Der BGH hat am 14.1.2016 – VII ZR 271/14 ein besonders examensrelevantes Urteil zur Drittschadensliquidation gesprochen. Nicht nur kann die Entscheidung zur Wiederholung der Grundlagen dieses Klausurklassikers genutzt werden, sondern sollte darüber hinaus auch bekannt sein, um die neuesten Entwicklungen auf diesem Gebiet zu kennen.
I. Sachverhalt
Die Klägerin ist Eigentümerin einer Halle, die sie an die A verpachtet hat. Nach dem Pachtvertrag hat die Pächterin alle während der Pachtzeit erforderlichen Ausbesserungen und Erneuerungen rechtzeitig und ordnungsgemäß auszuführen und zu zahlen. Die Verpächterin beauftragt später einen Architekten mit Baumaßnahmen zur Erweiterung des Pachtsobjekts. Der Architekt arbeitet mangelhaft und der Pächter bessert auf Grund seiner pachtvertraglichen Pflicht die Mängel auf eigene Kosten aus.
II. Lösung
Die Klägerin begehrte nun Schadensersatz vom Architekten. Der haftungsbegründende Tatbestand liegt unproblematisch wegen der mangelhaften Leistung vor. Doch ist der Klägerin überhaupt ein Schaden entstanden? Schließlich hat der Pächter die Mängel auf eigene Kosten behoben.
Das OLG Oldenburg ging noch davon aus, dass der Klägerin „in Form der mangelhaften Leistung“ selbst ein Schaden entstanden sei. Dieser sei jedoch durch die vom Pächter vorgenommenen Nachbesserungen im Wege der Vorteilsausgleichung kompensiert worden. Dies ist in zweierlei Hinsicht – so letztlich auch der BGH – fehlerhaft. Zunächst ist die mangelhafte Leistung schon gar kein Schaden, sondern eine Pflichtverletzung. Eine derartige Vermengung wäre in der Klausur sicherlich fatal. Die Vermögenseinbuße liegt nämlich beim auf Grund vertraglicher Verpflichtung nachbessernden Pächter vor. Folglich ist auch die Argumentation zur Vorteilsausgleichung fehlgehend: Wenn schon kein eigener Schaden besteht, kann auch keine Vorteilsausgleichung geprüft werden. Dies macht auch der BGH ganz deutlich:
Im Streitfall geht es nicht um eine nachträgliche Beseitigung oder -verminderung eines bereits eingetretenen Schadens aufgrund eines derartigen vom Ersatzberechtigten geschlossenen Vertrags. Vielmehr hat sich bei der Klägerin unter Berücksichtigung der bereits zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses bestehenden Vereinbarung in § 5 des Pachtvertrags vom 5. September 1991 hinsichtlich der Sanierungskosten von vornherein keine Vermögenseinbuße verwirklicht.
Der BGH verneint daher das Vorliegen eines eigenen Schadens und geht zur Prüfung der Drittschadensliquidation über. Der Obersatz ist hierbei geradezu schulbuchmäßig:
Aufgrund einer Vertragspflichtverletzung kann der Vertragspartner den daraus entstehenden Schaden grundsätzlich nur insoweit geltend machen, als er bei ihm selbst eingetreten ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 1997 – IX ZR 41/97, NJW 1998, 1864, 1865, juris Rn. 6). In besonders gelagerten Fällen lässt die Rechtsprechung allerdings eine Drittschadensliquidation zu, bei der der Vertragspartner den Schaden geltend machen kann, der bei dem Dritten eingetreten ist, der selbst keinen Anspruch gegen den Schädiger hat. Für die Zulassung einer Drittschadensliquidation ist der Gesichtspunkt maßgebend, dass der Schädiger keinen Vorteil daraus ziehen soll, wenn ein Schaden, der eigentlich bei dem Vertragspartner eintreten müsste, zufällig aufgrund eines zu dem Dritten bestehenden Rechtsverhältnisses auf diesen verlagert ist. Die Anwendung der Grundsätze der Drittschadensliquidation scheidet aus, wenn die Drittschadensliquidation zu einer dem allgemeinen Vertragsrecht widersprechenden Schadenshäufung führen würde.
Üblicherweise – und für die Klausur auch empfehlenswert – folgen dann Ausführungen zu den klassischen Fallgruppen der Drittschadensliquidation (s. unseren Grundlagenbeitrag). Im vorliegenden Fall rekurriert der BGH maßgeblich auf die zufällige Schadensverlagerung auf Grund vertraglicher Vereinbarung von Geschädigtem und Anspruchsinhaber. Dies könnte eine deutliche Erweiterung der Anwendung der Drittschadensliquidation bedeuten, ist aber sicherlich richtig: Fallgruppen bilden typische Konstellationen ab, ohne hierbei abschließend zu sein. Letztlich ist die Drittschadensliquidation ein wertendes Instrument: Die Drittschadensliquidation soll dem BGH zufolge nur verhindern, dass dem Schädiger durch vertragliche Vereinbarungen zwischen dem Geschädigten und einem Dritten, die den Schaden vom Geschädigten auf den Dritten verlagern, ein ungerechtfertigter Vorteil entsteht.
Besonders aufmerksame Prüflinge könnten dann noch das Problem der Schadenshäufung ansprechen. Das Institut der Drittschadensliquidation darf nicht zu einer dem allgemeinen Vertragsrecht widersprechenden Vermehrung von Anspruchsgegner führen – anders als der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, bei welchem gerade ein weiterer Gläubiger generiert wird. Der BGH führt hierzu aus:
Eine die Zulässigkeit der Drittschadensliquidation hindernde Schadenshäufung kann im Streitfall entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht mit der Erwägung angenommen werden, dass bei der Klägerin ein Schaden in Form der von dem Architekten N. schuldhaft verursachten Mängel des Architektenwerks eingetreten sei. Denn um den Ersatz eines solchen Schadens geht es bei dem Schadensersatzbegehren der Klägerin nicht. Dieses bezieht sich nur auf die entstandenen Sanierungskosten, bei denen es sich um Folgeschäden der von dem Architekten N. schuldhaft verursachten Mängel des Architektenwerks handelt und aus denen eine Vermögenseinbuße lediglich bei der A. GmbH & Co. KG resultiert.
Zudem weist der BGH noch darauf hin, dass eine Versagung der Zahlung an den (ohne die Schadensverlagerung) nicht geschädigten Verpächter nur unter engen Grenzen in Betracht kommt:
Bei einer Drittschadensliquidation, bei der der nach dem Vertrag Ersatzberechtigte Leistung an sich verlangt, ist es dessen Sache, die grundsätzlich den Schädiger nichts angeht, die Ersatzleistung an den geschädigten Dritten weiterzuleiten (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 1997 – IX ZR 41/97, NJW 1998, 1864, 1865, juris Rn. 7). Nur wenn feststeht, dass der geschädigte Dritte tatsächlich nichts davon erhalten würde, ist es gerechtfertigt, den Anspruch zu versagen. Das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls ist vom Schädiger zu beweisen (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 1997 – IX ZR 41/97, aaO).
III. Fazit
Ein toller Fall fürs Examen – Durcharbeiten lohnt sich!