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Dr. Maike Flink

BVerfG: Konkretisierungen der Anforderungen an das Vorliegen von Schmähkritik

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Das BVerfG hat kürzlich in einer Entscheidung vom 14.6.2019 (1 BvR 2433/17) erneut zu den Anforderungen an das Vorliegen von Schmähkritik Stellung genommen und damit die bisherigen Maßstäbe konkretisiert. In den letzten Jahren war die Reichweite des Schutzes der Meinungsfreiheit im Hinblick auf sog. Schmähkritik immer wieder Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen, die regelmäßig ein großes Medienecho nach sich zogen. Vor diesem Hintergrund bedarf auch die in diesem Zusammenhang neueste Entscheidung – gerade mit Blick auf künftige Examensklausuren und die mündliche Prüfung – einer eingehenden Auseinandersetzung.
 
I. Sachverhalt
Was war passiert? Der Beschwerdeführer war Kläger eines Zivilprozesses beim Amtsgericht. Im Laufe des Prozesses ersuchte er das Gericht um die Ablehnung der mit dem Verfahren betrauten Richterin wegen Befangenheit. Diese ergab sich seiner Ansicht nach aus einer einseitigen Vernehmung eines Zeugen zu seinen Lasten, bei der die Richterin dem Zeugen die erwünschten Antworten nahezu in den Mund gelegt habe. Sein Gesuch begründete der Beschwerdeführer auch in zwei Schriftsätzen, in denen es wörtlich unter anderem hieß:

„Die Art und Weise der Beeinflussung der Zeugen und der Verhandlungsführung durch die Richterin sowie der Versuch, den Kläger von der Verhandlung auszuschließen, erinnert stark an einschlägige Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten.“

Zudem führte er aus:

„Die gesamte Verhandlungsführung der Richterin erinnerte eher an einen mittelalterlichen Hexenprozess als an ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführtes Verfahren.“

Daraufhin wurde er durch das Amtsgericht gem. § 185 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Berufung des Beschwerdeführers wurde durch das Landgericht ebenso verworfen wie die im Anschluss eingelegte Revision durch Oberlandesgericht. Die Gerichte stützen dies im Wesentlichen darauf, dass die Äußerungen des Beschwerdeführers zwar Werturteile seien, die dem Schutz der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 1 GG unterfielen. Allerdings handele es sich um Schmähkritik, sodass die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers gegenüber dem Ehrschutz der Betroffenen zwingend zurücktreten müsse. Daraufhin erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung seiner Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 1 GG.
 
II. Rechtliche Würdigung
Fraglich ist daher, ob der Beschwerdeführer durch die angegriffenen Entscheidungen tatsächlich in seiner Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 1 GG verletzt ist.
 
1. Schutzbereich
Zunächst müssten die Äußerungen des Beschwerdeführers in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 1 GG fallen. Geschützt werden Meinung, d.h. Werturteile, die geprägt sind durch ein Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens. Von einer Meinung zu unterscheiden sind bloße Tatsachenbehauptungen, also solche Äußerungen, die einem Wahrheitsbeweis zugänglich sind. Sie sind grundsätzlich nicht geschützt, es sei denn, sie sind ausnahmsweise untrennbar mit einer Wertung verbunden oder Voraussetzung für eine Meinung. Ist eine Äußerung als Meinung einzuordnen, so kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob diese in polemischer Weise kundgetan oder eine verletzende Formulierung gewählt wird. Auch Schmähkritik unterfällt dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Im vorliegenden Fall war die Äußerung des Beschwerdeführers als wertende Stellungnahme anzusehen: Er wollte keine historische Aussage treffen, dass es sich tatsächlich um ein „Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten“ oder einen „mittelalterlichen Hexenprozess“ handele. Vielmehr zielte die gewählte Formulierung allein darauf ab, Missstände, die seiner Ansicht nach in der Verhandlungsführung bestanden, im Wege eines Vergleichs aufzuzeigen. Es handelt sich mithin um eine Meinung, der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 1 GG ist eröffnet.
 
2. Eingriff
Durch die strafrechtliche Verurteilung auf Grundlage von § 185 StGB wird die Ausübung einer grundrechtlich geschützten Freiheit des Beschwerdeführers sanktioniert. Ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 1 GG liegt mithin ebenfalls vor.
 
3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Möglicherweise könnte dieser Eingriff jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Das Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 1 GG wird nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern findet seine Schranken gem. Art. 5 Abs. 2 GG in den allgemeinen Gesetzen. Ein allgemeines Gesetz ist nach dem durch das BVerfG angewandten Kombinationsansatz nur ein Gesetz, das sich nicht gegen die grundrechtliche Betätigung als solche, d.h. insbesondere nicht inhaltlich gegen eine bestimmte Meinung richtet und dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG schützenswerten Rechtsguts dient. Grundlage der strafrechtlichen Verurteilung ist § 185 StGB. Dieser stellt die Beleidigung unter Strafe und richtet sich damit nicht inhaltlich gegen eine bestimmte Meinung, sondern allgemein gegen beleidigende Äußerungen. Dies dient dem Ehrschutz des Betroffenen, der seinerseits durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgesichert ist und damit ein schlichtweg schützenswertes Rechtsgut darstellt. Es handelt sich mithin bei § 185 StGB um ein allgemeines Gesetz.
Erforderlich ist jedoch darüber hinaus, dass eine Gewichtung der Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit des Äußernden und der persönlichen Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgenommen wird. Dabei kommt der Meinungsfreiheit ein besonderes Gewicht zu, sofern es um Äußerungen geht, die Maßnahmen der öffentlichen Gewalt betreffen. Es gehört nämlich zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, die öffentliche Gewalt ohne Furcht vor Sanktionen auch scharf kritisieren zu können. Insofern führt das Gericht aus:

„Die Meinungsfreiheit erlaubt es insbesondere nicht, den Beschwerdeführer auf das zur Kritik am Rechtsstaat Erforderliche zu beschränken und ihm damit ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen.“

Allerdings bilden insofern Formalbeleidigungen und Schmähkritik einen Sonderfall: Ist eine Äußerung einer der genannten Kategorien zuzuordnen, so ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht erforderlich, vielmehr tritt die Meinungsfreiheit in einem solchen Fall stets zurück. Dies stellt indes eine sehr einschneidende Folge dar, sodass strenge Anforderungen an die Annahme von Formalbeleidigungen und Schmähkritik zu stellen sind. Schmähkritik ist nur bei einer Äußerung anzunehmen, die auf die bloße Herabsetzung und Diffamierung einer anderen Person gerichtet ist, ohne sich inhaltlich mit der Sache auseinanderzusetzen. Erforderlich ist daher insbesondere, dass Anlass und Kontext der Äußerung berücksichtigt werden. Die Äußerungen des Beschwerdeführers sind vor diesem Hintergrund nicht als Schmähkritik einzuordnen. Denn der Beschwerdeführer hat mit seinen Vergleichen nicht die Richterin persönlich diffamieren und herabwürdigen wollen. Vielmehr war allein ihre Verhandlungsführung Anlass für die getätigten Aussagen. Das BVerfG formuliert dazu:

„Die Äußerungen entbehren […] nicht eines sachlichen Bezugs. Sie lassen sich wegen der auf die Verhandlungsführung und nicht auf die Richterin als Person gerichteten Formulierungen nicht sinnerhaltend aus diesem Kontext lösen und erscheinen auch nicht als bloße Herabsetzung der Betroffenen. Die Äußerungen lassen nicht ohne weiteres den Schluss zu, der Beschwerdeführer habe der Richterin eine nationalsozialistische oder „mittelalterliche“ Gesinnung unterstellen wollen. Historische Vergleiche mit nationalsozialistischer Praxis begründen für sich besehen nicht die Annahme des Vorliegens von Schmähkritik.“

Insbesondere könne es nicht darauf ankommen, dass die Formulierungen für die Verteidigung der Rechtsansichten des Beschwerdeführers nicht erforderlich gewesen sei, da der Beschwerdeführer nicht darauf beschränkt sein dürfe, seine Meinung nur im Rahmen des Erforderlichen zu äußern. Damit handelt es sich bei der Äußerung des Beschwerdeführers nicht um Schmähkritik. Die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers tritt nicht bereits aus diesem Grund hinter die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zurück. Vielmehr bedarf es einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Interessen. Geht diese zugunsten des Beschwerdeführers aus, so ist der Eingriff verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, es läge eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG vor. Umgekehrt gilt: Der Eingriff wäre gerechtfertigt, wenn die Abwägung ein Überwiegen der Interessen der Betroffenen ergibt. In diesem Fall wäre der Beschwerdeführer nicht in seiner Meinungsfreiheit verletzt.
 
III. Ausblick 
Das Gericht hatte sich allein mit der Frage zu befassen, ob es sich bei den Äußerungen des Beschwerdeführers um Schmähkritik handelte und schon aus diesem Grund seine Meinungsfreiheit hinter den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen zurücktreten muss. Die Klausurbearbeitung darf indes an dieser Stelle nicht stehen bleiben: Zwar bildet die Herausarbeitung der Voraussetzungen der Schmähkritik einen Schwerpunkt, der umfassend erörtert werden muss. Zwingend daran anschließen muss sich aber – sofern das Vorliegen von Schmähkritik zutreffend abgelehnt wurde – eine umfangreiche Abwägung der Meinungsfreiheit und der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen. Die Entscheidung sollte daher Anlass geben, neben den Anforderungen an die Annahme von Schmähkritik auch die klassische Fallkonstellation der Kollision von Meinungsfreiheit und Allgemeinem Persönlichkeitsrecht zu wiederholen, da diese stets beliebter Stoff sowohl für Zwischenprüfungs- als auch für Examensklausuren ist.

21.08.2019/1 Kommentar/von Dr. Maike Flink
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2019-08-21 09:33:352019-08-21 09:33:35BVerfG: Konkretisierungen der Anforderungen an das Vorliegen von Schmähkritik
Christian Muders

LG Tübingen: Bezeichnung eines Polizeibeamten als „Homosexueller“ keine Beleidigung

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT

Anm. zu LG Tübingen, Urteil v. 18.7. 2012 – 24 Ns 13 Js 10523/11 (= NStZ-RR 2013, 10)
1. Um was geht es?
Dem Angeklagten wurde u.a. vorgeworfen, im Rahmen einer Blutentnahme in den Diensträumlichkeiten eines Polizeireviers in Gegenwart des Arztes die anwesenden Polizisten als „Homosexuelle“ bezeichnet zu haben, um diesen gegenüber seine Missachtung auszudrücken. Die Staatsanwaltschaft hatte hierin eine strafbare Beleidigung (§ 185 StGB) erblickt.
2. Was sagt das Gericht?
Das LG Tübingen hat angenommen, dass in dem geschilderten Geschehen kein Beleidigungsdelikt i.S.d. §§ 185ff. StGB gegenüber den im Revier anwesenden Polizisten liege und den Angeklagten daher – jedenfalls insofern – freigesprochen.
a) Es umschreibt hierbei zunächst das Rechtsgut der Ehrdelikte, um einen Maßstab für die im konkreten Fall vorgenommene Wertung zu erhalten:

Personales Rechtsgut der §§ 185 ff. StGB ist die Ehre als verdienter Achtungsanspruch jedes Individuums. Nach dem normativ-faktischen Ehrbegriff geht es um den auf die Personenwürde gegründeten, jedem Menschen von Verfassungs wegen zustehenden Geltungswert und den daraus folgenden Anspruch, nicht unverdient herabgesetzt zu werden. Dieser Ehrenstatus reflektiert auf den Aspekt personaler Würde als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG) und auf die Geltung der Person in der Gesellschaft. Demzufolge impliziert eine Beleidigung im strafrechtlichen Sinne die Kundgabe der Missachtung bzw. Nichtachtung und somit eine Aussage mit wertminderndem Gehalt. Hierbei ist der Äußerungsinhalt unter Berücksichtigung der Begleitumstände zu ermitteln. Der Ehrbegriff ist „normativ“, weil es dabei nicht primär auf einen bloßen Beleidigungswillen des Äußernden oder auf die subjektiv empfundene Kränkung des Erklärungsempfängers ankommt. Vielmehr muss die Bedeutung der Äußerung objektiv unter Beachtung der Wertungen der Rechtsordnung gewürdigt werden. Keine Beleidigung stellen daher wertneutrale Äußerungen dar, die von der erklärenden Person nach ihrer eigenen Wertung als „beleidigend“ gemeint sind (s. zum Ganzen, Fischer, a.a.O., § 185, Rn. 3 ff.).

b) Sodann wendet die Kammer diese Grundsätze auf den konkreten Sachverhalt an und stellt zunächst fest, dass bereits rein tatsächlich in der Äußerung des Angeklagten kaum objektiv eine Missachtung liegen könne:

Schon rein empirisch ist zweifelhaft, ob die Bezeichnung als „homosexuell“ eine Herabwürdigung enthält. Das mag in der Vergangenheit anders gewesen sein. Der gesellschaftliche Wandel in der Einstellung zur Homosexualität äußert sich etwa darin, dass sich führende Politiker oder Prominente als Homosexuelle offenbaren. Auch innerhalb der Polizei gibt es ein „Netzwerk für Lesben und Schwule“, das sich für mehr Toleranz einsetzt (s. www.velspol.de).

Diese tatsächlichen Feststellungen sichert das Gericht im Anschluss auch normativ ab, indem es auf verschiedene Werteentscheidungen der deutschen Rechtsordnung verweist:

Diese Bewertung folgt aus Art. 3 GG und der einfachgesetzlichen Konkretisierung des Gleichheitsgrundsatzes durch § 1 des Antidiskriminierungsgesetzes (ADG). Demzufolge sind „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“. Niemand darf also wegen seiner sexuellen Identität diskriminiert werden. (…) Entscheidend ist aber, dass sich das Strafrecht in einen Widerspruch zu dem verfassungsrechtlich begründeten Antidiskriminierungsansatz begeben würde, wenn die Bezeichnung als „homosexuell“ als ehrmindernd und herabsetzend bewertet würde. Darin käme gerade die Diskriminierung zum Ausdruck, die von Rechts wegen nicht mehr sein soll. (…) Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass hier uniformierte Polizeibeamte als „homosexuell“ tituliert wurden. Ein Sonderrecht für Polizeibeamte in Uniform – schärfer: eine Ausnahme vom verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbot – ist nicht anzuerkennen.

c) Schlussendlich betont das Gericht, dass bei einer abwertenden Bezeichnungen für Homosexuelle die Sachlage wieder anders liegen würde:

Anders beurteilen sich Äußerungen, die sich nicht auf die Bezeichnung „homosexuell“ beschränken, sondern zusätzlich eine Herabwürdigung ausdrücken wie z.B. „dreckige Schwanzlutscher“ oder „Schwuchteln“. Solche Äußerungen hat das Amtsgericht ebenfalls festgestellt (s. II. 3.) und völlig zu Recht als Beleidigungen gewertet.

3. Warum ist die Entscheidung interessant?
Das Urteil des LG Tübingen führt lehrreich vor, wie die aufgrund ihres generalklauselartigen Rechtsguts in der Klausur nicht gerade einfach zu handhabenden Tatbestände der Ehrdelikte in sinnvoller Weise ausgelegt und für den jeweiligen Sachverhalt konkretisiert werden können.
a) Dabei ist zunächst – was das LG Tübingen in seiner pauschalen Bezugnahmen auf eine „Strafbarkeit nach den §§ 185 ff. StGB“ unterlassen hat – eine Einordnung des Begriffs „Homosexueller“ vorzunehmen, also zu fragen, ob es sich hierbei um eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil handelt: Im ersteren Fall ständen nämlich nicht allein das Delikt der Beleidigung, sondern auch die Straftatbestände der §§ 186 ff. StGB im Raum, welche bei Drittbeteiligung – der im Revier anwesende Arzt hört vorliegend mit – der Anwendung des § 185 StGB vorgehen. Insofern ist festzustellen, dass die Eigenschaft als „Homosexueller“ zwar durchaus dem Beweis zugänglich und mithin grundsätzlich als Tatsache zu werten ist; vorliegend geht es dem Angeklagten aber offensichtlich nicht darum, die tatsächliche sexuelle Präferenz der anwesenden Polizisten mitzuteilen, vielmehr möchte er ihnen mit der vordergründigen Tatsachenbehauptung wohl eher negativ-wertende Assoziationen (namentlich als unmännlich, verweichlicht) zuschreiben, so dass i.E. von einem Werturteil auszugehen ist. Dabei ist überhaupt zu beachten, dass die Rechtsprechung bei lediglich pauschalen Begriffen oftmals die Einordnung als Tatsachenbehauptung ablehnt und eher eine wertende Stellungnahme präferiert. So ordnet das KG in einer neueren Entscheidung (Beschluss v. 30.4.2012 – [4] 161 Ss 80/12 [104/12] = NStZ-RR 2013, 8 ff.) die über das Internet verbreitete, pauschale Bezeichnung von politischen Gegnern als „Alkoholiker“ im konkreten Fall ebenfalls als bloßes Werturteil ein, da sie so substanzarm sei, dass der erkennbare Tatsachenkern gegenüber der subjektiven Wertung völlig in den Hintergrund trete. Zudem verweist das KG in der genannten Entscheidung darauf, dass die Einordnung einer Äußerung als Werturteil oder Tatsache nicht nur für den einschlägigen Straftatbestand, sondern auch für die Rechtfertigungsebene Bedeutung erlangt: Während nämlich Werturteile voll umfänglich durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt werden, gilt dies im Tatsachenbereich nur für wahre Tatsachen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94 = BVerfGE 90, 241 ff.), was im Rahmen einer Abwägung nach § 193 StGB relevant werden kann.
b) Des Weiteren wird durch das LG Tübingen in überzeugender Weise dargelegt, dass die Bezeichnung als „Homosexueller“ nach den heutigen sozialen Standards objektiv nicht als Ausdruck der Miss- oder Nichtachtung eingeordnet werden kann. Wichtig ist hierbei insbesondere der Hinweis des Gerichts darauf, dass den Maßstab für diese Einordnung weder das Empfinden des Täters noch des Opfers selbst, sondern allein die objektive Bedeutung der Äußerung unter Beachtung der Wertungen der Rechtsordnung liefert. Handelt es sich bei dem Opfer einer Äußerung also etwa um einen besonders empfindlichen Zeitgenossen, führt dies nicht dazu, dass dieser eher beleidigt werden könnte als ein abgehärteter Typus. Exemplarisch hierfür ist auch eine Entscheidung des AG Berlin-Tiergarten (Beschluss v. 26. 5. 2008 – [412 Ds] 2 JuJs 186-08 [74/08] = NJW 2008, 3233), wonach die Anrede eines Polizisten als „Oberförster“ zwar von diesem subjektiv als Angriff auf seine Ehre als Polizeibeamter und Mensch empfunden werden mag, was jedoch nichts daran ändere, dass ein „verständiger Dritter“ hiermit nicht den Achtungsanspruch des Betroffenen in Gefahr sehen würde. Fraglich kann bei dieser Betrachtung allerdings sein, ob im umgekehrten Fall, wenn also eine tatsächlich erniedrigende Äußerung vom Opfer als nicht beleidigend empfunden wird, diese bei einem objektiven Maßstab nicht dennoch den Tatbeständen der Ehrdelikte unterfällt – was freilich deshalb, weil ohnehin grundsätzlich ein Strafantragserfordernis des Verletzten gem. § 194 Abs. 1 StGB gilt, nicht sonderlich ins Gewicht fallen würde. Geht man schließlich davon aus, dass der Täter bei einer objektiv nicht ehrenrührigen Äußerung eine solche Wirkung zumindest intendiert hat, wie dies der oben wiedergegebene Sachverhalt mit seiner Beschreibung des subjektiven Ziels des Angeklagten nahe legt, könnte immerhin an einen „untauglichen Versuch“ zu denken sein. Dieser würde allerdings, da die Beleidigungsdelikte keine Verbrechen darstellen und auch keine ausdrückliche Anordnung der Versuchsstrafbarkeit enthalten, für den Täter stets folgenlos bleiben.

16.01.2013/3 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2013-01-16 12:00:052013-01-16 12:00:05LG Tübingen: Bezeichnung eines Polizeibeamten als „Homosexueller“ keine Beleidigung

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