In einer Entscheidung vom 10.01.2012 (Az. I -4 U 145/11), die am 3.2.2012 als Pressemitteilung veröffentlicht wurde, hat das OLG Hamm eine interessante Frage beantwortet, die sich mit dem Widerrufsrecht nach § 355 BGB befasst. Fraglich war hier, ob dem Verbraucher eine Widerrufsfrist nach § 355 Abs. 2 S. 2 BGB von 14 Tagen oder nach § 355 Abs. 2 S. 3 BGB von einem Monat zusteht. Gerade Fragen des Widerrufsrechts sind sehr klausurrelevant, sodass der hier besprochene Fall kurz wiederholt werden sollte.
Sachverhalt
Der Sachverhalt ist denkbar einfach: Der Käufer gibt bei ebay am 31.01. nachmittags ein Gebot ab, das auch bei Auktionsende am 2.2. nachmittags noch das Höchstgebot war. Kurz nach Auktionsende wurde dem Käufer eine Widerrufsbelehrung übermittelt, in der ein Widerrufsrecht von 14 Tagen vorgesehen war. Fraglich ist, ob dies wirksam ist
Entscheidung
Maßgeblich für die Entscheidung ist die Auslegung des § 355 Abs. 2 S. 2 BGB, wonach bei Fernabsatzverträgen die Widerrufsfrist 14 Tage beträgt, wenn dies „unverzüglich nach Vertragsschluss in Textform“ mitgeteilt wird. Fraglich ist hier, ob eine solche unverzügliche Mitteilung vorlag.
Unverzüglich definiert sich nach § 121 Abs. 1 S. 1 BGB als Handeln „ohne schuldhaftes Zögern“. Fraglich ist, ob ein solches Zögern hier bestanden hat.
Kein schuldhaftes Zögern wenn Vertragsschluss erst bei Auktionsende
Ein schuldhaftes Zögern läge dann nicht vor, wenn der Vertrag erst mit Auktionsende zustandekommt. Hier sind damit die Grundsätze des Vertragsschlusses im Internet bei Online-Auktionen zu wiederholen. Hier gilt es folgendes zu beachten:
- Der Vertragsschluss kommt nicht gem. § 156 S. 1 BGB durch Zuschlag zustande. Einen solchen gibt es bei ebay nämlich nicht. Hier läuft nur die Zeit ab.
- Ebay ist nicht der Auktionator, sondern stellt lediglich die Plattform für Vertragsschlüsse zur Verfügung
- Bereits in der Freischaltung der Angebotsseite liegt ein rechtlich verbindliches Angebot und nicht bloß eine invitatio ad offerendum (§§133, 157 BGB). Das Angebot ist an denjenigen gerichtet, der während der Bietzeit das höchste Angebot abgibt.
- Die Annahme erklärt im Unterschied zur normalen Auktion also der Bieter!
- Zentrales Urteil hierzu ist das sog. ricardo-Urteil des BGH v. 7.11.2001 (Az. VIII ZR 13/01, BGHZ 149, 129).
Der Vertrag ist damit bereits mit Abgabe des Höchstgebots zustandegekommen – die Widerrufsbelehrung erfolgte aber erst zwei Tage später.
Hinweis: Dies kann mit guter Argumentation auch anders gesehen werden. Siehe hierzu unseren Artikel, der sich mit dieser Frage befasst.
Unverzüglich trotz Abwarten von zwei Tagen
Es stellt sich aber die Frage, ob – trotz der Verzögerung von zwei Tagen, ein unverzügliches Handeln zu bejahen ist, da das Auktionsende abgewartet wurde. Dies wird vom OLG bejaht.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist die unmittelbar im Anschluss an das Auktionsende übermittelte Widerrufsbelehrung in diesem Sinne „unverzüglich nach Vertragsschluss“ erfolgt, auch wenn der Vertrag bereits mehr als 49 Stunden zuvor mit Abgabe des Höchstgebots zustande gekommen und damit tatsächlich mehr als der vom Gesetzgeber in der Regel vorgesehene Zeitraum von einem Tag nach Vertragsschluss bis zur Übermittlung der Belehrung verstrichen ist.
Dem Unternehmer sei ein früheres Handeln faktisch nicht möglich und auch unzumutbar. Erst nach dem erfolgreichen Abschluss der Aktion werde dem Anbieter die Identität seines Vertragspartners bekannt gegeben. Außerdem sei denkbar, dass das erste Höchstgebot mehrfach überboten werde, so dass dem Unternehmer zuzubilligen sei, bis zum Aktionsende zu warten, um den letztendlichen Käufer über dessen Widerrufsrecht zu belehren. Auch der Verbraucher werde hierdurch nicht länger als unvermeidlich über sein Widerrufsrecht im Unklaren gelassen. Bis zum Ende der Auktion müsse auch er damit rechnen, dass der zunächst mit ihm zustande gekommene Vertrag überhaupt nicht fortbestehe, weil ein weiterer Bieter ein neues Höchstgebot abgebe.
Hauptargument dürfte hier wohl die fehlende Kenntnis von der Person des Höchstbietenden und dessen fehlende Schutzbedürftigkeit sein. Weniger überzeugend ist hingehend das Argument, dass mehrere Käufer hilfsweise belehrt werden müssten – dieses Risiko ist der Online-Auktion gerade immanent. Dennoch im Ergebnis ein vollständig überzeugendes Urteil.
Das Abwarten des Auktionsendes führt damit dazu, dass das Handeln des Verkäufers – trotz einer rel. langen zeitlichen Spanne – unverzüglich bleibt.
Examensrelevanz
Meines Erachtens ein sehr examensrelevantes Urteil, werden doch Fragen des Vertragsschlusses bei Online-Auktionen (die zwingend beherrscht werden müssen) mit Fragen nach dem Widerrufsrecht kombiniert. Gerade diese Verknüpfung macht den Fall zu einem optimalen Klausureinstieg.