Wir freuen uns, heute eine Gastbeitrag von Christopher Weidt veröffentlichen zu können. Der Autor absolvierte sein Jurastudium in Bonn und ist derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Juniorprofessur für Bürgerliches Recht und Immaterialgüterrecht der Universität Siegen bei Prof. Dr. Maximilian Becker.
I. Einführung
Das aktuelle BGB-Lehrbuch an einen Kommilitonen verkaufen, das Auto an einen Freund verleihen, einen DJ für die Hochzeit buchen. Die Kette der Verträge, die allein im privaten Bereich über E-Mail oder Kurznachricht geschlossen werden ließe sich beliebig fortführen. Besonders der Massaging-Dienst WhatsApp hat in den vergangenen Jahren die klassische SMS abgelöst. Für den Absender einer Nachricht hält der Dienst Zustellungsinformationen in drei Stufen bereit. Diese werden durch kleine „Häkchen“ rechts unten in der jeweiligen Nachricht angezeigt. Ein graues Häkchen bedeutet, dass die Nachricht gesendet wurde. Zwei graue Häkchen bedeuten, dass die Nachricht zugestellt wurde. Färben sich die beiden Häkchen blau, hat der Empfänger die Nachricht gelesen[1]. Insbesondere die dritte Zustellungsebene hat zu kontroversen Diskussionen geführt[2]. Auch juristisch bieten die Häkchen Anlass zu einer Auseinandersetzung über den Zugang von Willenserklärungen und dessen Beweisbarkeit. Als Ausgangspunkt dient die rechtliche Behandlung von E-Mails.
II. Zugang von Willenserklärungen unter Abwesenden
Eine empfangsbedürftige Willenserklärung wird gemäß § 130 I 1 BGB dann wirksam, wenn sie dem Empfänger zugeht. Dies ist nach hM dann der Fall, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen[3]. Nicht erforderlich ist demnach die tatsächliche Kenntnisnahme. Die Definition hat mithin zwei Voraussetzungen: (1) Das Gelangen in den Macht- oder Herrschaftsbereich; (2) die Möglichkeit der Kenntnisnahme.
1. Gelangen in den Machtbereich
Unter dem Machtbereich versteht man die räumliche Herrschaftssphäre des Empfängers[4]. Diese ist jedenfalls beim Einwurf eines Schriftstücks in den Hausbriefkasten erreicht. Ebenso befindet sich eine E-Mail im Account des Online-Servers im Machtbereich des Adressaten[5]. Bei einer SMS ist der Machtbereich dann erreicht, wenn die Nachricht auf dem Mobiltelefon zugestellt worden ist[6]. Das Gleiche gilt für eine Nachricht bei WhatsApp.[7] Dokumentiert wird das Gelangen in den Machtbereich durch zwei graue Häkchen.
Bei der elektronischen Kommunikation ist zusätzlich zu beachten, dass – anders als etwa bei Briefen – eine „Widmung“ des E-Mail- oder SMS-Postfachs als Empfangseinrichtung erforderlich[8] ist. Dafür kommt es auf den nach außen erkennbaren Willen an, rechtlich verbindliche Erklärungen in dieser Form schließen zu wollen. Dies kann etwa aufgrund einer Angabe der E-Mail-Adresse oder Handynummer auf Visitenkarten oder in öffentlichen Verzeichnissen der Fall sein[9]. Eine Widmung ist jedoch umso eher anzunehmen, je mehr die Kommunikation auf diesem Wege für die Beteiligten vorhersehbar ist bzw sie damit rechnen durften[10]. Erfolgt beispielsweise schon die Anbahnung eines Vertrages per SMS, kann auch Angebot und Annahme auf diesem Weg erfolgen.
Erreicht eine E-Mail den Server oder das Postfach des Empfängers nicht, kann dies verschiedene Ursachen haben: Softwarefehler, Kompatibilitätsprobleme bei Anhängen, Spam-Filter. Hierzu hat sich eine detaillierte Rechtsprechung gebildet[11]. Grundsätzlich gilt jedoch, dass vor der Speicherung im Postfach das Risiko auf Seiten des Absenders liegt, danach auf Seiten des Empfängers[12].
Bezogen auf ein in sich geschlossenes System wie WhatsApp sind Software- und Kompatibilitätsprobleme zwar nicht auszuschließen. Sie sind gleichwohl seltener. Man wird daher davon ausgehen können, dass beim zweiten grauen Häkchen der Machtbereich des Empfängers ohne technische Schwierigkeiten erreicht worden ist.
2. Möglichkeit der Kenntnisnahme
Der Zeitpunkt vom Erreichen des Machtbereichs fällt bei Willenserklärungen unter Abwesenden regelmäßig mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme auseinander. Wann nach „normalen Umständen“ die Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht, ist nach der Verkehrsanschauung zu ermitteln. Bei E-Mails ist idR spätestens am nächsten Werktag mit einem Zugang zu rechnen[13]. Ähnliches gilt für Kurznachrichten über das Mobiltelefon[14], wobei hier sogar eher häufiger, also auch mehrfach am Tag und am Wochenende mit einem Abrufen zu rechnen ist. Auch, wenn tatsächlich später als unter diesen „gewöhnlichen Umständen“ Kenntnis genommen wird (etwa wegen Krankheit, Urlaub oder Haft), hindert dies den Zugang nicht. Erfolgt die tatsächliche Kenntnisnahme vor dem gewöhnlichen Zugangszeitpunkt ist die Erklärung schon in diesem Moment zugegangen[15].
III. Beweisbarkeit
Vom Zugang einer Willenserklärung zu trennen ist die Beweisbarkeit. Für Briefpost wird diese idealerweise mit einem Einschreiben dokumentiert, wobei der volle Beweis des Zugangs nur durch ein Einschreiben mit Rückschein erbracht werden kann[16]. Bei E-Mails kann eine Lese- oder Empfangsbestätigung den Erhalt beweisen[17]. Diese muss der Empfänger jedoch idR über einen speziellen Button aktiv verschicken[18]. Eine Nachricht bei WhatsApp sendet durch das zweite Häkchen eine automatische Empfangsbestätigung und durch die blauen Häkchen eine automatische Lesebestätigung. Da für SMS die gleichen Grundsätze gelten, wie für E-Mails[19], dokumentieren die grauen Häkchen den Zugang. Die blauen Häkchen dürften sogar die tatsächliche Kenntnisnahme beweisen und insofern zu einer Verkürzung der „gewöhnlichen Umstände“ des Zugangs in der Lage sein. Ein Screenshot kann daher für einen Anscheinsbeweis[20] ausreichen.
IV. Fazit
Der Zugang von elektronischen Willenserklärungen unter Abwesenden richtet sich nach den allgemeinen Voraussetzungen: Das Gelangen in den Machtbereich und die Möglichkeit der Kenntnisnahme. Der Machtbereich wird mit Zustellung auf den Server bzw das Mobiltelefon erreicht. Die Kenntnisnahme erfolge für gewöhnlich spätestens am nächsten Werktag. Dies gilt nicht nur für E-Mails sondern auch für Kurznachrichten auf dem Mobiltelefon. Letztere haben bzgl der Beweisbarkeit für den Absender entscheidende Vorteile. Durch die Häkchen beim Massaging-Dienst WhatsApp wird automatisch Empfang und tatsächliche Kenntnisnahme angezeigt. Dies ist bei einer E-Mail idR nicht der Fall. Vor Gericht dürfte damit die Kenntnisnahme bewiesen werden können.
[1] https://www.whatsapp.com/faq/de/general/20951546
[2] etwa https://www.stern.de/digital/telefon/neue-whatsapp-funktion-blaue-haken-veraergern-viele-whatsapp-nutzer-2150755.html
[3] BGH NJW 2011, 872 (873); BGH NJW 1998, 976 (977); Ellenberger, in Palandt, § 130, Rn 5; Brox/Walker, BGB AT, § 7, Rn 149
[4] G.Noack/Uhlig, JA 2012, 740 (741)
[5] OLG Köln, NJW 1990, 1608 (1609); LG Nürnberg-Fürth, NJW-RR 2002, 1721 (1722); Spindler/Anton, in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 130 BGB, Rn 4; Einsele, in MünchKomm BGB, § 130, Rn 18
[6] G.Noack/Uhlig, JA 2012, 740 (741)
[7] dies ändert sich auch nicht dadurch, dass Dienste wie WhatsApp eine Internetverbindung erfordern; es kann – analog zur E-Mail – mit einer regelmäßigen Internetverbindung gerechnet werden
[8] Spindler/Anton, in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 130 BGB, Rn 5
[9] Taupitz/Kritter, JuS 1999, 839 (841), Ultsch, NJW 1997, 3007 (3008)
[10] Spindler/Anton, in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 130 BGB, Rn 5
[11] Spam: AG Frankfurt aM 23.10.2008, 30 C 730/08; LG Hamburg 07.07.2009, MMR 2010, 654 mwN; sonstige Probleme: Spindler/Anton, in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 130 BGB, Rn 11 ff mwN
[12] Spindler/Anton, in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 130 BGB, Rn 6
[13] Rüthers/Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, § 17, Rn 48 f; Brox/Walker, BGB AT, § 7, Rn 150 b
[14] G.Noack/Uhlig, JA 2012, 740 (742)
[15] Taupitz/Kritter, JuS 1999, 839 (841); Spindler/Anton, in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 130 BGB, Rn 7
[16] zu den verschiedenen Arten des Einschreibens Mrosk, NJW 2013, 1484 (1482 ff)
[17] Willems, MMR 2013, 551 (553); Mrosk, NJW 2013, 1484 (1482 ff); differenzierend zwischen beiden Arten Mankowski, NJW 2004, 1901
[18] dies gilt zumindest für die konventionelle E-Mail; anders verhält es sich bei der „De-Mail“, bei der der Absender eine obligatorische Empfangsbestätigung anfordern kann, vgl Willems, MMR 2013, 551 (554); zum De-Mail-Gesetz BT-Drucksache 17/3630, S. 30
[19] Ellenberger, in Palandt, § 130, Rn 7a; Mrosk, NJW 2013, 1484 (1484); G.Noack/Uhlig, JA 2012, 740 (741)
[20] zu den Voraussetzungen Heß, NJW-Spezial, 2008, 233 (233)
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