Überblick: AGB-Kontrolle unter Berücksichtigung arbeitsrechtlicher Besonderheiten
Wir freuen uns sehr, nachfolgend einen Beitrag von Lena Bleckmann veröffentlichen zu können. Die Autorin studiert an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms Universität Bonn und ist dort am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit tätig.
Die Prüfung der Wirksamkeit von AGB anhand der §§ 305 ff. BGB ist häufiger Bestandteil zivilrechtlicher, insbesondere arbeitsrechtlicher Klausuren. Der folgende Beitrag soll daher zur Wiederholung der Prüfungsschritte dienen und weiterhin auf einige Besonderheiten im Arbeitsrecht aufmerksam machen.
Ausschlussklauseln sind fester Bestandteil der in der Praxis verwendeten Arbeitsverträge und so auch häufig Gegenstand gerichtlicher Überprüfung, wie jüngst in einer Entscheidung des BAG vom 20.06.2018 (Az. 5 AZR 262/17, Pressemitteilung Nr. 32/18). Diese soll Ausgangspunkt der beispielhaften Prüfung sein.
Sachverhalt (gekürzt und abgewandelt)
A ist seit dem 1.1.2014 im Unternehmen des B tätig. Sein Arbeitsvertrag enthält folgende Klausel:
„Ausschlussfrist: Sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Ende des Arbeitsverhältnisses schriftlich gegenüber der Gegenseite geltend gemacht werden. Dies gilt nicht für Ansprüche, die auf unerlaubten Handlungen oder vorsätzlichen sowie grob fahrlässigen Pflichtverletzungen beruhen.“
Das Arbeitsverhältnis des A endete zum 30.6.2015. Zu diesem Zeitpunkt stehen noch Lohnzahlungen in Höhe von 3000 € aus. Mit einem Schreiben vom 1.11.2015 fordert A den B zur Zahlung auf. B verweigert die Zahlung unter Berufung auf die Ausschlussfrist. Kann A Zahlung verlangen?
I. Gutachterliche Überlegungen
Der Anspruch des A auf Zahlung der Vergütung i.H.v. 3.000 € ergibt sich aus § 611a Abs. 2 BGB. Der Anspruch könnte aber wegen verspäteter Geltendmachung seitens des A erloschen sein. Der Arbeitsvertrag des A sieht eine Ausschlussfrist von drei Monaten vor, A hätte den Anspruch gem. der § 186 ff. BGB demnach bis zum 30.9.2015 geltend machen müssen. Die Ausschlussklausel müsste dazu wirksamer Vertragsbestandteil geworden sein.
1. Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB auf Arbeitsverträge
Zunächst sollte geprüft werden, ob in § 310 BGB ein Ausschluss der Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB für den zu prüfenden Vertrag vorgesehen ist. Die Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB auf Arbeitsverträge ergibt sich im Umkehrschluss aus § 310 Abs. 4 S. 2 BGB („Bei der Anwendung auf Arbeitsverträge sind die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen“).
2. Vorliegen von AGB
Es müsste sich vorliegend auch um AGB handeln. AGB sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt, § 305 Abs. 1 S. 1 BGB.
Arbeitnehmer sind Verbraucher i.S.d. § 13 BGB, sodass die Besonderheiten für Verbraucherverträge nach § 310 Abs. 3 BGB zu beachten sind. Dieses weite Verständnis des Verbraucherbegriffs ist sachgerecht, weil Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich bei Vertragsschluss nicht auf Augenhöhe begegnen. Bei Verwendung eines Formulararbeitsvertrags hat der Arbeitnehmer auf dessen Inhalt keinen Einfluss. Zumeist wird er aber auf den Abschluss des Arbeitsvertrags zur Sicherung seiner Lebensgrundlage angewiesen sein, sodass der Arbeitnehmer sich in einer vergleichbar schutzwürdigen Lage befindet, wie der Verbraucher beim Vertragsschluss mit einem Unternehmer.
Während das Merkmal „für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert“ normalerweise voraussetzt, dass eine mindestens dreimalige Verwendung vorgesehen ist, genügt bei Arbeitsverträgen die einmalige Verwendung (vgl. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB).
Als vom Verwender gestellt gelten alle Bedingungen, bei denen der gesetzesfremde Kern der Klausel nicht ernsthaft zur Disposition gestellt wird. Im Falle von Verbraucherverträgen gelten sie immer als vom Unternehmer gestellt, wenn sie nicht vom Verbraucher in den Vertrag eingeführt wurden, § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB. Keine AGB liegen vor, wenn es sich um ausgehandelte Individualabreden handelt.
Vorliegend gibt es keine Anhaltspunkte, dass es sich um eine Individualabrede handelt oder dass A die Klausel in den Vertrag eingeführt hat. Es liegen AGB vor.
3. Einbeziehungskontrolle
Die Ausschlussklausel müsste auch Bestandteil des Vertrags geworden sein. Hierzu ist nach § 305 Abs. 2 Nr. 1, 2 BGB grundsätzlich erforderlich, dass ausdrücklich auf die AGB hingewiesen oder diese zumindest ausgehangen werden und der andere Teil die Möglichkeit zur tatsächlichen Kenntnisnahme hat. Gemäß § 310 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 BGB finden diese Anforderungen im Arbeitsrecht allerdings keine Anwendung.
a. Überraschende Klauseln
Nach § 305c Abs. 1 BGB werden solche Klauseln nicht Bestandteil des Vertrags, die so überraschend sind, dass der Vertragspartner nicht mit ihnen zu rechnen braucht. Hierbei kann zwischen der formellen Überraschung (wenn bestimmte Inhalte z.B. im Kleingedruckten oder unter einer anderen Überschrift versteckt werden) und der materiellen Überraschung (wenn inhaltlich nicht mit der Regelung gerechnet werden muss) unterschieden werden.
Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen sind gängige Praxis und somit nicht inhaltlich überraschend. Auch ist sie hier durch die eindeutige Überschrift gekennzeichnet. Es liegt keine überraschende Klausel vor.
b. Auslegung
AGB-Klauseln sind grundsätzlich auszulegen, wobei alle Zweifel, die nach Ausschöpfung sämtlicher Auslegungsmethoden verbleiben, zu Lasten des Verwenders gehen, § 305c Abs. 2 BGB. Solche Zweifel bestehen aber nur, wenn zwei Ergebnisse in gleichem Maße vertretbar erscheinen und keines den Vorzug verdient.
Die Klausel ist in diesem Fall eindeutig, es bestehen keine solchen Zweifel.
c. Vorrang entgegenstehender Individualabreden, § 305b BGB
Sollten individuelle Abreden den AGB entgegenstehen, haben diese Vorrang, § 305b BGB.
Vorliegend bestehen keine entgegenstehenden Individualabreden. Die Ausschlussklausel ist Bestandteil des Arbeitsvertrags des A geworden.
4. Inhaltskontrolle
Zunächst sind solche Klauseln nach §§ 134, 138 BGB nichtig, die gegen Gesetze oder die guten Sitten verstoßen.
Das ist hier nicht der Fall.
Die Klausel muss auch einer Inhaltskontrolle anhand der § 307 ff. BGB standhalten. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB sieht die Unwirksamkeit solcher Klauseln vor, die den Vertragspartner unangemessen benachteiligen.
Da für Gesetze eine Angemessenheitsvermutung gilt, unterliegen nur solche Klauseln der Inhaltskontrolle, die von Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzende Regelungen enthalten, § 307 Abs. 3 S. 1 BGB. Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen gelten ebenfalls als Gesetze. Soweit diese also übernommen werden, findet keine Inhaltskontrolle statt (umstr., ob diese vollumfänglich übernommen werden müssen, siehe dazu z.B. BeckOK ArbR/Jacobs, § 307 BGB Rn. 24 ff.).
Die Inhaltskontrolle erfolgt anhand der §§ 307 BGB bis 309 BGB, wobei mit den spezielleren Normen zu beginnen ist: Zunächst sollten die Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit des § 309 BGB überprüft werden, dann jene mit Wertungsmöglichkeit des § 308 BGB. Ist keines dieser Verbote einschlägig, kann die Unwirksamkeit der Klausel unmittelbar aus § 307 Abs. 1 S. 1, 2 BGB folgen, wenn der Vertragspartner auf sonstige Weise unangemessen benachteiligt wird. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB stellt hierfür ausdrücklich ein Transparenzgebot auf: Klauseln, die die Gefahr bergen, dass der Vertragspartner wegen ihrer unklaren Fassung seine Rechte nicht wahrnimmt, sind unwirksam.
Liegt ein Verstoß gegen die §§ 307 ff. BGB vor, findet keine geltungserhaltende Reduktion statt, die Klausel ist im Ganzen unwirksam, denn sonst würde der Verwender solcher Klauseln keinerlei Risiko tragen. Es ist allerdings zu prüfen, ob die Klausel im Rahmen des sog. „blue-pencil-test“ zumindest teilweise erhalten werden kann: Enthält eine Klausel mehrere Regelungen, von denen nur eine unwirksam oder nicht einbezogen ist, und sind diese sprachlich und inhaltlich klar voneinander trennbar, so ist nur die betroffene Regelung unwirksam.
Im Übrigen bleibt der Vertrag wirksam, § 306 Abs. 3 BGB. An die Stelle unwirksamer Regelungen tritt die gesetzliche Regelung, § 306 Abs. 2 BGB.
An dieser Stelle ist unbedingt zu beachten, dass keine Angemessenheitskontrolle des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung stattfindet. Hierbei handelt es sich um essentialia negotii, für die das Gesetz nicht hilfsweise eingreifen kann. Es obliegt den Parteien, das Äquivalenzverhältnis der vertraglichen Leistungen im Rahmen ihrer Privatautonomie zu bestimmen, nicht dem Gericht. (Welche Leistungspflichten im Einzelnen der Kontrolle zugänglich sind, ist umstritten, weitere Ausführungen gingen an dieser Stelle allerdings zu weit. Nachzulesen z.B. bei Dütz/Thüsing, Arbeitsrecht, 22. Aufl. 2017, Rn. 273)
Die vorliegende Klausel könnte gegen § 309 Nr. 13 lit. b BGB verstoßen, weil sie eine strengere Form als die Textform vorsieht. Dies gilt allerdings gem. Art. 229 § 37 EGBGB nur für Verträge, die nach dem 30.9.2016 geschlossen wurden. Das Arbeitsverhältnis des A besteht seit dem 1.1.2014, das Verlangen der Schriftform ist mithin zulässig. Weitere Verstöße gegen die Klauselverbote der §§ 308, 309 BGB sind nicht ersichtlich.
Allerdings könnte ein Verstoß gegen das Transparenzgebot vorliegen, weil der Anspruch auf Zahlung des Mindestlohns nicht ausdrücklich von der Frist ausgenommen ist. § 3 S. 1 MiLoG bestimmt, dass Vereinbarungen, die die Geltendmachung des Anspruchs auf den Mindestlohn beschränken oder ausschließen, insoweit unwirksam sind. Die Klausel bringt nicht klar zum Ausdruck, dass auch nach Ablauf der Dreimonatsfrist noch ein Anspruch auf den Mindestlohn besteht, sie birgt also die Gefahr, dass der Arbeitnehmer seine Rechte nicht geltend macht.
Fraglich ist, ob der Zusatz „insoweit“ in § 3 S. 1 MiLoG so zu verstehen ist, dass der Anspruch auf den Mindestlohn bestehen bleibt, die Klausel im Übrigen aber voll wirksam ist oder ob die gesamte Klausel entsprechend des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion unwirksam ist. Für die erste Ansicht spricht der Wortlaut des § 3 S. 1 MiLoG; für die zweite Ansicht demgegenüber, dass die strukturell schwächere Position des Arbeitnehmers bei der Vertragsgestaltung durch eben solche Normen gestärkt werden soll. Das BAG hat diese Frage bisher offengelassen, von den Landesarbeitsgerichten wird sie unterschiedlich beurteilt (vgl. für die erste Ansicht LAG Nürnberg, Urt. v. 9.5.2017 – 7 S 560/16; a.A. LAG Hamburg, Urt. v. 20.2.2018 – 4 Sa 69/17). Im Folgenden wird von der Wirksamkeit der übrigen Klausel ausgegangen, da § 3 S. 1 MiLoG insoweit lex specialis zu § 306 BGB ist (andere Ansicht gut vertretbar).
5. Ergebnis
Die Ausschlussfrist ist wirksam, soweit sie nicht den Anspruch auf den Mindestlohn betrifft. Insoweit ist der Anspruch des A aus § 611a Abs. 2 BGB erloschen. Der Anspruch auf den Mindestlohn kann weiterhin geltend gemacht werden.
III. Fazit
Leider musste das BAG diesmal nicht entscheiden, ob eine Ausschlussklausel, die den Mindestlohn nicht ausnimmt, einer AGB-Kontrolle standhält, da die Entscheidung zwecks weiterer Sachverhaltsfeststellungen an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen wurde. Immerhin stellt das Urteil aber ausdrücklich fest, dass Vergleichsverhandlungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien eine Ausschlussfrist für die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche entsprechend § 203 S. 1 BGB hemmen.
Formularverträge sind nicht nur im Arbeitsrecht Teil der täglichen Praxis. Es muss also zum Repertoire jedes Examenskandidaten gehören, die AGB-Prüfung anhand der §§ 307 ff. BGB in eine zivilrechtliche Klausurlösung integrieren zu können. Wer das Prüfungsschema aber einmal verinnerlicht hat, dürfte in Klausuren nicht vor unlösbaren Problemen stehen.
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