Der BGH hat entschieden (Beschluss vom 12.9.2013 – III ZB 7/13), dass die Faxübermittlung fristwahrender Schriftsätze einem Auszubildenden nur dann übertragen werden darf, wenn dieser mit einer solchen Tätigkeit vertraut ist und eine regelmäßige Kontrolle seiner Tätigkeit keine Beanstandungen ergeben hat. Der – vor allem für das Assessorexamen – äußerst klausurträchtigen Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
Sachverhalt
Die Klägerin nahm die Beklagte aus einem Centermanagement-Vertrag auf Zahlung restlicher Vergütung in Anspruch und hat vor dem Landgericht am 12. September 2012 ein überwiegend klagestattgebendes Urteil erwirkt. Dieses Urteil ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 14. September 2012 zugestellt worden. Nach Einlegung der Berufung am 4. Oktober 2012 hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 14. November 2012, (als Original) eingegangen beim Berufungsgericht am 16. November 2012, um (erstmalige) Verlängerung
der Berufungsbegründungsfrist bis zum 14. Dezember 2012 nachgesucht. Mit Schriftsatz vom 15. November 2012, eingegangen per Telefax am selben Tage, hat sie hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Diesem Antrag beigefügt war die nicht unterschriebene Kopie eines Schriftsatzes vom 14. November 2012, mit dem die Prozessbevollmächtigten der Beklagten um eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 14. Dezember 2012 gebeten hatten. Mit Eingang vom 5. Dezember 2012 hat sie ihre Berufung begründet.
Die Beklagte hat zu ihrem Wiedereinsetzungsgesuch vorgetragen: Das Fristverlängerungsgesuch sei am 14. November 2012 um 16.28 Uhr durch die in der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten tätige Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte M erstellt und sodann dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt P vorgelegt, von diesem gegen 16.50 Uhr unterzeichnet und wieder an Frau M. zur Übersendung an das Berufungsgericht per Telefax übergeben worden. Frau M. habe die Akte mit dem unterschriebenen Fristverlängerungsantrag der Auszubildenden T übergeben und diese angewiesen, die Faxübersendung vorzunehmen. Nachdem T aus dem separaten Faxraum zurückgekehrt sei, habe sich M bei ihr erkundigt, ob die Faxe durchgegangen seien, was die Auszubildende bejaht habe. Von einer weiteren Überprüfung habe M abgesehen. Die Auszubildende habe den Schriftsatz sodann in den Postausgangskorb für die Gerichtspost gelegt. Ohne weitere Kontrolle habe M die Änderung beziehungsweise Erledigung der Fristen im elektronischen Fristenkalender und im Handkalender veranlasst. Rechtsanwalt P habe gegen 19.00 Uhr die Fristenkalender kontrolliert und festgestellt, dass alle notierten Fristen als erledigt gekennzeichnet gewesen seien. Erst am folgenden Tage habe sich gezeigt, dass ein Faxprotokoll nicht vorhanden und der Fristverlängerungsantrag nicht gefaxt worden sei. M sei seit acht Jahren in der Kanzlei angestellt. Ihre Tätigkeit habe bis dahin nie zu Fristversäumnissen geführt. Die regelmäßige Kontrolle ihrer Arbeit habe keine Beanstandungen ergeben. Die Rechtsanwaltsangestellten seien angewiesen, die ausgehenden Faxe anhand des Faxprotokolls zu überprüfen, die erfolgte Prüfung auf dem Protokoll zu vermerken und erst dann die Frist im Kalender als erledigt zu kennzeichnen. Von den Auszubildenden hätten sie sich die Faxprotokolle vorlegen zu lassen und diese zu kontrollieren, bevor die Frist als erledigt gekennzeichnet werde. Hierbei habe es in der Vergangenheit, auch bei regelmäßigen Überprüfungen der ausgegangenen Faxschreiben, keinerlei Grund zur Beanstandung durch die Rechtsanwälte gegeben. Grundsätzlich strichen nur die ausgebildeten Rechtsanwaltsfachangestellten die im Kalender notierten Fristen. Diese überprüften auch die korrekte Übermittlung von Telefaxsendungen, die die Auszubildenden oder sie selbst versandt hätten. Dieses Vorgehen sei seit Jahren eingeübt und werde durch die Rechtsanwälte regelmäßig kontrolliert, ohne dass sich in der Vergangenheit Beanstandungen ergeben hätten.
Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, § 520 Abs. 2 ZPO
Die Berufungsbegründungsfrist war hier unstreitig versäumt. Nach § 233 ZPO ist einer Partei jedoch auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren., wenn sie „ohne ihr Verschulden verhindert“ war, „eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung […] einzuhalten.“ Entscheidend kam es vorliegend darauf an, ob die Berufungsbegründungsfrist ohne ein Verschulden der Beklagten versäumt wurde. Ein eigenes Verschulden konnte der Partei hier nicht vorgeworfen werden. Jedoch kann ihr gem. § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zugerechnet werden. Die Zurechnung von Anwaltsverschulden erstreckt sich jedoch gerade nicht auf Erfüllungsgehilfen des Prozessbevollmächtigten, § 278 BGB ist also nicht anwendbar. Nur bei in besonderem Maße selbständige Hilfspersonen, die das Mandat ohne eigene Prozessvertretungsmacht im Außenverhältnis intern weitgehend selbständig und auch abschließend bearbeiten, kommt eine Zurechnung in Betracht. Nicht zugerechnet wird dagegen das Verschulden von Personen, die nur unselbständige Hilfstätigkeiten und Bürotätigkeiten ausüben (BeckOK ZPO/Piekenbrock, § 85 Rn. 20 f. m.w.N.). Bei solchen unselbständigen Hilfspersonen kann ein zurechenbares Verschulden nur darin liegen, dass sie vom Prozessbevollmächtigten nicht hinreichend überwacht oder angewiesen wurden, wenn also ein Organisationsverschulden seitens des mandatierten Rechtsanwalts vorliegt.
Zurechenbares Verschulden im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags nach § 85 Abs. 2 ZPO
Insofern stellt der BGH folgende abstrakte Grundsätze für ein (Organisations- und Überwachungs-) Verschulden des Rechtsanwalts bei der Faxübermittlung durch Azubis auf:
Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Übersendung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Telefax einem Auszubildenden nur dann überlassen werden darf, wenn dieser mit einer solchen Tätigkeit vertraut ist und eine regelmäßige Kontrolle seiner Tätigkeit keine Beanstandungen ergeben hat (BGH, Beschlüsse vom 11. Februar 2003 – VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935, 936 mwN und vom 26. Januar 2006 – I ZB 64/05, NJW 2006, 1519, 1520 Rn. 11). Allgemein muss der Rechtsanwalt eine wirksame Ausgangskontrolle sicherstellen, indem er seine Mitarbeiter anweist, einen Einzelnachweis über den Sendevorgang ausdrucken zu lassen, bevor die entsprechende Frist als erledigt vermerkt wird (s. et-wa BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 – V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368).
Überträgt man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall, dürfte ein zurechenbares Anwalts(!)verschulden zu bejahen sein:
In dem Wiedereinsetzungsantrag finden sich, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, keine Angaben zum Ausbildungsstand, zur Zuverlässigkeit und zur Befähigung der Auszubildenden. Ebenso fehlen Angaben dazu, welche allgemeinen Anweisungen zum Einsatz von Auszubildenden bei der Faxübermittlung fristgebundener Schriftsätze in der betreffenden Anwaltskanzlei bestanden haben. Damit war organisatorisch insbesondere nicht ausgeschlossen, dass unerfahrene oder unzuverlässige Auszubildende mit der Aufgabe der Faxübermittlung betraut werden. Dass die Auszubildenden die Faxprotokolle den ausgebildeten Fachangestellten zur Kontrolle vorlegen müssen, bevor die Frist als erledigt gekennzeichnet werden darf, macht Regelungen über die Voraussetzungen für den Einsatz von Auszubildenden mit Rücksicht auf deren Zuverlässigkeit und Erfahrungsstand nicht entbehrlich. So kann es etwa bei der Erledigung mehrerer Faxaufträge durch unerfahrene Auszubildende leicht dazu kommen, dass Faxprotokolle verwechselt, falsch zugeordnet oder missdeutet werden oder ihr Fehlen übersehen wird oder dass es eigenmächtig zur Eintragung der Fristerledigung im Kalender kommt. Dies macht jedenfalls in der ersten Zeit ihrer Ausbildung eine weitergehende Überwachung dieser Auszubildenden erforderlich, wenn man sie zur Faxübermittlung einsetzt. Ihnen fehlt in diesem Stadium typischerweise die nötige Erfahrung im Umgang mit dem anwaltlichen Schriftverkehr und ein Bewusstsein für die Bedeutung und den Nachweis der Wahrung von Fristen.
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde liegt keine hinreichend konkrete anwaltliche Einzelanweisung vor, die das Fehlen allgemeiner organisatorischer Regelungen ausgleichen könnte. Der Vortrag der Beklagten hat sich hierzu darin erschöpft, dass Rechtsanwalt P das Fristverlängerungsgesuch nach Unterzeichnung „an Frau M zur Übersendung an das Kammergericht per Fax“ übergeben habe. Eine Einzelweisung, die – wie hier – lediglich darin besteht, den fristgebundenen Schriftsatz per Telefax an das Rechtsmittelgericht zu übersenden, regelt nur die Art und Weise sowie den Adressaten der Übermittlung. Sie macht eine organisatorische Regelung zur Kontrolle der Faxübermittlung und zur Einschaltung von Auszubildenden weder entbehrlich noch setzt sie eine hierzu bestehende – unvollständige oder sonst mangelhafte – organisatorische Regelung außer Kraft […]. Sie schließt – wie auch im vorliegenden Fall – insbesondere nicht aus, dass die Faxübermittlung ohne hinreichende Kontrolle einem unerfahrenen Auszubildenden übertragen wird.