VG Mainz: Hausverbot für Schülervater nach Tätlichkeit
Das verwaltungsrechtliche Hausverbot ist ein Examensklassiker. Ob nun für den Gemeinderat, Rathaus, Behörde oder Schule: hier stellen sich zahlreiche Probleme im Rahmen der Zulässigkeit und Begründetheit, mit denen gleichsam Drittsemester wie Referendare gequält werden können. Das VG Mainz hatte sich in einer Eilentscheidung (Az. 6 L 744/13.MZ, Pressemitteilung) in etwa mit folgendem – vor allem in den Details absolut hemmer- und alpmanntauglichen – Sachverhalt zu befassen:
Dem Schüler S wurde während des Unterrichts seitens einer Lehrkraft das Mobiltelefon entzogen. Gestützt wurde diese erzieherische Maßnahme auf das, in der Schule geltende „Handyverbot“ (an dieser Stelle könnte ein Teil der Schuldordnung abgedruckt sein, auch wenn es hierfür nicht unbedingt ankommt). Erzürnt ob dieser Behördenwillkür machte sich der Vater des S, der V (der Antragssteller) auf den Weg in die Schule seines Sohnes, wo er den Schulleiter in dessen Büro aufsuchte und diesen aufforderte, das Mobiltelefon herauszugeben. Als der Schulleiter diesem – wohl imperativ und lautstark vorgetragenen – Ansinnen nicht nachkommen wollte und den Antragssteller zum Verlassen der Räumlichkeiten aufforderte, schloss dieser die Zwischentür zum Sekretariat. Sogleich rammte er dem Schulleiter unvermittelt sein Knie zwischen die Beine. Die Schule verhängte gegen den Antragssteller angesichts dieser Vorkommnisse ein Hausverbot für das Schulgelände, das für sofort vollziehbar erklärt wurde. Sie sieht insbesondere den Schulfrieden gefährdet. Hiergegen wehrt sich Antragssteller mit einem Antrag beim zuständigen Verwaltungsgericht. Nach seinem Vortrag habe der Tritt überhaupt nicht stattgefunden. Zudem sei das Vorgehen der Schulleitung unangemessen, da ihm durch das sofort vollziehbare Hausverbot ein Besuch bei der Abschlussfeier seines Sohnes verwehrt bliebe. In tatsächlicher Hinsicht ist das VG Mainz im vorliegenden Fall der Schilderung des Schulleiters gefolgt. Das VG bezieht sich hier auf die Vorgeschichte:
Es bestünden keinerlei Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Schulleiters. Dies gelte umso mehr, als der Antragsteller vor ein paar Monaten schon einmal auffällig geworden sei, indem er sich Zugang zu dem Büro des Schulleiters verschafft und diesen sowie eine weitere Bedienstete beschimpft habe, was damals zu einem ersten – befristeten – Hausverbot für den Antragsteller geführt habe. Wegen der Vorgeschichte sei zu befürchten, dass der Antragsteller auch bei der bevorstehenden Abschlussfeier Störungen verursachen würde, zumal er angekündigt habe, trotz des Alkoholverbots bei der Feier in einer Kühlbox Alkohol mitzubringen.
Für Studenten und Referendare stellt sich nun die Frage: Hat der Antrag des ASt. Erfolg? (Wir verlegen den Fall nach NRW).
Der Antrag hat dann Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist.
1. Zulässigkeit
Es müsste der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet sein. Hiernach müsste insbesondere eine öffentlich rechtliche Streitigkeit vorliegen. Das ist dann der Fall, wenn die streitentscheidenden Normen solche des öffentlichen Rechts sind, was wiederum dann vorliegt, wenn sie ausschließlich einen Hoheitsträger berechtigen bzw. verpflichten. Die streitentscheidende Norm ist vorliegend eine Ermächtigungsgrundlage, da der ASt. sich gegen eine behördliche Maßnahme wehrt. Streitentscheidend ist damit eine Vorschrift, auf die sich das ausgesprochene Hausverbot stützen lässt. In Frage kommen an dieser Stelle auch privatrechtliche Vorschriften, da das Land hier möglicherweise Eigentümerin des Schulgebäudes ist und entsprechende privatrechtliche Ansprüche gegen den V geltend machen kann, was auch Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht von vorneherein verwehrt ist. Dabei ist aber zu beachten, dass das Hausverbot vorliegend in erster Linie der Störerabwehr dient, also einer hoheitlichen Aufgabe. Entscheidend bei der Abgrenzung können nun sein: der Zweck des Besuchs oder der Zweck der Maßnahme. Vorliegend muss der „Streit“ mMn. Nicht entschieden werden. Denn selbst wenn man darauf abstellt, dass der Besuch des V in erster Linie den Zweck verfolgte, das Eigentum am Mobiltelefon herauszuverlangen, gründet diese Maßnahme auf einer erzieherischen und damit hoheitlichen Maßnahme der Schule, die der V darüber hinaus für rechtswidrig hält (a.A. sicher genauso gut vertretbar). Da auch der Sinn und Zweck des Hausverbots der Erhalt des Schulfriedens ist, liegt nach beiden Abgrenzungsaspekten ein öffentlich-rechtliches Hausverbot vor, das auch durch Vorschriften des öffentlichen Rechts geregelt ist. Der Verwaltungsrechtsweg ist damit eröffnet.
Fraglich ist, welcher Antrag vorliegend statthaft ist. Maßgebend ist hier das Begehren des ASt. gem. § 88 VwGO (analog). Dieser möchte umgehend wieder das Schulgelände betreten können, insbesondere im Hinblick auf die unmittelbar bevorstehende Abschlussfeier seines Sohnes. Gemäß § 123 Abs. 5 VwGO sind die §§ 80, 80a VwGO vorrangig zu prüfen. Vorliegend könnte ein Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO statthaft sein. Hiernach kommt es darauf an, ob in der Hauptsache eine Anfechtungsklage statthaft wäre. Das Hausverbot stellt unproblematisch einen Verwaltungsakt gem. § 35 Abs. 1 VwVfG dar, vor allem besitzt er Außenwirkung, da hinsichtlich des V in keiner Weise von einem Sonderrechtsverhältnis gesprochen werden kann.
Schmaler Grat zwischen „ich weiß noch was“ und überflüssig.
Demnach ist vorliegend der Antrag gem. § 80 Abs. 5 statthaft. Er ist vorliegend darauf gerichtet, die aufschiebende Wirkung „wiederherzustellen“. Zu beachten ist, dass § 53 Abs. 3 SchulG NRW (andere Landeskinder bitte nachsehen) nur für den Schüler gilt nicht etwa für seine Eltern.
Der ASt. ist darüber hinaus antragsbefugt gem. § 42 Abs. 2 VwGO analog, da er jedenfalls Adressat einer belastenden staatlichen Maßnahme ist und damit jedenfalls eine Rechtsverletzung in Art. 2 Abs. 1 nicht unwahrscheinlich ist. Man könnte sogar über eine Betroffenheit im Erziehungsrecht nachdenken, sollte man hier einen ausreichenden Sachzusammenhang erkennen wollen.
Fraglich bleibt noch, wer der richtige Antragsgegner ist. Auch hier gilt das Behördenprinzip. Im Rahmen des Hausverbots handelt der Schulleiter in eigener Verantwortung zur Aufrechterhaltung des Schulbetriebs (dazu noch unten). Er handelt also nicht für den Schulträger (Stadt oder Kommune). Richtiger Beklagter wäre damit das Land NRW.
Ein Rechtsschutzbedürfnis liegt vor, wenn der ASt. zum Zeitpunkt der Entscheidung Widerspruch (falls noch statthaft) oder Anfechtungsklage erhoben hat. Ansonsten bestehen keine Zweifel an der Zulässigkeit des Eilantrages.
2. Begründetheit
Der Antrag des V ist begründet, wenn die Anordnung des Sofortvollzug rechtswidrig ist. Die Anordnung ist vorliegend formell rechtmäßig, insbesondere ist sie ausreichend begründet.
Das soll vorliegend unterstellt werden.
Die Anordnung könnte materiell rechtswidrig sein. Das ist dann der Fall, wenn das private Aussetzungsinteresse das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Hierzu ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, entscheidend sind allerdings die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Zu prüfen ist, also eine Anfechtungsklage nach summarischer Prüfung derzeit Erfolg hätte. Dies ist dann der Fall, wenn das Hausverbot vorliegend rechtswidrig wäre.
Ermächtigungsgrundlage
Fraglich ist, auf welche Ermächtigungsgrundlage sich das Hausverbot stützen lässt.
Nach den obigen Ausführungen sollte man hier natürlich auf öffentlich-rechtliche Vorschriften abstellen und das private Eigentumsrecht eher meiden.
Jedenfalls sind die Vorschriften über Ordnungsmaßnahmen in den jeweiligen Schulgesetzen nicht einschlägig, da sich diese nur gegen Schüler richten.
Gemäß § 59 Abs. 2 Nr. 6 SchulG nimmt der Schulleiter das Hausrecht wahr. Fraglich ist, ob hierin bereits eine taugliche Ermächtigungsgrundlage zu sehen ist, oder eine bloße Kompetenz- also Zuständigkeitsnorm. Die Entscheidung kann man aber offen lassen.
Darüber hinaus wird möglichicherweise eine Schulordnung abgedruckt sein, aus denen sich die Möglichkeit eines Hausverbots für Dritte (also nicht Schüler oder Lehrer) ergibt.
Zu beachten ist, dass auch der Schule eine öffentliche Aufgabe zugewiesen ist, nämlich gem. § 2 Abs. 1 SchulG NRW:
(1) Die Schule unterrichtet und erzieht junge Menschen auf der Grundlage des Grundgesetzes und der Landesverfassung. Sie verwirklicht die in Artikel 7 der Landesverfassung bestimmten allgemeinen Bildungs- und Erziehungsziele.
Hier ließen sich noch zahlreiche weitere Vorschriften zitieren, die den Bildungsauftrag der Schule abbilden. Nach – wohl mittlerweile – herrschender Meinung ist einer öffentlichen Einrichtung wie der Schule auch die Annexkompetenz zuzuweisen, den eigenen Verwaltungsbetrieb störungsfrei zu gewährleisten und hierzu auch die entsprechenden Maßnahmen zurückzugreifen.
Vgl. dazu das OVG Münster, Entscheidung vom 14.10.1988, Az. 15 A 188/86:
Rechtsgrundlage hierfür ist die Sachkompetenz des Bekl. zur Erfüllung der ihm übertragenen Verwaltungsaufgaben. Das Hausrecht ist notwendiger Annex dieser Sachkompetenz. Der Träger öffentlicher Gewalt, der die Erfüllung einer bestimmten Sachaufgabe im Rahmen der öffentlichen Verwaltung – hier des Bibliothekswesens in Konkretisierung des Auftrags der Gemeinde zur kulturellen Betreuung ihrer Einwohner (§ 18 Abs. 1 GO NW) – zugewiesen erhält, muß und kann selbst bestimmen, wem der Zutritt zum räumlichen Bereich zu gestatten und wem der Zutritt zu versagen ist, wenn eine ordnungsgemäße Tätigkeit im Rahmen des Widmungszweckes gefährdet oder gestört wird.
An dieser Stelle – wenn nicht schon früher – kann man noch das Problem der VA-Befugnis anreißen. Es stellt sich nämlich die Frage, ob die Behörde ggü. dem Bürger in Gestalt des „scharfen Schwertes“ Verwaltungsakt tätig werden darf. Im Hinblick auf das Gesagte muss dies im Sinne des effektiven und reibungslosen Verwaltungsablaufs erlaubt sein.
Formelle Rechtmäßigkeit
Diese soll hier unterstellt werden, insbesondere kann eine Anhörung im Einzelfall entbehrlich sein gem. § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG.
Materielle Rechtmäßigkeit
Da man mit einer ungeschriebenen Ermächtigungsgrundlage umgehen muss, stellen sich die Fragen nach den materiellen Voraussetzungen eines Hausverbots. Zu nennen sind hier wohl ein wichtiger Grund im Sinne einer Gefahr für den Schlfrieden und die Verhältnismäßigkeit.
Fraglich bleibt, ob ein wichtiger Grund vorliegend zu bejahen ist. Dieser könnte in dem Fehlverhalten des ASt. liegen, das unproblematisch sogar strafbar ist (wie gesagt hat das Gericht im konkreten Fall dem Vortrag des ASt. keinen Glauben geschenkt). Im Hinblick auf den Sinn und Zweck des öffentlich-rechtlichen Hausverbots kommt es insbesondere darauf an, ob vorliegend der Schulfrieden gestört wird, also der reguläre Ablauf des Schulalltages nachhaltig beeinträchtigt wird. An dieser Stelle muss der Sachverhalt ausgeschöpft werden. So kann es denkbar sein, dass der ASt. auch in Zukunft das Schulgelände aufsuchen wird, um seinem Unmut Luft zu machen. Ein derartiges Verhalten würde vor allem bei den Lehrkräften zu einer erheblichen Verunsicherung führen und damit den Schulfrieden beeinträchtigen. Zudem führen Respektlosigkeiten bis hin zu Gewalttätigkeiten auf dem Schulgelänge gerade zu einer Verrohung der Sitten, was dem allgemeinen Bildungs- und Erziehungsauftrag zuwider läuft.
Hier muss der Sachverhalt ausgeschlachtet werden.
Die Maßnahme ist darüber hinaus geeignet und erforderlich. Fraglich bleibt, ob sie auch angemessen ist. Hier ist abzuwägen zwischen den widerstreitenden Interessen. Zu Lasten des ASt. ist in erster Linie zu berücksichtigen, dass das Hausverbot allein auf sein vorsätzliches und rechtswidriges Fehlverhalten zurückzuführen ist. Es bestand für ihn kein Grund, derart überzogen zu reagieren. Zudem lässt sein Vorverhalten darauf schließen, dass auch in Zukunft etwaige „Ausfälle“ zu befürchten sind. Im Hinblick auf die Abschlussfeier, deren reibungsloser Ablauf im öffentlichen Interesse ist, hat der Ast. diese Beeinträchtigungen hinzunehmen.
Nach summarischer Prüfung stellt sich das Hausverbot damit als rechtmäßig dar.
Einer darüber hinausgehenden Abwägung im Rahmen von § 80 Abs. 5 VwGO bedarf es damit nicht.
3. Ergebnis
Der Antrag ist damit zwar zulässig, aber unbegründet.
Fazit
Hey Simon,
danke für den Artikel! Nur eine Stilfrage. Du schreibst 88 VwGO (analog). Wäre es nicht besser einfach §§88, 122 VwGO zu schreiben um noch ein bisschen Wissen abzuladen?
Gruß
In der Tat die bessere Formulierung, danke!
Top, vielen Dank! Für das juristische (verblendete?) Auge wäre eine separate Nummerierung der einzelnen Unterabschnitten schön gewesen.
heißt es nicht: „ist begründet, soweit rechtswidrig…“?