Körperverletzungsdelikte, gerade auch die Qualifikationen des § 224 StGB sind ein Dauerbrenner im Examen, sodass ihre Beherrschung und die Kenntnis aktueller Rechtsprechung essentielle Voraussetzung für eine gute Bearbeitung der Strafrechtsklausur im ersten Examen sind. Im vorliegenden Fall hat das OLG Karlsruhe (Beschl. v. 16.3.2022 – 1 Ws 47/22, BeckRS 2022, 6692) sich inhaltlich mit der Frage beschäftigt, ob medizinische Instrumente gefährliche Werkzeuge im Sinne des § 224 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 StGB sein können.
I. Sachverhalt (leicht abgewandelt und gekürzt)
Der Angeklagte Z ist als Zahnarzt tätig. In einer Zeitspanne von ca. vier Jahren hat er, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, in 33 Fällen seinen Patient:innen Zähne gezogen, obwohl es hinreichend aussichtsreiche Behandlungsalternativen gab. Dennoch hatte er die Extraktion der Zähne als zwingend notwendig empfohlen, weshalb die betroffenen Patient:innen ihm vertraut und der Behandlung zugestimmt haben. Die Eingriffe wurden im Übrigen sachgerecht und mit den notwendigen ärztlichen Instrumenten durchgeführt. Dennoch steht fest, dass die Patient:innen bei angemessener und richtiger Aufklärung über Behandlungsalternativen diesen den Vorzug gegeben hätten, um die Zähne zu erhalten. Z wollte damit erreichen, dass seine Patient:innen zur weiteren Behandlung von ihm mit Zahnersatz versorgt würden, was für ihn größere Erträge bedeutet.
II. Rechtliche Ausführungen
1. Das OLG Karlsruhe hatte nun über die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft zu entscheiden, die sie in Bezug auf die Ablehnung der Hauptverfahrenseröffnung durch das LG Karlsruhe eingelegt hatte. Wegen der etwaigen Verfolgungsverjährung einiger der dem Z vorgeworfenen Taten kam es hier entscheidend darauf an, ob es sich lediglich um einfache Körperverletzungen gem. § 223 Abs. 1 StGB oder gefährliche Körperverletzungen gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB handelte, für die eine Verjährungsfrist von zehn Jahren angesetzt ist, vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB.
Das OLG Karlsruhe entschied, dass die dem Z vorgeworfenen Taten als gefährliche Körperverletzung gem. §§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, 53 StGB zu qualifizieren sind. Dreh- und Angelpunkt ist die Frage, ob es sich bei den medizinischen Instrumenten des Z um gefährliche Werkzeuge handelt.
2. Zur Einordnung als gefährliches Werkzeug, so das OLG Karlsruhe, komme es darauf an, dass dieses nach der Konzeption des § 224 Abs. 2 Nr. 2 StGB nicht mehr wie früher als ein Beispiel für eine Waffe, sondern die Waffe als Unterfall des gefährlichen Werkzeugs einzuordnen sei (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 224 Rn. 9). Daher sei eine Abgrenzung dahingehend auch nicht mehr anhand der Frage vorzunehmen, ob es wie eine Waffe zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken eingesetzt werde (so noch BGH, Urt. v. 23.12.1986 – 1 StR 598/86; Urt. v. 22.2.1978 – 2 StR 372/77). Das OLG Karlsruhe stellt die jetzt maßgeblichen Punkte heraus:
„Vielmehr ist auch bei ärztlichen Instrumenten wie der vorliegend vom Angeklagten verwendeten Instrumente zur Zahnextraktion danach zu fragen, ob der Gegenstand aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit und der Verwendung im konkreten Fall dazu geeignet ist, dem Opfer erhebliche Verletzungen beizubringen.“
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.3.2022 – 1 Ws 47/22, BeckRS 2022, 6692 Rn. 7 m.w.N., Hervorhebung der Verfasserin
Folgend nimmt das Gericht die entsprechende Subsumtion vor: Zunächst erkennt es an, dass die Zahnentfernung zwar aufgrund der örtlichen Betäubung nicht mit Schmerzen verbunden ist. Dennoch seien die auf die Behandlung folgenden Verletzungen und damit einhergehenden Schmerzen und Beeinträchtigungen so gravierend, dass von der Qualifikation als gefährliches Werkzeug auszugehen sei:
„Die vom Angeklagten vorsätzlich ohne medizinische Indikation zur Zahnextraktion verwendeten Instrumente […] führten unmittelbar nach dem Eingriff aber […] nach Trennung der Verbindung zum versorgenden Nerv zu dem unwiederbringlichen Verlust eines Teils des Gebisses sowie zusätzlich zu einer – jedenfalls für die Dauer einiger Tage – offenen Wunde im Mundraum der Patienten. Derartige Eingriffe sind nach Abklingen der lokalen Narkose regelmäßig mit nicht unerheblichen Schmerzen, Beschwerden bei der Nahrungsaufnahme und der Gefahr von Entzündungen verbunden, welche nur durch Einnahme von Tabletten und oralhygienische Maßnahmen gemindert werden können, und zwar insbesondere dann, wenn wie vorliegend nacheinander mehrere Zähne entfernt werden […]. Von sowohl nach ihrer Intensität als auch ihrer Dauer gravierenden Verletzungen im Mundraum der Patienten ist daher auszugehen (vgl. auch BeckOK StGB/Eschelbach StGB, 52. Ed. 01.02.2022, § 224 Rn. 28, 28.4), weshalb in den genannten Fällen der Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Ziff. 2 StGB erfüllt ist […].“
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.3.2022 – 1 Ws 47/22, BeckRS 2022, 6692 Rn. 8; Hervorhebung der Verfasserin
Das OLG stellt daneben heraus, dass es, wenn es um die Einordnung als gefährliche Werkzeuge gehe, auf die Tatsache nicht ankomme, dass Z zum Zeitpunkt der Eingriffe approbierter Zahnarzt und zur sachgerechten Anwendung der Instrumente und Durchführung der Operation in der Lage war sowie die Instrumente auch so angewendet hat.
Im Ergebnis gab das OLG Karlsruhe der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft statt und hob den ablehnenden Beschluss des LG Karlsruhe hinsichtlich der Eröffnung des Hauptverfahrens (teilweise) auf.
III. Summa
Insgesamt handelt es sich hier um einen Fall, der keine großen Überraschungen bietet. Es geht um eine saubere Subsumtion unter die – Jurastudent:innen allgemeinhin bekannte – Definition des gefährlichen Werkzeugs. Dabei ist zu beachten, dass auch die Folgen der Behandlung mit den medizinischen Instrumenten mitentscheidend sein können. Eine prozessrechtliche Einkleidung wie hier ist für das erste Examen allerdings ungewöhnlich, was jedoch nicht daran hindert, die inhaltlichen Erwägungen des OLG Karlsruhe aufzunehmen.