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Schlagwortarchiv für: Wahl

Dr. Lena Bleckmann

AfD scheitert vor dem Bundesverfassungsgericht – Kein Anspruch auf Wahl eines Vizepräsidenten oder einer Vizepräsidentin des Bundestages

Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Mit einer gestern veröffentlichten Entscheidung (Az. 2 BvE 9/20) hat das Bundesverfassungsgericht der Bundestagsfraktion der Alternative für Deutschland (AfD) einen Dämpfer verpasst. Nach Einschätzung des BVerfG hat die Fraktion keinen Anspruch darauf, dass ein von ihr vorgeschlagener Abgeordneter oder eine von ihr vorgeschlagene Abgeordnete zum Stellvertreter oder zur Stellvertreterin des Präsidenten bzw. der Präsidentin des Deutschen Bundestages gewählt wird. Im Folgenden ein Überblick über die wichtigsten Aspekte der Entscheidung.

I. Sachverhalt

Der Sachverhalt ist schnell erzählt. Nach § 2 Abs. 1 S. 1 GO-BT wählt der Bundestag einen Bundestagspräsidenten und seine Stellvertreter und Stellvertreterinnen (VizepräsidentInnen), wobei jede Fraktion nach § 2 Abs. 1 S. 1 GO-BT durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten ist.

Nachdem der Bundestag die Zahl der Stellvertreter und Stellvertreterinnen für die 19. Legislaturperiode entsprechend der Zahl der im Bundestag vertretenen Fraktionen auf sechs festgelegt hatte, wurde die Wahl der Vizepräsidenten und Vizepräsidentinnen gemäß § 2 Abs. 2 GO-BT durchgeführt. Einzig der AfD-Kandidat konnte auch in drei Wahlgängen keine Mehrheit auf sich vereinen. Das Schauspiel wiederholte sich im Laufe der Legislaturperiode: Insgesamt fünf weitere vorgeschlagene Abgeordnete der AfD-Fraktion fielen in jeweils drei Wahlgängen durch. Bis zum Ende der 19. Legislaturperiode gab es keinen Stellvertreter des Bundestagspräsidenten aus der AfD-Fraktion.

Hierdurch sieht die Fraktion ihre Rechte aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und ihr Recht auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung sowie den Grundsatz der Organtreue verletzt. Sie macht geltend, wenn eine Bestellung eines Gremiums von einer Mehrheitswahl abhängig gemacht werde, müsse dafür Sorge getragen werden, dass Kandidaten nicht aus sachwidrigen Gründen abgelehnt würden. Dies habe der Antragsgegner (der Deutsche Bundestag) durch geeignete Vorkehrungen sicherzustellen. Er müsse verfassungswidrigen Blockaden durch eine oder mehrere Fraktionen oder eine Mehrheit der Abgeordneten durch ein formelles oder informelles Verfahren entgegenwirken.

II. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Diese Einschätzung hat das Bundesverfassungsgericht in typischer Art abgelehnt, man möchte fast sagen abgebügelt – der Antrag sei offensichtlich unbegründet. In seiner Untermauerung dieser These geht das BVerfG in drei Schritten vor. Zunächst setzt es sich mit der möglichen Verletzung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG auseinander, sodann mit einer solchen des Rechts auf effektive Opposition und schließlich dem Grundsatz der Organtreue.

  1. Prozessuales

Die Zulässigkeit des Antrags lässt das BVerfG demgegenüber offen. Prozessual hatte die Bundestagsfraktion der AfD ein Organstreitverfahren gegen den Deutschen Bundestag als Antragsgegner angestoßen. Die einzelnen Prüfungspunkte sollen an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Sollte sich der Sachverhalt jedoch einmal in einer Klausur wiederfinden, sollten Prüflinge sich jedenfalls kurz mit der Antragsbefugnis der Fraktion auseinandersetzen. Nach § 64 Abs. 1 BVerfGG muss der Antragsteller geltend machen, dass er oder das Organ, dem er angehört, in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. „Durch das Grundgesetz“ ist hier der entscheidende Satzteil – das verletzte oder gefährdete organschaftliche Recht muss ein solches sein, das durch die Verfassung gewährleistet wird. An Rechtspositionen, die allein aus der Geschäftsordnung des Bundestags folgen, kann ein Organstreitverfahren nicht geknüpft werden.

Achtung: Zwar nennt Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG auch andere Beteiligte, die durch das Grundgesetz oder die Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Die Nennung der Geschäftsordnungsrechte bezieht sich hier aber allein auf die Beteiligtenfähigkeit im Organstreit, nicht aber auf die Antragsbefugnis (vgl. Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, § 64 BVerfGG, Rn. 61).

Das schließt nicht aus, dass die GO-BT im Rahmen der Antragsbefugnis relevant werden kann. Die von ihr gewährten Rechte müssen sich aber an ein bereits aus der Verfassung folgendes Statusrecht des antragstellenden Organs ergeben und dieses ausgestalten (vgl. etwa BVerfGE 87, 207, 208 f.). 

Hinweis: Das BVerfG hat die Frage der Zulässigkeit zwar offen gelassen, es erscheint in der Klausur angezeigt, die Antragsbefugnis mit Blick auf die Möglichkeitstheorie zunächst zu bejahen und die relevanten Probleme in der Begründetheit zu erörtern.

  1. Zu Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG

Erster Anknüpfungspunkt ist Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, der zunächst einmal das freie Mandat der Abgeordneten des Bundestages regelt. Aus dieser Norm leitet das Bundesverfassungsgericht auch die Rechtsstellung der Fraktionen und insbesondere ein Recht auf formale Gleichheit der Abgeordneten und Fraktionen ab:

„Die Antragstellerin ist als Fraktion im Deutschen Bundestag ein Zusammenschluss von Abgeordneten, dessen Rechtsstellung – ebenso wie der Status der Abgeordneten – aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG abzuleiten ist. Dementsprechend haben die Fraktionen gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ein Recht auf formal gleiche Mitwirkung an der parlamentarischen Willensbildung.“ (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 28, Nachweise im Zitat ausgelassen).

Das Recht auf Gleichbehandlung erstreckt sich dabei nach den Ausführungen des BVerfG auch auf Fragen der Organisation des Bundestages, auch für die Besetzung von Ämtern und damit auf für den Zugang zum Bundestagspräsidium (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 28).

Mag so auch ein Recht auf gleichberechtigte Mitwirkung der Abgeordneten am und im Präsidium bestehen, so wird dieses doch wiederum begrenzt durch Art. 40 Abs. 1 S. 1 GG, der die Wahl (!) des Bundestagspräsidenten und der Stellvertreter und Schriftführer vorsieht. Das BVerfG nimmt dies zum Anlass, die Grundsätze und Bedeutung von Wahlen zu erläutern:

„Dabei ist die Wahl nach Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG frei. Wahlen zeichnen sich gerade durch die Wahlfreiheit aus, wenngleich die Wählbarkeit von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängen kann. Der mit einer Wahl einhergehende legitimatorische Mehrwert könnte nicht erreicht werden, wenn es eine Pflicht zur Wahl eines bestimmten Kandidaten oder einer bestimmten Kandidatin gäbe. Der Wahlakt unterliegt grundsätzlich keiner über Verfahrensfehler hinausgehenden gerichtlichen Kontrolle, weswegen sein Ergebnis auch keiner Begründung oder Rechtfertigung bedarf.“ (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 31, Nachweis im Zitat ausgelassen).

Dies knüpft das Gericht ergänzend an das freie Mandat der Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und das Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG. An einer späteren Stelle im Urteil heißt es darüber hinaus, „mit einer freien Wahl im Sinne des Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG wäre es unvereinbar, wenn eine Fraktion das Recht auf ein bestimmtes Wahlergebnis hätte. Könnte eine Fraktion – mittels der von der Antragstellerin begehrten „prozeduralen Vorkehrungen“ oder gar durch ein Besetzungsrecht – einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin durchsetzen, wäre die Wahl ihres Sinns entleert.“ (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 35).

Weder könnten daher die Abgeordneten oder Fraktionen verpflichtet werden, die Stimmabgabe offenzulegen oder zu begründen, noch soll das Recht der Fraktionen aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG durch prozedurale Vorkehrungen, welche die Wahl letztlich steuern und einengen, beschränkt werden (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 33, 36). Diese Grundsätze führen das BVerfG zu dem folgenden, eindeutigen Ergebnis:

„Der Anspruch einer Fraktion auf Mitwirkung und Gleichbehandlung mit den anderen Fraktionen bei der Besetzung des Präsidiums aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG steht mit Blick auf Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG unter dem Vorbehalt der Wahl. Er ist darauf beschränkt, dass eine Fraktion einen Kandidaten für die Wahl vorschlagen kann und dass die freie Wahl ordnungsgemäß durchgeführt wird. Gelingt die Wahl nicht, bleibt die Stellvertreterposition unbesetzt, solange nicht ein von der zu vertretenden Fraktion einzubringender neuer Personalvorschlag die erforderliche Mehrheit erreicht. Das in § 2 Abs. 1 und Abs. 2 GO-BT vorgesehene Vorschlags- und Wahlrecht sichert hinreichend das Mitwirkungsrecht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und bringt dieses in einen angemessenen Ausgleich zu der verfassungsrechtlichen Vorgabe in Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG.“ (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 37).

  1. Zum Recht auf effektive Opposition

Deutlich kürzer fasst sich das Gericht im Hinblick auf das Recht auf effektive Opposition. Ein solches ist zwar in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannt (BVerfGE 142, 22, Rn. 85 ff.).  Es begründet aber keine spezifischen Oppositionsrechte, was auch mit der Freiheit des Mandats nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG nicht vereinbar wäre (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 42).

Hinweis: Das BVerfG spricht hier einen Klausurklassiker an. Wem das Recht auf effektive Opposition nichts sagt, der sollte hier noch einmal im Lehrbuch oder Kommentar nachlesen!

Dass dieses Recht hier nicht betroffen ist, begründet das BVerfG weiterhin damit, dass es  nicht dazu dienen kann, die Minderheit vor Entscheidungen der Mehrheit im Rahmen freier Wahlen zu bewahren, sowie damit, dass das Bundestagspräsidium zu parteipolitischer Zurückhaltung angehalten ist und Oppositionsarbeit im Amt gerade nicht angezeigt ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 43).

  1. Zum Grundsatz der Organtreue

Auch mit dem Grundsatz der Organtreue ließ sich das von der AfD-Fraktion gewünschte Ergebnis nicht begründen. Da die Wahlvorgänge für alle vorgeschlagenen Abgeordneten gleichermaßen durchgeführt wurden und die AfD-Fraktion ihr Vorschlagsrecht (mehrfach) ausüben konnte, sah das BVerfG keine Anhaltspunkte für eine gleichheitswidrige Behandlung oder unfaire oder illoyale Durchführung der Wahlvorgänge (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 45).

III. Was bleibt?

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liest sich wie ein Grundkurs in Sachen Demokratie. Das ist insbesondere den Ausführungen zu den Grundsätzen der freien Wahl und auch dem freien Mandat der Abgeordneten geschuldet. Das Thema bleibt politisch brisant, zeichnet sich doch für die jetzige Legislaturperiode bereits ein ähnliches Spiel ab. Der Fall bietet viel Argumentationsspielraum und Möglichkeiten, Bezüge verschiedener Normen innerhalb des Grundgesetzes zueinander aufzuzeigen. Es wäre daher nicht überraschend, ihn früher oder später als Gegenstand von Klausuren oder mündlichen Prüfungen wiederzufinden.

23.03.2022/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2022-03-23 11:38:002022-07-21 09:00:22AfD scheitert vor dem Bundesverfassungsgericht – Kein Anspruch auf Wahl eines Vizepräsidenten oder einer Vizepräsidentin des Bundestages
Gastautor

Ist die „Abschaffung“ des Europäischen Parlaments unionsrechtlich möglich?

Europarecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Nikolaus Klausmann veröffentlichen zu können. Der Autor ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt Universität zu Berlin (EWeRK Institut).
 

Die „Abschaffung“ des Europäischen Parlaments als Europawahlversprechen der AfD

 

-Eine Anmerkung aus europarechtlicher und verfassungsrechtlicher Perspektive-

 
Rechtliche Erläuterungen zu aktuellen politischen Ereignissen sind vor allem im Rahmen des mündlichen Teils der Juristischen Staatsprüfungen regelmäßig gefragt. Für die Vorbereitung auf diese Prüfungen ist es daher unerlässlich, sich mit politischem Tagesgeschehen aus rechtswissenschaftlicher Sicht zu beschäftigen. Die in diesem Beitrag beleuchtete Thematik bietet sich als Prüfungsgegenstand einer mündlichen Prüfung an. Es können europa- und verfassungsrechtliche Kenntnisse sowie die Fähigkeit, diese auf aktuelles Politikgeschehen anzuwenden, geprüft werden. 
 
Vom 23. bis 26. Mai 2019 findet die Wahl zum Europäischen Parlament statt. Die AfD möchte unter anderem mit der Forderung der „Abschaffung“ des EU-Parlamentes Stimmen gewinnen. Konkret ist im Europawahlprogramm[1] der AfD zu lesen: „Das undemokratische EU-Parlament mit seinen derzeit (…) 751 Abgeordneten wollen wir abschaffen“ (Seite 12). Zwar wird das Europäische Parlament aus verschiedensten politischen Richtungen als reformbedürftig bezeichnet. Die AfD ist jedoch die einzige in Deutschland zur Wahl antretende, maßgebliche Partei die eine Beseitigung des Organs fordert.[2]
 
Dieser Beitrag geht zunächst kurz auf die These ein, das Organ sei „undemokratisch“ (I.). Anschließend wird dargestellt wie sich das Parlamente tatsächlich „abschaffen“ ließe (II. & III.) und ob es Parallelen zwischen dem europäische Recht und der deutschen Verfassung bezüglich eines solchen Vorgangs gibt (IV.). In einem Fazit werden die wesentlichen Ergebnisse zusammengefasst (V.).
 
I. Anhaltspunkte für ein Demokratiedefizit?
Das „Demokratiedefizit der Europäischen Union“ ist wissenschaftlicher Forschungsgegenstand und viel bemühte Thematik der Politik. Untersucht wird in diesem Zusammenhang neben einem strukturellen Demokratiedefizit (Die Nichtexistenz einer „europäischen Öffentlichkeit“), auch ein sog. „institutionelles Demokratiedefizit“ (Ausgewogenheiten im institutionellen Gefüge der Europäischen Union).[3] Ein solches soll beispielsweise deshalb vorliegen, weil -gemäß Art. 294 AEUV- weder das Europäische Parlament, noch der Rat der EU -die europäischen Institute der Legislative, vgl. Art 12 I EUV- ein Initiativrecht im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens besitzen.[4] Ebenfalls ist die Anzahl der Abgeordneten eines Mitgliedsstaats im Europäischen Parlament nicht direkt proportional zu seiner Bevölkerungsgröße (sog.  degressiv proportionale Repräsentation), vgl. Art 14 II EUV.[5] Kritik an dieser institutionellen Ausgestaltung wird mit einem Verweis auf die Grundsätze der Effizienz, der Pluralität und der Solidarität begegnet.[6]
 
II. Wie ließe sich das EU Parlament „abschaffen“?
Was meint die AfD mit dem Begriff des „Abschaffens“? Der Duden schlägt als Synonyme die Begriffe „aufheben, außer Kraft setzen, beseitigen“ vor. Es soll eine Situation ohne Existenz des Organs geschaffen werden – so das Versprechen.[7]
Der Grund für das Bestehen des Europäischen Parlaments ist dessen Verankerung in Art. 13 und 14 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und  Handlungskompetenzen des Organs, beispielsweise im Bereich der Rechtssetzung, werden im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) definiert. Beide Verträge sind Teil des sogenannten europäischen Primärrechts. Dabei handelt es sich -im Gegensatz zum europäischen Sekundärrecht- nicht um von der EU erlassene Legislativakte, sondern um von den Mitgliedsstaaten ursprünglich geschlossene völkerrechtliche Verträge.[8] Sie bilden die Basis für das Bestehen der EU und die Handlungsfähigkeit ihrer Institutionen.[9]
Daher ist eine „Abschaffung“ des EU-Parlaments nur mit einer Änderung des europäischen Primärrechts möglich. Doch wie könnte die AfD als Teil des Parlamentes eine Primärrechtsänderung mit entsprechendem Inhalt herbeiführen, bzw. zu einer solchen beitragen?
 
III. Änderung des Europäischen Primärrechts
Art. 48 EUV regelt die Änderung der Verträge, also des EUV und des AEUV.[10] Diese Norm stellt somit lex specialis zu den allgemeinen Vorgaben aus dem Völkervertragsrecht, vgl. Art. 39 WVK ff., dar. Den dort dargelegten, verschiedenartigen Änderungsverfahren ist grundsätzlich gemein, dass sie der mitgliedstaatlichen Zustimmung bedürfen und nicht allein durch Rechtshandlungen der Organe der Europäischen Union bewirkt werden können. Das folgt auch aus deren völkerrechtlichem Ursprung.[11]
Initiiert werden kann ein Änderungsverfahren von der Regierung jedes Mitgliedstaates, dem Europäischen Parlament und der Kommission.[12] Als Teil des Parlamentes könnte die AfD daher grundsätzlich ein Änderungsverfahren anstoßen. Aber schon die Zulassung der Initiative hängt von der einfachen Mehrheit des Europäischen Rates ab. Sollte eine solche nicht zustande kommen, wäre die Initiative aus dem Parlament schon im Keim erstickt.
Nach erfolgreicher Initiative, hat ein Konvent von Vertretern und Vertreterinnen der nationalen Parlamente, der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Kommission anschließend den Auftrag die Änderungsentwürfe zu prüfen.[13] Das Ergebnis dieser Prüfung wird nun der Regierungskonferenz – ausschließlich als Empfehlung – weitergeleitet.[14] Diese besteht aus Vertretern und Vertreterinnen der Regierungen der Mitgliedstaaten. Bis zu diesem Punkt könnte die AfD als Teil des EU-Parlaments auf die Ausgestaltung dieser Empfehlung, wenn auch nur sehr eingeschränkt, einwirken. In allen folgenden Schritten versiegt jedoch die Einflussnahme aller EU-Institutionen vollständig.
Diese Regelung ist nachvollziehbar: Die EU wurde auf Basis von Verträgen zwischen den Mitgliedsstaaten geschaffen; also auf Basis von Einigungen zwischen diesen. Der Inhalt solcher Verträge kann nur durch eine zeitlich nachgelagerte Einigung eben dieser Vertragspartner verändert werden.
 
IV. Das Parlament auf europäischer und deutscher Ebene
Interessanterweise richtet sich aber nicht das Recht selbst gegen eine entsprechende Gesetzesänderung. An dieser Stelle unterscheidet sich das europäische vom deutschen Recht. Unabhängig von parlamentarischen Mehrheiten und sonstigen politischen Erwägungen stünde einer -jedenfalls ersatzlosen- Abschaffung des deutschen Bundestages die Verfassung selbst entgegen. Für eine entsprechendes Vorhaben müsste Art. 20 GG geändert oder verworfen werden, denn: Gesetzgebung ohne Parlament wäre mit der Gewährleistung eines Kernbestands des demokratischen Prinzips unvereinbar.[15] Eine Verfassungsänderung ist dem Grunde nach möglich, vgl. Art. 76 II & III GG, Art. 79 I GG, bedarf aber jedenfalls einer zweidrittel Mehrheit des Bundestages und des Bundesrates.[16]
Gegen eine entsprechende Änderung, schützt sich die deutsche Rechtsordnung jedoch u.a. in diesem Einzelfall mit der sog. „Ewigkeitsklausel“ selbst. Sie sieht in Art. 79 III GG eine Bestandsgarantie für die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze, namentlich auch den Erhalt der Volksouveränität  vor.[17] Eine solche ist aber nur gewährleistet, wenn das staatliche Handeln demokratisch legitimiert ist. Bei einem ersatzlosen Abschaffen des Bundestages wäre das wohl nicht weiter der Fall. Daher sind gesellschaftliche Mehrheitsverhältnisse für ein entsprechendes Vorhaben nicht ausschlaggebend. Die aus Art. 20 GG ableitbaren staatsorganisatorischen Grundsätze ließen sich auf deutscher-nationalen Ebene nicht abschaffen. Politischer Wille könnte daran nichts ändern.
Auf die europäische Ebene ist diese Argumentation nicht übertragbar. Hier entwickelte sich Demokratie zwar von einer politischen Forderung, ohne Status eines Rechtsprinzips, zur verbindlichen primärrechtlichen Vorgabe (s.o.). Die Ewigkeitsklausel aus der deutschen Verfassung findet auf unionsrechtlicher Ebene jedoch keine Entsprechung. Deshalb ist jede Primärrechtsänderung dem Grunde nach möglich.
 
V. Fazit
Der „Abschaffung“ des Europäischen Parlamentes stellt sich zwar kein, der Ewigkeitsklausel der deutschen Verfassung entsprechender unionsrechtlicher Schutzmechanismus entgegen. Für die Beseitigung des Organs wäre jedoch eine Änderung des Europäischen Vertragswerkes notwendig. Hierzu würde es der Einstimmigkeit der Vertragspartner – der europäischen Mitgliedstaaten – bedürfen. Ausschließlich diese besitzen entsprechende Änderungskompetenzen. Das bedeutet: Die Forderung lässt sich schlicht auf europäischer Ebene nicht umsetzen.
 
 
 
[1] Abrufbar unter: https://www.afd.de/europawahlprogramm/.
[2] Europawahl 2019 – Die wesentlichen Kernforderungen von FDP, CDU, SPD, DIE LINKE, Bündis 90/Die Grünen und AfD, Friedrich Naumann Stiftung, S. 5.
[3] Vgl. z.B: Calliess, Auf der Suche nach dem europäischen Weg: Überlegungen im Lichte des Weißbuchs der Europäischen Kommission zur Zukunft Europas, NVwZ 2018, 1ff.; Christian Kreuder-Sonnen, Europas doppeltes Demokratieproblem – Defizite von EU und Mitgliedsstaaten verstärken sich gegenseitig (2018), WZB Mitteilungen, Heft 160, S. 13 ff; Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, Das Demokratiedefizit der Europäischen Union und der Vertrag von Lissabon (2008), S. 4; Follesdal, Andreas und Hix, Simon (2006): “Why there is a democratic deficit in the EU: A response to Majone and Moravcsik.” Journal of Common Market Studies, 4:3, S. 533ff.; Lord, Christopher und Magnette, Paul (2004): E Pluribus Unum? Creative Disagreement about Legitimacy in the EU”. Journal of Common Market Studies, 42:1, S. 183 ff.
[4] Wissenschaftlicher Dienst des DeutschenBundestages, Das Demokratiedefizit der Europäischen Union und der Vertrag von Lissabon (2008), S. f.
[5] Wissenschaftlicher Dienst des Deutscher Bundestag, Das Demokratiedefizit der Europäischen Union und der Vertrag von Lissabon (2008), S. 7f.
[6] Vgl. Calliess/Ruffert, EUV/AEUV Art. 14. EUV, Rn. 23 f.
[7] Diese Interpretation bestätigte Jörg Meuthen ausdrücklich in: „Ich würde nie…“ mit Jörg Meuthen (AfD), Deutschlandfunk Nova, 06.05.2019 -abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=BtIun9CGS84.
[8] Calliess/Ruffert, EUV/AEUV Art. 1 AEUV, Rn. 5.
[9] Vgl. Haratsch/König/Pechstein, Europarecht (2016), S. 32 ff.
[10] Vgl. Calliess/Ruffert, EUV/AEUV Art. 48 EUV, Rn. 1 ff; Haratsch/König/Pechstein, Europarecht (2016), S. 88 ff.
[11] Calliess/Ruffert, EUV/AEUV Art. 48 EUV, Rn. 1; NJW 2013, 9f.
[12] Calliess/Ruffert, EUV/AEUV Art. 48 EUV, Rn. 4.
[13] Calliess/Ruffert, EUV/AEUV Art. 48 EUV, Rn. 5.
[14] Calliess/Ruffert, EUV/AEUV Art. 48 EUV, Rn. 6.
[15] BVerfGE 104, 151 (208); BeckOK Grundgesetz, Eppig/Hillgruber 40. Edition, Art. 20 GG, Rn. 131 ff.
[16] Boehl, Zu viele Abgeordnete im Bundestag?, ZRP 2017, 197, 200.
[17] BeckOK Grundgesetz, Eppig/Hillgruber 40. Edition, Art. 79 GG, Rn. 33 ff.

23.05.2019/2 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2019-05-23 09:30:372019-05-23 09:30:37Ist die „Abschaffung“ des Europäischen Parlaments unionsrechtlich möglich?
Gastautor

Oberbürgermeisterwahl in Köln

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen

Wir freuen uns Euch einen Gastbeitrag von Sebastian Nellesen veröffentlichen zu können. Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Wissenschaftsrecht und Medienrecht bei Professor Dr. Christian von Coelln, Universität zu Köln.
I. Einführung
Nennt Ihnen ein Prüfer in der mündlichen Examensprüfung das Stichwort „Oberbürgermeisterwahl in Köln“, sollte jeder Examenskandidat in der Lage sein in einigen Sätzen dieses öffentlich – auch überregional – diskutierte Thema darzustellen. Das Kommunalwahlrecht ist in Nordrhein-Westfalen zwar nach dem JAG NRW nicht Prüfungsstoff, doch muss aufgrund der Aktualität der Thematik mit einem solchen Einstieg gerechnet werden. Daher sollten zumindest der Sachverhalt und die zentralen rechtlichen Fragestellungen bekannt sein.
II. Sachverhalt
Die (Ober-) Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Kommunen werden auf Grundlage von § 65 Abs. 1 S. 1 GO NRW von den Bürgern gewählt. Nach der aktuellen Fassung des § 65 Abs. 1 S. 1 GO NRW beträgt die Wahlperiode fünf Jahre, zwischen 2007 und 2013 waren es sechs Jahre. Diese, zwischenzeitlich von der Wahlperiode des Rates (diese ist in § 42 Abs. 1 S. 1 GO NRW auf fünf Jahre festgelegt) abweichende Amtszeit hatte zur Folge, dass die (Ober-) Bürgermeister- und Ratswahlen nicht mehr gemeinsam durchgeführt werden konnten. Die am 25. Mai 2014 in vielen nordrhein-westfälischen Kommunen gemeinsam durchgeführten Wahlen waren nur auf Grundlage freiwilliger, freilich vom Landesgesetzgeber mit Art. 5 § 5 des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Demokratie unterstützten Rücktritte der amtierenden (Ober-) Bürgermeister möglich. Mit dem Gesetz zur Stärkung der kommunalen Demokratie sollten die Wahlen wieder zusammengeführt werden.
Nach Art. 5 § 1 Abs. 3 des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Demokratie wurde der 13. September 2015 als Termin für die (Ober-)Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfahlen durch den Landesgesetzgeber festgelegt (ausgenommen sind selbstverständlich die Kommunen, in denen 2014 bereits mit dem Rat die (Ober-) Bürgermeister gewählt wurden). Ausnahmsweise erfolgte die Festlegung des Wahltermins damit durch den Landesgesetzgeber selbst und nicht – wie sonst – durch das Ministerium für Inneres bzw. die Aufsichtsbehörde gemäß § 14 Abs. 1 KWahlG NRW. Da es keine spezifische Wahlaufsichtsbehörde gibt, richtet sich die Zuständigkeit nämlich nach § 120 GO NRW.
Ende August 2015, nachdem die Briefwahlen bereits angelaufen und tausende Wahlscheine versendet worden waren, wurde die Gestaltung des Wahlzettels öffentlich kritisiert (vgl. z.B. hier). Anlass dieser Kritik war die von Anlage 17c zur KWahlO NRW (der Musterstimmzettel ist dieser Anlage zu § 75c KWahlO NRW enthalten, die selbst ihre Grundlage in § 51 KWahlG NRW findet) abweichende Gestaltung des Wahlzettels; speziell die deutlich größere Darstellung des Parteinamens gegenüber den Kandidatennamen. Insbesondere die Kölner CDU als Unterstützerin der sog. „Einzelbewerberin“ (vgl. § 15 Abs. 1 KWahlG NRW) Reker, die als unabhängige Kandidaten antritt, aber durch mehrere Parteien unterstützt wird,  sah darin eine Benachteiligung der Einzelbewerber.
Die Wahlleiterin ließ daraufhin den Stimmzettel von der Bezirksregierung als Kommunalaufsicht (§ 120 GO NRW) prüfen. Diese äußerte ebenfalls Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Die Stadt teilte daraufhin zunächst mit, dass neue Stimmzettel gedruckt würden, die bereits – per Briefwahl – abgegebenen ca. 53.000 Stimmen aber gültig blieben. Die Bezirksregierung folgte dem nicht und informierte die Stadt, dass sie diese Vorgehensweise als nicht rechtskonform bewerte. Nach Absprachen zwischen Stadt und Bezirksregierung wurde schließlich mitgeteilt, dass der 13. September 2015 als Wahltermin nicht zu halten sei. Als neuer Wahltermin wurde der 18. Oktober 2015 bzw. für eine ggf. erforderliche Stichwahl der 8. November 2015 festgelegt (vgl. die Pressemitteilung der Stadt Köln).
III. Rechtliche Bewertung
Nach der Zusammenfassung des Sachverhalts wird von Ihnen in der Regel eine rechtliche Einschätzung verlangt werden. Anhand des vorliegenden Falls können vielfältige juristische Probleme erörtert werden.
Würde man den Sachverhalt anhand des „Kölschen Grundgesetzes“, insbesondere an Art. 2 „Et kütt wie et kütt“ und Art. 3 „Et hät noch immer jod jejange“, beurteilen, wären Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Stimmzettel sicher nicht angebracht. Vermutlich wird diese Einschätzung den Prüfern aber nicht genügen, sodass der Sachverhalt anhand der allgemein gültigen Gesetze beurteilt werden muss.
Es muss zwingend erkannt werden, dass hier das Recht auf Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Demokratieprinzip) und die Gleichheit der Wahl betroffen sind (nicht auf Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG abstellen, da sich dieser nur auf Bundestagswahlen bezieht; Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG ist ebenso nicht einschlägig, weil sich dieser nur auf die Vertretung, also den Gemeinderat bezieht; in der LVerf NRW sind die Wahlrechtsgrundsätze ausdrücklich nur für die Landtagswahlen in Art. 31 Abs. 1 LVerf NRW normiert; Art. 78 Abs. 1 a.E. LVerf NRW spricht nur von den „gewählten Organen“; hier ist daher § 65 Abs. 1 S. 1 GO NRW einschlägig). Diese beiden Grundsätze stehen in einem engen Zusammenhang und garantieren im Wahlverfahren eine strikte Gleichbehandlung aller Wahlbewerber, unabhängig davon, ob es sich um Partei- oder Einzelbewerber handelt. Wenn in der abweichenden Gestaltung des Stimmzettels eine staatliche Beeinflussung des Wählerwillens gesehen wird, ist zusätzlich der Grundsatz der freien Wahl einschlägig.
An diesen Grundlagen muss sich auch die Gestaltung des Stimmzettels orientieren. Zwar bestimmt § 75c S. 1 KWahlO NRW das das Muster in Anlage 17c zur KWahlO NRW „maßgebend“ ist, doch führt eine Abweichung vom Muster an sich noch nicht zu einer Beeinträchtigung der o.g. Grundsätze. Wären die Kandidatennamen auf dem ursprünglichen Stimmzettel in Köln in der gleichen Schriftgröße wie die Parteinamen abgedruckt gewesen, wäre zwar ebenfalls eine Abweichung vom Muster gegeben, die aber keinen Wahlrechtsgrundsatz beeinträchtigt hätte. Dies ist erst dann der Fall, wenn der Stimmzettel zu Lasten bzw. zu Gunsten bestimmter Kandidaten umgestaltet wird. Vergleicht man das Muster aus Anlage 17c zur KWahlO NRW mit dem in Köln zunächst verwendeten Stimmzettel, sind wesentliche Unterschiede zu Lasten der Einzelbewerber erkennbar. Kandidaten- und Parteiname sind in Anlage 17c zur KWahlO NRW in gleicher Schriftgröße abgebildet.
Zwar führt nicht jede Beeinträchtigung zu einer Verletzung (sonst wären z.B. Sperrklauseln nie zulässig), doch sind an eine Rechtfertigung hohe Anforderungen zu stellen. Hier ist kein Grund ersichtlich zu Lasten der Einzelbewerber von dem maßgebenden Musterstimmzettel in Anlage 17c zur KWahlO NRW abzuweichen, sodass ein Verstoß gegeben ist. Damit durften die Stimmzettel nicht verwendet werden. Die Entscheidung, neue Stimmzettel zu drucken, war daher grundsätzlich richtig, auch wenn Medienberichten zufolge 20.000 neu gedruckte Stimmzettel auf Grund falschen Datums vernichtet werden mussten, vgl. hier hier.
Fraglich war, wie mit den ca. 53.000 bereits abgegebenen Stimmen zu verfahren war. Zumindest andenken könnte man die Möglichkeit, diese mitzuzählen. Jedoch würde eine Wahl mit zwei verschiedenen Stimmzetteln nicht den gesetzlichen Voraussetzungen entsprechen und das Recht auf Chancengleichheit und die Gleichheit der Wahl erheblich verletzen. Daher war die Entscheidung richtig, auch die bereits abgegebenen Stimmen nicht mitzuzählen. Dies hätte im Übrigen auch für alle später abgegebenen Stimmen auf dem alten Wahlzettel gegolten. Selbst wenn der Wählerwille eindeutig zu erkennen ist, dürfen diese nicht berücksichtigt werden, da es sich formal nicht mehr um den richtigen Stimmzettel handelt.
Stadt und Bezirksregierung haben den Weg über eine Nachwahl gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 KWahlG NRW gewählt. Dieser Weg kommt in Betracht, da im gesamten Wahlgebiet der Stadt Köln die Wahl nicht durchgeführt werden konnte bzw. nur einige Briefwahlstimmen auf rechtwidrigen Stimmzetteln abgegeben wurden. Nach § 21 Abs. 2 S. 1 KWahlG NRW muss diese spätestens fünf Wochen nach dem Tag der ausgefallenen Wahl stattfinden. Diese Frist ist mit dem Termin 18. Oktober 2015 gewahrt. § 21 Abs. 3 KWahlG NRW bestimmt zudem, dass die Nachwahl auf denselben Grundlagen und nach denselben Vorschriften wie die ausgefallene Wahl stattfindet, sofern keine Ergänzung der Wahlvorschläge erforderlich ist. Daraus folgt, dass auch nur diejenigen wahlberechtigt sind, die auch am 13. September 2015 wahlberechtigt waren. Wer am Nachwahltermin das 16. Lebensjahr vollendet hat, ist entgegen § 7 KWahlG NRW nicht wahlberechtigt.
Sollte es in Köln zu einer Stichwahl (§ 46c Abs. 2 KWahlG NRW) kommen, käme es zu der besonderen Situation, dass die Amtszeit des amtierenden Oberbürgermeisters der Stadt Köln am 20. Oktober 2015 endet, bevor ein Nachfolger bestimmt wäre. Dies würde zu einer Vakanz des Oberbürgermeisterpostens führen. Die Aufgaben des Oberbürgermeisters werden in diesem Fall durch die Vertreter wahrgenommen. Vertreter im Amt für interne Angelegenheiten ist der allgemeine Vertreter gemäß § 68 GO NRW, Vertreter nach außen (Leitung der Ratssitzungen und Repräsentation, vgl. § 67 GO NRW) die erste stellvertretende Oberbürgermeisterin. Es kommt damit zur Trennung der Aufgaben, so wie dies bis 1999 üblich war (die GO NRW sah bis dahin einen hauptamtlichen Oberstadtdirektor bzw. Stadt- oder Gemeindedirektor und einen ehrenamtlichen (Ober-) Bürgermeister vor). Hieraus können sich Zuständigkeitsstreitigkeiten z.B. über die Frage ergeben, welchem von beiden Vertretern das Widerspruchs- und Beanstandungsrecht gemäß § 54 GO NRW zusteht.
IV. Fazit
Die Thematik beinhaltet viele juristische Fragestellungen, die als Einstieg ins mündliche Prüfungsgespräch genutzt werden können. Sie bietet die Möglichkeit Grundlagenwissen (Wahlrechtsgrundsätze und das Recht auf Chancengleichheit) in einem eher unbekannten Rechtsgebiet abzuprüfen. Zudem können Besonderheiten der aktuellen Fallkonstellation angesprochen werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Bewertung über den Prüfungsstoff nach dem JAG NRW hinausgehen.

21.09.2015/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-09-21 07:30:452015-09-21 07:30:45Oberbürgermeisterwahl in Köln
Dr. Christoph Werkmeister

3%-Hürde bei Europawahl verfassungsgemäß?

Europarecht, Öffentliches Recht, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

Heise online berichtet, dass die Piratenpartei im Wege des Organstreitverfahrens gegen die  neue 3%-Hürde bei der Europawahl vorgeht. Die Partei strebt dabei eine Entscheidung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 32 BVerfGG an, um eine Rechtsdurchsetzung noch vor der Europawahl am 25.05.2014 zu erwirken. Das angegriffene Gesetz wurde von Bundespräsident Joachim Gauck zuvor am 07.10.2013 unterzeichnet.
Entscheidung des BVerfG aus 2011
Über die Verfassungsmäßigkeit von prozentualen Hürden als Voraussetzung für den Einzug in das Europaparlament hatte das BVerfG bereits in einer damaligen Entscheidung aus dem Jahre 2011 zu urteilen (Urteil vom 9.11.2011 – 2 BvC 4/10, 2 BvC 6/10, 2 BvC 8/10). Seinerzeit ging es um eine 5%-Hürde, die allerdings vom BVerfG als verfassungswidrig eingestuft wurde. Die Entscheidung fiel damals im zuständigen Senat des BVerfG mit 5:3 Stimmen denkbar knapp aus. Zudem gaben die Richter Mellinghoff und di Fabio ein ergänzendes Sondervotum zu der Problematik ab. Gerade diese Uneinigkeit zeigt schon, dass das Urteil nicht unumstritten ist und dass verschiedene Ansichten zu diesem Thema vertretbar sind.
Examensrelevanz
Wir berichteten im Jahr 2011 ausführlich über die leitende Argumentation des BVerfG sowie die Erwägungen nach den Sondervoten (den Beitrag findet ihr hier). Die Lektüre dieses Beitrages sei nicht nur vor dem Hintergrund anstehender mündlicher Examensprüfungen angeraten. Auch in öffentlich-rechtlichen Klausuren im ersten Staatsexamen kann die Thematik abgefragt werden.

12.10.2013/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2013-10-12 09:18:562013-10-12 09:18:563%-Hürde bei Europawahl verfassungsgemäß?
Dr. Christoph Werkmeister

BVerfG zum Wahlrecht für im Ausland lebende Deutsche

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Verfassungsrecht

Das BVerfG entschied heute einen äußerst examensrelevanten Problemkreis (Az. 2 BvC 1/11). Es ging in der Sache darum, ob im Ausland lebende Deutsche wahlberechtigt sind. Gemäß § 12 Abs. 2 des Bundeswahlgesetzes (BWG) in seiner gegenwärtigen Fassung sind solche Deutsche nur dann wahlberechtigt, wenn sie vor ihrem Fortzug in das Ausland mindestens drei Monate ununterbrochen in Deutschland gewohnt haben oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Diese Regelung erklärte das BVerfG für verfassungswidrig.
Historie
Das Sesshaftigkeitserfordernis hatte der Gesetzgeber in der Vergangenheit schrittweise gelockert. Die Wahlberechtigung von Auslandsdeutschen setzte zunächst zusätzlich zum Erfordernis des früheren dreimonatigen Aufenthalts voraus, dass seit ihrem Fortzug nicht mehr als zehn Jahre verstrichen waren. Später verzichtete der Gesetzgeber auf diese Fortzugsfrist. Er blieb indes bei dem in Frage stehenden Dreimonatserfordernisses.
Entscheidung des BVerfG
Das BVerfG hat entschieden, dass die Ausgestaltung der Wahlberechtigung der Auslandsdeutschen durch § 12 Abs. 2 S. 1 BWG mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG unvereinbar und damit nichtig sei. Der Entscheidung des BVerfG liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zugrunde:

Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl verbürgt die aktive und passive Wahlberechtigung aller Staatsbürger. Er ist im Sinne einer strengen und formalen Gleichheit bei der Zulassung zur Wahl des Deutschen Bundestages zu verstehen. Daher bleibt dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der aktiven und passiven Wahlberechtigung nur ein eng bemessener Spielraum für Beschränkungen. Differenzierungen können nur durch Gründe gerechtfertigt werden, die durch die Verfassung legitimiert und von mindestens gleichem Gewicht wie die Allgemeinheit der Wahl sind. Zu den möglichen Rechtfertigungsgründen zählt insbesondere das mit demokratischen Wahlen verfolgte Ziel, den Charakter der Wahl als Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung des Volkes zu sichern. So kann ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen ist, dass die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem Maße besteht.
Nach diesen Maßstäben verletzt § 12 Abs. 2 S. 1 BWG den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl. Die Vorschrift bewirkt eine Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Auslandsdeutschen, da sie diejenigen Auslandsdeutschen, die das Erfordernis eines früheren dreimonatigen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfüllen, das aktive Wahlrecht versagt. Diese Ungleichbehandlung ist nicht durch einen zureichenden Grund legitimiert. Es ist zwar verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber bei der Wahlbeteiligung der Auslandsdeutschen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl nicht voll verwirklicht, weil nach seiner Einschätzung die Fähigkeit, am politischen Willensbildungs- und Meinungsprozess mitzuwirken, ein Mindestmaß an persönlich und unmittelbar erworbener Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in Deutschland erfordert. Die Anknüpfung der Wahlberechtigung allein an den früheren dreimonatigen Daueraufenthalt im Bundesgebiet verstößt aber gegen das Gebot den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und die Kommunikationsfunktion der Wahl zu einem schonenden Ausgleich zu bringen.
Zum einen kann das gesetzgeberische Ziel, die für die Wahlteilnahme vorauszusetzende Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland zu sichern, allein mit dem Erfordernis eines früheren dreimonatigen Aufenthalts in Deutschland nicht erreicht werden. Denn danach ist einer nicht zu vernachlässigenden Zahl von Auslandsdeutschen die Teilnahme an der Wahl gestattet, die entweder eine solche Vertrautheit gar nicht erlangen konnten, weil sie zum Zeitpunkt ihres Aufenthalts in Deutschland aufgrund ihres Alters noch gar nicht die Reife und Einsichtsfähigkeit hierzu hatten, oder aber die Bundesrepublik Deutschland vor so langer Zeit verlassen haben, dass ihre seinerzeit erworbenen Erfahrungen den aktuellen politischen Verhältnissen nicht mehr entsprechen. Zudem ist das Erfordernis eines früheren dreimonatigen Aufenthalts zwar geeignet deutsche Staatsangehörige ohne jede weitere Beziehung zu Deutschland von der Wahlteilnahme auszuschließen zugleich bewirkt es aber, dass Deutsche an den Wahlen zum Deutschen Bundestag nicht teilnehmen können, die typischerweise mit den politischen Verhältnissen vertraut und von ihnen betroffen sind, wie z. B. Auslandsdeutsche, die als „Grenzgänger“ ihre Berufstätigkeit in Deutschland ausüben.
Die Regelung des § 12 Abs. 2 Satz 1 BWG kann schließlich auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass andernfalls eine Häufung der Wahlberechtigten in bestimmten Wahlkreisen oder eine nennenswerte Änderung der Wählerstruktur eintreten würde. Es lässt sich bereits nicht feststellen, dass durch die Anknüpfung an einen früheren dreimonatigen Aufenthalt in der „Wegzugsgemeinde“ eine gleichmäßige Verteilung der wahlberechtigten Auslandsdeutschen auf die Wahlkreise zuverlässig gesichert wäre. Die Anknüpfung der Wahlberechtigung an einen vorherigen Aufenthalt im Bundesgebiet ist auch nicht erforderlich, um die Entstehung ungleichgroßer Wahlkreise zu verhindern, weil nicht ersichtlich ist, dass dieses Ziel mit anderen, weniger eingreifenden Zuordnungskriterien nicht ebenso zuverlässig erreicht werden könnte.

Die Richterin Lübbe-Wolff gab hierzu ein abweichendes – in meinen Augen weniger überzeugendes – Sondervotum ab. Wer sich dafür interessiert, dem seien Rz. 65 ff. der Entscheidung im Volltext ans Herz gelegt. Insbesondere in anstehenden mündlichen Prüfungen ist mit der Problematik zu rechnen, so dass hierfür eine umfassende Recherche sinnvoll erscheint.

07.08.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-08-07 16:01:452012-08-07 16:01:45BVerfG zum Wahlrecht für im Ausland lebende Deutsche
Dr. Christoph Werkmeister

Aktuell: Plenum soll Richter des Bundesverfassungsgerichts wählen

Öffentliches Recht, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

FAZ.net berichtet über Äußerungen des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, wonach dieser an seiner Auffassung festhält, die vom Bundestag zu bestimmenden Richter des BVerfG künftig nicht nur vom sog. Richterwahlausschuss wählen zu lassen. Die Entscheidung solle nunmehr auch noch vom Plenum des Bundestages bestätigt werden. Hintergrund sei die Überlegung, dass es den gewählten Richtern, die vielfach über politisch relevante Weichenstellungen entscheiden (s. etwa kürzlich hier), bislang an einer hinreichenden demokratischen Legitimation fehle.
Vor nicht allzu langer Zeit hatte sich das BVerfG noch damit auseinander zu setzen, inwiefern das Procedere der Auswahl der Verfassungsrichter über den Richterwahlausschuss überhaupt mit den Vorgaben des GG im Einklang steht (wir berichteten ausführlich hier). Das BVerfG kam in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass das Auswahlverfahren, so wie es derzeit existiert, mit dem GG, insbesondere mit Art. 94 GG, vereinbar sei.
Da die kürzlich ergangene Entscheidung aufgrund der aktuellen Diskussion neue Dynamik erfährt, sei die Lektüre unserer ausführlichen Entscheidungsanmerkung und des zuvor verlinkten Artikels von FAZ.net den Kandidaten für das mündliche Examen dringend angeraten. Auch für Klausuren wird das Thema künftig sicher interessant werden, wobei die Problematik wohl lediglich Eingang in eine staatsorganisationsrechtliche Zusatzfrage finden wird.
Darüber hinaus gilt es sich insbesondere damit zu beschäftigen, ob der von Lammert vorgegebene Kurs mit dem GG vereinbar ist. Dies ist wohl zweifelsohne zu bejahen, da der Wortlaut des Art. 94 Abs. 1 GG lediglich vorsieht, dass die Richter vom Bundestag gewählt werden. Eine direkte Beteiligung des Plenums sieht insofern eine Annäherung an den Gesetzeswortlaut vor. Eine derartige Beteiligung ist bereits jetzt für den Bundesrat vorgesehen.

25.07.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-07-25 06:57:032012-07-25 06:57:03Aktuell: Plenum soll Richter des Bundesverfassungsgerichts wählen
Dr. Christoph Werkmeister

Ex-Verfassungsrichter Papier zur Fünf-Prozent-Hürde bei Wahlen

Öffentliches Recht, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

Beck-aktuell berichtet über Äußerungen des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier. Der Jurist sprach sich in diesem Kontext gegen die Forderung seines Vorgängers Roman Herzog aus, die Fünf-Prozent-Hürde bei Wahlen zu verschärfen.

Wir stellen in Deutschland seit längerem eine verbreitete Politikverdrossenheit fest», sagte Papier. Auch wenn der Name der Piratenpartei «nicht gerade auf Ernsthaftigkeit hindeutet», sei es «eine durchaus gesunde Entwicklung, wenn neue Parteien dazukommen und andere ausscheiden», sagte Papier. Die Piraten seien eine politische Partei im rechtlichen Sinne, die sich eines starken Zulaufs an Wählern erfreue. Das Recht schreibe nicht vor, wie komplex und umfangreich ein Parteiprogramm sein müsse – über die Güte eines Parteiprogramms entscheide der Wähler. Aber: «Eine Partei, die langfristig Erfolg haben will, wird um eine tragfähige Programmatik nicht herumkommen», sagte Papier, der inzwischen Staatsrecht an der Münchner Universität lehrt. «Eine Partei, die nur vom Protestpotenzial lebt, wird nicht von Dauer sein.

Über die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Fünf-Prozent-Klausel im Wahlrecht haben wir bereits mehrfach in verschiedensten Zusammenhängen berichtet. Da das Thema durch die Entwicklung der Piratenpartei und die kürzliche Stellungnahme von Papier wieder an Aktualität gewinnt, sei deshalb – insbesondere mit Blick auf anstehende mündliche Prüfungen – auf die einschlägigen Beitrage verwiesen (siehe hier und hier).

20.05.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-05-20 15:51:202012-05-20 15:51:20Ex-Verfassungsrichter Papier zur Fünf-Prozent-Hürde bei Wahlen
Tom Stiebert

Landtagswahl NRW: Warum es für Norbert Röttgen schwer ist, Ministerpräsident zu werden

Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

Keine Angst, wir wollen und werden hier keine Wahlwerbung machen und keinen politischen Beitrag veröffentlichen. Der Beitrag soll vielmehr auf eine Besonderheit der Landtagswahlen in NRW hinweisen – die Wahl des Ministerpräsidenten.
Grundsatz: Wahl aus der Mitte des Landtages
Ausgangspunkt ist Art. 52 Abs. 1 der Verfassung NRW. Hier wird folgendes festgelegt:

Der Landtag wählt aus seiner Mitte in geheimer Wahl ohne Aussprache den Ministerpräsidenten mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder.

Zentrale Regelung ist hier die Wahl aus der Mitte des Landtages – der zu wählende Ministerpräsident/ die zu wählende Ministerpräsidentin muss also Mitglied des Landtags sein, um gewählt zu werden. Anders ist dies bspw. für die Wahl des Bundeskanzlers nach Art. 63 GG, der keine entsprechende Regelung enthält.
Das Wahlrecht in NRW

Warum ist dies jetzt also für Norbert Röttgen so problematisch – schließlich ist dieser doch über Platz 1 auf der Landesliste NRW vermeintlich abgesichert. Hier ist eine genauere Betrachtung des nordrhein-westfälischen Wahlrechts nötig.
Auch hier existieren Erst- und Zweitstimmen – also die Erststimme für den Wahlkreiskandidaten und die Zweitstimme zur Berechnung der Sitzverteilung im Landtag. Insgesamt besteht der Landtag regulär aus 181 Mitgliedern (§ 14 Abs. 2 Landeswahlgesetz NRW), gewählt wird in 128 Wahlkreisen (§ 13 Abs. 1 Landeswahlgesetz NRW). Insgesamt werden also ca. 2/3 der Sitze an die Direktkandidaten vergeben.
Die genaue Berechnung der Sitzverteilung erfolgt aber nach § 33 Abs. 2 Landeswahlgesetz NRW anhand der Zweitstimmen derjenigen Parteien, die über der Fünfprozenthürde liegen. Zwischen diesen Parteien wird ein sog. Verhältnisausgleich nach § 33 Abs. 4 Landeswahlgesetz NRW durchgeführt, sodass die Sitzverteilung proportional zur Stimmenverteilung ist. Für jede Partei errechnet sich damit eine Sitzzahl. Die Landesliste kommt allerding nach § 33 Abs. 6 Landeswahlgesetz NRW erst dann ins Spiel, wenn nicht alle Sitze bereits über die Direktmandate vergeben wurden.

Von der für jede Landesliste nach Absatz 4 oder 5 ermittelten Abgeordnetenzahl wird die Zahl der von der Partei in den Wahlkreisen des Landes errungenen Sitze abgezogen. Die restlichen ihr zustehenden Sitze werden aus der Landesliste in der dort festgelegten Reihenfolge besetzt.

Hat eine Partei sogar mehr Direktmandate errungen, als ihr nach den Zweitstimmen zustehen, erhöht sicht für die übrigen Partein nach § 33 Abs. 5 Landeswahlgesetz NRW die Sitzanzahl proportional. Die Landesliste derjenigen Partei, die die überzähligen Direktmandate errungen hat, läuft damit vollständig leer.
Problem für Norbert Röttgen
Es gibt damit zwei verschiedene Möglichkeiten für Norbert Röttgen in den Landtag einzuziehen und damit abstarkt die Möglichkeit zu haben, zum Ministerpräsidenten gewählt zu werden.
Zum einen das Erreichen eines Direktmandats: Dies erscheint schwierig, tritt er doch in einem Wahlkreis an, der bei der vergangenen Wahl durch die SPD gewonnen wurde.
Erringt er dies nicht, verbleibt nur der Einzug über die Landesliste. Auch dies erscheint aber sehr schwierig: Bei prognostizierten 30-35% für die CDU stehen ihr also (grob gerechnet) zwischen 54 und 63 Sitze zu (vernachlässigt man dengezeigten Abzug der Parteien unter 5% nach § 33 Abs. 2 Landeswahlgesetz NRW. Selbst wenn man aber pauschal davon ausgehen mag, dass die Parteien unter dieser Hürde auf ca. 5% der Stimmen kommen, erhält die CDU zwischen 57 und 66 Sitzen.
Bei der vergangenen Wahl erhielt sie aber 67 Direktmandate. Wird in diesem jahr ein vergleichbares Ergebnis erreicht, läuft die Landesliste damit leer. Der Einzug in den Landtag und damit die mögliche Wahl zum Ministerpräsidenten wäre für Norbert Röttgen damit nur durch ein Direktmandat möglich.
Die einzige Möglichkeit zum Einzug in den Landtag wäre damit nach § 39 Abs. 1 Landeswahlgesetz NRW der Verzicht eines Direktkandidaten auf sein Mandat. So wird der Platz dann doch nach der Landesliste vergeben. Auch dies aber ein sehr unwahrscheinliches Szenario.
Fazit
Die Wahl ist also spannend und weist ggü. der Bundestagswahl einige Besonderheiten auf – werden hier doch nur 50% der Sitze an Direktkandidaten vergeben. In einer mündlichen Prüfung in NRW wäre es sehr gut möglich, dass diese Problematik abgefragt wird. Aber auch sonst sollte man als Jurist über diese Vorgänge und Probleme informiert sein.
Abschließend bleibt noch die Aufforderung „Wählen gehen“.

13.05.2012/3 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2012-05-13 11:19:432012-05-13 11:19:43Landtagswahl NRW: Warum es für Norbert Röttgen schwer ist, Ministerpräsident zu werden
Tom Stiebert

Rechtmäßigkeit der Ausnahme von Fünfprozenthürde für SSW?

Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

Am gestrigen Sonntag fand die Landtagswahl in Schleswig-Holstein statt, die gegenüber anderen Land- und Bundestagswahlen die Besonderheit aufweist, dass eine teilnehmende Partei – der SSW – nach § 3 Abs. 1 S. 2 SchlHWahlG von der Fünfprozenthürde ausgenommen ist. Dies ist bei der aktuellen Wahl insbesondere deshalb bedeutsam, weil der SSW mit 4,5% knapp die Fünfprozenthürde verfehlte, durch diese Ausnahmeregelung aber die Möglichkeit hat, dennoch drei Abgeordnete zu entsenden, die möglicherweise gemeinsam mit SPD und B90/Grünen die Regierung bilden könnten.
Der Beitrag möchte dies zum Anlass nehmen, den Hintergrund dieser Regelung aufzuzeigen und dessen verfassungsrechtliche Rechtfertigung zu hinterfragen.
I. Entwicklung des Minderheitenwahlrechts
In Deutschland sind vier nationale Minderheiten anerkannt: die Dänen (die im SSW vereint sind), die Friesen, die Sorben und die Sinti und Roma. Wer als nationale Minderheit angesehen wird, ergibt sich aus dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten i.V.m. der Ratifizierung durch die jeweiligen Staaten. Wahlrechtlich genießen diese Minderheiten in Deutschland besonderen Schutz – sowohl in einigen Ländern durch die Ausnahme von der Fünfprozentklausel (bspw. die Sorben in Brandenburg, nicht aber in Sachsen) als auch auf Bundesebene durch die Regelung in § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG. Alle gezeigten nationalen Minderheiten könnten damit – sofern sie auf Bundesebene antreten und ausreichend Stimmen für ein Mandat erhalten – Abgeordnete in den deutschen Bundestag entsenden.
Der Schutz der Dänen in SSW hat historische Gründe und geht auf eine Vereinbarung von 1955 zurück (Kopenhagener Erklärung) nach der der deutschen und der dänischen Minderheit wechselseitig Minderheitenrechte zugesprochen wurden.
II. Verfassungsrechtliche Hintergründe
Das Minderheitenwahlrecht muss verfassungsrechtlich zulässig sein. Zum Wahlrecht sind in letzter Zeit einige wichtige Urteile ergangen (hier, hier und hier sowie hier), die sich meist mit der Frage der Zulässigkeit einer Fünfprozentklausel, bzw. mit der Einteilung von Wahlkreisen und Überhangmandaten befassen.
Ging es bei den Urteilen zur Fünfprozentklausel allerdings um die Frage, ob die Mindestgrenze von fünf Prozent verfassungsrechtlich zulässig ist (was bekanntermaßen bei der Europawahl sowie bei Kommunalwahlen im Gegensatz zu Bundes- und Landtagswahlen nicht der Fall ist), geht es hier um das genaue Gegenteil, nämlich um die Frage, ob die Ausnahme von der Fünfprozenthürde für eine Partei (den SSW) nicht eine unzulässige Besserstellung gegenüber den anderen Parteien ist, insbesondere gegenüber denjenigen, die diese Hürde nicht überspringen.
Anknüpfungspunkt für eine Wahlrechtsprüfung nach dem Grundgesetz wäre Art. 38 GG, nach der schleswig-holsteinischen Landesverfassung wäre es Art. 3 Abs. 1 Verf SH. Nach beiden Regelungen muss eine Wahl gleich sein – dies umfasst sowohl den Zählwert der Stimme als auch ihren Erfolgswert. Beim Vorliegen einer Fünfprozenthürde differiert der Erfolgswert zwischen denjenigen Stimmen für eine Partei über dieser Hürde gegenüber den Parteien unter dieser Hürde. Eine solche Unterscheidung kann aber durch zu erwartende schwerwiegende Funktionsstörungen im Parlamant  gerechtfertigt sein.
Bei der schleswig-holsteinischen Regelungen ist zwar der Erfolgswert der Stimmen zwischen SSW und den anderen im Landtag vertretenen Parteien identisch, nicht aber zwischen SSW und anderen Parteien unterhalb der Fünfprozenthürde. Auch diese Ungleichbehandlung bedarf einer Rechtfertigung – also eines zwingenden sachlichen Grundes. Zudem muss der Eingriff geeignet und erforderlich sein.
Hier könnte ein sachlicher Grund in Form des Minderheitenschutzes bestehen. Ein solcher Grund ist nach dem oben Gezeigten grundsätzlich anzuerkennen, bedürfen doch die Minderheiten zur Durchsetzung ihrer Interessen prinzipiell eines besonderen Schutzes. Der Eingriff wäre dann auch geeignet und erforderlich um die Interessen dieser Minderheit durchzusetzen.
III. Grenzen im Einzelfall
Spezielle Regelungen für nationale Minderheiten sind im Wahlrecht somit grundsätzlich zulässig. Fraglich ist aber, ob der SSW sich tatsächlich auf diese (noch) berufen kann. Dies wäre dann ausgeschlossen, wenn sein Auftreten nicht mehr vom sachlichen Grund des Minderheitenschutzes erfasst wäre.
Der SSW tritt als Partei in ganz Schleswig-Holstein an; Zweitstimmen erhät er auch aus Gebieten, in denen es keine dänische Minderheit gibt. Lediglich Direktkandidaten stellt er nur in Gebieten mit einer eigenen Minderheit. Zudem richtet sich die Politik auch an sämtliche Bürger Schleswig-Holsteins, nicht allein an die dänische Minderheit. Dies wird insbesondere dadurch verdeutlicht, dass möglicherweise eine Regierungsbeteiligung des SSW in Betracht kommt, die sich notwendigerweise auf das gesamte Schlesig-Holstein erstreckt. Dies zeigt, dass es zumindest fraglich ist, ob der SSW bei der bestehenden Regelung als Minderheitenpartei anzusehen ist.
Dieses Problem ergab sich durch eine Änderung des Wahlsystems in Schleswig-Holstein im Jahr 2000 und die Einführung von Erst- und Zweitstimmen. Diese Änderung und das Auftreten des SSW im politischen Betrieb lässt Zweifel aufkommen, ob er tatsächlich noch als Minderheitenpartei priviligiert werden sollte.
Möglichkeiten für eine zweifellos verfassungskonforme Ausgestaltung des Wahlrechts würden unproblematisch bestehen – hierzu müsste nicht einmal auf die Fünfprozenthürde verzichtet werden. Ein Vorbild könnten hier die Wahl zum ersten gesamtdeutschen Bundestag 1990 sein, bei der zwar nicht auf die Fünfprozenthürde verzichtet wurde, diese galt aber zum Schutz der „ostdeutschen Minderheit“ eigenständig in den neuen Bundesländern. Eine vergleichbare Regelung wäre auch in Schleswig-Holstein möglich: Der SSW tritt nur in denjenigen Wahlkreisen an, in denen eine dänische Minderheit tatsächlich besteht (also in Schleswig) – überschreitet er hier die Fünfprozenthürde, darf er dann auch die entsprechende Anzahl Abgeordnete entsenden.
IV. Was sagt die Rechtsprechung?
Auch die Rechtsprechung hatte sich in der Vergangenheit mit der Frage der Verfassungswidrigkeit zu befassen: Das OVG Schleswig-Holstein hielt eine solche für möglich und legte eine entsprechende Frage dem BVerfG 2005 vor (2 KN 2/04).

1. Dem SSW kann die Bedeutung als Minderheitenpartei nur dort beigemessen werden, wo er sie auch tatsächlich besitzt. Eine darüber hinausreichende Privilegierung wegen der Eigenschaft als Minderheitenpartei verhält sich im Wahlwettbewerb, anders als die Bedeutung einer Partei wegen Ihres Erfolges in der Mehrheits- oder Verhältniswahl, nicht neutral.

2. Eine Ausdehnung der Privilegierung des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) als Partei der dänischen bzw  friesischen Minderheit auf den Landesteil Holstein ist nicht erforderlich.
Das Bundesverfassungsgericht (2 BvL 18/02) lehnte dies aber bereits aufgrund der Unzulässigkeit der Vorlage ab. Es legte hierzu dar:

Das Gericht muss daher seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm näher begründen und sich jedenfalls mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten auseinander setzen.

Gleichfalls blieb aber auch offen, ob eine Verfassungswidrigkeit nicht doch vorlag. Dies wird an folgendem Leitsatz deutlich:

Es ist zweifelhaft, ob diese Voraussetzungen bei § 3 Abs. 1 S. 2 SchlHWahlG (Ausnahme von der 5-%-Klausel für Parteien der dänischen Minderheit) nach Einführung des Zwei-Stimmen-Wahlrechts gegeben sind.

Die Frage der Verfassungswidrigkeit ist damit noch nicht eindeutig entschieden.
V. Ausblick und Examensrelevanz
Ob erneut eine Überprüfung der Regelung erfolgen wird, hängt insbesondere von der politischen Entwicklung in Schleswig-Holstein ab. Jeder, der in den nächsten Tagen und Wochen die mündliche Prüfung absolviert, sollte sich auf jeden Fall mit den Grundsätzen des Wahlrechts und auch mit den oben verlinkten Entscheidungen befassen – hier auf Lücke zu setzen, wäre sehr leichtsinnig.

 

07.05.2012/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2012-05-07 12:20:492012-05-07 12:20:49Rechtmäßigkeit der Ausnahme von Fünfprozenthürde für SSW?
Dr. Christoph Werkmeister

@FAZ.net: Wer kontrolliert die Wahlcomputer?

Öffentliches Recht, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

FAZ.net berichtet über die Möglichkeit von Manipulationen am Wahlergebnis beim Einsatz von Wahlcomputern (s. dazu hier). Ein guter Grund, sich für anstehende mündliche Prüfungen noch einmal mit den Wahlrechtsgrundsätzen und insbesondere dem ungeschriebenen Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl auseinanderzusetzen (s. dazu  hier). Das Thema Wahlrecht war zudem Gegenstand einer Vielzahl kürzlich ergangener gerichtlicher Entscheidungen, dessen Lektüre für das Prüfungsgespräch im öffentlichen Recht wohl auch alles andere als schaden kann (s. dazu hier).

31.03.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-03-31 10:46:212012-03-31 10:46:21@FAZ.net: Wer kontrolliert die Wahlcomputer?
Dr. Christoph Werkmeister

VerfGH Saarland zur Fünf-Prozent-Hürde bei Landtagswahl

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Verfassungsrecht

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes entschied vor Kurzem mit Urteil vom 22.03.2012 (Az. Lv 3/12) zur Zulässigkeit der Fünf-Prozent-Klausel bei einer Landtagswahl. Der VerfGH sah gewichtige Gründe für die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Sperrklausel. Ohne die Klausel bestünde die Gefahr einer Zersplitterung des Parlaments, womit im Ergebnis die Regierungsbildung beeinträchtigt wäre. Insbesondere verändere sich diese rechtliche Beurteilung nicht, wenn bereits von vornherein fest stehe, dass die Bildung einer Großen Koalition angestrebt wird. Inbesondere für anstehende mündliche Prüfungen bietet diese Entscheidung also Anlass, sich noch einmal intensiver mit den verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätzen und insbesondere der Gleichheit der Wahl auseinanderzusetzen.

25.03.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-03-25 10:12:422012-03-25 10:12:42VerfGH Saarland zur Fünf-Prozent-Hürde bei Landtagswahl
Dr. Christoph Werkmeister

VerfGH RLP zur Zulässigkeit von Zählsoftware bei Wahlen

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Verfassungsrecht

Der rheinlandpfälzische Verfassungsgerichtshof hatte mit Beschluss vom 20.05.2011 (Az. VGH B 4/11) über die wahlrechtliche Zulässigkeit des Einsatzes von computergesteuerten Zählsystemen zu entscheiden. Die Entscheidung behandelte naturgemäß nur landesspezifisches Verfassungsrecht. Gleichwohl sind die vom Gericht angestellten Erwägungen mutatis mutandis auf Bundeswahlen übertragbar. Da die Entscheidung in der aktuellen Ausgabe der NVWZ abgedruckt war und eine bislang noch nicht vom BVerfG entschiedene Problematik behandelt, erscheint es gut denkbar, dass sich ein Klausurersteller für das erste Staatsexamen sich von dieser landesverfassungsrechtlichen Entscheidung inspirieren lässt.
Sachverhalt (verkürzt)
Es fand am 07.06.2009 eine Stadtratswahl in Frankenthal statt, bei der zur Abgabe der Stimmen Stimmzettel in Papierform und Wahlurnen verwendet wurden. Zur Erfassung und Zählung der abgegebenen Stimmen verlas ein Wahlhelfer nach Entnahme der Stimmzettel aus der Wahlurne am Ende des Wahltags unter Aufsicht die auf dem jeweiligen Stimmzettel abgegebenen Stimmen, während ein anderer Wahlhelfer unter Aufsicht die verlesene Stimmenzahl in einen Computer eingab, in dem ein Stimmzählrogramm installiert war. Das Programm ordnete die Wählerstimmen entsprechend der manuellen Eingabe jeweils dem Wahlvorschlag und dem Bewerber zu. Darüber hinaus sollte es auch sicherstellen, dass entsprechend der gesetzlichen landesrechtlichen Regelungen nicht mehr als drei Stimmen pro Bewerber berücksichtigt werden. Hierbei zeigte das Programm die auf einem Stimmzettel für einen Bewerber abgegebenen Stimmen und die für diesen Bewerber berücksichtigten Stimmen in unterschiedlichen Farben auf dem Bildschirm des Computers an.
Ein wahlberechtigter Gemeindebürger erhob nach der öffentlichen Bekanntgabe des Wahlergebnisses Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl. Er bezweifelte die Richtigkeit der Stimmenauszählung und hielt sie auch insoweit für rechtswidrig, als sie nicht für jedermann überprüfbar gewesen sei.
Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl
Nach Urteil des BVerfG vom 3. März 2009 (Az. 2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07) gebietet der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl aus Art. 38 i.V.m. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit unterliegen soweit nicht andere verfassungsrechtliche Belange eine Ausnahme rechtfertigen (sog. Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl).
Jeder Bürger muss die zentralen Schritte der Wahl ohne besondere technische Vorkenntnisse zuverlässig nachvollziehen können. Ein Wahlverfahren, in dem der Wähler nicht zuverlässig nachvollziehen kann, ob seine Stimme unverfälscht erfasst und in die Ermittlung des Wahlergebnisses einbezogen wird und wie die insgesamt abgegebenen Stimmen zugeordnet und gezählt werden, schließt zentrale Verfahrensbestandteile der Wahl von der öffentlichen Kontrolle aus und genügt daher nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. BVerfGE 123, 39)
Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass der Einsatz der o.g. Software nicht gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl verstößt. Bei „echten“ rechnergesteuerten Wahlgeräten erfolgen die Abgabe und Zählung der Stimmen im Gegensatz zum hier skizzierten Fall ohne Stimmzettel und Wahlurnen. Die Stimmen der Wähler werden in solch einem Fall elektronisch erfasst und das Wahlergebnis elektronisch ermittelt. Solche Wahlgeräte sind nach der Rechtsprechung des BVerfG vor allem im Hinblick auf ihre Manipulierbarkeit und Fehleranfälligkeit nur unter sehr engen Voraussetzungen verfassungsrechtlich zulässig.
Manipulierbarkeit und Fehleranfälligkeit bestehen nach Auffassung des rheinlandpfälzischen Gerichts bei dem Einsatz von Computern, die allein zur Zählung der Stimmen bei der Verwendung von Stimmzetteln und Wahlurnen zur Abgabe der Stimme eingesetzt werden, nicht in gleichem Maße wie bei den vorgenannten „echten“ Wahlgeräten. Dem eingesetzten Computer und dem Stimmzettelerfassungsprogramm komme vielmehr nur die Bedeutung eines Taschenrechners zu, der lediglich über die Sonderfunktion verfügt, entsprechende landesrechtliche gesetzliche Zählvorgaben zu berücksichtigen. Als Kernargument brachte das Gericht hierzu noch vor, dass die Verwendung von Stimmzetteln und Wahlurnen gegenüber „echten“ Wahlgeräten einen deutlich höheren Schutz gegen Manipulationen und Fehlern des Computerprogramms biete, da die Zählung der Stimmen durch den Rechner sowohl durch Stichproben als auch beim Auftreten von Zweifeln durch eine manuelle Nachzählung aller Stimmen kontrolliert werden könne.
Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes
Neben einer Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der Wahl diskutierte das Gericht auch noch, ob durch den Einsatz eines Zählprogramms ein Verstoß gegen die im Rechtsstaatsprinzip verankerte Wesentlichkeitstheorie vorliege (auf Bundesebene ergibt sich das Rechtsstaatsprinzip i.ü. aus Art. 20 Abs. 1, Abs. 3 GG). Dies wäre dann der Fall, wenn der Einsatz der Zählsoftware eine wesentliche grundrechtsrelevante Entscheidung darstellt und dennoch ohne entsprechendes Parlamentsgesetz umgesetzt würde.
Vorliegend wurden das Zählverfahren und entsprechende Vorgaben nämlich lediglich in einer Rechtsverordnung geregelt. Das Gericht führte hierzu aus, dass der im Rechtsstaatsprinzip und im Demokratiegebot wurzelnde Parlamentsvorbehalt gebietet, dass in grundlegenden normativen Bereichen die wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber getroffen werden.
Im Hinblick auf die Frage, ob der Einsatz der Zählgeräte eine solche wesentliche Entscheidung darstellt, wurde die o.g. Argumentation erneut fruchtbar gemacht. Es wurde also auch in diesem Kontext festgestellt, dass der Einsatz einer Zählsoftware nicht wesensgleich mit der Einführung einer kompletten elektronischen Wahl ist. Der Einsatz der Software war damit noch nicht so grundrechtsintensiv, dass hierdurch der Parlamentsvorbehalt ausgelöst würde. Demnach verstieß eine bloß untergesetzliche Kodifikation des Zählverfahrens auch nicht gegen die aus dem Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Wesentlichkeitstheorie.
Weiterführende Literatur zum Thema
Zur verfassungsrechtlichen Problematik des Einsatzes von elektronischen Wahlgeräten vgl. Will, CR 2008, 540; ders., NVwZ 2009, 700; Sachs, JuS 2009,746.

08.02.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-02-08 10:24:042012-02-08 10:24:04VerfGH RLP zur Zulässigkeit von Zählsoftware bei Wahlen
Dr. Christoph Werkmeister

OVG Münster: Ratswahl in Dortmund muss wiederholt werden

Kommunalrecht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung

Das OVG Münster entschied am 15.12.2011 (Az. 15 A 876/11), dass die Wahl des Gemeinderats der Stadt Dortmund wiederholt werden muss, weil  Amtsträger der Stadt im Wahlkampf die Haushaltslage der Stadt „geschönt“ dargestellt und damit den Wählern  wahlkampfrelevante Informationen vorenthalten haben.
Der Sachverhalt
Zum Sachverhalt und Verfahrensgang kann die Pressemitteilung des OVG zitiert werden:

Im Kommunalwahlkampf 2009 wurde die Finanzsituation der Stadt Dortmund im Haushaltsjahr 2009 thematisiert. Die Vorsitzende der FDP-Fraktion erkundigte sich am 14.08.2009 bei der Stadtverwaltung über die Haushaltsentwicklung in Dortmund. Noch vor der Kommunalwahl gaben der damalige Oberbürgermeister und die damalige Kämmerin mit Schreiben vom 26.08.2009 Auskunft: Es sei derzeit nicht erkennbar, dass man mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht auskommen werde. Der Vorjahresvergleich lasse noch keine Auffälligkeiten erkennen. Tatsächlich hatten der ehemalige Oberbürgermeister und die damalige Kämmerin bereits am 11.08.2009 wegen ungedeckter Mehraufwendungen von zumindest 23,4 Mio Euro eine Haushaltssperre verabredet, die am 01.09.2009, also einen Tag nach der Kommunalwahl, wirksam werden sollte.
Wegen der als „Haushaltslüge“ bezeichneten Information beschloss der Rat der Stadt Dortmund auf Verlangen der Bezirksregierung Arnsberg, die Kommunalwahl wiederholen zu lassen. Die Ratswahl wurde jedoch nicht wiederholt. Stattdessen klagten 10 der 37 gewählten SPD-Ratsmitglieder gegen den Beschluss des Rates über die Wiederholung der Wahl. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gab der Klage im März 2011 statt, weil nicht davon auszugehen sei, dass der Wahlausgang durch eine ordnungs- und pflichtwidrige Amtshandlung beeinflusst worden sei. Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts legte die Stadt Dortmund Berufung ein. Dieser Berufung hat das Oberverwaltungsgericht nunmehr stattgegeben und die Klage der 10 SPD-Ratsmitglieder abgewiesen, so dass es bei dem Ratsbeschluss über die Wiederholung der Ratswahl verbleibt.
Zur Begründung hieß es in der mündlichen Urteilsbegründung: Die Auskunft des ehemaligen Oberbürgermeisters und der ehemaligen Kämmerin im Vorfeld der Kommunalwahl 2009 sei ein gesetzwidriger, die Entscheidung der Wähler möglicherweise beeinflussender Wahlfehler. Dieser habe die Ungültigkeit der Ratswahl und deren Wiederholung zur Folge. Ein zur Wahlwiederholung führender Wahlfehler könne nach ständiger Rechtsprechung auch darin liegen, dass den Wählern von Amtsträgern wahlkampfrelevante Fehlinformationen gegeben würden. Denn es sei verfassungsrechtlich geboten, dass sich der Wähler über Ziele und Verhalten der Wahlbewerber frei von Manipulationen oder Desinformationen Kenntnis verschaffen könne. Dabei sei rechtlich nicht erheblich, ob die Wahlbeeinflussung beabsichtigt oder bezweckt gewesen sei. Entscheidend sei allein, dass das fragliche Verhalten objektiv geeignet sei, den Wählerwillen zu beeinflussen. Dies sei hier hinsichtlich der Auskunftserteilung vom 26.08.2009 betreffend die Finanzlage der Stadt Dortmund der Fall gewesen. Amtsträger, die im Wahlkampf auf Anfrage eines Mandatsträgers die Haushaltslage als unauffällig darstellten, obwohl sie unmittelbar zuvor eine Haushaltssperre beschlossen und deren Vorbereitung in Auftrag gegeben hätten, handelten desinformierend und damit wahlrechtswidrig. Die festgestellte Desinformation könne auch für die Wahl des Rates von entscheidendem Einfluss gewesen sein. Eine zutreffende Darstellung der Haushaltslage hätte dazu geführt, dass in Dortmund eine vertiefte und kritische Diskussion über die Haushaltslage geführt worden wäre. Bei lebensnaher Betrachtung hätten nicht nur vereinzelte Wähler den ehemaligen Oberbürgermeister der Stadt Dortmund, deren ehemalige Kämmerin und die sie tragende Partei für die problematische Haushaltslage verantwortlich gemacht und möglicherweise eine andere Wahlentscheidung getroffen.

Rechtliche Problematik
Rechtlich problematisch war in diesem examensrelevanten Fall die Regelung des § 40 Abs. 1 lit b KWahlG NRW. Nach dieser Regelung ist eine Wahl für ungültig zu erklären und eine Wiederholungswahl anzuordnen, wenn festgestellt wird, dass bei der Vorbereitung der Wahl oder der Wahlhandlung Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind, die im jeweils vorliegenden Einzelfall auf das Wahlergebnis im Wahlbezirk von entscheidendem Einfluss gewesen sein können.
Eine „Unregelmäßigkeit der Wahl“ in diesem Sinne liegt dann vor, wenn Umstände vorliegen, die dem Schutzzweck der wahlrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze zuwiderlaufen. Der Wahlfehler erfordert einen Verstoß gegen wahlrechtliche Bestimmungen oder sonstige wahlbezogene Normen. Es genügt aber auch ein Verstoß gegen nicht allein wahlrechtliche Bestimmungen, die jedoch im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Wahl oder der Wahlhandlung anzuwenden waren und unter Verstoß gegen Wahlrechtsgrundsätze angewandt wurden. Eine gesetzwidrige Wahlbeeinflussung liegt insbesondere dann vor, wenn amtliche Stellen gegen das aus den Wahlrechtsgrundsätzen der freien Wahl und der Gleichheit der Wahl folgende Neutralitätsgebot verstoßen haben. Diese Vorgabe ergibt sich für Gemeindewahlen unmittelbar aus Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG. Der Schwenk zu den Wahlrechtsprinzipien bedeutet für den Prüfling, dass er an dieser Stelle seine allgemeinen verfassungsrechtlichen Kenntnisse zu Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG ausspielen kann und muss.
Wie nach dem ersten Semester des Studiums der Rechtswissenschaften bekannt sein sollte, beinhaltet der Grundsatz der Freiheit der Wahl die Vorgabe, dass der Wähler in einem freien und offenen Prozess der Meinungsbildung ohne jede unzulässige Beeinflussung von staatlicher, kommunaler oder nichtstaatlicher Seite zu seiner Wahlentscheidung finden muss. Staatliche und gemeindliche Organen sind nach Art. 20 Abs. 3 GG als vollziehende Gewalt dem Gebot der Freiheit der Wahl unterworfen. Ihnen ist damit untersagt, sich in amtlicher Funktion vor Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie als Amtsträger zu unterstützen oder zu bekämpfen. Nur Wahlen, die ohne Verstoß gegen das Gebot strikter staatlicher und gemeindlicher Neutralität und ohne Verletzung der Integrität der Willensbildung des Volkes und der Wahlbürger erfolgt sind, können demokratische Legitimation verleihen. Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl fordert die Chancengleichheit der Wahlbewerber; diese kann verletzt werden, wenn etwa Amtsträger in einen Kommunalwahlkampf in amtlicher Funktion zugunsten oder zulasten eines Bewerbers eingreifen.
Hierzu gilt es zu sagen, dass eine amtliche Wahlbeeinflussung im o.g. Sinne nicht nur dann vorliegt, wenn von amtlicher Stelle durch Wahlwerbung für einen bestimmten Kandidaten oder eine Partei auf den Wählerwillen Einfluss genommen wird, sondern auch dann, wenn diese durch Fehlinformation oder Unterdrücken von Tatsachen über wahlrelevante Themen geschieht. Genau eine solche Fehlinformation sah das OVG Münster im Fall der Dortmunder Gemeinderatswahl als gegeben an. Im Rahmen einer juristischen Prüfung käme es hier entscheidend auf die Entscheidung des Sachverhalts an. Sofern etwa im ersten Examen ein Hinweis auf die Unwahrheit einer Tatsache bzw. auf eine Verschleierung hingewiesen wäre, so müsste man einen Wahlfehler annehmen. Im zweiten Examen müsste gewürdigt werden, inwiefern die vorhandenden Beweise darauf schließen lassen, dass es sich tatsächlich um eine Verschleierung handelt. Im Falle eines non liquet wäre dann nach allgemeinen Beweislastregeln zulasten der Wahlgegner und damit gegen das Vorliegen eines Wahlfehlers zu entscheiden.

20.12.2011/8 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2011-12-20 10:13:112011-12-20 10:13:11OVG Münster: Ratswahl in Dortmund muss wiederholt werden
Dr. Gerrit Forst

Arbeitnehmerdatenschutz: Neuregelung nach der Wahl?

Arbeitsrecht, Zivilrecht

Die Wahl und der voraussichtliche Regierungswechsel sind auch für das Arbeitnehmerdatenschutzrecht von Interesse: Nachdem der scheidende Arbeitsminister Olaf  Scholz kurz vor der Wahl noch den Entwurf eines Beschäftigtendatenschutzgesetzes vorgelegt hatte (BDatG), soll derzeit auch aus schwarz-gelben Reihen an einer entsprechenden Gesetzesvorlage gearbeitet werden.  Vor allem die  FDP hat dazu schon innerparteiliche Vorarbeit geleistet, die sie in der zukünftigen Koalition wohl auch umzusetzen gedenken wird. „Eile mit Weile!“ mag man der neuen Regierung zurufen: Erstens harren derzeit dringendere Probleme als der Arbeitnehmerdatenschutz der Bewältigung (transparentes Steuersystem, Bildung, Gesundheit, Renten [Wo genau versteckt sich eigentlich die von Älteren oft beschworene Generationengerechtigkeit bei der jüngst eingeführten Rentengarantie zu Lasten meiner Generation?], Beruf und Familie) , zweitens ist niemandem mit einem Schnellschuss gedient. Das BDSG zeichnet sich vor allem durch schlechte Gesetzgebungstechnik, systematische Intransparenz und unklare Begrifflichkeiten aus. Der neue § 32 BDSG bildet hier ein abschreckendes Beispiel (vgl. Thüsing, NZA 2009, 865). Ein BDatG sollte es besser machen.
S. auch:
Arbeitnehmerdatenschutz: Neuer § 32 BDSG tritt am 1.9.2009 in Kraft
Arbeitnehmerdatenschutz: Videoüberwachung am Arbeitsplatz

30.09.2009/0 Kommentare/von Dr. Gerrit Forst
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Gerrit Forst https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Gerrit Forst2009-09-30 15:04:042009-09-30 15:04:04Arbeitnehmerdatenschutz: Neuregelung nach der Wahl?
Dr. Christoph Werkmeister

Wählen per Internet als Lösung für die niedrige Wahlbeteiligung?

Öffentliches Recht, Verfassungsrecht

Niedrige Wahlbeteiligung
Die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl an diesem Sonntag ist auf einen historischen Tiefstand gefallen. Nach Angaben des ZDF belief sich die Wahlbeteiligung auf lediglich 71,2%. Damit machten nochmals deutlich weniger Deutsche von ihrem Wahlrecht Gebrauch als bei der vorangegangenen Bundestagswahl.
2005 wurde bereits mit 77,7% die bis dahin niedrigste Wahlbeteiligung bei einer Bundestagswahl verzeichnet. Insgesamt waren diesmal mehr als 62 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, ihre Stimme abzugeben.
Meines Erachtens besteht ein Grund für die niedrige Wahlbeteiligung darin, dass viele Leute schlichtweg zu faul sind, den Weg zum Wahllokal anzutreten, um ihre Stimme abzugeben. Ein Entgegenwirken zugunsten einer höheren Wahlbeteiligung könnte demnach durch eine elektronische Wahl über eine Internetplattform bewirkt werden.
Internetwahl noch nicht in Sicht
Bundeswahlleiter Roderich Egeler hat jedoch als Reaktion auf die niedrige Wahlbeteiligung darauf hingewiesen, dass eine Stimmabgabe vom heimischen Computer aus bei Wahlen in Deutschland weiterhin nicht in Sicht ist. Das Bundesverfassungsgericht hatte im März 2009 den Einsatz solcher Geräte zwar für grundsätzlich zulässig erklärt. Die elektronische Auszählung der Stimmen sei vom Wähler aber bei den bisher eingesetzten Geräten nicht hinreichend kontrollierbar.
Die Wahlcomputerentscheidung des BVerfG
Nach dem Urteil des Zweiten Senats des BVerfG vom 3. März 2009 (Az. 2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07) gebietet der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl aus Art. 38 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit unterliegen, soweit nicht andere verfassungsrechtliche Belange eine Ausnahme rechtfertigen.
Zudem müssen beim Einsatz elektronischer Wahlgeräte die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung vom Bürger zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können.
Es wurden somit vom BVerfG hohe Anforderungen an ein elektronisches Wahlsystem gestellt. Nichtsdestotrotz sind solche Hürden überwindbar. Im heutigen Zeitalter ist es definitiv machbar, eine transparente, für den Bürger nachzuvollziehende Internetplattform zu errichten. Insofern halte ich die Aussage des Bundeswahlleiters für verfehlt und plädiere deswegen dafür, dass Initiativen zugunsten der Entwicklung eines solchen Systems ins Leben gerufen werden.
Examensrelevanz
Angesichts der noch jungen Bundestagswahl dürften je nach Prüfer die Wahlrechtsgrundsätze nach Art. 38 GG in seinen spezifischen Ausprägungen beliebter Prüfungsstoff sein. Auch die Vorgaben nach dem BundeswahlG, insbesondere Überhangmandate und deren Verfassungswidrigkeit (Thema: negatives Stimmgewicht), sollten bekannt sein.
Das Wahlcomputerurteil und dessen Einbettung in die sonst weniger relevante Wahlprüfungsschwerde vor dem BVerfG bieten sich zudem auch für Klausuren aus dem Ö-Recht an. Hierzu gilt es zu sagen, dass das Wahlprüfungsverfahren sich vom Schema her nicht sonderlich von einer abstrakten Normenkontrolle unterscheidet; die Vorgaben, die es zu beachten gilt, ergeben sich nach einem kurzen Blick in Art. 41 (Abs. 2) GG und das Wahlprüfungsgesetz.

28.09.2009/3 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2009-09-28 14:22:132009-09-28 14:22:13Wählen per Internet als Lösung für die niedrige Wahlbeteiligung?
Dr. Gerrit Forst

BVerfG: Anträge auf Wahlzulassung nicht erfolgreich

Öffentliches Recht, Verfassungsrecht

Das BVerfG hat mit Kammerbeschlüssen vom 24.8.2009 (2 BvR 1898/09 und 2 BvQ 50/09) die Anträge der „Freien Union“ und der „PARTEI“ auf Zulassung zur Teilnahme an der Bundestagswahl zurückgewiesen. In beiden Fällen wurden die Anträge als unzulässig verworfen, da es an einer vorherigen Wahlprüfung durch den Deutschen Bundestag fehle (§ 48 BVerfGG).
Der Fall ist für die mündliche Prüfung insofern relevant, als hier ein aktuelles Thema auf allgemein-dogmatische Fragen trifft: Gesetzesbindung der Gerichte (Art. 20 Abs. 3 GG); Zweck der Zulässigkeitsprüfung (u.a. Popularklagen verhindern, hier wohl eher Schutz der Wahldurchführung); praktische Konkordanz (Artt. 19, 38 GG vs. Art. 41 Abs. 2 GG); Verhältnis der EMRK (Art. 6: Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz) zum GG.

31.08.2009/0 Kommentare/von Dr. Gerrit Forst
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Gerrit Forst https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Gerrit Forst2009-08-31 10:01:442009-08-31 10:01:44BVerfG: Anträge auf Wahlzulassung nicht erfolgreich

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