„Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“: Unter diesem Leitfaden haben CDU, CSU und SPD am 7. Februar den Koalitionsvertrag 2018 geschlossen. Das 177 Seiten umfassende Papier sieht in 14 Abschnitten eine Fülle an Vorhaben und Änderungen für die anstehende Legislaturperiode vor. Auch die Arbeitswelt soll reformiert werden. Die Koalitionspartner haben sich auf einige, teils grundlegende Neuerungen im Individual- und Kollektivarbeitsrecht verständigt. Da insbesondere das Individualarbeitsrecht regelmäßig Gegenstand der zivilrechtlichen Examensklausuren ist, sollte den diesbezüglichen Änderungsvorhaben der GroKo ein besonderes Augenmerk gewidmet werden. Die relevantesten Neuerungen sind nachstehend in konzentrierter Form wiedergegeben:
I. Änderungen im Individualarbeitsrecht
1. Einführung eines Rechts auf befristete Teilzeit
Die wohl gravierendste Novelle wird im Teilzeit- und Befristungsrecht (TzBfG) stattfinden. Im Fokus steht die Einführung eines Rechts auf befristete Teilzeit. Die Koalitionspartner sehen insbesondere für Frauen einen Bedarf, nach einer Familienphase ihre beruflichen Pläne vollumfänglich verwirklichen zu können. Der Koalitionsvertrag sieht gegenüber dem vorherigen Referentenentwurf folgende Änderungen zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts vor:
a) Es besteht kein Anspruch auf Verlängerung oder Verkürzung der Arbeitszeit oder vorzeitige Rückkehr zur früheren Arbeitszeit während der zeitlichen begrenzten Teilzeitarbeit.
b) Der neue Teilzeitanspruch gilt nur für Unternehmen, die in der Regel mehr als 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen.
c) Für Unternehmensgrößen von 46 bis 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird eine Zumutbarkeitsgrenze eingeführt, dass lediglich pro angefangenen 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Anspruch gewährt werden muss. Bei der Berechnung der zumutbaren Zahlen an Freistellungen werden die ersten 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitgezählt. Bei Überschreitung dieser Grenze kann der Arbeitgeber einen Antrag ablehnen.
d) Der Arbeitgeber kann befristete Teilzeit ablehnen, wenn diese ein Jahr unter- oder fünf Jahre überschreitet. Die Tarifvertragsparteien erhalten die Möglichkeit, hiervon abweichende Regelungen zu vereinbaren.
e) Nach Ablauf der zeitlich begrenzten Teilzeitarbeit kann die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer frühestens nach einem Jahr eine erneute Verringerung der Arbeitszeit verlangen.
Die neu geschaffene Rechtsfigur der befristeten Teilzeit zieht eine Fülle juristischer Folgefragen mit sich. Unklar ist vor allem, wie die Zumutbarkeitsgrenze mit dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz in Einklang zu bringen ist. Auch gilt es zu klären, wonach sich richtet, welchem unter mehreren Antragstellern befristete Teilzeit zu gewähren ist. Das beschäftigungspolitische Ziel ist eindeutig – die rechtliche Umsetzung bislang nicht.
2. Geänderte Obergrenzen und neue Quote bei sachgrundloser Befristung
Die Möglichkeit zur sachgrundlosen Befristung soll deutlich eingeschränkt werden. Anstatt der bisher zweijährigen sachgrundlosen Befristung soll künftig nur noch eine 18 monatige Vertragsdauer zulässig sein. Auch die rechtmäßige Anzahl an Vertragsverlängerungen wird auf eine statt bislang drei minimiert. Zusätzlich sollen bei Arbeitgebern mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft ohne Sachgrund befristet werden dürfen. Wird die Quote überschritten, wird ein unbefristetes Arbeitsverhältnis fingiert.
Auch diese Neuregelung wirft elementare Rechtsfragen auf: Wie berechnet sich die Quote? Gibt es ein Vollzeitäquivalent? Gilt die Quote betriebsbezogen, unternehmensbezogen – oder weltweit? Bleiben die besonderen Tatbestände der Alters- und Gründerbefristung? Die Regierungsparteien lassen den Rechtsanwender im Unklaren.
3. Einführung einer Höchstdauer bei der Sachgrundbefristung
Auch die Sachgrundbefristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 TzBfG wurde ins Visier genommen. Die Problematik der Kettenbefristung stand in den vergangenen Jahren immer wieder im Fokus der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Mangels normativer Höchstgrenzen implementierte das BAG die Figur des institutionellen Rechtsmissbrauchs in das Befristungsrecht und schuf damit indiziell wirkende Grenzen, die für einen Missbrauch der Möglichkeit zur Sachgrundbefristung sprechen. Nach der bisherigen Rechtsprechung wurde ein Missbrauch vermutet, wenn die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses zehn Jahre überschreitet oder mehr als 15 Vertragsverlängerungen vereinbart wurden oder wenn mehr als zwölf Vertragsverlängerungen bei einer Gesamtdauer von mehr als acht Jahren vorliegen. Der Koalitionsvertrag sieht hier eine deutliche Herabsetzung vor. Eine Sachgrundbefristung soll künftig bereits dann unzulässig sein, wenn die Gesamtdauer des bis dahin bestehenden Arbeitsverhältnisses fünf Jahre oder mehr beträgt. Auf die Höchstdauer sollen für den Bereich der Leiharbeit auch eine oder mehrere vorherige Entleihungen des Arbeitnehmers angerechnet werden. Geplant ist insoweit auch eine Karenzzeit von drei Jahren, die vor Abschluss eines neuen befristeten Arbeitsverhältnisses verstreichen muss. Für den Sachgrund aus § 14 Abs. 1 Nr. 4 TzBfG (Befristung von z.B. Künstlern oder Fußballern) sollen abweichende Regelungen geschaffen werden. Weshalb in genau diesem Segment des Arbeitsmarktes andere Maßstäbe für Befristungsmissbrauch gelten sollen, ist allerdings nur schwer verständlich.
4. Fest Grenzen bei Zusatzarbeit
Arbeit „auf Abruf“ nimmt laut Koalitionsvertrag zu. Zwecks erhöhter Planungs- und Einkommenssicherheit sollen gesetzliche Höchstquoten zu abzurufender, vergüteter Zusatzarbeit eingeführt werden. Abrufbare Zusatzarbeit soll danach die vertragliche Mindestarbeitszeit um höchsten 20 % unter- und 25 % überschreiten dürfen. Fehlte eine Vereinbarung zur wöchentlichen Arbeitszeit gilt demnächst eine Arbeitszeit von 20 Stunden.
II. Änderungen im Kollektivarbeitsrecht
Auch im kollektiven Arbeitsrecht sollen Änderungen stattfinden. Die Vorhaben der GroKo sind hier freilich noch nicht so konkret wie im Individualarbeitsrecht. Beabsichtigt sind jedenfalls Neuregelungen im Betriebsverfassungsrecht (BetrVG). Das allgemeine Initiativrecht der Betriebsräte für Weiterbildung soll gestärkt werden. Ein interessanter Vorstoß – ein solches gibt es nämlich nach geltendem Recht nicht. Arbeitgeber und Betriebsrat sollen künftig über Maßnahmen der Berufsbildung beraten. Ist eine Verständigung nicht möglich, soll die einseitige Anrufung eines Moderators möglich sein. Ein Einigungszwang besteht jedoch nicht.
Ebenso soll die Gründung und Wahl von Betriebsräten erleichtert werden. Das vereinfachte Verfahren (§ 14a BetrVG) soll künftig für Betriebe mit fünf bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern verpflichtend sein. Für Betriebe mit 101 bis 200 Arbeitnehmern soll das vereinfachte Verfahren optional bestehen. Bislang besteht diese Option gem. § 14a Abs. 5 BetrVG für Betriebe mit 51 bis 100 wahlberechtigten Beschäftigten.
III. Kurzer Ausblick
Das geltende Arbeitsrecht wird in der anstehenden Amtsperiode einigen Änderungen unterzogen. Die Reformvorhaben im Teilzeit- und Befristungsrecht dürften dabei auch für die juristische Ausbildung von einiger Relevanz sein. Sowohl die Einführung des Rechts auf befristete Teilzeit als auch die Änderungen zur sachgrundlosen Befristung sowie der Sachgrundbefristung gehen mit neuen Rechtsfragen einher. Dies gibt Anlass, das geltende TzBfG nochmals eingehend zu studieren – nicht zuletzt, damit die anstehende Novelle besser nachvollzogen werden kann.
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