Mündliche Prüfung im Zivilrecht (Arbeitsrecht)
Weiter geht es mit einem Prüfungsgespräch angelehnt an einen aktuellen Fall aus der Bundesliga im Zivilrecht (Arbeitsrecht). Die Daten stimmen nicht vollständig mit der Realität überein, inbes. ist wohl keine Vertragsstrafe vereinbart worden. Daher könnte ein Prüfer in der mündlichen Prüfung diesen aktuellen Fall zum Anlass zur Prüfung des Arbeitsrechts nehmen.
Sehr geehrter Herr X, ich begrüße Sie zur Prüfung im Zivilrecht. Folgenden kleinen Fall möchte ich der Prüfung zugrunde legen. Falls Sie Fragen zum Sachverhalt haben oder mich nicht richtig verstanden haben, unterbrechen Sie mich bitte lautstark.
Thomas T ist Trainer des kleinen, aber in letzter Zeit maßgeblich durch seine Tätigkeit erfolgreichen Bundesligavereins M. Daher hat er im Jahr 2012 einen Vertrag als Trainer bis zum 30.06.2015 ohne Ausstiegsklausel unterschrieben. Für die Unterschrift zahlte der Verein 900.000 € an T als sog. „signing fee“. Der Vertrag zwischen T und dem Verein M enthält in § 4 des Vertragswerks folgende Klausel:
„Es wird eine Vertragsstrafe von bis zu 3 Monatsgehältern bei vorsätzlichen Verstößen gegen die Arbeitspflicht, insbes. durch Nichterscheinen oder Arbeitsverweigerung, vereinbart. Die genaue Höhe wird nach Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls durch den AG festgelegt.“
T fühlt sich nun schon im Frühjahr 2014 den Anforderungen des nervenzehrenden Trainerjobs nicht mehr gewachsen und teilt der Vereinsführung mit, ab dem 30.06.2014 nicht mehr als Trainer des M arbeiten zu wollen.
Herr X, der Fall kommt Ihnen evtl. in abgewandelter Form aus den Medien bekannt vor. Zunächst – als Einstieg – wo finden wir denn etwas zur Vertragsstrafe? Und kann diese der Höhe nach ggfls. noch nach Verwirkung abgeändert werden?*
Die Vertragsstrafe ist in §§ 336 ff. BGB geregelt. Grundsätzlich kann die Höhe der Vertragsstrafe auch später noch angepasst werden, was § 343 BGB regelt. Erforderlich ist hierfür eine unverhältnismäßige Höhe, die im Einzelfall festzustellen ist.
Gibt es von diesem Grundsatz auch Ausnahmen?*
Ja, eine Ausnahme findet sich im Handelsrecht, § 348 HGB. Hiernach kann gerade nicht nach § 343 BGB angepasst werden. In Betracht kommt nur eine Herabsetzung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben, § 242 BGB.
Kommen wir nun zu unserem Fall. Kann die M nun die Zahlung der Vertragsstrafe verlangen?
Dafür müsste diese wirksam vereinbart und durch den T im Folgenden auch verwirkt worden sein. Hinsichtlich der Wirksamkeit könnte es sich um eine AGB handeln, für die die speziellen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB gelten.
Ist denn der Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle überhaupt eröffnet?**
Der Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle ergibt sich aus § 310 BGB. Aufgrund der wohl nur einmaligen Verwendung des Vertragswerkes – ein Bundesligaverein hat nur einen Cheftrainer und wird jedes Mal einen neuen Vertrag ausarbeiten – scheidet die AGB-Kontrolle grundsätzlich mangels Absicht zur mehrmaligen, d.h. mindestens dreimaligen Verwendung aus. Etwas anderes kann sich aber aus § 310 Abs. 2 Nr. 3 BGB ergeben, wonach bei einem Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer auch bei bloß einmaliger Verwendung eine AGB-Kontrolle stattfindet. Problematisch ist insoweit, ob T Verbraucher ist und ob er nicht aufgrund seiner herausgehobenen Stellung auf den Inhalt des Vertrages Einfluss nehmen konnte.
Gut erkannt. Unterstellt T konnte keinen maßgeblichen Einfluss nehmen, müsste man nun auch § 310 Abs. 4 S. 2 BGB in die Prüfung einbeziehen und fragen, ob die Besonderheiten des Arbeitsrechts zu berücksichtigen sind. Dafür müsste T Arbeitnehmer sein – ist er das?*
Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages unselbständige Dienste in persönlicher Abhängigkeit, d.h. weisungsgebunden, für einen anderen idR gegen Entgelt erbringt. Bei einem Profitrainer in der Bundesliga stellt sich die Frage, ob dieser aufgrund seiner eigenen Marktmacht persönlich abhängig ist.
Was sagen Sie zu dem Ansatz der wirtschaftlichen Freiheit? Schließt das den Arbeitnehmerstatus aus?**
Nein, es kommt gerade nicht auf die wirtschaftliche, sondern auf die persönliche Abhängigkeit an. Auch der Einkommensmillionär kann somit Arbeitnehmer sein. Problematisch ist vielmehr, ob T nicht als Trainer selbst Weisungen an seine Spieler gibt und daher selbst nicht Arbeitnehmer ist. Schließlich sagt der Verein dem Trainer nicht, wie und wann er zu trainieren hat. Dennoch tendiere ich auch bei einem Bundesligatrainer zur Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft: Der Verein kann dem Trainer Weisungen hinsichtlich Zeit und Ort seiner Tätigkeit machen (§ 106 GewO). Dieser ist in seinen Entscheidungen wann und wie er arbeitet, nicht völlig frei. Daher ist der T Arbeitnehmer.
Gut, kommen wir nun also zur Inhaltskontrolle. Kann ich eine Vertragsstrafe im Arbeitsrecht wirksam vereinbaren?*
Eine Vertragsstrafenregelung könnte gegen § 309 Nr. 6 BGB verstoßen und damit unwirksam sein. Dieser regelt, dass Vertragsstrafen gegenüber dem Verwendungsgegner grundsätzlich unzulässig sind.
Soweit so gut. Aber warum könnte im Arbeitsrecht etwas anderes gelten?**
Nach § 310 Abs. 4 S. 2 BGB sind die Besonderheiten des Arbeitsrechts zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber hat das Problem, dass er seine Primär- und Sekundäransprüche auf die Arbeitsleistung aus § 611 BGB nur sehr schwer oder gar nicht durchsetzen kann. Zwar kann er auf Arbeitsleistung klagen, doch ist ein solches Urteil mangels Vollstreckbarkeit für ihn wertlos (§ 888 Abs. 3 ZPO). Sekundäransprüche werden zwar tatbestandsmäßig vorliegen (§ 280 BGB), doch wird es dem Arbeitgeber in aller Regel unmöglich sein einen konkreten Schaden in bestimmter Höhe anzugeben. Dies führt zu der besonderen Situation im Arbeitsrecht, dass dem AG die einzige Möglichkeit zur Sicherstellung der Arbeitsleistung eine Vertragsstrafe ist. Daher überlagern die Besonderheiten des Arbeitsrechts, § 310 Abs. 4 S. 2 BGB, die Regelung des § 309 Nr. 6 BGB.
Schön. Nun müssen wir also nach § 307 BGB prüfen. Ist die konkrete Vertragsstrafe demnach unwirksam?*
Die Unwirksamkeit einer Vertragsstrafe kann sich insbesondere aus ihrer Höhe und der Unbestimmtheit ihrer Verwirkung ergeben. Der Arbeitnehmer muss demnach wissen, was auf ihn zukommt. Hier ist der Grund der Verwirkung, die Arbeitsverweigerung, bestimmt genug. Zugleich ist auch die Höhe gerade noch im Rahmen des Zulässigen (1-3 Monatsgehälter). Daher sehe ich die Klausel als wirksam vereinbart an.
Das kann man so vertreten. Kann der Verein denn nun auch (teilweise) Rückzahlung der „signing-fee“ verlangen?***
Als Anspruchsgrundlagen kommt ein Schadensersatzanspruch aus § 280 BGB, ein bereicherungsrechtlicher Rückzahlungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 2 (condictio ob causam finitam) und ein Rückzahlungsanspruch wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach §§ 313, 346 BGB in Betracht.
Auf jeden Fall wäre eine außerordentliche Kündigung seitens des Vereins M notwendig, da andernfalls schon gar keine Differenz zwischen den Erwartungen bei Vertragsschluss (3 Jahre) und tatsächlicher Erfüllung (2 Jahre) liegen kann. Eine einfache Beurlaubung kann nicht genügen.
Der Anspruch aus § 280 BGB liegt tatbestandlich durch die vorsätzliche Arbeitsverweigerung vor. Fraglich ist hingegen die Rechtsfolge der Naturalrestitution. Hier stellt sich die Frage, welcher Zustand ohne die Pflichtverletzung bestehen würde. Insoweit ist die „signing-fee“ auszulegen, wobei wegen der Anwendbarkeit des § 305c Abs 2 BGB die für den T günstigste Auslegung zu wählen ist. Die „signing-fee“ soll allein die Unterschrift unter den Vertrag vergüten, nicht aber als allgemeine Wohlverhaltensklausel vereinbart werden. Ziel war nicht sicherzustellen, dass T die drei Jahre beim Verein arbeitet, sondern, dass er einen solchen Vertrag überhaupt unterschreibt. Andernfalls läge eine konkludent vereinbarte Vertragsstrafenregelung vor, die zu der ausdrücklich vereinbarten in § 4 hinzuträte. Konkludent wird man eine Vertragsstrafe aber nicht in AGB mit einem Arbeitnehmer vereinbaren können. Zudem läge eine Kumulation von Vertragsstrafen vor, die ebenfalls zur Unwirksamkeit führte. Daher ist der Zustand mit und ohne Pflichtverletzung gleich, es besteht keine negative Differenz für den Verein M. Daher scheidet ein Schadensersatzanspruch aus § 280 BGB aus.
Und was ist mit einem Anspruch aus § 812 BGB oder § 313 BGB?**
Auch bei diesen greift die gleiche Wertung ein: Der Rechtsgrund bei § 812 Abs. 1 S. 2 BGB bzw. die Geschäftsgrundlage bei § 313 BGB bleibt bestehen, da sich an der Unterschrift unter den Vertrag nichts geändert hat. Rechtsgrund für die Zahlung der signing-fee war gerade nicht die Erfüllung des Vertrages, sondern allein der Abschluss.
Das kann man gut vertreten. Können Sie sich denn auch Konstellationen vorstellen, in denen dennoch eine Rückzahlung in Betracht kommt?***
Eine Rückzahlung kommt auf jeden Fall bei Anfechtung des Arbeitsvertrages in Betracht, da diese ex-nunc wirkt, §§ 142, 119ff. BGB. Grenze muss zudem § 242 BGB, also rechtsmissbräuchliches Verhalten sein. Unterschreibt der Trainer in dem Wissen den Vertrag nur für eine kurze Dauer erfüllen zu wollen und in der Absicht die „signing-fee“ zu kassieren, liegt rechtsmissbräuchliches Verhalten vor (bspw. von Anfang nur Erfüllungsabsicht für 3 Monate statt 3 Jahren). In diesen Fällen hätte der Verein den Vertrag so nie abgeschlossen, so dass eine Rückzahlung in Betracht kommt.
Was hätte der Verein denn vorsorglich vereinbaren sollen?**
Der Verein hätte die signing-fee unter die auflösende Bedingung, § 158 Abs. 1 BGB, der Vertragserfüllung stellen können. In unserem Fall ist eine konkludent vereinbarte auflösende Bedingung wegen der Zweifelsregelung des § 305c Abs. 2 BGB aber nicht denkbar.
Gut, nun zum Abschluss: Welches Vorgehen empfehlen Sie dem Verein, um finanziell das Beste aus der Situation zu machen?***
Ich empfehle zweierlei. Zum einen sollte man abwarten, ob im nächsten Jahr ein Verein T verpflichten will. Dieser müsste dann den T aus dem Vertrag mit M „herauskaufen“, also eine Ablöse für die Vertragsauflösung zahlen. Zum anderen könnte M einen Schadensersatzanspruch bei der Neuverpflichtung eines Trainers haben. Hier stellt sich zwar das Problem der Kausalität, da der Verein ohnehin einen neuen Trainer verpflichten müsste – jedoch nicht zu den jetzigen Konditionen. Das heisst, sollte M eine besonders hohe Ablöse oder „signing-fee“ für den neuen Trainer zahlen müssen, könnte dies ein kausaler Schaden der Arbeitsverweigerung des M sein. Gleiches gilt für ein höheres Gehalt für den neuen Trainer, da dieses bei Arbeitserfüllung durch T ebenfalls nicht angefallen wäre.
Vielen Dank. Wir ziehen uns nun zur Beratung zurück.
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