In einer aktuellen Entscheidung des OLG Hamm vom 29.05.2013 (12 U 178/12) ging es einmal mehr um einen „gescheiterten“ Pferdekauf. Das Gericht hatte sich mit der Frage zu befassen, ob die Käuferin (K) eines Pferdes, das unter hochgradiger Arthrose eines Hufgelenks leidet, Schadensersatzansprüche (insgesamt 18.123,48 €) gegen den Tierarzt (T) geltend machen kann, der vor Abschluss des Kaufvertrags in einer allein durch den Verkäufer (V) in Auftrag gegebenen Ankaufuntersuchung Anhaltspunkte für erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen verneint hatte. Die in den Vertrag zwischen V und T einbezogenen AGB des Tierarztes sahen dabei einen Haftungsausschluss gegenüber im Vertrag namentlich nicht genannter Dritter vor.
A. Falllösung
I. Eigene vertragliche Ansprüche der Klägerin
Methodisch sauber kann man zunächst kurz feststellen, dass Ansprüche der K gegen T aus einem eigens von ihr geschlossenen Ankaufuntersuchungsvertrag nicht in Betracht kommen. Ausweislich des Sachverhalts wurde der Auftrag für die Ankaufuntersuchung nämlich allein durch V erteilt. Anhaltspunkte für eine Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB) der K durch V mit der Folge, dass dessen auf den Vertragsschluss abgegebene Willenserklärung unmittelbar für und gegen K wirkt (§ 164 Abs. 1 Satz 1 BGB), existieren ebenfalls nicht:
Gewährleistungsansprüche als Vertragspartner des Beklagten scheiden deshalb aus, weil der Zeuge C2 im eigenen Namen und nicht als Vertreter der Klägerin den Vertrag mit dem Beklagten geschlossen hat. Das ergibt sich nicht nur aus der Aussage des Zeugen, sondern auch schon aus dem Vertrag selbst, in dem der Zeuge als Auftraggeber und die Klägerin nicht einmal namentlich erwähnt ist. Dass in erster Linie sie an einer korrekten Ermittlung des Gesundheitszustandes des Pferdes interessiert ist, ist für die Frage, wer Vertragspartner geworden ist, nicht von Belang.
II. Eigenhaftung Dritter
Eine Inanspruchnahme des T kommt vor diesem Hintergrund grundsätzlich noch über § 311 Abs. 3 BGB oder über eine Einbeziehung der K in den Schutzbereich des Unersuchungsvertrages zwischen V und T nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSD) in Betracht.
1. Anspruch K gegen T aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB
Ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB setzt zunächst ein Schuldverhältnis voraus. Nach § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB kann ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst (§ 311 Abs. 3 Satz 2 BGB).
Zum Hintergrund: § 311 Abs. 3 BGB sollte die Haftung Dritter wegen Verschuldens beim Vertragsschluss (c.i.c.) gesetzlich verankern. Die in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB beispielhaft genannte Inanspruchnahme besonderen (d.h. über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehenden) Vertrauens ist dabei nur ein denkbarer Anwendungsfall. Daneben gibt es weitere Fallgruppen der Haftung Dritter, deren dogmatische Einordnung nicht abschließend geklärt wird. Hierzu zählt die Inanspruchnahme wegen wirtschaftlichen Eigeninteresses (etwa des Gesellschafters der vertragsschließenden GmbH) und die sog. Sachwalterhaftung. § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB ist insoweit auch nicht abschließend formuliert („insbesondere“), so dass auch die Fallgruppe des wirschaftlichen Eigeninteresses hierunter fallen dürfte (siehe etwa Palandt, 71. Aufl. 2012, Rn. 60 f.). Im Hinblick auf die Sachwalterhaftung (verstanden als „Haftung von Sachverständigen oder anderen Auskunftspersonen, die nicht selbst ein Eigeninteresse an einem Abschluss des Vertrags haben, dennoch aber durch ihre Äußerungen entscheidend zum Vertragsabschluss beitragen, weil sich ein Verhandlungspartner auf ihre Objektivität und Neutralität verlässt“, siehe BT-Drucks. 14/6040, S. 163), soll nach Ansicht des Gesetzgebers eine Lösung über § 311 Abs. 3 BGB zumindest „auch“ möglich sein (BT-Drucks. 14/6040, aaO). Dieser Aussage haben sich große Teile der Literatur angeschlossen (siehe zum Meinungsstand etwa Emmerich, in: Münchener Kommentar BGB § 311, Rn. 197). Die Rechtsprechung erörtert Fragen der Sachwalterhaftung bislang gleichwohl überwiegend im Rahmen des VSD (siehe etwa zur Schutzwirkungen eines Gutachtenauftrags zur Grundstückswertermittlung, BGH, NJW 2004, 3035, 3036). Der BGH hat eine Subsumtion unter §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 BGB zuletzt aber zumindest auch nicht verneint (BGH, NJW-RR 2011, 462, 463).
Das OLG Hamm lehnt im vorliegenden Fall eine Haftung des T aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 BGB mangels wirtschaftlichen Eigeninteresses kategorisch ab:
Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 311 Abs. 3 BGB. Danach haftet ein Dritter, dessen Verhalten die Entscheidung für den Vertragsschluss beeinflusst hat, nur dann, wenn er ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Vertragsschluss hat. Die Haftung des Gutachters für ein unrichtiges Gutachten ergibt sich nicht aus § 311 Abs. 3 BGB, sondern weiterhin aus den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.
2. Anspruch K gegen T aus § 280 Abs. 1 in Verbindung mit dem Untersuchungsvertrag und den Grundsätzen des VSD
Verortet man die Prüfung mit der Rechtsprechung und dem OLG Hamm nun im Rahmen des VSD, sind die Voraussetzungen dieses Instituts zu prüfen (siehe dazu auch sehr instruktiv hier):
- Leistungsnähe des Dritten
- Erkennbarkeit für den Schuldner
- Einbeziehungsinteresse des Gläubigers
- Schutzbedürftigkei des Dritten
a) Leistungsnähe der K
Leistungsnähe setzt voraus, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der geschuldeten Leistung in Berührung kommt und den Gefahren einer Pflichtverletzung ebenso ausgesetzt ist wie der Gläubiger selbst.
Diese Voraussetzung ist nach Ansicht des OLG erfüllt:
An einer korrekten Ermittlung des Gesundheitszustandes des Pferdes ist in erster Linie der potentielle Käufer interessiert, der sicher gehen will, dass das Tier nicht krank und seinen Preis wert ist.
b) Erkennbarkeit für den T
Die Drittbezogenheit seiner Leistung muss für den Schuldner erkennbar sein.
Auch insoweit sieht das OLG die Voraussetzungen des VSD als gegeben an:
Auch erscheint dem Senat die Erkennbarkeit der Drittbezogenheit seiner Leistung für den Beklagten schon deshalb eindeutig, weil der schriftliche Vertrag mit „Vertrag einer Kaufuntersuchung eines Pferdes“ überschrieben ist und den Zeugen C2, der von Beruf Pferdehändler ist, als Verkäufer ausweist.
c) Einbeziehungsinteresse des V
Das Einbeziehungsinteresse setzt voraus, dass der Vertragspartner ein eigenes schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrages hat.
Anmerkung: Ausgangspunkt der Rechtsprechung des BGH zum VSD waren Fallgestaltungen, in denen einem Vertragspartner gegenüber Dritten eine gesteigerte Fürsorgepflicht obliegt, ihm also deren „Wohl und Wehe“ anvertraut ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn zwischen Gläubiger und Drittem eine Rechtsbeziehung mit personenrechtlichem Einschlag – ein familienrechtliches, arbeitsrechtliches oder mietvertragliches Verhältnis – besteht. In Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung sind in die Schutzwirkungen eines Vertrages im Wege ergänzender Vertragsauslegung auch Dritte einbezogen worden, wenn der Gläubiger an deren Schutz ein besonderes Interesse hat und wenn Inhalt und Zweck des Vertrages erkennen lassen, dass diesem Interesse Rechnung getragen werden sollte, und die Parteien den Willen hatten, zugunsten dieser Dritten eine Schutzpflicht des Schuldners zu begründen (instruktiv zur Entwicklung der Rechtsprechung: BGH, NJW 2001, 3115, 3116).
Das OLG Hamm legt den Untersuchungsvertrag aus und verneint das Einbeziehungsinteresse des V. Dabei stützt sich das Gericht im Wesentlichen auf zwei Argumente:
Durch den Ausschluss der Haftung gegenüber im Vertrag namentlich nicht genannten Dritten haben die Parteien zum Ausdruck gebracht, dass eine Einbeziehung Dritter nicht gewollt ist:
Nach den in den Vertrag einbezogenen AGB des Beklagten ist dessen Haftung gegenüber im Vertrag namentlich nicht aufgeführten Dritten ausdrücklich ausgeschlossen. Eine solche Haftungsbegrenzung ist rechtlich unbedenklich. Ob und welche Dritte sie in den Schutzbereich des von ihnen geschlossenen Vertrages einbeziehen, unterliegt im Rahmen der Vertragsfreiheit grundsätzlich der freien Disposition der Vertragsschließenden. AGB-rechtliche Bedenken gegen die Zulässigkeit einer entsprechenden Vereinbarung ergeben sich nicht. Durch die Regelung wird nicht die Kardinalpflicht zur Erstellung eines inhaltlich richtigen Gutachtens als solche aufgehoben oder inhaltlich eingeschränkt, sondern lediglich der Kreis derjenigen Personen begrenzt, denen gegenüber gehaftet werden soll.
Daneben billigt das Gericht dem T ein (erkennbares) Interesse an der Beschränkung der Haftung auf seinen Vertragspartner zu, da er andernfalls mit einer nicht kalkulierbaren Haftungsausweitung konfrontiert würde:
Daran, dass die Haftung gegenüber Dritten auf die im Vertrag ausdrücklich benannten Personen beschränkt wird, hat der Beklagte ein schutzwürdiges Interesse. Ohne diese Begrenzung ist er der Gefahr der Inanspruchnahme gegenüber einem nicht überschaubaren Personenkreis ausgesetzt. So ist denkbar, dass das Pferd nach einer Rückabwicklung des ersten Kaufvertrages erneut unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Ankaufsuntersuchung des Beklagten veräußert wird und deshalb mehrere Erwerber Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten geltend machen. Auch kann sich die Konstellation ergeben, dass mehrere Dritte den Beklagten dafür verantwortlich machen, dass sie wegen eines fehlerhaft negativen Untersuchungsbefundes von einem für sie günstigen Kauf Abstand genommen haben.
d) Schutzbedürftigkeit der K
Neben dem fehlenden Einbeziehungsinteresse fehlt es nach Ansicht des Gerichts schließlich auch an der Schutzbedürftigkeit der K, da diese zum einen gegen ihren Vertragspartner V vorgehen kann und sie, sofern Ansprüche gegen den V verjährt sein sollten, für die Verjährung allein verantwortlich ist:
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Zu verneinen ist auch die Schutzbedürftigkeit der Beklagten. Diese entfällt regelmäßig, wenn dem Dritten eigene vertragliche Ansprüche zustehen, die denselben oder zumindest einen gleichwertigen Inhalt haben, wie diejenigen Ansprüche, die ihm bei einer Einbeziehung in den Schutzbereich des Vertrages zuzubilligen wären. Unter diesem Gesichtspunkt hat das OLG Celle (RdL 2010, RDL Jahr 2010 Seite 262-RDL Jahr 2010 263) die Verpflichtung des Dritten angenommen, vorrangig den Verkäufer nach § BGB § 437 BGB in Anspruch zu nehmen (im Ergebnis ebenso LG Verden RdL 2008, RDL Jahr 2008 Seite 153-RDL Jahr 2008 154). Dem folgt der erkennende Senat.
Die Schutzbedürftigkeit besteht auch nicht deshalb, weil Ansprüche gegen den Verkäufer inzwischen wegen Verjährung nicht mehr durchsetzbar sind. Abgesehen davon, dass – was im vorliegenden Fall keiner abschließenden Beurteilung bedarf – die Frage der Schutzbedürftigkeit nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu beurteilen sein dürfte, hat die Klägerin nach eigenem Vorbringen bereits in unverjährter Zeit deutliche Mangelsymptome festgestellt, dennoch aber die Verjährungsfrist verstreichen lassen. Jedenfalls dies lässt ihre Schutzbedürftigkeit entfallen.
Im Ergebnis stehen der K damit auch unter dem Gesichtspunkt des VSD keine Schadensersatzansprüche gegen den T zu.
B. Fazit
Die Entscheidung eignet sich hervorragend für Examensklausuren und mündliche Prüfungen. Denkbar ist etwa die Frage nach der Rechtslage. Hier könnten dann (kaufvertragliche) Ansprüche der K gegen V erörtert werden. Dabei ließen sich neben den üblichen Gewährleistungsthemen vor allem auch Verjährungsfragen einbauen. Daneben ließen sich Regressansprüche des V gegen T aus werkvertraglicher Gewährleistung (§§ 634 ff. BGB) und schließlich – im Verhältnis K zu T – die hier erörterten Anspruchsgrundlagen abprüfen.
Zum Hintergrund (keine deliktsrechtliche Haftung für Vermögensschäden, Herleitung aus §§ 328 ff. BGB) und zur Wiederholung der Voraussetzungen sei hier auch nochmal auf unseren Grundlagenbeitrag zum VSD verwiesen.