Das BVerwG hatte vor einigen Tagen eine interessante Frage hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit der Bundespolizei zu klären, bei der sich im Kern das Problem stellte, wo eigentlich ein Bahnhof anfängt (Urteil vom 28.05.2014 – 6 C 4.13).
Zum Sachverhalt
Gegenstand des Verfahrens vor dem BVerwG war die Klage eines Rentners, der sich im Juni 2011 mit mehreren Jugendlichen an der Bahnhofstreppe auf dem Bahnhofsvorplatz in Trier aufgehalten hatte. Dort war er von Beamten der Bundespolizei aufgrund des Verdachts des Drogenhandels kontrolliert worden. Dabei verlangten die Beamten nicht nur die Herausgabe des Ausweises zwecks Feststellung und Klärung der Identität, sondern glichen die Daten per Funk auch noch mit einer polizeilichen Datenbank ab, wobei sich schließlich herausstellte, dass der Betroffene bislang noch nicht polizeilich bekannt war. Das Verwaltungsgericht Trier stellte auf die Klage des Betroffenen hin, die Rechtswidrigkeit der Maßnahme fest, und bemängelte dabei die fehlende Zuständigkeit der Bundespolizei für Kontrollen auf dem Bahnhofsvorplatz. Die übergeordnete Instanz, das Oberverwaltungsgericht Koblenz, entschied den Rechtsstreit hingegen gegenteilig und ging demgegenüber davon aus, dass die Bundespolizei für eine derartige Kontrolle zuständig gewesen sei.
Rechtliche Problematik
Als Ermächtigungsgrundlage für die Aushändigung und die anschließende Durchsicht der Ausweispapiere durch die Beamten der Bundespolizei haben die Gerichte auf § 23 I Nr. 1 BPolG abgestellt, der die Bundespolizei zur Identitätsfeststellung zur Abwehr einer Gefahr ermächtigt. Auf der materiell-rechtlichen Ebene stellen sich dabei zuvörderst Fragen hinsichtlich der Definition des polizeilichen Gefahrenbegriffs, insbesondere die Abgrenzung von Anscheinsgefahr und Gefahrenverdacht.
Zuvor ist jedoch zu klären, ob eine derartige Kontrolle auf dem Bahnhofsvorplatz überhaupt in den sachlichen Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei fällt. So kommt hier allein die sonderpolizeiliche Zuständigkeit der Bundespolizei als Bahnpolizei in Betracht, die gemäß § 3 I Nr.1 BPolG die Aufgabe hat, Gefahren für die Öffentliche Sicherheit oder Ordnung auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahn des Bundes abzuwehren, die den Benutzern, den Anlagen oder dem Betrieb der Bahn drohen. Maßgeblich für die Klärung der Frage nach der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Beamten ist mithin die Auslegung des Begriffs der Bahnanlage und die Frage, ob davon auch der Bahnhofsvorplatz in Form des Treppenaufgangs erfasst ist.
Der Begriff der Bahnanlagen ist dabei in § 4 I 1 EBO definiert und umfasst alle Grundstücke, Bauwerke und sonstige Einrichtungen einer Eisenbahn, die unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zur Abwicklung oder Sicherung des Reise- oder Güterverkehrs auf der Schiene erforderlich sind. Gemäß § 4 I 2 EBO gehören dazu auch Nebenbetriebsanlagen sowie sonstige Anlagen einer Eisenbahn, die das Be- und Entladen sowie den Zu- und Abgang ermöglichen oder fördern. Nach bisheriger Rechtsprechung kommt es für die Einordnung als Bahnanlage nach Maßgabe der Definition des § 4 EBO auf die Verkehrsfunktion der Anlage und den Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb, unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse an. Die Einordnung des Bahnhofsvorplatzes ist dabei bislang jedoch unklar:
1. Das OVG Koblenz geht unter Berücksichtigung des Wortlauts von § 4 I 2 EBO davon aus, dass der Bahnhofsplatz insoweit als Bahnanlage anzusehen ist, wie er den Zugang oder den Abgang fördert. Da die EBO durch § 4 I 2 eine Ergänzung erfahren habe, könne nicht mehr allein auf den Bezug zur schienengebundenen Transportleistung abgestellt werden. Vielmehr seien die Verkehrsfunktion und der räumliche Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb, die maßgeblichen Kriterien für die Einordnung als Bahnanlage. Das OVG kommt dann unter Anwendung dieser Grundsätze zu dem Ergebnis, dass jedoch nicht der gesamte Bahnhofsvorplatz als Bahnanlage einzuordnen sei, sondern vielmehr nur der Teil, der in unmittelbarer Nähe des Eingangs zur Bahnhofshalle liegt. Hauptargument ist dabei die Tatsache, dass nur bei Personen die sich in diesem Bereich aufhalten, regelmässig davon ausgegangen werden könne, dass sie auf dem Weg zu oder von dem Bahnhof seien (vgl. OVG Koblenz, Urteil v. 24.01.2013 – 7 A 10816/12. OVG Rn. 27). Eine Kontrolle der Bundespolizei unmittelbar an der Bahnhofstreppe auf dem Bahnhofsvorplatz fällt nach dieser Ansicht somit in deren Zuständigkeitsbereich nach § 3 BPolG.
2. Demgegenüber ordnet das BVerwG den Bahnhofsvorplatz nicht als Bahnanlage im Sinne des § 4 I EBO ein. Entgegen der Rechtsprechung des OVG verfolgt es bei der Begriffsbestimmung einen restriktiveren Ansatz, der durch einen stärkeren Bezug zum Bahnverkehr geprägt ist. So sollen nur solche Flächen im Vorfeld eines Bahnhofs als Bahnanlage einzustufen sein,
bei denen objektive, äußerlich klar erkennbare, d.h. räumlich präzise fixierbare, Anhaltspunkte ihre überwiegende Zuordnung zum Bahnverkehr im Unterschied zum Allgemeinverkehr belegen.
Das BVerwG schließt sich somit der Auffassung des VG Trier an, dass bereits davon ausgegangen war, dass § 3 BPolG die Zuständigkeit der Bundespolizei begrenzen wolle und daher auch restriktiv auszulegen sei. Ziel sei es allein alle Fahrgäste im Transportmittel Bahn und alle potentiellen Benutzer, also solche, die sich unmittelbar auf dem Weg dorthin befinden oder Tätigkeiten im Zusammenhang mit einem geplanten oder durchgeführten Bahntransport verrichten (Abholung und Aufgabe von Reisegepäck, Kauf von Fahrkarten, Inanspruchnahme von Serviceleistungen, Feststellung von Reiseverbindungen, Kauf von Reiseproviant), zu erfassen (vgl. Drewes/ Malmberg/Walter, Bundespolizeigesetz, § 3 Rn.23). Der Pressemitteilung des BVerwG lässt sich entnehmen, dass die Richter erhebliche Zweifel daran hatten, dem Bahnhofsvorplatz eine erkennbare Zuordnung zum Bahnverkehr zu entnehmen. Vielmehr sei seine Benutzung insbesondere auch durch den Allgemeinverkehr geprägt, sie erfasst somit nicht allein Fahrgäste und potentielle Benutzer des Transportmittels Bahn. Dem schließt sich auch die Kommentarliteratur an, die darauf hinweist, dass der Bahnhofsvorplatz gerade nicht zur Abwicklung des Schienen- und Reiseverkehrs erforderlich sei, und somit auch nicht als Bahnanlage eingeordnet werden könne (Drewes/Malmberg/Walter, Bundespolizeigesetz, § 3 Rn. 26).
Schlussbetrachtung
Das BVerwG hat die Zuständigkeit der Bundespolizei als Bahnpolizei durch das Urteil begrenzt und ihr einen „Platzverweis“ für den Bahnhofsvorplatz ausgesprochen. Für Kontrollen auf dem Bahnhofsvorplatz ist mithin die Landespolizei zuständig, während die Bundespolizei als Bahnpolizei nur „auf dem Gebiet“ der Bahnanlagen tätig sein darf. Dazu gehören nach Ansicht des erkennenden Senats unter anderem Treppen, Vordächer, Fußgängertunnel und -überführungen, die direkt zum Bahnhof führen. Zwar erscheint die fehlende Zuständigkeit der Bahnpolizei für den Bahnhofsvorplatz in praktischer Hinsicht sehr formal, jedoch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass § 4 EBO gerade auf die Betriebsfunktion bzw. die Betriebsbezogenheit abstellt, die beim Bahnhofsvorplatz für den Schienen- und Reiseverkehr gerade nicht im Vordergrund steht.