Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil vom 17. Dezember 2009 entschieden, dass ein Betriebsübergang trotz weitgehend übernommener sachlicher Betriebsmittel nicht anzunehmen ist, wenn der Betriebserwerber aufgrund eines veränderten Betriebskonzepts diese nur noch teilweise benötigt und nutzt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Betriebserwerber erhebliche Änderungen in der Organisation und der Personalstruktur des Betriebes eingeführt hat, sodass in der Gesamtschau keine Fortführung des früheren Betriebes anzunehmen ist.
Sachverhalt
Die Beklagte bewirtschaftete bis 31. Dezember 2006 drei Betriebsrestaurants der Regionalniederlassung eines Automobilherstellers. Vertraglich war die Beklagte diesem gegenüber verpflichtet, die anzubietenden Mittagessen vor Ort frisch zuzubereiten. Die Beklagte setzte in jeder Kantine einen Koch und bis zu zwei Küchenhilfen ein. Eine dieser Küchenhilfen war die Klägerin, die sich zum Jahreswechsel 2006/2007 in Elternzeit befand. Ab dem 1. Januar 2007 übernahm die H GmbH die Bewirtschaftung der drei Betriebsrestaurants, die dort von ihr zentral vorgefertigte Speisen nur noch aufwärmen und ausgeben lässt. Köche sind in den Kantinen nicht mehr tätig; die H GmbH beschäftigt ausschließlich Hilfskräfte. Nachdem sie eine Weiterbeschäftigung der Klägerin nach Ende ihrer Elternzeit abgelehnt hatte, nimmt die Klägerin nunmehr die Beklagte als Arbeitgeberin in Anspruch. Mangels eines Betriebsübergangs sei ihr Arbeitsverhältnis nicht auf die H GmbH übergegangen, sondern nach dem 31. Dezember 2006 bei der Beklagten verblieben.
Entscheidung / Lösung des Sachverhalts
Der Betriebsübergang ist in § 613a BGB geregelt. Danach tritt im Falle des rechtsgeschäftlichen Übergangs eines Betriebs oder Betriebsteils auf einen anderen Inhaber dieser in die zur Zeit des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse ein.
Die Voraussetzungen des Betriebsübergangs sind also:
– Betrieb oder Betriebsteil
– Übergang
– durch Rechtsgeschäft
– auf einen anderen Inhaber
Problematisch war hier in dieser Entscheidung das Tatbestandsmerkmal des Übergangs. Neben dem Wechsel des Inhabers ist weitere zwingende Voraussetzung des Übergangs die Erhaltung der wirtschaftlichen Identität des Betriebes. Für die Prüfung dieser Voraussetzung haben der EuGH und BAG den sog. „Sieben-Punkte-Katalog“ entwickelt.
Im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung sind folgende sieben Punkte zu prüfen:
1. Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes
2. Übergang materieller Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter
3. Wert der immaterieller Aktiva im Zeitpunkt des Überganges
4. Übernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber
5. Übergabe der Kundschaft
6. Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit
7. Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit.
Dabei kommen den Einzelfallumständen je nach Art des betroffenen Betriebs unterschiedliches Gewicht zu.
Hier in diesem Fall hat sich der früher ausdrücklich vereinbarte Betriebszweck, die Verköstigung der Firmenmitarbeiter mit vor Ort frisch zubereiteten Speisen, nunmehr verändert. Die unterschiedliche Betriebs- und Arbeitsorganisation lässt die jetzige Kantinenbetreiberin Betriebsmittel wie Küche und Funktionsräume auch nicht mehr nutzen. Mit den Köchen sind zudem die früheren Arbeitsplätze mit prägender Funktion weggefallen.
Somit hat die H GmbH den Betrieb der Beklagten nicht fortgeführt. Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat folglich entschieden, dass vorliegend nicht von einem Übergang des Betriebes auf die H GmbH auszugehen ist.
Examensrelevanz
Wenn die Zeit vor dem Examen knapp ist, neigt man leicht dazu, im Arbeitsrecht auf Lücke zu setzen. Bei nicht wenigen sind die Kenntnisse im Arbeitsrecht beim Examen daher rudimentär. In Hessen kommt in der 3. Examensklausur im Zivilrecht Arbeits- und / oder Handels- und Gesellschaftsrecht dran. Die Problematiken des Betriebsübergangs lassen sich beispielsweise mit dem § 25 HGB aus dem Handels- und Gesellschaftsrecht zu einer schönen Examensklausur kombinieren. Das Thema „Betriebsübergang“ und den von EuGH und BAG entwickelten 7 Punkte Katalog sollte man daher auf jeden Fall schon einmal gehört haben, da sich insbesondere die Voraussetzung der Wahrung der wirtschaftlichen Identität und der dafür entwickelte „Sieben-Punkte-Katalog“ nicht aus dem Gesetz herauslesen lassen.
Lesenswerte Entscheidungen in diesem Zusammenhang sind:
BAG, NZA 2006, 1096 ff
BAG, NZA 2007, 1431 ff.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. Dezember 2009 – 8 AZR 1019/08 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 27. August 2008 – 4 Sa 36/08 –
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