VG Berlin zur Zulässigkeit der Aufstellung eines Panzerwracks im öffentlichen Raum
Mit Beschluss vom 11.10.2022 (Az. VG 1 L 304/22) entschied das VG Berlin im Eilverfahren über den Antrag eines Vereins (V), mit dem dieser begehrte, im Rahmen einer Protestaktion ein Panzerwrack in der Nähe der russischen Botschaft in Berlin aufzustellen. Eine Entscheidung, die tagesaktueller kaum sein könnte und sich deshalb für mündliche Prüfungen ganz besonders gut eignet.
I. Der Sachverhalt
Bei V handelt es sich um einen Verein, der in der Vergangenheit bereits mehrfach Veranstaltungen und Ausstellungen mit historischem Bezug in Berlin abgehalten hat. V beantragte bei der zuständigen Behörde die Genehmigung zur temporären Aufstellung eines Panzerwracks gegenüber der Russischen Botschaft auf der Mittelpromenade Unter den Linden. Bei der Straße Unter den Linden im Bereich der Botschaft der Russischen Föderation handelt es sich um eine Ortsdurchfahrt der Bundesstraße 2. Diese wird hier durch die Schadowstraße gekreuzt, wodurch die Mittelpromenade unterbrochen wird. Dieses Teilstück der Schadowstraße ist derzeit durch den Zentralen Objektschutz der Polizei für den Verkehr gesperrt. V wies im Rahmen des Antragsverfahrens bei der zuständigen Behörde darauf hin, dass auch dieses gesperrte Teilstück der Schadowstraße als möglicher Aufstellungsort für das Panzerwrack in Betracht komme. Der Mittelstreifen Unter den Linden ist als Bestandteil des Denkmalbereichs Dorotheenstadt in der Denkmalliste Berlin eingetragen.
Die zuständige Behörde lehnte den Antrag des V ab. Da wahrscheinlich sei, dass in dem Wrack Menschen gestorben seien, wäre die Aufstellung nicht angemessen. Zudem sei zu erwarten, dass es durch die Aufstellung zu Verkehrsbehinderungen kommen werde. Daneben berühre die Aufstellung die außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland, sodass eine Genehmigung nur im Einvernehmen mit der Berliner Senatskanzlei bzw. der Bundesregierung erteilt werden könne. Ferner sei die Mittelpromenade lediglich eine wassergebundene Fläche. Daher sei die Fläche nicht geeignet, um das Panzerwrack dort abzustellen. Zudem stelle die geplante Nutzung eine wesentliche Beeinträchtigung der denkmalgeschützten Mittelpromenade der Straße Unter den Linden dar. Schließlich könne sich V nicht auf die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG berufen, da es an dem erforderlichen schöpferischen Akt fehle. Gegen diesen ablehnenden Bescheid ging V im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vor.
II. Die Entscheidung
Das VG Berlin gab dem Eilantrag statt und verpflichtete die Behörde, dem V eine Ausnahmegenehmigung zur Aufstellung eines Panzerwracks auf dem abgesperrten Teilstück der Schadowstraße für die Dauer von zwei Wochen zu erteilen.
V habe keinen Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung für die Mittelpromenade Unter den Linden. Eine Ausnahmegenehmigung sei erforderlich, da es sich bei dem Panzerwrack um ein Hindernis iSd. § 32 Abs. 1 S. 1 StVO handele. Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 StVO können die Straßenverkehrsbehörden in Einzelfällen Ausnahmen von dem Verbot, Hindernisse auf die Straße zu bringen, erteilen. Aufgrund der in § 8 Abs. 6 FStrG geregelten Zuständigkeitskonzentration bedürfe es keiner gesonderten Sondernutzungserlaubnis, wenn bereits nach den Vorschriften des Straßenverkehrsrechts eine Ausnahmegenehmigung erforderlich ist, was hier der Fall sei. Damit richte sich die Erteilung der Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 StVO, der der Behörde einen Ermessensspielraum einräumt. Im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensausübung hat die Behörde sich an straßenverkehrs- und straßenrechtlichen Gesichtspunkten zu orientieren. Hintergrund des Verbots, Hindernisse im Verkehrsraum zu errichten, ist das öffentliche Interesse am Schutz des Straßenverkehrs vor verkehrsfremden Eingriffen. Als straßenrechtlicher Belang sei auch der Schutz der Substanz der Straße in die Abwägung einzubeziehen. Bei der Oberfläche der Mittelpromenade handele es sich um eine wassergebundene Decke, sie sei nicht weiter befestigt. Das aufzustellende Panzerwrack wiege ca. 40 Tonnen, sodass davon ausgegangen werden könne, dass durch seine Aufstellung die Substanz des Straßenkörpers gefährdet werden könne. Daher sei davon auszugehen, dass das Ermessen der Behörde insoweit nicht auf Null reduziert sei.
Soweit V jedoch beantragte, das Panzerwrack auf dem abgesperrten Teilstück der Schadowstraße aufzustellen, sei das Ermessen der Behörde auf Null reduziert und die Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Obwohl das Teilstück der Schadowstraße derzeit abgesperrt ist, handele es sich um ein Hindernis iSd. § 32 Abs. 1 StVO, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass das Teilstück zum Fußgängerverkehr weiter genutzt werde. Das Ermessen der Behörde sei auf Null reduziert, da V sich auf grundrechtliche Belage berufen könne und öffentliche Interessen dem nicht entgegenstünden.
Es könne dahinstehen, ob das Aufstellen eines Panzerwracks vom Schutzbereich der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG erfasst sei, da jedenfalls der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG eröffnet sei. Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst ein Verhalten, welches durch das Element der Stellungnahme, des Dafür- oder Dagegenhaltens oder der Beurteilung geprägt ist (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1982 – 1 BvR 1376/79, BVerfGE 61, 1 – 13). Mit dem Aufstellen des Panzerwracks bringt die Antragstellerin ihren Protest gegen den Angriff der Ukraine durch russische Streitkräfte zum Ausdruck. Das fällt in den sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Die Antragstellerin kann sich nach Art. 19 Abs. 3 GG als juristische Person des Privatrechts auf die Meinungsfreiheit berufen.
Öffentliche Belange stünden dem nicht entgegen. Eine Beeinträchtigung des Fahrzeugverkehrs sei ausgeschlossen, da das entsprechende Teilstück derzeit ohnehin für den Fahrzeugverkehr gesperrt sei. Die Beeinträchtigung für den Fußgängerverkehr sei nicht erheblich, da das Panzerwrack knapp 10 x 4 Meter messe, das Teilstück der Schadowstraße an dieser Stelle aber ca. 8 x 15 Meter. Damit verbleibe ausreichend Platz für die Fußgänger. Es sei nicht damit zu rechnen, dass sich Menschenansammlungen bilden, da keine lange Verweildauer erforderlich sei, um das Panzerwrack wahrzunehmen. Schließlich bestehe für die Substanz des Straßenkörpers insoweit keine Gefahr – es handele sich um eine befestigte Straße, sodass mit Schäden nicht zu rechnen sei. Auch aus Gesichtspunkten des Denkmalschutzes ergebe sich nichts anderes, wenngleich diese als straßenrechtliche Belange Berücksichtigung finden können. Nach § 11 Abs. 2 des Gesetzes zum Schutz von Denkmalen in Berlin (DSchG Bln) bedarf die Veränderung der unmittelbaren Umgebung eines Denkmals einer Genehmigung, wenn diese sich auf den Zustand oder das Erscheinungsbild des Denkmals auswirkt (Satz 1). Diese ist zu erteilen, wenn die Eigenart und das Erscheinungsbild des Denkmals durch die Maßnahme nicht wesentlich beeinträchtigt werden (Satz 2). Gemäß § 10 Abs. 2 DSchG umfasst die unmittelbare Umgebung eines Denkmals den Bereich, innerhalb dessen sich die bauliche Anlage oder sonstige Nutzung von Grundstücken oder von öffentlichen Flächen auf das Denkmal prägend auswirkt. Das VG Berlin verneinte diese prägende Wirkung: Das Panzerwrack misst wie gesehen nur ca. 10 x 4 Meter, die denkmalgeschützte Promenade misst über 800 Meter, womit das Panzerwrack keine dominierende Wirkung habe. Zudem bestehe auch eine hinreichende Entfernung zu möglicherweise betroffenen Einzeldenkmälern wie dem Brandenburger Tor oder der Sowjetischen Botschaft.
Damit bestehe ein Anordnungsanspruch. Ein Anordnungsgrund bestehe, da die Aufstellung des Panzers als Meinungsäußerung in einem engen zeitlichen Kontext zum aktuellen Geschehen in der Ukraine stehe und damit das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar sei.
III. Einordnung der Entscheidung
Es handelt sich um eine Entscheidung an der Schnittstelle von Polizei- und Ordnungsrecht, Grundrechten und tagesaktuellem (welt-) politischem Geschehen. Damit ist die Entscheidung insbesondere für mündliche Prüfungen relevant.
Durch die Einbettung im einstweiligen Rechtsschutz können zusätzliche prozessuale Probleme eingebaut werden. In einem ersten Schritt ist die richtige Antragsart (Sicherungsanordnung nach § 123 VwGO) zu erkennen, da V seine Rechte im einstweiligen Rechtsschutz geltend macht und der grundsätzlich vorrangige § 80 Abs. 5 VwGO mangels Anfechtungssituation nicht einschlägig ist. In einem zweiten Schritt ist sauber zwischen Anordnungsanspruch und –grund zu differenzieren.
Die Abstellung eines Panzerwracks ist offensichtlich eine genehmigungspflichtige Sondernutzung. Hier lohnt es sich, sich mit den einschlägigen Ermächtigungs- bzw. Anspruchsgrundlagen zu beschäftigen. V begehrt eine Ausnahmegenehmigung, deren Erteilung im Ermessen der Behörde liegt. Das Gericht wird die Behörde daher nur zur Erteilung der Genehmigung verurteilen, wenn das Ermessen auf Null reduziert ist, jede andere Entscheidung also rechtswidrig wäre. Hier konnte das Gericht offenlassen, ob die Kunstfreiheit einschlägig ist, da die Aufstellung des Wracks jedenfalls von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.
In einer Klausur ist darauf zu achten, die im Sachverhalt enthaltenen Hinweise möglichst restlos zu verwerten. Auf die Größe des Panzers und der umliegenden Denkmäler, die Art und Beschaffenheit der Straße und die schon vorhandene Absperrung sollte zwingend eingegangen werden.
Das VG Berlin hat sich mit dem Einwand, dass außenpolitische Belange der Aufstellung entgegenstünden, soweit ersichtlich nicht befasst. Gegen die Einbeziehung dieser Belange spricht aber wohl, dass die Meinungsäußerung durch den Verein erfolgt und nicht durch ein Organ der öffentlichen Gewalt. Auch soweit es um außenpolitische Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland geht unterliegen Meinungsäußerungen grundsätzlich keinem Einvernehmens-Vorbehalt.
Der Transport, das Aufstellen und das Abräumen sollte einige Störungen wohl im Sinne einer Sondernutzung bewirken können. Mögliche Störungen könnten dabei im Verhältnis zum Wert solcher Meinungsäußerung noch fragwürdig verhältnismäßig wirken.
Auf das Argument, eine Aufstellung müsse aus Pietätsgründen oder außenpolitischen Gründen unterbleiben, wird anscheinend nicht weiter eingegangen.
Es könnte noch eine eventuell sogar grundrechtlich geschützte Rechtsposition in Betracht kommen, entgegen eigenem Willen nicht an diesem Ort in dieser Weise entgegen einem Gebot zur Beachtung nötiger Pietät mit einem Panzerwrack als möglicher Sterbeort von Soldaten konfrontiert werden zu müssen?
Zudem kann eventuell grundsätzlich noch ein Recht zur Einflussnahme durch zuständige Behörden möglich scheinen, soweit solche Aufstellung außenpolitischen Interessen widersprechen sollte. Ein Anspruch auf unterlassene Einflussnahme sollte nicht bestehen. Daher sollte eventuell eher kein Anspruch auf Aufstellung, sondern eher nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensbescheidung hinsichtlich eines Antrages auf Aufstellungsgenehmigung in Betracht kommen?