Zugspitz-Lauf
Mit einer interessanten und gleichsam examensrelevanten strafrechtlichen Problematik hat sich dieser Tage das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen zu befassen. Verfahrensgegenstand sind die Ereignisse um den Zugspitzlauf 2008. Bei dieser Extremveranstaltung haben die Läufer eine Strecke von 16 Kilometern und einen Höhenunterschied von 2200 Metern zu bewältigen. Bei dem besagten Lauf 2008 kam es nun zu zwei Todesfällen, sechs Läufer mussten auf der Intensivstation behandelt werden; Grund waren ein extremer Wettersturz und die nicht adäquate Kleidung der Läufer (z.T. T-Shirt und kurze Hose). Der Veranstalter muss sich heute (u. a.) wegen zweifacher fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten, nachdem er einen Strafbefehl und eine Geldstrafe nicht akzeptiert hat. Der Fall eignet sich für eine Klausur und besser noch eine Mündliche Prüfung.
- Prozessual ist dabei kurz auf das Strafbefehlsverfahren (§§ 407-412 StPO) einzugehen. Dieses kann immer als Zusatzbaustein in eine Klausur eingebaut werden. Entscheidend ist es hier, die Vorschriften zumindest einmal gelesen zu haben und sich dazu mal die Ausführungen in einem Skript oder Lehrbuch anzusehen. Der Strafbefehl dient der schnellen Abwicklung von Delikten, die eher der Massenkriminalität zuzuordnen sind, da auf eine aufwendigen Beweisaufnahmen im Rahmen einer Mündlichen Verhandlung verzichtet wird. Auch hat dieser Umstand für den Angeschuldigten den Vorteil, sich nicht öffentlich in einer Aufmerksamkeit erregenden Verhandlung zeigen und rechfertigen zu müssen. Dennoch besteht die Möglichkeit, innerhalb einer Frist Einspruch einzulegen, § 410 StPO. Wird kein Einspruch eingelegt, steht der Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil gleich, § 410 III StPO. Achtung: Im Rahmen der Prüfung eines Einspruchs kann von Zulässigkeit gesprochen werden (Frist etc.), aber nie von einer „Begründetheit“.
- Materiell ist der § 222 StGB zu prüfen. Soweit den Nachrichten zu entnehmen ist, wir dem Veranstalter vorgeworfen, er habe das Rennen nicht früh genug abgebrochen und die Läufer nicht, bzw. zu spät entsprechend informiert, also ist eine fahrlässige Tötung durch Unterlassen zu prüfen, §§ 222, 13 StGB durch Nichtabbruch, bzw. Nichtinformation.
- Der Erfolg ist eingetreten, zwei Läufer sind tot.
- Die notwendige Handlung, die in einem frühzeitigen Abbruch des Rennens gesehen werden kann, wurde nicht durchgeführt, was aber möglich gewesen wäre. Im Sinne eine „Quasi Kausalität“ ist auch davon auszugehen, dass ein frühzeitiger Abbruch des Rennens beide Todesfälle hätte verhindern können (Tatfrage, auf den Sachverhalt achten).
- Zu diskutieren ist aber eine Garantenstellung des Veranstalters gem. § 13 StGB. Vorliegend könnt der Veranstalter Beschützergarant für die Läufer sein. Dies noch nicht einmal durch die vertragliche Vereinbarung, aber vielmehr durch den Umstand, dass der Veranstalter alle Wetterdaten und alle Informationen rund um den Lauf erhält, prüfen und weiterverarbeiten muss. Denn im Ergebnis kann davon ausgegangen werden, dass hier aktuelle und professionelle Wetterdaten zusammenlaufen und bei einer etwaigen Gefahr weiterzugeben sind. Die Läufer sind also darauf angewiesen und vertrauen darauf, dass der Veranstalter im Falle einer denkbaren Gefahr reagiert. Eine Garantenstellung in Form eines Beschützergaranten kann also bejaht werden. Die Modalitätenäquivalenz im Rahmen des Unterlassens ist ebenfalls recht unproblematisch zu bejahen.
- Begründungsbedarf ist aber im Rahmen der objektiven Zurechnung nötig. Denn zu beachten ist die Tatsache, dass keiner der Läufer gezwungen wurde, an dem Lauf teilzunehmen, diese laut Berichten in den vorherigen Veranstaltungen noch sehr wütend reagiert hatten, als ein Lauf in der Vergangenheit auf Grund der unberechenbaren Wetterlage abgebrochen wurde. Allenfalls ein Indiz kann die Tatsache sein, dass es darüber hinaus wohl einen „Haftungsausschluss“ gegeben hat. Es ist also zu fragen, ob diese Tatsache den Zurechnungszusammenhang gesperrt haben könnte, denn vorliegend könnte ein Fall eine eigenverantwortlichen Selbstgefährdung vorliegen (eine Fremdgefährdung kommt mMn bei einer solchen Sportveranstaltung, bei der die Hauptgefahr vom Wetter und nicht den Mitsportlern/Gegnern ausgeht, nicht in Betracht. Ebenso liegt keine fehlende Beherrschbarkeit der Gefahr vor, da man das Rennen hätte durchaus abbrechen können. Hier kann aber evtl. auch in eine andere Richtung argumentiert werden). Die Einsichtsfähigkeit kann bejaht werden, fraglich bleibt, ob sich vorliegend das eingegangene Risiko realisiert hat. Argumentiert werden kann damit, dass es den Extremsportlern klar gewesen sein muss, dass es gerade im Hochgebirge zu schnellen und krassen Wetterumschwüngen kommen kann, die mitunter auch Schnee im Sommer bereithalten können. Dieser Umstand wurde den Beteiligten auch im Rahmen des vorgelegten Vertrages noch einmal vor Augen geführt. Es war demnach zwar nicht von vorneherein klar, dass die Wetterbedingungen solche extremen Ausmaße erreichen würden, es war aber eben gerade im Rahmen des Möglichen und Denkbaren. Im Grunde muss gefragt werden, wo die Verantwortung eines jeden Läufers endet und wo die des Veranstalters anfängt. Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung kann also mMn bejaht werden. Anders stellt sich der Fall jedoch dar, wenn sich die Gefahr um den Lauf derart verdichtet, dass ein schnelles Eingreifen geboten ist und der Veranstalter nichts unternimmt oder wenn auf Seiten des Veranstalters ein überlegenes Wissen vorliegt, dass die Teilnehmer nicht haben (umstr.).
- Die Elemente der objektiven und subjektiven Fahrlässigkeit und des Pflichtwidrigkeitszusammenhang sind stark vom Sachverhalt abhängig. Dieser wird im Zweifel immer genug Argumentationsmaterial liefern.
Die angesprochenen Probleme sind examensrelevant, insbesondere der Strafbefehl sollte in Grundzügen bekannt sein, ebenso der Aufbau zum fahrlässigen Unterlassungsdelikt.
Und in der nächsten Klausur befassen wir uns dann mit § 72, §§ 97 ff UrhG 😉
Schöne Zusammenfassung und tolles Foto, zumal an der Zugspitze wetterbedingt eher selten geflogen werden kann.