Die Ausbreitung des COVID-19-Virus hat weltweit das öffentliche und wirtschaftliche Leben weitestgehend lahmgelegt. Um der weiteren Ausbreitung des Virus entgegenzuwirken, mussten Kontaktbeschränkungen, Versammlungsverbote und Geschäftsschließungen verfügt werden. Bei vielen Unternehmen ist der Umsatz drastisch eingebrochen, insb. kleinere und mittlere Unternehmen sind in erstzunehmende Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Und auch vor Arbeitnehmern hat das Virus keinen Halt gemacht: Bei manchen wurden befristete Arbeitsverträge nicht verlängert, andere mussten betriebsbedingt gekündigt werden, zehn Millionen Arbeitnehmer befinden sich in Kurzarbeit und müssen nun mit 60 bzw. 67 % ihres Nettoentgelts (§ 105 SGB III) auskommen, während Lebenshaltungskosten und andere Fixkosten in unveränderter Höhe anfallen. Unternehmen stehen nicht nur aufgrund von Absatz- und Umsatzrückgängen vor Schwierigkeiten, sondern auch, weil sie aufgrund der Versammlungsverbote und der allgemeinen Gefahrenlage Beschlüsse auf Versammlungen der entsprechenden Organe nicht mehr auf herkömmlichem Weg herbeiführen können. Einige der nachteiligen Folgen der Pandemie sollen durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (im Folgenden: COVG; BGBl. 2020 I, 569 ff.), das in Windeseile das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen hat, abgeschwächt werden. Bei dem Gesetz handelt es sich um ein Artikelgesetz, d.h. um ein Gesetz, das gleichzeitig unterschiedliche Gesetze abändert und ergänzt.
Es ist zu erwarten, dass die COVID-19-Pandemie Juristen noch für längere Zeit beschäftigen wird und so ist es auch wenig verwunderlich, wenn man in einer mündlichen Examensprüfung (sobald diese wieder stattfinden) darauf zu sprechen kommt. Insb. das Zahlungsmoratorium für Verbraucher und die Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen im neuen Art. 240 EGBGB lassen sich zudem auch leicht in Klausurfälle einbauen. Es lohnt also, einen Blick auf die wesentlichen Bestimmungen des neuen Gesetzes zu werfen.
Der erste Teil dieses zweiteiligen Beitrags behandelt die vorübergehenden Änderungen des Insolvenz- und Gesellschaftsrechts; im zweiten Teil des Beitrags werden die Änderungen auf dem Gebiet des allgemeinen Zivilrechts beleuchtet.
A. Insolvenzrecht
Art. 1 COVG enthält das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG). Bevor die Änderungen im Insolvenzrecht durch das COVInsAG dargestellt werden, soll zunächst ein kurzer Blick auf das „normale“ Insolvenzrecht geworfen werden.
I. Grundlagen des Insolvenzrechts
Im deutschen Recht existieren zwei Vollstreckungssysteme: zum einen die durch den Prioritätsgrundsatz geprägte und im achten Buch der ZPO geregelte Einzelvollstreckung, bei der dem schnellsten Gläubiger der Vorzug gebührt (s. nur § 804 III ZPO); zum anderen die in der InsO geregelte Gesamtvollstreckung. Ziel des Insolvenzverfahrens ist – wie § 1 S. 1 InsO zum Ausdruck bringt – die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt wird. Durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird der individuelle Zugriff der Gläubiger auf das Schuldnervermögen beendet (§ 89 InsO) und der Gläubigerwettlauf um das unzureichende Schuldnervermögen beendet.
Wichtigste Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die schriftliche Stellung eines Eröffnungsantrags (§ 13 I InsO) und das Vorliegen eines Eröffnungsgrunds (§ 16 InsO). Zu den Eröffnungsgründen zählt die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) sowie die Überschuldung (§ 19 InsO). Antragsberechtigt sind gem. § 13 I 2 InsO die Gläubiger und der Schuldner sowie nach § 15 I 1 InsO bei juristischen Personen die Mitglieder des Vertretungsorgans. §§ 13, 15 InsO sprechen ausdrücklich von einem „Antragsrecht“; eine Antragspflicht des Schuldners besteht grds. nicht. Damit insolvenzreife Gesellschaften, für deren Schulden keine natürliche Person unbegrenzt haftet, nicht ohne insolvenzrechtlichen Schutz des Rechtsverkehrs fortgeführt werden (BT-Drucks. 16/6140, 55), sieht § 15a I 1 InsO bei juristischen Personen eine strafbewehrte (§ 15a IV InsO) Insolvenzantragspflicht der Mitglieder des Vertretungsorgans für den Fall der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vor.
II. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
Ohne die Gesetzesänderung wäre eine Vielzahl von Unternehmensinsolvenzen mit weitreichenden Folgen für Wirtschaft und Arbeitsmarkt zu befürchten gewesen, weil Staatshilfen nicht rechtzeitig bereitgestanden hätten und Liquidität nicht rechtzeitig hätte beschaffen werden können. Genau daran setzt § 1 COVInsAG an: § 1 S. 1 COVInsAG setzt grds. die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO bis zum 30.09.2020 aus, wobei § 4 COVInsAG das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis höchstens zum 31.03.2021 zu verlängern. Eine Ausnahme von der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht greift nach § 1 S. 2 COVInsAG nur dann, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie beruht oder wenn keine Aussichten auf Beseitigung der bestehenden Zahlungsunfähigkeit bestehen (zur Auslegung dieser beiden Voraussetzungen s. Römermann, NJW 2020, 1108, 11o9; Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 290 f.; Tresselt/Kienast, COVuR 2020, 21, 22 f.). Neben dieser Regel-Ausnahme-Technik des § 1 S. 2 COVInsAG werden die Antragspflichtigen zudem durch die Vermutung des Satzes 3 entlastet, die nach dem Willen des Gesetzgebers nur in Ausnahmefällen widerlegt werden kann (BT-Drucks. 19/18110, 22): War der Schuldner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.
III. Folgen der Aussetzung
§ 2 COVInsAG regelt sodann die Folgen der Aussetzung und dient der Verringerung von Haftungsgefahren, die typischerweise mit einem Insolvenzverfahren verbunden sind, sowie dem Schutz von Gebern neuer Kredite. So schützt § 2 I Nr. 1 COVInsAG Geschäftsleiter vor einer Haftung gem. § 64 S. 1 GmbHG (für die GmbH), § 93 III Nr. 6 AktG (für die AG), § 130a II 1 HGB (für die oHG) bzw. § 130a II 1 i.V.m. § 177a S. 1 HGB (für die KG) für Zahlungen, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach Feststellung der Überschuldung geleistet wurde, indem fingiert wird, dass diese Zahlungen als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters i.S.d. § 64 S. 2 GmbHG, § 92 II 2 AktG, § 130a I 2 HGB bzw. § 130a I 2 i.V.m. § 177a S. 1 HGB gelten. § 2 I Nr. 2 COVInsAG stellt sicher, dass neue Kreditgeber nicht befürchten müssen, zur Rückgewähr zwischenzeitlicher Leistungen verpflichtet zu werden oder den Zugriff auf die bei der Vergabe der neuen Kredite gewährten Sicherheiten zu verlieren. Nr. 3 schließt aus, dass Kreditgewährungen und Bereicherungen im Aussetzungszeitraum als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung angesehen werden und verhindert den Eintritt der Rechtsfolgen des § 138 BGB und des § 826 BGB. Sowohl Nr. 2 als auch Nr. 3 dienen damit der Rechtssicherheit für neue Kreditgeber und sollen verhindern, dass die Kreditvergabe zum Erliegen kommt. Nr. 4 schränkt schließlich die Regelungen zur Insolvenzanfechtung ein und ist als Komplementärregelung zu den Nrn. 3 und 4 für Vertragspartner von Dauerschuldverhältnissen wie Vermietern, Leasinggebern oder Lieferanten anzusehen und soll gewährleisten, dass diese nicht befürchten müssen, erhaltene Zahlungen im Falle des Scheiterns der Sanierungsbemühungen aufgrund einer Insolvenzanfechtung zurückzahlen zu müssen und so die Vertragsbeziehung auf dem schnellsten Wege beenden. Eine Insolvenzanfechtung gem. §§ 129 ff. InsO ist dabei nicht zu verwechseln mit einer Anfechtung i.S.d. §§ 119 ff. BGB. Während letztere nach § 142 I BGB zur ex tunc-Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führt, führt erstere bloß zu einem schuldrechtlichen Anspruch des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr von bestimmten Leistungen nach § 143 I 1 InsO.
IV. Ein erstes Zwischenfazit
Das COVInsAG soll Unternehmen, die Corona-bedingt in Schwierigkeiten geraten sind, vor der Insolvenz bewahren und Anreize schaffen, die Geschäftsbeziehungen mit betroffenen Unternehmen aufrechtzuerhalten und ihnen Liquidität zuzuführen. Die Eingriffe in das bisherige Insolvenzrecht sind denkbar groß, aber angesichts dieser nie dagewesenen Ausnahmesituation nicht übertrieben. So erhalten ursprünglich gesunde Unternehmen, die ohne ihr Zutun in die Corona-Krise geraten sind, eine echte Perspektive – und das ist auch gesamtwirtschaftlich von Vorteil. Gleichzeitig besteht jedoch auch das Risiko, dass bereits angeschlagene Unternehmen ohne Aussicht auf Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit unter Berufung auf die neuen Regelungen die Stellung des Insolvenzantrags hinauszögern und so ihren Geschäftspartnern schaden. Daher sollten die Sonderregelungen des COVInsAG nur solange gelten, wie dies unbedingt erforderlich ist.
B. Gesellschaftsrecht
Corona und die erlassenen Schutzmaßnahmen haben auch dazu geführt, dass Gesellschaften keine klassischen Gremiensitzungen im Sinne von Präsenzveranstaltungen durchführen können. Ist eine präsenzlose an solchen Gremiensitzungen nicht möglich, können wichtige Beschlüsse nicht gefasst werden, wodurch es wiederum langfristig zu einer Handlungsunfähigkeit von Unternehmen kommt: Der Jahresabschluss kann nicht festgestellt und damit auch die Gewinnausschüttung nicht festgelegt werden, Umstrukturierungsmaßnahmen können nicht beschlossen werden und Personen können nicht zur Übernahme von Amtsfunktion (wieder-)bestellt werden. Das in Art. 2 COVG enthaltene Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (im Folgenden: „COVGesRMG“) bringt u.a. Änderungen des Rechts der AG, KGaA und SE (I.), des GmbH-Rechts (II.) sowie des Vereinsrechts (III.) mit sich.
I. Recht der AG, KGaA und SE
Bereits seit Inkrafttreten des ARUG I in 2009 steht das Aktienrecht einer Online-Teilnahme von Aktionären an der Hauptversammlung nicht mehr entgegen: Aktionäre können an der Hauptversammlung auch ohne physische Anwesenheit am Versammlungsort teilnehmen (§ 118 I 2 AktG) und eine Stimmabgabe im Wege der Briefwahl ist ebenfalls möglich (§ 118 II AktG). Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats können zugeschaltet werden (§ 118 III); Bild- und Tonübertragungen können zugelassen werden (§ 118 IV AktG). Voraussetzung für all dies ist jedoch, dass die Satzung diese Beteiligungsmöglichkeiten vorsieht oder den Vorstand ermächtigt, diese vorzusehen. Und genau hier liegt in Zeiten von Corona das Problem: § 118 AktG billigt den Gesellschaften zwar ein erhebliches Maß an Satzungsautonomie zu, die wenigsten Unternehmen verfügen jedoch über eine entsprechende Satzungsermächtigung (Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1176). Kann die Hauptversammlung nicht auf klassischem Wege zusammenkommen, kann auch die Satzung nicht um die nötige Satzungsermächtigung ergänzt werden, da die Satzungsänderung selbst eines Beschlusses der Hauptversammlung bedarf (§ 179 I 1 AktG).
Durch § 1 I COVGesRMG kann der Vorstand vorübergehend ohne Satzungsermächtigung, jedoch mit Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 1 VI COVGesRMG), die Entscheidung über die Ermöglichung einer Online-Teilnahme an Hauptversammlungen treffen.
Die Ermöglichung der Online-Teilnahme an einer Hauptversammlung ist strikt zu unterscheiden von einer virtuellen Teilnahme: Bei der Online-Teilnahme wird es Aktionären bzw. Mitgliedern des Vorstands oder des Aufsichtsrats ermöglicht, sich über Fernkommunikationsmittel zur Präsenzhauptversammlung zuzuschalten, während eine virtuelle Hauptversammlung auf eine Präsenzveranstaltung gänzlich verzichtet. Wie bereits dargestellt ist eine Online-Teilnahme an einer Hauptversammlung seit 2009 mit entsprechender Satzungsermächtigung möglich, eine virtuelle Hauptversammlung jedoch nicht (Spindler/Stilz/Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 118 Rn. 41; MüKo-AktG/Kubis, 4. Aufl. 2018, § 118 Rn. 80; Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811, 811; Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1176). Dies folgt sowohl aus dem Wortlaut des § 118 I 2 AktG („ohne Anwesenheit an deren Ort“) als auch aus dem Zusammenhang mit § 121 III 1, V 1 AktG.
Die nun vorübergehend mögliche Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung ist damit ein echtes Novum. Gem. § 1 II COVGesRMG kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 1 VI COVGesRMG) vorübergehend entscheiden, dass eine Versammlung als virtuelle Hauptversammlung abgehalten wird, wenn die folgenden vier Voraussetzungen erfüllt sind: (1) Es muss eine Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung erfolgen. (2) Die Stimmrechtsausübung über elektronische Kommunikation muss möglich sein. (3) Den Aktionären muss eine Fragemöglichkeit eingeräumt werden. (4) Den Aktionären, die ihr Stimmrecht ausgeübt haben, muss Möglichkeit zum Widerspruch eingeräumt werden.
Flankiert werden die genannten Maßnahmen, die gem. § 1 VIII COVGesRMG entsprechend auch für die KGaA und die SE gelten, durch eine weitgehende Begrenzung des Anfechtungsrechts in § 1 VII COVGesRMG, insb. aufgrund einer Verletzung von § 118 AktG. Die Begrenzung des Anfechtungsrechts soll verhindern, dass die Erleichterungen von den Gesellschaften aus Sorge vor Anfechtungsklagen nicht in Anspruch genommen werden (BT-Drucks. 19/18110, 27).
II. GmbH-Recht
Das Problem, dass wegen Corona keine Versammlungen abgehalten werden können, dürfte Gesellschaften mit beschränkter Haftung tendenziell seltener vor rechtliche Probleme gestellt haben. Zwar stellt auch § 48 I GmbHG die Grundregel auf, dass Beschlüsse der Gesellschafter in Versammlungen zu fassen sind. Zumindest die h.M. versteht unter einer „Versammlung“ i.S.d. § 48 I GmbHG eine Präsenzversammlung, was bedeutet, dass ohne Satzungsgrundlage weder eine virtuelle Gesellschafterversammlung noch eine Online-Teilnahme einzelner Gesellschafter zulässig ist (BGH, NZG 2006, 428, 428; MHLS/Römermann, 3. Aufl. 2017, § 48 Rn. 273 ff.; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, 22. Aufl. 2019, § 48 Rn. 41; Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1178). Die Regelung des § 48 GmbHG ist jedoch – anders als die Regelungen des AktG – dispositiv, sodass der Gesellschaftsvertrag auch die Möglichkeit einer Online-Teilnahme oder einer virtuellen Gesellschafterversammlung vorsehen kann. Außerdem können solche Erleichterungen ggü. § 48 I GmbHG nachträglich durch satzungsändernde Mehrheit in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden. Sollte der Gesellschaftsvertrag diesbezüglich schweigen, können gem. § 48 II GmbHG nichtsdestotrotz wirksame Beschlüsse gefasst werden, wenn sich sämtliche Gesellschafter mit der zu treffenden Bestimmung oder mit der schriftlichen Abgabe der Stimmen einverstanden erklären. Vor allem bei personalistisch geprägten Gesellschaften mit beschränkter Haftung hätte also auch ohne die vorübergehende Gesetzesänderung regelmäßig keine Handlungsunfähigkeit gedroht. Für diejenigen Gesellschaften, bei denen Uneinigkeit unter den Gesellschaftern besteht oder Gesellschafter schlicht keine Erklärung abgeben, schafft § 2 COVGesRMG Abhilfe, indem Beschlüsse der Gesellschafter vorübergehend in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden können.
III. Vereinsrecht
Ähnliche Probleme bestehen auch im Vereinsrecht. § 5 II COVGesRMG schafft als Sonderregelung zu § 32 I 1 BGB die gesetzliche Voraussetzung, um auch ohne Satzungsermächtigung eine virtuelle Mitgliederversammlung (§ 5 II Nr. 1 COVGesRMG) durchführen zu können und bei der Versammlung nicht anwesenden Mitgliedern die schriftliche Stimmabgabe zu ermöglichen (§ 5 II Nr. 2 COVGesRMG). Mit § 5 III COVGesRMG wurde zudem eine Sonderregelung ggü. § 32 II BGB geschaffen und durch Verzicht auf die Zustimmung aller Vereinsmitglieder die Beschlussfassung im Umlaufverfahren erleichtert. Schließlich soll 5 I COVGesRMG die Handlungsfähigkeit und ordnungsgemäße Vertretung des Vereins durch den Vorstand (§ 26 I 2 BGB) solcher Vereine sichern, die nicht in der Lage sind, ihre Vorstandsmitglieder rechtzeitig zu bestellen und bei denen die Satzung nicht vorsieht, dass Vorstandsmitglieder, deren Amtszeit zeitlich befristet ist, im Amt bleiben, bis ihr Nachfolger gewählt ist. Dies ist nun durch § 5 I COVGesRMG auch für Vereine ohne eine entsprechende Passage in der Satzung gesetzlich geregelt.
IV. Ein zweites Zwischenfazit
Die vorübergehenden Änderungen des Gesellschaftsrechts sichern die Handlungsfähigkeit von Gesellschaften und Vereinen, indem sie die Regeln für die Durchführung von Haupt-, Gesellschafter- und Mitgliederversammlungen lockern. Von der Praxis wurden die vorübergehenden Änderungen, die vorerst bis Ende 2020 gelten (§ 7 COVGesRMG), jedoch gem. § 8 COVGesRMG durch Rechtsverordnung des BMJV bis Ende 2021 verlängert werden können, durchweg positiv aufgenommen (Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811, 817; Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1180).
Probleme rund um die Beschlussfähigkeit durch COVID-19 treten jedoch nicht ausschließlich bei Haupt-, Gesellschafter- und Mitgliederversammlungen auf, sondern auch bei Betriebsratssitzungen. Dass der Betriebsrat keine wirksamen Beschlüsse im Umlaufverfahren oder telefonisch fassen kann, bestreitet keiner. Kontrovers diskutiert wird jedoch die Frage, ob eine Beschlussfassung per Videokonferenz zulässig ist. Die Rechtsprechung hat sich zu dieser Thematik bislang noch nicht geäußert; die Literatur geht überwiegend nach wie von der Unzulässigkeit einer virtuellen Betriebsratssitzung aus (BeckOK ArbR/Maurer, 55. Ed. 2020, § 33 BetrVG Rn. 3; HWK/Reichold, 8. Aufl. 2018, § 33 BetrVG Rn. 3; Jesgarzewski/Holzendorf, NZA 2012, 1021, 1022). Als Argument wird hauptsächlich angeführt, bei einer Beschlussfassung via Videokonferenz könne der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Sitzung (§ 30 S. 4 BetrVG) nicht gewahrt werden. Dagegen wenden andere Stimmen der Literatur zwar überzeugend ein, dass die Betriebsratssitzung per Videokonferenz mit Blick auf den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit keine formatspezifischen Gefahrenquellen, die bei der herkömmlichen Sitzung vor Ort mit absoluter Sicherheit auszuschließen wären, berge und schließen daraus die grundsätzliche Zulässigkeit einer Betriebsratssitzung per Videokonferenz (Thüsing/Beden, BB 2019, 372, 374 ff.; Beden/Rombey, BB 2020, 1141, 1143). Angesichts der Mehrheit der Literaturstimmen, die Betriebsratssitzungen per Videokonferenz als Verstoß gegen § 30 S. 4 BetrVG wertet, bleibt ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit jedoch bestehen. Dies hat auch der Bundesarbeitsminister erkannt. Anstatt beispielsweise im Zuge des COVG Änderungen am BetrVG vorzunehmen, begnügte sich der Minister zunächst mit einer Ministererklärung, in der es heißt: „Der Normalfall ist, dass die Betriebsratsmitglieder zu einer Sitzung zusammenkommen […]. Von einem solchen Normalfall können wir hier jedoch nicht sprechen […]. Wir sind daher der Meinung, dass in der aktuellen Lage […] auch die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- oder Telefonkonferenz […] zulässig ist.“ Dass das deutsche Recht eine Ministererklärung nicht kennt und dass diese keine rechtliche Wirkung entfaltet, wurde zu Recht von Wissenschaft und Praxis kritisiert. Diese Kritik wird wohl ein Grund gewesen sein, weshalb jetzt doch noch Bewegung in die Sache gekommen ist: Die Regierungsfraktionen haben eine Gesetzesvorlage (BT-Drucks. 19/17740) in den Bundestag eingebracht, wonach ein neuer § 129 in das BetrVG eingefügt werden soll, der vorübergehend sowohl eine Beschlussfassung per Video- als auch per Telefonkonferenz ermöglicht. Diesem Gesetzesvorschlag hat sich der Ausschuss für Arbeit und Soziales inzwischen angeschlossen (BT-Drucks. 19/18753, 9 ff.). Der neue § 129 BetrVG beseitigt somit Rechtsunsicherheit in Zeiten von Corona bzgl. der Beschlussfassung per Videokonferenz und geht insoweit über das bislang geltende Recht hinaus, als dass vorübergehend auch eine wirksame Betriebsratsarbeit durch Telefonkonferenz ermöglicht wird.
Zum zweiten Teil des Beitrags gelangt ihr hier.
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