Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Tobias veröffentlichen zu können. Tobias studiert Jura im achten Semester an der HU Berlin.
„Die gekaufte Braut“ – zivilrechtliche Probleme eines absurden Falles
Nicht nur in Berlin schlägt derzeit der Fall einer „gekauften Braut“ hohe Wellen. Wegen seiner – teilweise ernstzunehmenden – zivilrechtlichen Probleme vor allem aus dem Schuld- und Bereicherungsrecht sowie AT eignet er sich vor allem für eine aktuelle Nachfrage in der mündlichen Examensprüfung. Hier sollen deshalb einige Aspekte des Falles angedacht werden.
Der Sachverhalt:
Im März 2009 trafen sich die Eltern des 19-jährigen A und der 14-jährigen S in Berlin, um über die Zukunft ihrer Kinder zu verhandeln. Der A wollte die S heiraten, S wollte das zu dieser Zeit auch. Die Familien einigten sich nach längeren Verhandlungen darauf, dass die S den A nach islamischem Recht heiratet und die Eltern der S dafür der Familie des A insgesamt 15500 Euro bezahlen. Die Ausübung des Sorgerechts für S übertrugen ihre Eltern an A’s Familie. Dieser „Kaufpreis“ von 15500 Euro kam nach längeren Verhandlungen zustande. Ein Jahr nach der Heirat, im März 2010, floh die S, inzwischen schwanger, zurück zu ihrer Familie. A’s Vater möchte die15500 Euro zurück.
Aus diesem Sachverhalt ergeben sich vielfältige Rechtsprobleme, von denen nur eine Auswahl hier angesprochen werden soll. Etwaige strafrechtliche Fragen bleiben außer Betracht.
A.) Zustandekommen eines wirksamen Vertrages zwischen den Familien von Aund S?
Die Parteien haben hier einen gegenseitig verpflichtenden Vertrag zunächst einmal geschlossen. Die in der Presse kursierende Bezeichnung als „Kauf“ ist juristisch unhaltbar, da § 433 von „Sachen“ spricht. In Betracht kommt allerdings ein atypischer Vertrag nach § 311 I.
Grundsätzlich besteht für Verträge Inhaltsfreiheit, dh die Parteien sind nicht an bestimmte Vorgaben gebunden. (Prütting/Wegen/Weinreich § 311 Rn. 15). Hier könnte ein Vertrag geschlossen worden sein, der die eine Seite zur Übertragung des Sorgerechts an die Familie des A nach § 1626 im Wege der Verfügung verpflichtet sowie die andere Seite zur Zahlung von 15500 Euro. Dieser Vertrag war so von beiden Seiten gewollt und ist zunächst einmal durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen geschlossen worden. Fraglich ist allerdings, ob die Abrede Bestand haben kann, oder ob Nichtigkeit eintritt. In Betracht kommen hier ein gesetzliches Verbot gem. § 134 BGB und die Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB.
Zunächst dürfte § 134 ausscheiden. In Betracht kommt hier nur ein Verbot der Übertragung des Sorgerechts. Zwar ist die elterliche Sorge für ein Kind als höchstpersönliches Recht der Eltern nicht an sich übertragbar (Palandt/Diederichsen § 1626 Rn. 2). Allerdings kann die reine Ausübung durchaus an Verwandte, Schule, Internat und Pflegeeltern übertragen werden.
Diskutiert werden muss – nachdem der speziellere § 134 (BGH NJW 83, 869f) abgelehnt wurde – allerdings ein Verstoß des Vertrages gegen die guten Sitten, § 138. Beachtet werden muss insoweit, dass eine vertragliche Verpflichtung, zu heiraten, auf jeden Fall sittenwidrig ist, da ein höchstpersönliches Recht in Frage steht. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Es geht „lediglich“ um die Sorgerechtsübertragung gegen Geld.
Nicht einschlägig ist § 138 II, da keines der Tatbestandsmerkmale vorliegt. Für § 138 I ist erforderlich, dass das Rechtsgeschäft dem „Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden“ widerspricht (BGHZ 10, 232) Abzustellen ist dabei – objektiv – auf die grundlegenden Wertvorstellungen, die sowohl auf rechtlichen als auch außerrechtlichen Prinzipien basieren können (Larenz/Wolf § 41 Rn 12). In dieser Argumentation dürfte der Schwerpunkt des Falles liegen. Heranzuziehen sind ua die Wertordnung des Grundgesetzes, einfachgesetzliche Entscheidungen und der ordre public. Auf der einen Seite ist die Übertragung der Ausübung des Sorgerechts einfachgesetzlich erlaubt. Allerdings ist damit nur das Verfügungsgeschäft angesprochen. Die Verpflichtung, im Gegenzug Geld für das Sorgerecht zu zahlen, um eine Eheschließung nach islamischem Recht zu ermöglichen, dürfte mit Blick auf den Zweck den gesamten Vertrag erfassen und als sittenwidrig erscheinen lassen. Das Grundgesetz billigt zwar in Art. 4 I GG die Religionsfreiheit grundsäzlich zu, missbilligt aber ausdrücklich den Verkauf eines Rechtes, das nach Art. 6 I GG den Eltern zusteht – und auch die „zuförderst ihnen obliegende Pflicht“ ist (Art.6 II GG). Damit verstößt der Vertrag gegendie guten Sitten und ist nichtig.
B.) Bekommt die Familie des A die 15500 Euro zurück?
Zu denken ist hier vor allem an einen bereicherungsrechtlichen Anspruch der § 812 ff. In Betracht kommt § 812 I S. Fall 1. Der Rechtsgrund ist nicht später weggefallen ( § 812 I S. 2 F. 1) und auch eine besondere Zweckvereinbarung ( § 812 I 2 F. 2) ist nicht ersichtlich.
A’s Familie hat geleistet und S’s Familie hat das Eigentum an 155000 Euro erlangt. Dies müsste ohne Rechtsgrund geschehen sein, was durch die Sittenwidrigkeit des Verpflichtungsgeschäftes der Fall ist.
Allerdings liegt ein weiterer Schwerpunkt hier darin, dass die Rückforderung gem. § 817 S.2 BGB ausgeschlossen sein könnte. Demnach ist die Rückforderung der Leistung ausgeschlossen, wenn dem Leistenden auch ein Sittenverstoß zur Last fällt. Die hM will den S. 2 generell anwenden und nicht nur in Bezug auf § 817 S. 1 (BGH NJW 05, 1490). Umstritten ist weiterhin, ob der Leistende auch subjektive Kenntnis vomSittenverstoß haben muss. Vom BGH wird das bejaht (BGH NJW 83, 1420). So stellt sich hier die schwierige (Beweis)-Frage nach dem Kenntnishorizont des Leistenden. Im Falle der Kenntnis der Sittenwidrigkeit ist eine Rückforderung der 15500 Euro ausgeschlossen.
C.) Kann A gerichtlich erreichen, dass die S zu ihm zurückkommt?
Diese beliebte Frage fand ihre Antwort lange in § 888 ZPO. Dort sind die nicht vertretbaren Handlungen geregelt. Bis 2009 fand sich in § 888 Abs. 3der Hinweis, das keine Vollstreckung zur Herstellung des ehelichen Lebens stattfindet. 2009 wurde dieser Absatz III – mangels praktischer Bedeutung – ersatzlos gestrichen. Bleibt abzuwarten, ob das nicht doch etwas voreilig war.
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