Urteilsbesprechung: Dreispringer Charles Friedek
Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Konstantin Filbinger veröffentlichen zu können. Der Autor hat sein Studium und Referendariat in Freiburg absolviert und ist aktuell als Akad. Rat a.Z. am LS für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte bei Prof. Kannowski in Bayreuth tätig. Zudem ist er Gründer von Jura Digital und (Co-) Autor der in dieser Reihe veröffentlichten und bei Amazon erhältlichen Werke.
Urteil des BGH vom 13. Oktober 2015 – II ZR 23/14
Der Fall:
Der Dreispringer Charles Friedek „erspringt“ 2008 im Rahmen eines Wettbewerbs zweimal die vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) in dessen Nominierungsrichtlinien geforderte Sprungweite zur Olympianominierung (17,00 m). Der DOSB ist für die Nominierung deutscher Athleten zuständig und kooperiert dabei mit dem Deutschen Leichtathletikverband (DLV). Zwischen dem DLV und Friedek besteht eine „Atheltenvereinbarung“, wonach der DLV Friedek bei Erfüllung der Nominierungskriterien zur Nominierung für die Olympischen Spiele vorschlagen muss.
Nach den Nominierungskriterien ist „die Olympianorm […] erfüllt, wenn in den Disziplinen, in denen die […] Norm benannt ist, beide Normen mindestens je einmal(Hervorhebung durch den Verf.) in einer der […] Veranstaltungen erreicht wurde.“
Der DLV vertritt nun die Auffassung, dass Friedek die Olympianorm in zwei verschiedenen Wettbewerben zu erbringen hätte. Er schlägt Friedek deshalb nicht zur Nominierung vor. Dessen Versuche, eine Nominierung im einstweiligen Rechtsschutz zu erzwingen, bleiben erfolglos.
Die Frage: Kann Friedek (F) wegen Nichtnominierung Schadensersatz vom Deutschen Olympischen Sportbund verlangen?
Das Ergebnis:
Der BGH meint: Ja. Ein solcher Anspruch folge aus §§ 280 Abs.1, 3, 281, 311 Abs. 2 BGB i.V.m. § 242 BGB, Art. 3 GG sowie den Nominierungsrichtlinien.
I. Schuldverhältnis:
Zunächst müsste zwischen Anspruchssteller und Anspruchsgegner ein Schuldverhältnis i.S.d. §§ 280 I 1, 241 BGB bestehen.
Dies erscheint fraglich. Denn F hat eine Abrede lediglich mit dem DLV getroffen (sog. Atheletenvereinbarung), im Verhältnis zum Anspruchsgegner und Beklagten DOSB fehlt es prima facie an einer Sonderverbindung.
Indes lässt sich aus der Stellung des DOSB als Monopolverband eine vorvertragliche Sonderverbindung ableiten; denn alleine dieser ist für die Endnominierung deutscher Sportler für die Olympischen Spiele zuständig.
II. Pflichtverletzung:
- Bezugspunkt für Pflichtverletzung: Schutzpflicht, Nebenleistungspflicht oder Hauptleistungspflicht?
Überdies müsste der DOSB eine Pflicht verletzt haben. Die Pflichtverletzung könnte hier in der Nichtnominierung liegen. Ein vorvertragliches Schuldverhältnis kann zwar als solches in der Regel keine gegenseitigen Erfüllungs-, sondern nur Schutz- und Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) begründen. Bei Monopolstellung des nominierenden Verbands besteht aber nach h.M. bei Erfüllung der Nominierungsvoraussetzungen ausnahmsweise ein Anspruch des Sportlers auf Nominierung.
- Verletzung einer Pflicht?
Allerdings ist hier problematisch, ob eine Pflicht tatsächlich verletzt wurde, vgl. § 280 I 1 BGB.
Dann müsste der DOSB zur Nominierung verpflichtet gewesen sein.
Dies wäre nur zu bejahen, wenn die mehrfache Erfüllung der Olympianorm innerhalb eines Wettkampfes nach den wie Satzungsrecht auszulegenden Nominierungsrichtlinien einen solchen Anspruch begründet.
Nach der fraglichen Richtlinie ist
„die Olympianorm […] erfüllt, wenn in den Disziplinen, in denen die 1. und 2. Norm benannt ist, beide Normen mindestens je einmal(Hervorhebung durch den Verf.) in einer der unter 3.1.1 benannten Veranstaltungen erreicht wurde.“
Der BGH hebt hier den Zweck der Richtlinie hervor:
In Verbindung mit den allgemeinen Grundsätzen des Beklagten zur Nominierung der Olympiamannschaft Peking 2008 sei die Nominierungsrichtlinie so zu verstehen, dass mit der Erzielung der angegebenen Zeiten oder Weiten grundsätzlich der Leistungsnachweis einer begründeten Endkampfchance bei den Olympischen Spielen als erbracht gelten sollte.
Dies sei auch der Fall bei mehrfachem Erbringen der Olympianorm innerhalb des gleichen Wettbewerbs. Demnach hat der DOSB durch Nichtnominierung des F eine Pflicht verletzt.
III) Fristsetzung oder deren Entbehrlichkeit?
Der Bundesgerichtshof übergeht die Frage der Erforderlichkeit einer Frist, obwohl er den Anspruch auf §§ 280 I, III, 281 BGB stützt. Hier dürfte eine Fristsetzung entbehrlich sein, weil die Sportverbände die zu entsendenden Athleten zu einem bestimmten Zeitpunkt gemeldet haben müssen. Die Möglichkeit einer Nachnominierung auf der bloßen Basis geänderter Rechtsauffassungen dürfte ausscheiden.
IV) Vertretenmüssen:
1. Der DOSB hat die Vermutung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht widerlegt.
2. Auch die Voraussetzungen eines unverschuldeten Rechtsirrtums hat jener nicht dargelegt. Der Verpflichtete trägt das Risiko eines Irrtums über die Rechtslage grundsätzlich selbst. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt regelmäßig nur dann vor, wenn der Schuldner die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft hat und bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auch mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte. Dem DOSB war bei seiner Nominierungssitzung der zu diesem Zeitpunkt den Rechtsstandpunkt des Klägers bestätigende Beschluss des Sportschiedsgerichts vom 19. Juli 2008 bekannt. Er durfte daher nicht darauf vertrauen, mit einer von seiner Rechtsauffassung abweichenden Beurteilung durch die ordentlichen Gerichte nicht rechnen zu müssen.
V) Die weiteren Voraussetzungen „Kausalität“ und Schaden lagen ebenfalls vor.
Ergebnis: F hat einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den DOSB, dessen Inhalt sich nach den §§ 249 ff. BGB richtet.
Fazit:
Eine vertragsähnliche Sonderverbindung nach § 311 II BGB kann bei Monopolstellung des Schuldners Erfüllungsansprüche begründen.
Offen bleibt die Frage, weshalb eine Pflichtverletzung des DOSB angenommen wurde, obwohl dieser Athleten nur im Falle eines entsprechenden Vorschlags durch den jeweiligen Sportverband nominiert und ein solcher Vorschlag -wie hier- fehlte.
Je nach Gestaltung der rechtsgeschäftlichen(?) Verbindung zwischen DOSB und DLV hätte man den Anspruch auch aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ableiten können. Zum Inhalt einer entsprechenden Abrede zwischen DOSB und DLV schweigt der Tatbestand des Urteils aber.
In der Examensklausur wäre daneben noch ein Anspruch aus § 823 I i.V.m. dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu prüfen. Denn seit BGH VI ZR 117/11 („Ingo Steuer“) kommen als „Gewerbebetrieb“ in diesem Sinne auch Profisportler in Frage.
Ob ein Anspruch auf eine Nominierung durch den Beklagten auch aus §§ 20 Abs. 1, 33 GWB hergeleitet werden kann, lässt der BGH verständlicherweise offen, da ein solcher Anspruch nicht weiter ginge als jener aus culpa in contrahendo. Das Gericht verwirrt jedoch mit der Formulierung, ein solcher Anspruch werde „vom Kläger auch nicht geltend gemacht“. „Jura novit curia“ schien bei der Urteilsniederschrift ein Fremdwort im buchstäblichen Sinne zu sein.
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