und Berechtigung, ein sogenannter Einantwortungsbeschluss, notwendig. Die Vorlage eines anderweitigen ausländischen Dokuments reichte dafür nicht aus. Um aber an den ersehnten Einantwortungsbeschluss zu kommen, müsste unser Erbe ein selbstständiges Verlassenschaftsverfahren in Österreich durchführen. Man kann sich nur zu gut den damit verbundenen Kosten- und natürlich Zeitaufwand vorstellen.
C. Die Lösung – Ein Zeugnis für alle
Genau an dieser Stelle kommt das Zeugnis zur Vereinfachung des komplexen Prozesses für unseren Erben ins Spiel. Denn gemäß Art. 63 EU-ErbVO dient das Zeugnis zur Verwendung durch Erben, die sich in einem anderen Mitgliedsstaat der EU auf ihre Rechtsstellung berufen oder ihre Rechte ausüben wollen. Einen praktischen Mehrwert kann das Zeugnis daher insbesondere für Nutzer darstellen, die sich nicht auf einen nationalen Erbnachweis in einem anderen Mitgliedsstaat berufen können. Das Zeugnis wird von den Gerichten oder Behörden des Staates ausgestellt, dessen Gerichte für eine konkrete Erbsache international zuständig sind, was zur Folge hat, dass in unserem konkreten Fall der Erbe ganz einfach das Zeugnis bei dem zuständigen deutschen Gericht beantragen kann. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass das Zeugnis weder eines weiteren Anerkennungsverfahrens bedarf, noch einer anderweitigen Beglaubigung, da es nach Art. 69 Abs. 1 EU-ErbVO in allen Mitgliedsstaaten unmittelbare Wirkung entfaltet.
D. Unklarheiten in der Praxis
Doch Vorsicht, ganz so einfach könnte es vielleicht nicht sein. Wirft man einen genaueren Blick auf die grundbuchamtliche Praxis und die damit verbundenen nationalen Registervorschriften, dann zeigt sich, dass das Zusammenspiel zwischen Zeugnis und nationalen Registervorschriften erst noch auf die Probe gestellt werden muss. Grundsätzlich erklärt Art. 69 Abs. 5 EU-ErbVO das Zeugnis als ein wirksames Schriftstück für Registereintragungen. Dem folgend hat der österreichische Gesetzgeber mit Art. 33 Abs. 1 lit. d Grundbuchsgesetz versucht Klarheit zu schaffen, indem er ausdrücklich das Zeugnis in Bezug auf Grundbuchänderungen erwähnt. Doch Art. 69 Abs. 5 EU-ErbVO verweist auch auf Art. 1 Abs. 2 lit. k und lit. l EU-ErbVO. Diese sehen vor, dass der numerus clausus der Sachenrechte beachtet werden muss. Das Zeugnis ersetzt nicht die Beachtung der nationalen Bestimmungen zur Eintragung von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen in ein nationales Register. Insbesondere sind die gesetzlichen Voraussetzungen des nationalen Rechts für Registereintragungen zu beachten. Daraus kann geschlossen werden, dass der Vollzug des Erwerbsvorganges weiterhin von der nationalen Eintragung abhängig ist. Ferner sind die Erwägungsgründe 18 und 19 zu beachten, die ausdrücklich den Grundsatz lex rei sitae verankern. Möglichst wenig soll also in die nationalen Vorschriften des Sachenrechts eingegriffen werden.