Kostenloser Seitensprung? Tinder, parship und co. als Heiratsvermittler i.S.d. § 656 BGB?
Immer mehr Dating- und Partnerplattformen verlangen für ihre Dienste eine Nutzungsgebühr. Während Akademiker und Singles mit Niveau (anscheinend ein Widerspruch…) mit mindestens 30€ pro Monat dabei sind, verlangt tinder seit diesem Jahr für alle anderen ca. 10€ p.M. Findige Juristen könnten nun auf die Idee kommen nach Nutzung der Dienste das Entgelt nicht zu bezahlen – zumindest in anteiliger Höhe mit Verweis auf das verbraucherschutzrechtliche Widerrufsrecht (hierzu V.) oder in voller Höhe auf § 656 BGB:
(1) Durch das Versprechen eines Lohnes für den Nachweis der Gelegenheit zur Eingehung einer Ehe oder für die Vermittlung des Zustandekommens einer Ehe wird eine Verbindlichkeit nicht begründet.
I. Rechtsnatur der sog. Naturalobligation – „Wettschulden sind Ehrenschulden“
Ein Rechtsbegriff der vor allem für mündliche Prüfungen bekannt sein sollte ist der der „Naturalobligation„. Hierbei handelt es sich um unvollkommene, nicht einklagbare, also nicht mit staatlicher Hilfe durchsetzbare Forderungen. Neben dem Ehemäklerlohn ist dies das klassische Beispiel „Spiel und Wette“ i.S.d. § 762 BGB. Auch in diesen Fällen können Forderungen nicht durchgesetzt werden. Somit erklärt sich auch das Sprichtwort: „Wettschulden sind Ehrenschulden“ – sie können nicht eingeklagt werden, sondern müssen vom Ehrenmann „von sich aus“ beglichen werden (oder dieser zur „freiwilligen“ Zahlung gebracht werden – Stichwort: Moskau Inkasso). Eine dennoch eingereichte Klage wird als unbegründet, nicht als unzulässig abgewiesen, da ein materiell-rechtliches Hindernis vorliegt (BGH v. 4.3.2004 – III ZR 124/03).
II. Grund für die fehlende Durchsetzbarkeit
Ursprünglich wurde die sittliche Anstößigkeit der entgeltlichen gewerblichen Ehevermittlung als Normzweck angesehen, also eine Ausprägung des § 138 BGB. Die Ehe beruhe auf „himmlischen Einflüssen“, so dass die weltliche Vermittlung anstößig erscheine. Heute hat sich der Schutzzweck leicht verschoben, es soll die Intimssphäre der Ehegatten vor unerwünschten Ehemaklerprozessen geschützt werden (Diskretionsbedürfnis). Ein solcher Prozess, in welchem der Nachweis der Gelegenheit zur Eingehung einer Ehe erbracht werden müsste, könnte das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Personen stark beeinträchtigen – müsste doch konkret dargelegt werden, inwiefern man die Partner zusammengebracht hat. Daher erscheint der Ausschluss der Durchsetzbarkeit auch heute noch angemessen.
III. Anwendbarkeit des § 656 BGB auf Online-Dating/Partner-Plattformen
Findet § 656 BGB nun Anwendung auch auf Partnervermittlung? Um Kostenansprüchen der Partnerbörsen entgehen zu können, müssten diese den „Nachweis der Gelegenheit zur Eingehung einer Ehe oder für die Vermittlung des Zustandekommens einer Ehe“ erbringen. An dieser Stelle muss man zwischen den verschiedenen Plattformen differenzieren. Auf Partnervermittlungen ist § 656 BGB analog anzuwenden. Grund hierfür ist zum einen, dass die heutige Partnerschaftsvermittlung in der Praxis die Eheanbahnung nahezu vollständig abgelöst hat (Meier, NJW 2011, 2396 ). Mag dies noch nicht wirklich überzeugen, kommt zum anderen hinzu, dass es bei teleologischer Betrachtung keine Rolle spielt, ob die Vermittlung tatsächlich in letzter Konsequenz auf eine Heirat gerichtet ist oder ob eine bloße außereheliche Partnerschaft angestrebt wird. In beiden Fällen geht es um die Zusammenführung zweier Menschen im Bereich ihres höchstpersönlichen Lebens, so dass der Schutz des persönlichen Intimbereichs der Betroffenen auch hier Geltung beansprucht (IV ZR 160/89 – BGHZ 112, 122; BGH, NJW-RR 2004, Staudinger/Reuter, § 656 Rn. 7; Meier, NJW 2011, 2396). Hiermit ist selbstverständlich nichts über die rechtspolitische Sinnhaftigkeit der Norm an sich gesagt. Ob Klagen aus Ehe- und Partnervermittlungsverträgen tatsächlich das Diskretionsbedürfnis der Betroffenen verletzten, ist zumindest fraglich.
Soweit es sich also um eine Partnervermittlung handelt, findet § 656 BGB Anwendung. Parship und elitepartner.de sind echte Partnervermittlungen, so dass bei diesen die Durchsetzbarkeit etwaiger Forderungen gehindert ist. Anders hingegen bei tinder. Hier ist die Möglichkeit zum Kennenlernen doch erkennbar auf kurzfristige Kontakte ausgelegt und es werden insbesondere keine weitergehenden Dienstleistungen erbracht als die bloße, zufällige Möglichkeit sich kennenzulernen. Es liegt letztlich nur eine Gelegenheit für verschiedene Personen vor, miteinander in Kontakt zu treten; es fehlt an einer aktiven Förderung der Kontakteaufnahme durch Persönlichkeitsprofile, „passgenaue“ Vorschläge usw. Tinder entspricht daher eher „virtuellen Freizeitclubs“, die nach der Rechtsprechung nicht von § 656 BGB (analog) erfasst sind (OLG Frankfurt NJW 1984, 180 f.; zugegeben: tinder klingt besser als Freizeitclub). Dies führt zu der – auf den ersten juristischen und auch zweiten laienhaften Blick – erstaunlichen Erkenntnis, dass Seitensprünge (Geld) kosten, während Partnerschaften „kostenfrei“ sind.
IV. Möglichkeit des Widerrufs, § 312 ff. BGB?
Viel ist mit der Anwendbarkeit von § 656 BGB jedoch nicht gewonnen, da so gut wie alle Partnerbörsen wohl auch gerade wegen § 656 BGB die Zahlung im voraus verlangen. Daher stellt sich die Frage nach der Möglichkeit des Widerrufs nach den verbraucherschutzrechtlichen Vorschriften der §§ 312 ff. BGB. Grundsätzlich steht dem Kunden ein Widerrufsrecht zu, da er als Verbraucher mit einem Unternehmer qua Fernkommunikationsmittel einen Vertrag schließt. Fraglich ist hingegen der Ausschluss der Widerrufbarkeit.
Ein solcher könnte sich aus § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ergeben, wonach “ Verträge zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind“ vom Widerruf ausgeschlossen sind. Mit Blick auf die von elitepartner.de und anderen „echten“ Partnervermittlungen durchgeführten Persönlichkeitstest kann man durchaus von einer individualisierten Leistung sprechen. Hiergegen spricht jedoch, dass es sich um eine Dienstleistung und keine Ware handelt. Auch eine analoge Anwendung muss wohl ausscheiden (s. zum alten Recht ausführlich Meier, NJW 2011, 2396). Andere Ausschlussgründe greifen ebenfalls nicht. Daher ist grundsätzlich ein Widerruf des Partnervermittlungsvertrages möglich und führt zur Rückabwicklung der erbrachten Leistungen. Wie hoch der zu ersetzende objektive Wert einer u.U. durchgeführten Persönlichkeitsanalyse ist, sei an dieser Stelle dahingestellt; dieser ist jedoch mit dem rückzuerstattenden „Mitgliedsbeitrag“ zu verrechnen, § 346 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
V. Kündigung nach § 627 BGB
Nach h.M. ist zudem die jederzeitige Kündigung nach § 627 BGB möglich (BGH NJW 1987, 2808 f.; BGH MMR 2010, 90, 19). Begründet wird dies damit, dass die Partnervermittlung ein besonderes Vertrauensverhältnis benötige (zur Kritik s. Rachow, MMR 2015, 152). Die Kündigung wirkt jedoch nur ex nunc, so dass diese nicht zur Kostenfreiheit führt, sondern allein ein Fortlaufen des Vertrages verhindert.
VI. Fazit: Liebe gratis, Sex aber nicht?
Die große Liebe zu finden kann damit kostenlos sein: Entweder weil nicht im voraus bezahlt wird und in der Folge auf § 656 BGB berufen wird oder aber ein Widerruf nach §§ 312 ff. BGB erklärt wird. Ein solcher Widerruf ist zwar auch bei bloßen Kennenlern-Plattformen wie tinder denkbar, doch kann mangels Anwendbarkeit des § 656 BGB keine völlige Kostenfreiheit hergestellt werden – eine gesetzgeberische Wertung, die wohl nur den einen oder anderen überzeugen mag…
Siehe auch
Bericht (https://www.echte-abzocke.de/allgemein/1011-vps-video-partner-service-vom-bgh-verurteilt.html sowie https://www.vzhh.de/recht/30315/partnervermittlung-geld-zurueck.aspx)
musste ein Unternehmen, welches Partnerschaftsvermittlung betrieb,
7000 DM zurückzahlen.
Verweis auf
Urteils : Amtsgericht Hamburg-Harburg (Urt. v. 19.10.2000, 646 C 199/00).
Folgendes war geschehen:
Die Firma/Beklagte inserierte in einer Hamburger Tageszeitung “Daniela,
blond, vermögend, sucht…”. Ein interessierter Leser wandte sich daraufhin
an das Institut, es kam zu einem Vertreterbesuch. Von dem Kunden wurde
eine 15-minütige Videoaufzeichnung angefertigt. Dafür sowie für eine
nicht näher beschriebene Vermittlung bezahlte er knapp 7.000 Mark. Doch
Daniela lernte er nicht kennen. Ihm wurden lediglich Video-Aufzeichnungen
und Fotos anderer Damen gezeigt.
Der Kunde ärgerte sich und widerrief den Vertrag nach dem Haustürwiderrufsgesetz.
Zu Recht, befand der Richter und verurteilte die Firma VPS zur Rückzahlung
des gesamten Betrages.
Ebenfalls über einen Fall aus Hamburg berichtet Wichert, Schlechterfüllung
bei der Partnerschaftsvermittlung, ZMR 2007, 241.
Der Autor ordnet den Partnerschaftsvermittlungsvertrag regelmäßig
als Dienstvertrag ein und gibt sodann eine Übersicht über die Schlechtleistung,
ihre Rechtsfolgen und veranschaulicht die Darlegungs und Beweislast —
Zugleich Besprechung des Urteils des LG Hamburg vom 12.7.2006 318 S 146/ 05 ZMR 2006 866
Ferner: OLG Koblenz 03.01.2006 5 U 1242/05
jetzt auch BGH (III ZR 218/09)
zum Widerruf und — neu !!- zum Wertersatz
Wichtig ist folgendes:
Der Kunde hatte in seine Wohnung eingeladen – bei einer solchen Bestellung
entfällt aber üblicherweise das Widerrufsrecht (§ 312 Abs. 3 Nr. 1 BGB).
Es ist dabei gängige Rechtsprechung des BGH, dass diese Ausnahme nur
greift, wenn auch für einen konkreten Abschluss eingeladen wurde. Wenn
dagegen der Vertreter zur allgemeinen Information geladen wurde und
das Gespräch in einem Abschluss mündet, entfällt das Widerrufsrecht
nicht.
Wenn der Widerruf ausgeübt wird, sind die empfangenenLeistungen zurück
zu gewähren. Wo das nicht möglich ist (etwa bei Dienstleistungsverträgen
– hier: Partnervermittlungsverträge), gibt es einen Wertersatz nach § 346 II Nr. 1
BGB. Das vermitteldner Unternehmen wollte nun als Wertersatz
den Preis, der zuvor ausgehandelt wurde – der Kunde wollte nur einen stark
geminderten Preis zahlen, den seiner Meinung nach “wahren Wert”. Der BGH
stimmt dem zu: Das Widerrufsrecht macht nur Sinn, wenn man den “wahren
Wert” ermittelt. Im vorliegenden Fall bedeutete das eine Verminderung
von 5000 Euro auf 300 Euro.
siehe auch Anm. Peter Derleder in EWiR
Ferner
LG Hamburg, Urt. v. 31.01.2012, Az. 312 O 93/11).
siehe auch AG Hamburg, Urteil vom 17.06.2011 — 7c C 69/10 mit folgenden Leitsätzen:
Beginnt eine Widerrufsfrist mangels der in § 312e BGB geforderten Widerrufsbelehrung
gar nicht erst zu laufen, kann der Kunde noch bis zur gesetzlichen Höchstfrist,
in der Regel sind dies sechs Monate, nach Vertragsschluss diesen ohne
Gründe widerrufen kann (Rn. 35).
Wenn es möglich ist, ein Online-Angebot mit wenigen Mausklicks anzunehmen,
widerspricht es den Erwartungen der Verbraucher, dass für die Beendigung
eines Vertrages weitaus höhere formelle Erfordernisse (hier: Schriftformerfordernis)
zu beachten sein sollen als für dessen Begründung. Eine solche Bestimmung
an versteckter Stelle in AGB ist geradezu der Klassiker einer überraschenden
Klausel. Diese entfaltet daher zu Recht keinerlei Wirkung und ist in keiner
Weise geeignet, ein Schriftformerfordernis zu begründen (Rn. 42).
Volltext unter
https://www.ra-skwar.de/urteile/AG%20Hamburg%207c%20C%2069–10.htm?reload_coolmenus
siehe jetzt LG Hamburg, 312 O vom 30.04.2013
Beim Unternehmen Elitepartner sieht die Kündigungsklausel vor, dass
lediglich eine schriftliche Kündigung möglich ist.
Ferner LG Hamburg, Urteil vom 20.06.2012, Az. 307 O 104/12
Mir scheint, man kann Vorschriften über die Ehevermittlung nicht analog auf die Partnervermittlung anwenden. Man kann ja auch die Vorschriften über die Ehe nicht analog auf die NeLG anwenden. Im Übrigen ist Ehevermittlung historisch gesehen eine Art Versorgungsleistung, denn damals gab es kein Sozialamt. Dasselbe kann man zur Partnervermittlung wohl nicht sagen, denn einen Partner kann man bekanntlich nicht auf Unterhalt verklagen.
Vielen Dank für den hilfreichen Beitrag! Er ist mE in einem Punkt allerdings unzutreffend: Zwar ist keine Ausnahme vom Widerrufsrecht gem. § 312g Abs. 2 BGB einschlägig, dennoch dürfte das Widerrufsrecht in den meisten Fällen nach § 356 Abs. 4 Satz 1 BGB erlöschen. Sollte dies ausnahmsweise nicht der Fall sein, so richtet sich der Erstattungsanspruch des Portalbetreibers nach § 357 Abs. 8 BGB. § 357 BGB n.F. regelt seit Inkrafttreten der VRRL die Rückabwicklung von Fernabsatzverträgen abschließend, ein Verweis auf § 346 BGB ist somit unzulässig.
Moin! Gerade eben einen Fall aus dem Repetitorium bearbeitet: Auf § 627 BGB ist § 628 I S. 3 BGB anwendbar, weswegen man bei Kündigung unabhängig vom Widerruf, der sowieso neu geregelt wurde, auf §§ 346 ff. BGB kommt. Darüber kann im Voraus Geleistetes zurückverlangt werden, wenn die Lösung stimmt.
Neben § 656 BGB ist der Inhalt des so genannten Vetrages gar nicht klar. U. a. gibt es noch nicht einmal im Duden ein Begriff „Parshippen“. Sinnfreie Buchstabenketten können nicht zum Subjekt der Vertragspflichten werden, weil sie gar nicht definiert sind.
Ein Kontaktsuchender kann erkennbar einen Erfolg bei der Partnersuche als Vertragszweck mit vereinbart haben wollen. In Betracht kann damit grundsätzlich jedenfalls zudem noch ein Rücktrittsrecht bei Zweckverfehlung kommen. Zweckverfehlung kann bei Aufgabe weiterer bislang erfolgloser Suche vorliegen. Dies kann unverschuldet sein, soweit zuvor hinreichend vergeblich gesucht war, so dass weitere Suche nicht mehr verpflichtend sein kann o.ä.
Es kann nur beidseitiger Leistungsaustausch mit Untergang der Leistung auf einer Seite vorliegen. Fraglich kann noch sein, inwieweit dabei ohne weiteres klar einseitig Leistungen auf der anderen Seite zurückzufordern sein können?