Zivilrecht ZII – Februar 2016 – 1. Staatsexamen NRW, Hessen, Rheinland-Pfalz
Vielen Dank für die Zusendung eines Gedächtnisprotokolls der zweiten gelaufenen Klausur des 1. Staatsexamens im Zivilrecht im Februar 2016 in NRW. Dieser Sachverhalt lief ebenfalls in Hessen und in Rheinland-Pfalz im Februar 2016. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen.
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Sachverhalt
Student E erbt 10.000€ und möchte sich einen lang ersehnten Wunsch erfüllen. Er kauft sich im Februar 2014 ein neues Bergamont Mountainbike zum Preis von 4.999€. Von dem Rest des Geldes kauft er ein gebrauchtes PKW, das auf ihn zugelassen wird. Im Januar 2015 stiehlt Dieb D dem E das wenig genutzte Rad aus seiner Garage.
Professorin B hat an der Uni einen wissenschaftlichen Mitarbeiter A, der ihr als sehr zuverlässig bekannt ist. Sie äußert im März 2015, dass sie ein Fahrrad gebrauchen könne. A sagt, er könne mit seinem Expertenwissen sicher ein gutes gebrauchtes Rad für B finden. B ist einverstanden und bittet A, ihr ein Fahrrad auszusuchen, zu kaufen und zu übergeben. Das Rad dürfe aber nicht teurer als 500€ sein.
A geht Ende März auf einen Flohmarkt und trifft dort auf D, der ihm das gestohlene Rad für 500€ anbietet. A, der um den Wert eines Bergamont Mountainbikes weiß, denkt er könne einen guten Deal für die B machen. Als A merkt, dass D auf Nachfragen nach der Herkunft des Fahrrades ausweichend antwortet, stellt er im Hinblick auf seine Preisobergrenze von 500€ keine weiteren Fragen mehr und kauft das Fahrrad von D im Namen der B.
Kurz nach Empfang des Rades lässt B eine Inspektion durchführen. Dabei wird festgestellt, dass sich aufgrund des langen Stillstandes Rost an den Bremsen abgesetzt hat, der das Fahrrad verkehrsuntauglich macht. Die Erneuerung der Bremsen würde in der Höhe richtig bemessene 180€ kosten. Daraufhin lässt B die Bremsen reparieren und lässt zusätzlich ein mit dem Rahmen verankertes (verschraubt, aber nicht fest verschweißtes) Fahrradschloss anbringen.
Kurz darauf unternimmt B einen Ausflug mit dem Mountainbike. Bei einem riskanten Manöver über unebenem Waldboden stürzt B mit dem Rad. Sie selber verletzt sich nicht, jedoch erleidet das Rad einen Schaden an der Fahrradgabel, dessen Behebung richtigerweise 700€ kosten würde. B unternimmt jedoch erst einmal nichts und lässt den Schaden nicht reparieren.
Später fährt B über eine grüne Fahrradampel. Der am Steuer seines Autos sitzende und träumende E will an der Kreuzung nach rechts abbiegen, übersieht die B und fährt sie an. Dabei stürzt die B. Das Fahrrad erleidet keine weiteren Schäden. Allerdings zieht sich B eine Kopfverletzung zu, deren Untersuchung und Behandlung 600€ kosten.
Obwohl die Verletzung bei Tragen eines Helmes hätte geringer ausfallen können, trug B beim Fahrradunfall keinen Fahrradhelm.
E erkennt nach dem Unfall sofort das auf der Straße liegende Fahrrad als das seinige. Er fordert sogleich, dass B ihm dies zurückgibt. B verlangt von E erst Erstattung des Kaufpreises in Höhe von 500€, Erstattung der für die Bremsen getätigten Aufwendungen i.H.v. 180€ und zusätzlich 150€ für das Schloss. Außerdem fordert sie Ersatz der 600€ Behandlungskosten und ein (in der Höhe angemessenes) Schmerzensgeld in Höhe von 300€. E ist hierzu nicht bereit. Außerdem erklärt er, B solle ihm die 700€ für den Schaden an der Fahrradgabel ersetzen. Außerdem solle B doch einfach das Schloss vom Fahrrad (was möglich ist) abmachen und behalten.
Frage 1: Hat E einen Herausgabeanspruch gegen B bezüglich des Mountainbikes? Beziehen Sie in Ihre Überlegungen auch etwaige Ansprüche der B gegen den E ein.
Frage 2: Hat E einen Schadensersatzanspruch gegen B bezüglich der Beschädigung der Fahrradgabel?
Frage 3: Hat B gegen E einen Schadensersatzanspruch wegen des Autounfalls?
Bearbeitervermerk: Prüfen sie sämtliche im Sachverhalt aufgeworfenen Rechtsfragen in einem Gutachten, ggf hilfsgutachterlich. Es soll davon ausgegangen werden, dass keinerlei Ansprüche auf den Versicherungsträger der B übergegangen sind. Ansprüche aus § 823 II sind nicht zu prüfen
In Hessen war der 823 II nicht ausgeschlossen
Skizzierter Vorschlag:
Frage1:
In Betracht kommt ein Herausgabeanspruch gemäß §985 BGB.
Vindikationslage?
E war und blieb aufgrund des Diebstahls- §935 BGB- Eigentümer, gutgläubiger Erwerb ist nicht möglich.
B ist Besitzerin, §854 Abs. I BGB.
B könnte die Einrede des §1000 BGB erheben.
Aufwendungen gemäß §§994, 996 BGB?
Bremsenreparatur notwendig, §994 +
Angeschraubtes Schloss? Nicht notwendig, wohl eher kein §996
Frage 2:
– Vertraglicher Anspruch fällt weg
-Vertragsähnliche (cic, GoA) ebenfalls
-Sachenrechtlicher Anspruch? EBV, §§987 BGB?
=> Vindikationslage im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses +
zusätzliche Voraussetzungen, §§989, 990 BGB?
=> B bösgläubig? Kommt es für Bösgläubigkeit auf Wissen des Stellvertreters A( §§164 BGB) an? => §166 Abs. I BGB analog, genereller Gedanke der Risikosphäre, wenn man jemanden im Rechtsverkehr für sich engagiert. Daher §§989, 990 BGB + in Hinblick auf die 700 Euro.
– Deliktische Ansprüche, §823 Abs. I BGB (Rechtsgut Eigentum) +, aber Sperrwirkung auch des bösgläubigen Besitzers, §993 aE BGB? wohl +, daher keine Ansprüche aus §§823, 812 BGB.
Frage 3:
– §7 StVG, verschuldensunabhängig, aber §9 StVG => §254 BGB.
P: Helmpflicht? Besteht nicht, aber erscheint unbillig, E ganz zu befreien.
Umfang: §11 StVG, Behandlungskosten und Schmerzensgeld möglich.
– §823 Abs. I BGB? +, Fahrlässigkeit
…Habt ihr noch gänzlich andere Anspruchsnormen?
Vielleicht könnte man über eine analoge Anwendung des §346 Abs. Abs. III Nr. 3 BGB diskutieren, weil B ja im Grunde so handelte, als wäre sie Eigentümerin und dann natürlich auch riskante Strecken fahren darf.