Wie weit reicht die Betriebsgefahr eines Kfz in zeitlicher Hinsicht? Mit dieser für die Halterhaftung und damit für die Praxis überragend wichtigen Frage hatte sich der BGH jüngst zu befassen. Da grundlegende Auslegungsschwierigkeiten zu § 7 Abs. 1 StVG äußerst selten in Karlsruhe geklärt werden, StVG-Ansprüche sich problemlos in das allgemeine deliktische Haftungsregime einfügen und überdies gerne als Zusatzproblem in Examensklausuren eingebaut werden, lohnt sich ein Blick auf die wichtigsten Erwägungen des VI. Senats.
I. Sachverhalt (vereinfacht)
Reduziert man den Sachverhalt auf das Wesentliche, stellt er sich wie folgt dar: Ein bei einem Verkehrsunfall erheblich beschädigtes Fahrzeug wurde von einem Abschleppdienst in eine Werkstatt verbracht, wo ein Mitarbeiter der Werkstatt vergaß, die Batterie abzuklemmen. Eineinhalb Tage nach dem Unfall ging das Fahrzeug in Folge eines Kurzschlusses, der auf den durch den Halter selbstverschuldeten Unfall zurückgeführt werden konnte, in Flammen auf. Der so entstandene, großflächige Brand beschädigte große Teile des Werkstattgeländes sowie angrenzende Wohngebäude. Der Inhaber der Werkstatt verlangt nun vom Halter des Unfallfahrzeugs materiellen Schadensersatz gemäß § 7 Abs. 1 StVG.
II. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 26.03.2019 – VI ZR 236/18, BeckRS 2019, 9268)
Alle relevanten Rechtsprobleme drehen sich mithin um die Frage, ob der eineinhalb Tage nach dem Verkehrsunfall eingetretene Schaden „bei Betrieb eines Kfz“ im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG erfolgt ist. Der BGH legt dieses Tatbestandsmerkmal seit jeher weit aus. Es muss – kurzgesagt – eine wertende Betrachtung erfolgen, die den Schutzzweck der Gefährdungshaftung berücksichtigt, sodass im Ergebnis alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten oder durch das Kraftfahrzeug mitgeprägten Schadensabläufe erfasst werden. Dazu der BGH (Rn. 8):
„Erforderlich ist […] stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist […]. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht […].“
Wendet man eben diese Erwägungen auf die vorliegende Fallkonstellation an, ergibt sich ein klares rechtliches Bild:
Der Kurzschluss war nach den Feststellungen der Vorinstanzen unmittelbar auf das Unfallgeschehen zurückzuführen. Ist dies der Fall, kann es keine Rolle spielen, dass sich der Folgeschaden, hier der Brand auf dem Werkstattgelände, der auch auf die umliegenden Wohnhäuser übergriff, erst eineinhalb Tage später realisiert, soweit die einmal geschaffene Gefahrenlage fort- bzw. nachwirkt. Und genau so liegt es hier, da der Kurzschluss und damit auch der Brandschaden eben unmittelbar durch den Fahrbetrieb hervorgerufen wurden. Denn: Fahrzeuge sind nicht vollends kontrollierbare, aber dennoch erlaubte Gefahrquellen, was auch der Grund für die weitreichende Gefährdungshaftung des § 7 Abs. 1 StVG ist und dazu führt, dass im Zweifel der Halter für daraus resultierende Schäden haften soll.
Gleichwohl könnte der für die Kausalität notwendige Zurechnungszusammenhang dadurch unterbrochen worden sein, dass ein Mitarbeiter des geschädigten Werkstattinhabers in sorgfaltswidriger und damit fahrlässiger Weise vergessen hatte, die Batterie des Fahrzeugs abzuklemmen, und damit dazwischengetreten sein könnte. So hatte es noch das Berufsgericht gesehen (OLG Celle, Urt. v. 03.05.2018 – 5 U 132/17, juris). Das Dazwischentreten eines Dritten lässt den Zurechnungszusammenhang – das stellt der BGH abermals klar – indes nur dann entfallen, wenn damit vernünftigerweise nicht gerechnet werden konnte, sodass die Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch den Zweitschädiger keine unbillige Entlastung des Erstschädigers darstellt. Andersherum formuliert geht es um Fälle, in denen der Zweitschaden durch den Erstschädiger herausgefordert wurde, der Erstschädiger also vernünftigerweise damit hätte rechnen können, dass der Zweitschaden eintritt, sodass eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs nicht sachgemäß erscheint. Nur bei zufälligen Zusammenhängen kann dem Erstschädiger die Zurechnung des Zweiteingriffs nicht mehr zugemutet werden. Der BGH drückt dies freilich komplizierter, dafür aber auch exakter aus (Rn. 12):
„Hat sich aus dieser Sicht im Zweiteingriff nicht mehr das Schadensrisiko des Ersteingriffs verwirklicht, war dieses Risiko vielmehr schon gänzlich abgeklungen und besteht deshalb zwischen beiden Eingriffen bei wertender Betrachtung nur ein „äußerlicher“, gleichsam „zufälliger“ Zusammenhang, dann kann vom Erstschädiger billigerweise nicht verlangt werden, dem Geschädigten auch für die Folgen des Zweiteingriffs einstehen zu müsse […]. Allein ein – auch grob fahrlässiger – Sorgfaltspflichtverstoß des hinzutretenden Dritten reicht hierfür jedoch in der Regel nicht […].“
Demnach wurde der Zurechnungszusammenhang durch das pflichtwidrig unterlassene Abklemmen der Batterie gerade nicht unterbrochen. Das OLG Celle hatte noch argumentiert, dass spätestens in dem Moment, in dem das Fahrzeug endgültig in einer Werkstatt gesichert werde, der Zurechnungszusammenhang enden müsse und dies erst Recht dann gelte, wenn der Schaden durch einen Dritten herbeigeführt werde. Dem folgt der VI. Senat des BGH jedoch nicht, insbesondere deshalb, da es darauf nicht ankommen könne, schließlich sei das vergessene Abklemmen der Batterie nicht so ungewöhnlich, dass nicht damit gerechnet werden könne. Das sei der alleinige Maßstab.
An dieser Stelle kommt bei genauerem Hinsehen eine Wertung zum Ausdruck, die sich in der Rechtsprechung des BGH des Öfteren wiederfindet: Der BGH bejaht lieber die Haftung und nimmt dann auf Ebene des Schadensumfangs ein (selbst im Umfang äußerst hohes) Mitverschulden an, als die Haftung gänzlich entfallen zu lassen – wohl, um so sachgerechtere, billigere Ergebnisse und damit Einzelfallgerechtigkeit herstellen zu können.
Im Ergebnis bejahte der BGH deshalb eine Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG, reduzierte den Haftungsumfang nach § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB aber um 40 % wegen der fehlenden Sicherungsmaßnahmen durch den Mitarbeiter des Werkstattinhabers.
III. Fazit: Im Zweifel Halterhaftung bejahen und Haftungsumfang reduzieren
Die Entscheidung lehrt, dass das für die Gefährdungshaftung aus § 7 Abs. 1 StVG konstituierende Merkmal der Betriebsgefahr extensiv zu interpretieren ist, und zwar nicht nur im Sinne der verkehrstechnischen Auffassung inhaltlich, sondern auch zeitlich, soweit nur die durch das Fahrzeug geschaffene Gefahrenquelle bei einem später eintretenden Folgeschaden fortwirkt. Der hierfür notwendige Zurechnungszusammenhang wird durch einen dazwischentretenden Dritten nur selten unterbrochen; einen hierbei etwaig zu berücksichtigenden Sorgfaltspflichtverstoß führt man also besser auf Ebene des Mitverschuldens an, um den Haftungsumfang zu reduzieren.
Auch wenn sich dieses Judikat recht streng liest, trägt es doch dem Umstand Rechnung, dass die Gefahrquelle Kraftfahrzeug – wenn überhaupt – allein vom Fahrzeughalter beherrscht werden kann und er deshalb auch die daraus folgenden Risiken tragen muss. Abgefedert wird dies in der Praxis freilich durch die Kfz-Haftpflichtversicherung des Fahrzeughalters, die auch im vorliegenden Fall dem Gebäudeversicherer des Werkstattinhabers im Prozess entgegentrat, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG.