Zivilrecht Z I – April 2012 – 1. Staatsexamen Berlin, Hamburg, NRW, M-V
Wir bedanken uns bei einem unserer Leser für die Zusendung eines Gedächtnisprotokolls der Ersten Zivilrechtsklausur im Ersten Staatsexamen aus Berlin.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt. Vorab vielen Dank!
Sachverhalt:
K kommt zu seinem Rechtsanwalt R und schildert folgenden Sachverhalt:
Am 10.10.2010 fuhr K mit seinem privaten PKW Mercedes SLK mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h auf der rechten Fahrspur der an dieser Stelle dreispurigen Autobahn A 100. Als er gerade die Abfahrt Tempelhof passierte, kam der B von der Beschleunigungsspur auf die Autobahn. Mit deutlich geringerer Geschwindigkeit und ohne den Blinker zu setzen, scherte er so knapp vor dem K auf die rechte Fahrspur ein, dass die beiden PKW seitlich kollidierten. K habe keine Möglichkeit gehabt, dieser Kollision noch auszuweichen. Dadurch ist das Auto des K erheblich beschädigt und der K verletzt worden. Er macht gegenüber B folgende Ansprüche geltend:
Ihm seien Heilbehandlungskosten in Höhe von Euro 8.000,- entstanden. Er erlitt mehrere Prellungen und eine Fraktur im Unterarm und musste 4 Wochen stationär behandelt werden. Zwar habe seine gesetzliche Krankenversicherung diese Kosten mittlerweile übernommen. Das könne doch aber dem B nicht zugute kommen.
K ist angestellter Fahrschullehrer. Wegen dieses Krankenhausaufenthaltes konnte er 4 Wochen lang nicht zurArbeit gehen und habe dadurch einen Verdienstausfall von Euro 3.000,- erlitten. Er hat diesen Betrag nicht bei seinem Arbeitgeber geltend gemacht und werde dies aus Angst um seinen Arbeitsplatz auch nicht tun.
Da der Wagen für zwei Wochen in der Reparaturwerkstatt war, macht K darüber hinaus einen Nutzungsausfall geltend. Er habe sich in einschlägigen Fachzeitschriften unterrichtet, die für einen Wagen seiner Klasse einen Nutzungswert von Euro 100,- pro Tag ausweisen. Daher verlange er für diese 14 Tage Euro 1.400,-.
Der Wagen ist sodann für Euro 10.000,- fachgerecht repariert worden. Auch diese Kosten verlangt K von B ersetzt. Der Zeitwert des Fahrzeugs betrug vor dem Unfall Euro 8.000,-, der Restwert nach dem Unfall belief sich auf Euro 1.000,-.
Darüber hinaus macht K einen immateriellen Ersatz in Höhe von Euro 5.000,- geltend. Im Hinblick auf die erlittenen Schmerzen und unfallbedingten Folgeerscheinungen halte er ein Schmerzensgeld von Euro 4.000,- für angemessen. Außerdem seien ihm Euro 1.000,- als Ersatz für vergebliche Urlaubsfreude zu zahlen. Er sei zwar nach seinem Krankenhausaufenthalt wieder arbeitsfähig gewesen, habe aber auf ärztliches Anraten wegen der Folgerisiken des Unfalls seinen vom 25.12.2010 bis 01.01.2011 gebuchten Skiurlaub absagen müssen. Zwar sei ihm die Stornierung kostenfrei möglich gewesen, dafür hätte er seine Urlaubszeit nun aber sinnlos zuhause absitzen müssen.
Der B ist den Forderungen des K entgegengetreten. Er hält es für unverständlich, dass K ihn auf Ersatz von Heilbehandlungskosten in Anspruch nimmt, die ja bereits von seiner Versicherung bezahlt worden seien. Auch den Verdienstausfallschaden könne er nicht nachvollziehen, schließlich gebe es im 21. Jahrhundert moderne Arbeitnehmerschutzvorschriften für krankheitsbedingten Arbeitsausfall. Nutzungsersatz könne K schon deshalb nicht fordern, weil er sich nach eigenen Angaben während der Reparatur des Mercedes noch im Krankenhaus befand. Zudem habe K es maßlos übertrieben, wenn er den Wagen derart teuer reparieren lässt, anstatt sich weitaus günstiger einen neuen Wagen zuzulegen. Schließlich könne K auch keinen Ersatz für vergeblich Urlaubsfreuden beanspruchen. Das Leben sei kein Wunschkonzert und zu Hause sei es doch immer noch am schönsten.
Aufgabe 1: Versetzen Sie sich in die Lage des Anwalts R und begutachten Sie etwaige Ansprüche des K gegenüber B. Ansprüche nach dem StVG sind nicht zu prüfen.
Unabhängig vom Ergebnis der materiellen Prüfung beauftragt K seinen Anwalt R, Klage gegen B zu erheben. Mit von R unterschriebenem Schriftsatz vom 25.01.2011 beantragt R daher für K beim Landgericht Berlin, den B auf Zahlung
von Euro 14.400,- an ihn,
von Euro 8.000,- an seine gesetzliche Krankenversicherung und
in der Größenordnung von Euro 5.000,- für immaterielle Schäden
zu verurteilen. Der Klageschrift ist eine schriftliche Ermächtigung der Krankenkasse beigelegt, in der diese den K ermächtigt, ihre Forderung gegen B im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen.
Das Gericht stellt die Klageschrift dem B am 07.02.2011 zu und fordert ihn auf, bis zum 14.04.2011 hierzu Stellung zu nehmen. Die Zustellung wird mit der ordnungsgemäßen Anordnung, die alle erforderlichen Angaben und Belehrungen enthält, verbunden, dass ein Termin zur Güteverhandlung sowie ein früher erster Termin auf den 20.05.2011 festgelegt wird.
In seiner Klageerwiderung vom 11.04.2011 lässt B durch seinen Rechtsanwalt W vortragen, dass er schon gar nicht in Berlin verklagt werden könne, da sein Wohnsitz – was zutrifft – Hannover sei. Darüber hinaus beruft B sich nunmehr darauf, dass K selbst maßgebliche Schuld an dem Unfall trage. Noch bevor B den Einfädelungsvorgang ordnungsgemäß abschließen konnte, sei K mit überhöhter Geschwindigkeit und ohne den Blinker zu setzen von der linken direkt auf die rechte Fahrspur übergewechselt.
In der mündlichen Verhandlung am 20.05.2011 erscheinen zwar K und sein Anwalt R, nicht jedoch B oder dessen Anwalt W. Eine telefonische Nachfrage in der Kanzlei des W ergibt, dass W das Mandat kurz zuvor niedergelegt hatte, da B es versäumt habe, den Anwaltskostenvorschuss zu entrichten. Daraufhin beantragt R für K den Erlass eines Versäumnisurteils gegen B.
Aufgabe 2: Ist die Klage zulässig und wie wird das Gericht entscheiden?
Zusatzfrage und Abwandlung
W hat das Mandat nicht niedergelegt, seine Klageerwiderung geht aber erst am 18.05.2011 beim Landgericht ein. In der mündlichen Verhandlung erscheinen sowohl K und R als auch B und W. Nachdem die Güteverhandlung scheitert, stellen beide Parteien ihre Anträge aus den Schriftsätzen. Außerdem rügt K, dass B und W sich mit der Klageerwiderung viel zu viel Zeit gelassen hätten. Darf das Gericht das – unveränderte – Vorbringen des B berücksichtigen?
Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG)
§ 3 Abs. 1 S. 1: Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne daß ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.
§ 6 Abs. 1: Kann der Arbeitnehmer auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten Schadensersatz wegen des Verdienstausfalls beanspruchen, der ihm durch die Arbeitsunfähigkeit entstanden ist, so geht dieser Anspruch insoweit auf den Arbeitgeber über, als dieser dem Arbeitnehmer nach diesem Gesetz Arbeitsentgelt fortgezahlt und darauf entfallende vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge […] abgeführt hat.
Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X)
§ 116 Abs. 1: Ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Anspruch auf Ersatz eines Schadens geht auf den Versicherungsträger oder Träger der Sozialhilfe über, soweit dieser auf Grund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen.
Sehr detailreiches Gedächtnisprotokoll! Ungefähr genauso lief sie heute auch in HH mit dem Unterschied, dass das Ganze in HH spielte und demnach auch vor dem LG Hamburg geklagt wurde und bei uns gab es die Abwandlung nicht.
Wie in Hamurg gabs keine Abwandlung ? Das ist ja unfair :)…
Ich fand die Klausur echt übel…hoffe ich bin nicht der einzige,der das so sieht.
Lief in NRW heute auch ohne Abwandlung. Klage in Köln…
In M-V lief der SV leicht abgewandelt…die Abwandlung war z.T. mit Frage 2 kombiniert.
Korrektur: Es gab keine Abwandlung.
Wer lesen kann, ist mal wieder klar im Vorteil… 😉
Könnten die Hamburger die das lesen uns anderen vielleicht mitteilen welche der 3 Klausuren die Handels/Gesellschaftsrechtsklausur in diesem Durchgang ist? Die Dritte wie in den früheren Durchgängen immer??
Hat jemand eine Idee, was das Problem beim VU war? Oder gab’s da keins?
Es gibt seit diesem Termin keine reine HGR-Klausur mehr, die Prüfungsordnung wurde insoweit geändert. So kam in HH schon heute im Rahmen der ZR II-Klausur ein bisschen HGR dran.
Ich denke, dass beim VU das Problem war, welches Gericht örtlich zuständig ist und ob es überhaupt erlassen werden kann, wenn B nicht mehr anwaltlich trotz Anwaltszwang vertreten wird.
@juraexamen, nehmt ihr die anderen Bundesländer oben noch mit auf? 😉
Wäre einer so nett, seine Skizze zu posten?
Ja, mit dem ZPO Teil haben sie viele in die Pfanne gehauen. Sogar die Leute aus dem Wiederholungsversuch waren etwas verdutzt. Wenigsten kam am Dienstag und heute kein ZPO mehr. 😉
Ich finde, dass der Schadensrecht-Teil ziemlich okay war. Wobei ja auch hier das eine oder andere Problem versteckt war… 🙂