Videoüberwachung am Arbeitsplatz: Warum die Aufregung?
Der Tagespresse war in den vergangenen Wochen zu entnehmen, dass die Bundesregierung entschlossen ist, noch vor der Bundestagswahl ein Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten von Beschäftigten auf den Weg zu bringen. Bereits seit dem Jahr 2010 liegt dazu ein Gesetzentwurf vor, so dass kaum noch jemand mit einer Realisierung gerechnet hatte. Am Mittwoch soll ein überarbeiteter Entwurf im Innenausschuss des Bundestages beraten werden. Die Details des Änderungsantrags kann man hier einsehen. Gewerkschaftsangehörige kritisieren, der neue Entwurf führe zu einer Ausweitung der offenen Videoüberwachung und verschlechtere die rechtliche Lage der Beschäftigten gegenüber dem status quo. Dies ist nicht zutreffend, wie im Folgenden dargelegt wird.
I. Arten der Videoüberwachung
Wer die aktuelle Debatte verstehen will, muss sich eine grundlegende Unterscheidung bewusst machen: Die zwischen der „offenen“ Videoüberwachung und der „verdeckten“ oder heimlichen Videoüberwachung. Eine offene Videoüberwachung liegt vor, wenn diese so erfolgt, dass die Überwachungsmaßnahme für die Betroffenen ohne Weiteres erkennbar ist (für öffentlich zugängliche Räume vgl. § 6b Abs. 2 BDSG). Die verdeckte Videoüberwachung bezeichnet demgegenüber Maßnahmen, bei denen der für die Videoüberwachung Verantwortliche versucht, die Betroffenen über die Maßnahme im Unklaren zu lassen. Typischerweise wird die Kamera versteckt.
II. Zulässigkeit der verdeckten Videoüberwachung am Arbeitsplatz
Die verdeckte Videoüberwachung am Arbeitsplatz ist bislang nicht gesetzlich geregelt. Im Datenschutzrecht gilt allgemein der Grundsatz, dass verboten ist, was nicht erlaubt ist (§ 4 Abs. 1 BDSG). Es gibt Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von 2003, welche die Voraussetzungen einer verdeckten Videoüberwachung konkretisiert. In einer Entscheidung von 2012 hat Erfurt diese Rechtsprechung noch einmal bestätigt (21.06.2012 – 2 AZR 153/11, s. dazu unseren Beitrag hier):
.Danach ist die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit praktisch das einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist (BAG 27. März 2003 – 2 AZR 51/02 – zu B I 3 b cc der Gründe, BAGE 105, 356). Der Verdacht muss in Bezug auf eine konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern bestehen. Er darf sich nicht auf die allgemeine Mutmaßung beschränken, es könnten Straftaten begangen werden, er muss sich jedoch nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten (vgl. BAG 27. März 2003 – 2 AZR 51/02 – zu B I 3 b dd (1) der Gründe, aaO). Auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft worden sein.
Zwar konnte das BAG den § 32 BDSG von 2009 in dem Fall noch nicht anwenden, aber es ist davon auszugehen, dass dieselben Maßstäbe auch unter dem „neuen“ Paragraphen anzuwenden sind.
Demgegenüber würde der jetzt diskutierte Gesetzentwurf die heimliche Videoüberwachung verbieten: Die heimliche Datenerhebung von Beschäftigtendaten ist in § 32e BDSG-E geregelt. Dieser bestimmt:
(2)Der Arbeitgeber darf Beschäftigtendaten ohne Kenntnis des Beschäftigten nur erheben, wenn
1. Tatsachen den Verdacht begründen, dass der Beschäftigte im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat oder eine andere schwerwiegende Pflichtverletzung begangen hat, bei der ein verständiger Arbeitgeber die Kündigung des Beschäftigten aus wichtigem Grunde in Betracht ziehen würde, und
2. die Erhebung erforderlich ist, um die Straftat oder die andere schwerwiegende Pflichtverletzung aufzudecken oder um damit im Zusammenhang stehende weitere Straftaten oder schwerwiegende Pflichtverletzungen des Beschäftigten zu verhindern.
Dieser Absatz gilt für jede Form der Datenerhebung. § 32e Abs. 4 BDSG-E macht davon eine Gegenausnahme für die verdeckte Videoüberwachung:
(4) In den Fällen des Absatzes 2 ist die Erhebung von Beschäftigtendaten unzulässig, wenn sie erfolgt mit Hilfe
1. einer planmäßig angelegten Beobachtung, die länger als 24 Stunden ohne Unterbrechung oder an mehr als vier Tagen stattfinden soll,
2. technischer Mittel zum Abhören oder Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes,
3. optisch-elektronischer Einrichtungen (Videoüberwachung) oder [Herv. d. Verf.]
4. sonstiger besonderer technischer Mittel, die für Beobachtungszwecke bestimmt sind.
Satz 1 Nummer 4 gilt nicht für den Einsatz von Ferngläsern und Fotoapparaten.
Die heimliche Videoüberwachung wird also künftig verboten. Dem Arbeitgeber ist es nur noch erlaubt, mit dem Fernglas (oder Fotoapparat) auf die Pirsch zu gehen. Darin liegt eine Stärkung des Beschäftigtendatenschutzes gegenüber dem status quo.
III. Zulässigkeit der offenen Videoüberwachung am Arbeitsplatz
Auch die offene Videoüberwachung ist verboten, wenn sie nicht erlaubt ist (§ 4 Abs. 1 BDSG). Der wichtigste Erlaubnistatbestand im Beschäftigungsverhältnis ist derzeit § 32 Abs. 1 BDSG:
Personenbezogene Daten eines Beschäftigten dürfen für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Zur Aufdeckung von Straftaten dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.
Bei der Anwendung der Norm ist es vor allem wichtig, zwischen der Aufdeckung von Straftaten (sog. repressive Überwachung) und sonstigen Maßnahmen (sog. präventive Überwachung) zu unterscheiden. In beiden Fällen bedarf es einer Verhältnismäßigkeitsabwägung. Demgegenüber gibt es zumindest in § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG keine Einschränkung dergestalt, dass nur ganz bestimmte Zwecke mit der Überwachung verfolgt werden dürften.
Die offene Videoüberwachung soll künftig in § 32f BDSG-E geregelt werden, der bestimmt:
(1) Die Beobachtung nicht öffentlich zugänglicher Betriebsgelände, Betriebsgebäude oder Betriebsräume (Betriebsstätten) mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung), die auch zur Erhebung von Beschäftigtendaten geeignet ist, ist nur zulässig zum Zweck der Gewährleistung der Betriebs-, Arbeits- oder Produktsicherheit, zur Absicherung wesentlicher Betriebsabläufe oder zum Schutz bedeutender Rechtsgüter, insbesondere
1. zur Zutrittskontrolle,
2. zur Wahrnehmung des Hausrechts,
3. zum Schutz des Eigentums,
4. zur Sicherheit des Beschäftigten,
5. zur Sicherung von Anlagen,
6. zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des
Betriebes,
7. zur Qualitätskontrolle, soweit diese rechtlich verpflichtend ist.
Die Beobachtung nach Satz 1 ist nur zulässig, soweit sie zur Wahrung wichtiger betrieblicher Interessen erforderlich ist und wenn nach Art und Ausmaß der Videoüberwachung keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen am Ausschluss der Datenerhebung überwiegen. Der Arbeitgeber hat den Umstand der Videoüberwachung durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen. § 6b Absatz 3 und 4 gilt entsprechend. Daten der Videoüberwachung dürfen über die in Satz 1 genannten Zwecke hinaus nicht für eine allgemeinen Leistungs- und Verhaltenskontrolle erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Die Sätze 1 bis 3 gelten entsprechend, wenn von einer Einrichtung lediglich der Anschein einer Videoüberwachung ausgeht.
Liegt darin eine Ausweitung der offenen Videoüberwachung? Kaum. Erstens wird der zulässige Zweck der Überwachung beschränkt auf „den Zweck der Gewährleistung der Betriebs-, Arbeits- oder Produktsicherheit, zur Absicherung wesentlicher Betriebsabläufe oder zum Schutz bedeutender Rechtsgüter“, zweitens bedarf es auch hier einer Verhältnismäßigkeitsprüfung (Satz 2), drittens wird dem Arbeitgeber ausdrücklich untersagt, die Daten zu einer allgemeinen Verhaltens- oder Leistungskontrolle zu nutzen. Sicherlich: Die „bedeutenden Rechtsgüter“ sind nicht abschließend genannt („insbesondere“) und so weit gefasst, dass alles, was jetzt schon möglich ist, auch künftig möglich sein wird. Darin liegt aber keine Ausweitung der Videoüberwachung, sondern eine Fortschreibung des status quo. Erleichtert wird allenfalls die repressive Überwachung – aber welcher Dieb lässt sich schon mittels einer offenen Videoüberwachung überführen?
Schließlich stimmt es nicht, dass nunmehr eine flächendeckende Überwachung aller Beschäftigten drohe, wie dies in manchen Zeitungen zu lesen war: Erstens muss die Überwachung weiterhin verhältnismäßig sein, was bei einer flächendeckenden Überwachung mangels hinreichend gewichtigen, berechtigten Interesses des Arbeitgebers regelmäßig nicht der Fall ist. Zweitens ist dem Arbeitgeber eine allgemeine Leistungs- und Verhaltenskontrolle mittels der gewonnen Daten ausdrücklich untersagt. Gerade dazu würde eine flächendeckende Überwachung aber eingesetzt werden. Drittens – wenn auch kein streng juristisches Argument – wäre eine flächendeckende Überwachung in den meisten Betrieben auch nicht wirtschaftlich.
Sehr geehrter Herr Forst
im Großen und Ganzen kann ich Ihrem Artikel zustimmen. Insbesondere auch der Feststellung, dass der Gesetzesentwurf schlussendlich nur die Fortschreibung des status quo ist, der derzeit gängigen Rechtssprechung.
Unsere Bundesregierung hat die Entscheidung, wie wir mittlerweile wissen, auf den „St. Nimmerleinstag “ verschoben, um ja niemand (Gewerkschaft) „wehzutun“ oder vor der Wahl gegen sich aufzubringen.
Mein Kommentar bezieht sich somit auch nur auf den kleinen Satz: „Erleichtert wird allenfalls die repressive Überwachung – aber welcher Dieb lässt sich schon mittels einer offenen Videoüberwachung überführen?“
Meine Frage hierzu: Während ich selbst die offene Videoüberwachung als „Präventivmaßnahme“ betrachte, beschreiben Sie die Videoüberwachung als „repressiv“. Was verstehen Sie unter repressiver Überwachung und was genau meinen Sie mit dem Satz: „aber welcher Dieb lässt sich schon mittels einer offenen Videoüberwachung überführen?“
Ihrem Argument, dass sich kein Dieb mit einer offenen Videoüberwachung überführen lässt, kann ich mich nur teilweise anschließen. Leider ist es so, dass wir im Gegensatz zum jetzt reformierten Punktekatalog für Verkehrstäter in Flensburg, keine Täterkartei für Ladendiebe und Einbrecher haben. Diese Täterkartei würde ja auch nur den Einzelhändlern zugute kommen und nicht der Staatskasse. Evtl. Karteien, sind zumeist auf die regionale Polizei oder Amtsgerichtsbezirke beschränkt, eine bundesweite Fahndung ist somit nicht möglich. Was zur Zeit auch vielen ausländischen Banden zugute kommt, die sich ohne Maskierung quer durch Deutschland bewegen können und nach Belieben überfallen, rauben und stehlen können.
Das Argument, dass die Videoüberwachung keinen Nutzen (eine mögl. Interprätation ihres Satzes..welcher Dieb) hätte, hört man immer wieder, wobei ich in vielen Fallstudien genau das Gegenteil belegen kann.
herzliche Grüße Walter C. Dieterich
Sehr geehrter Herr Dieterich,
vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar.
Zunächst zur Unterscheidung präventiv/repressiv: Präventive Überwachungsmaßnahmen zielen nach meinem Begriffsverständnis darauf ab, Straftaten oder sonstige Rechtsverstöße zu verhindern. Repressive Maßnahmen zielen darauf ab, bereits begangene Straftaten und sonstige Rechtsverstöße zu beweisen, um den Täter sanktionieren zu können. Diese Unterscheidung kommt (unvollkommen) auch im geltenden § 32 Abs. 1 BDSG zum Ausdruck und lag verschiedenen Tatbeständen des gescheiterten BDSG-Entwurfs zugrunde.
Die im Beitrag diskutierte Formulierung hätte die Voraussetzungen einer offenen, repressiven Überwachung gegenüber dem geltenden § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG graduell gesenkt. Meine Aussage „Welcher Dieb…“ treffe ich in der Annahme, dass eine offene Videoüberwachung – die nach § 6b Abs. 2 BDSG kenntlich zu machen ist – einen potentiellen Dieb von vornherein davon abschrecken wird, einen Diebstahl überhaupt zu unternehmen.
Vielleicht entspricht meinen Annahme, kein Dieb werde sich wissentlich bei der Tat filmen lassen, aber nicht der Realität. Insofern bedanke ich mich noch einmal für Ihren Hinweis.
Mit freundlichen Grüßen
Gerrit Forst