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Schlagwortarchiv für: VW

Gastautor

Neues zum Dieselskandal: Rücktritt vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung?

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Alexandra Ritter veröffentlichen zu können. Die Autorin studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist am Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit am Lehrstuhl von Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) tätig.
Mit Urteil vom 29.9.2021 (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris) hat der BGH entschieden, dass Käufer eines vom Dieselskandal betroffenen Pkw nicht ohne Fristsetzung vom Kaufvertrag zurücktreten können. Dem Verkäufer müsse grundsätzlich Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben werden. Der vom BGH entschiedene Fall ist wie gemacht für eine Klausur in Studium und Examen. Er bietet damit Anlass, sich anhand der aktuellen Problematik mit dem prüfungsrelevanten Thema des Rücktritts auseinanderzusetzen.
I. Der Sachverhalt
Vereinfacht dargestellt ging es in dem dem Urteil zugrunde liegenden Fall um Folgendes: Der Kläger (K) kaufte vom beklagten Autohändler (V) im Februar 2015 einen Škoda, dessen Motor von der Volkswagen AG hergestellt war. Der Motor ist mit einer Software versehen, die erkennt, ob sich das Fahrzeug im Normalbetrieb oder auf einem Prüfstand zur Messung der maßgeblichen Werte für eine Typgenehmigung befindet. In dem Fahrmodus, der für den Fall des Durchlaufens des Prüfstands programmiert ist, kommt es im Vergleich zum regulären Fahrbetrieb zu einer erhöhten Abgasrückführung und damit zu einer Verringerung des Stickoxidausstoßes. Dieser Umstand wurde im Herbst 2015 öffentlich bekannt gemacht.
Für die fehlerhafte Software wurde ein Update entwickelt, das die Fehler beseitigt. Dieses Update wurde von der zuständigen britischen Vehicle Certification Agency freigeben mit der Bestätigung, dass es zur Fehlerbehebung geeignet sei.
Der Kläger ließ das Software-Update nicht aufspielen, weil er befürchtete, dass dieses mit negativen Folgen für das Fahrzeug verbunden sei. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2017 erklärte K gegenüber V den Rücktritt vom Kaufvertrag. V verweigerte die Rücknahme des Fahrzeugs und verwies K auf das zur Verfügung stehende Software-Update.
Hat K einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises?
II. Gutachterliche Lösung
K könnte gegen V einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 346 I BGB haben.
1. Kaufvertrag
K und V haben im Februar 2015 einen Kaufvertrag i.S.v. § 433 BGB über den Škoda geschlossen.
2. Mangel bei Gefahrübergang
Damit K die Mängelgewährleistungsrechte der §§ 437 ff. BGB geltend machen kann, müsste die Kaufsache bei Gefahrübergang mangelhaft gewesen sein.
a) Mangel
Mangels Beschaffenheitsvereinbarung gem. § 434 I 1 BGB und vorausgesetzter besonderer Verwendung gem. § 434 I 2 Nr. 1 BGB, kommt ein Sachmangel gem. § 434 I 2 Nr. 2 BGB in Betracht.
Danach hat die Sache einen Mangel, wenn sie sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und nicht eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Die unzulässige Abschalteinrichtung birgt die Gefahr einer Betriebsuntersagung gem. § 5 I FZV und führt so zu einer herabgesetzten Eignung des Fahrzeugs zur gewöhnlichen Verwendung (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 20). Zudem ist eine solche Abschalteinrichtung bei Sachen der gleichen Art nicht üblich und der Käufer kann erwarten, dass der Wagen keine Abschalteinrichtung einprogrammiert hat. Somit liegt ein Sachmangel i.S.v. § 434 I 2 Nr. 2 BGB vor.
b) Gefahrübergang
Der Mangel müsste schon bei Gefahrübergang vorgelegen haben. Gem. § 446 S. 1 BGB geht die Gefahr mit Übergabe der Kaufsache auf den Käufer über. Die Abschalteinrichtung wurde schon vom Motorhersteller eingerichtet, sodass der Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlag.
c) Zwischenergebnis
Der Anwendungsbereich für die Mängelgewährleistungsrechte gem. §§ 437 ff. BGB ist eröffnet
3. Weitere Rücktrittsvoraussetzungen
Gem. § 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB kann K nach den §§ 440, 323, 326 V BGB vom Kaufvertrag zurückgetreten. Dazu müsste K den Rücktritt gem. § 349 BGB erklärt und gem. § 323 I BGB eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt haben.
a) Erklärung
Die Rücktrittserklärung gem. § 349 BGB ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Mit Schreiben vom 4.10.2017 hat K gegenüber V seinen Willen vom Vertrag zurückzutreten zum Ausdruck gebracht. Diese Erklärung ist V auch zugegangen (§ 130 I BGB). Eine Rücktrittserklärung des K liegt vor.
b) Frist
Gem. § 323 I BGB müsste K dem V zunächst eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt haben. Hier hat K dem V jedoch den Rücktritt erklärt, ohne ihm zuvor die Gelegenheit zur Nacherfüllung zu gewähren. Eine Fristsetzung liegt damit nicht vor.
Die Fristsetzung könnte jedoch entbehrlich sein.
aa) § 323 II Nr. 3 BGB
(1) Zunächst kommt eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 323 II Nr. 3 BGB wegen etwaigen arglistigen Verhaltens in Betracht. Gem. § 323 II Nr. 3 BGB ist die Fristsetzung entbehrlich, wenn im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen.
„Ein die sofortige Rückabwicklung des Kaufvertrags rechtfertigendes überwiegendes Käuferinteresse ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn der Verkäufer dem Käufer einen ihm bekannten Mangel bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen hat […]. In diesen Fällen ist in aller Regel ein den Verkäuferbelangen vorgehendes Interesse des Käufers anzuerkennen, von einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Verkäufer Abstand zu nehmen, um sich vor möglichen weiteren Täuschungsversuchen zu schützen […]. Denn durch das arglistige Verschweigen eines Mangels entfällt auf Seiten des Käufers regelmäßig die zur Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage, während der Verkäufer die Möglichkeit zur nachträglichen Mangelbeseitigung in der Regel nicht verdient, wenn er den ihm bekannten Mangel vor Vertragsschluss hätte beseitigen können und damit im Vorfeld der vertraglichen Beziehungen bereits die Chance hatte, eine Rückabwicklung des später geschlossenen Vertrags zu vermeiden […].“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021– VIII ZR 111/20, juris Rn. 24)
V hatte als Händler im Zeitpunkt der Einigung zwischen V und K keine Kenntnis von der Mangelhaftigkeit des Wagens und diesen somit auch nicht arglistig verschwiegen.
Allerdings hatte der Hersteller des Wagens, die Volkswagen AG, Kenntnis von der Mangelhaftigkeit.
„Zwar kann die Vertrauensgrundlage zwischen einem Käufer und einem Verkäufer unter Umständen auch dann gestört sein, wenn der Verkäufer sich bei Vertragsabschluss ordnungsgemäß verhalten hat, jedoch der Hersteller des Fahrzeugs dieses mit einer ihm bekannten und verschwiegenen unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht hat und der Verkäufer nun allein eine Nachbesserung in Form eines von diesem Hersteller entwickelten Software-Updates anbietet. Dabei kommt es darauf an, ob spätestens bei Erklärung des Rücktritts […] die Vertrauensgrundlage zwischen den Parteien so gestört war, dass eine Nacherfüllung (vgl. § 323 Abs. 1 BGB), also eine Nachbesserung oder eine Ersatzlieferung, für den Käufer unter Einbeziehung des Herstellers nicht zumutbar war. Ob dies der Fall ist, hängt jedoch von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die der Tatrichter nicht schematisch, sondern in sorgfältiger Abwägung zu würdigen hat.“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 27)
Solche Anhaltspunkte dafür, dass K die Nacherfüllung unter Einbeziehung des V nicht zumutbar war, lassen sich dem Sachverhalt nicht entnehmen.
V könnte sich allenfalls die Kenntnis von der Mangelhaftigkeit und ein arglistiges Vorgehen des Herstellers nach § 278 BGB, 166 BGB analog zurechnen lassen müssen.
Dazu müsste die Volkswagen AG als Herstellerin Erfüllungsgehilfin des V i.S.v. § 278 BGB gewesen sein. Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen Gegebenheiten mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird (BeckOK BGB/Lorenz, 59. Ed. Stand: 1.8.2021, § 278 Rn. 11). Die Volkswagen AG könnte bei der dem V gem. § 433 I BGB obliegenden Verbindlichkeit, dem K ein mangelfreies Fahrzeug zu übereignen, tätig geworden sein. Dagegen spricht aber, dass ein Hersteller bei der Herstellung künftiger Kaufsachen eigene Aufgaben erfüllt und nicht solche des späteren Händlerverkäufers. Eine Stellung der Volkswagen AG als Erfüllungsgehilfin des V ist somit abzulehnen.
Damit muss sich V etwaiges arglistiges Verhalten der Herstellerin nicht zurechnen lassen. Eine Entbehrlichkeit der Frist lässt sich aus der Kenntnis der Mangelhaftigkeit der Herstellerin somit nicht begründen.
(2) Eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 323 II Nr. 3 BGB könnte aus dem Umstand herrühren, dass die Installation des Software-Updates zu anderen Mängeln am Wagen führen könnte. Ob das Software-Update solche Konsequenzen hat, lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen. Es genügt nach Auffassung des BGH hier auch nicht, dass solche sich anschließenden Mängel nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ausgeschlossen sind (BGH, Urteil v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 33 ff.).

– die Ausführungen des BGH beziehen sich hier auch auf Fehler der Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Für die Ausführungen im Gutachten kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass der Entbehrlichkeitsgrund nach § 323 II Nr. 2 BGB eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall fordert. Ein nicht hinreichend belegter Verdacht einer Vertragspartei, wie in diesem Fall, genügt nicht, um die Entbehrlichkeit zu begründen (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 38).

Hilfsweise sei an dieser Stelle die Interessenabwägung bei angenommener Unzumutbarkeit der Nacherfüllung durch Nachbesserung für K aufgezeigt.
„Selbst wenn die Nacherfüllung für den Kläger unzumutbar wäre, träte damit das Interesse der Beklagten an einer vom Gesetzgeber durch das Instrument der Nacherfüllung grundsätzlich eingeräumten „zweiten Andienung“ nicht automatisch zurück. Denn der Beklagten war das Vorhandensein der unzulässigen Abschalteinrichtung vor oder bei Vertragsschluss nicht bekannt. Sie hatte daher nicht die Möglichkeit, diesen Mangel frühzeitig zu beseitigen. Gerade diesem Umstand kommt aber nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung entscheidendes Gewicht für ein Zurücktreten der Belange des täuschenden Verkäufers im Rahmen der Interessenabwägung nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu […]-. Der Beklagten ist eine Berufung auf eine „zweite Andienung“ auch nicht per se deswegen zu versagen, weil ihr eine mögliche Arglist des Herstellers zuzurechnen wäre. Denn eine Zurechnung eines solchen Herstellerverhaltens gemäß § 278 BGB, § 166 BGB analog scheidet aus […].“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 37)

Die Fristsetzung war auch unter Berücksichtigung der Behauptung des K entbehrlich gem. § 323 II Nr. 3 BGB.
bb) § 440 BGB
Die Fristsetzung könnte entbehrlich sein gem. § 440 BGB. Hiernach bedarf es einer Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht, wenn dem Käufer die ihm zustehende Art der Nacherfüllung unzumutbar ist. Eine solche Unzumutbarkeit lässt sich aus den geschilderten Umständen – wie dargestellt – aber gerade nicht begründen. Die Frist ist somit auch nicht gem. § 440 BGB entbehrlich.
cc) § 326 V BGB
Zuletzt könnte die Fristsetzung entbehrlich sein gem. § 326 V BGB. Dazu müssten beide Arten der Nacherfüllung unmöglich i.S.v. § 275 I – III BGB sein.
„Vorliegend steht nicht fest, ob eine mangelfreie Nachlieferung des ursprünglichen Modells zum Zeitpunkt des Rücktritts noch möglich war oder nicht. Auch hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, ob eine Nachbesserung durch das Software-Update oder gegebenenfalls durch andere Methoden (etwa „Hardware-Lösung“) unmöglich war […].“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 42)

– Auch hier sind unzureichende Erhebungen des Berufungsgerichts Grundlage der Bewertung durch den BGH. In der Klausur kann es dieser Stelle zu einer Inzidentprüfung der Unmöglichkeit der Nacherfüllung kommen. Dann ist deutlich darzustellen, dass der Bezugspunkt für die Unmöglichkeit i.S.v. § 275 BGB nicht der ursprüngliche Erfüllungsanspruch, sondern der Nacherfüllungsanspruch gem. § 439 I BGB ist.

dd) Zwischenergebnis
Die Setzung einer Frist zur Nacherfüllung war nicht entbehrlich. K ist somit nicht wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten.
– Hilfsgutachten –
5. Kein Ausschluss
Bei der Annahme einer Entbehrlichkeit der Fristsetzung wäre schließlich noch zu prüfen, ob der Rücktritt durch K ausgeschlossen ist. In Betracht kommt ein Ausschluss des Rücktritts gem. § 323 V 2 BGB. Demnach kann der Gläubiger bei nicht vertragsgemäßer Leistungserbringung durch den Schuldner nicht vom Vertrag zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Dies
„erfordert eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls […]. Bei behebbaren Mängeln ist von einer Geringfügigkeit und damit von einer Unerheblichkeit in der Regel auszugehen, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind, was jedenfalls regelmäßig nicht mehr anzunehmen ist, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt […]. Bei unbehebbaren Mängeln ist regelmäßig auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung abzustellen […].“ (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 44).
Für die Annahme einer Geringfügigkeit könnte sprechen, dass das Software-Update ohne größere Schwierigkeiten und mit geringen Zeitaufwand durchführbar ist.
„Jedoch steht derzeit nicht fest, dass das Software-Update zu einer ordnungsgemäßen Nachbesserung führt, also nicht mit dem Auftreten von (nicht zu vernachlässigenden) Folgemängeln verbunden wäre. Eine Nachbesserung im Sinne von § 439 Abs. 1 BGB setzt eine vollständige, nachhaltige und fachgerechte Behebung des vorhandenen Mangels voraus […] und liegt nicht vor, wenn zwar der ursprüngliche Mangel beseitigt, hierdurch aber Folgemängel hervorgerufen werden. Ob dies der Fall ist, ist mangels rechtsfehlerfreier Feststellungen des Berufungsgerichts offen. Damit kann nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht davon ausgegangen werden, dass sich die unzulässige Abschalteinrichtung mit geringem Kostenaufwand folgenlos in dem vorbeschriebenen Sinne beseitigen ließe.“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 47)
Im Ergebnis kann die Unerheblichkeit der Pflichtverletzung nicht angenommen werden. Der Ausschluss gem. § 323 V 2 BGB ist somit nicht einschlägig.
– Ende des Hilfsgutachtens –
6. Ergebnis
K hat gegen V keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 437 Nr. 2 At. 1, 346 I BGB.
III. Fazit
Auch wenn viele Bewertungen des BGH bezüglich der Entbehrlichkeit der Frist auf den Umstand zurückzuführen sind, dass bestimmte Umstände auf Tatsachenebene von den Vorinstanzen nicht hinreichend erforscht wurden, lassen sich einige Ausführungen finden, die im Gutachten hilfreich sein können.
Zum einen macht der Fall deutlich, dass zwischen den am Sachverhalt beteiligten genau zu unterscheiden ist. Das Verhalten und die Kenntnis des Herstellers/Lieferanten von der Mangelhaftigkeit der Kaufsache, kann dem Händlerverkäufer nach Auffassung des BGH nicht zugerechnet werden.
Zum anderen ist festzuhalten, dass für die Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 323 II Nr. 3 BGB eine umfassende Abwägung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist. Für die Klausur bedeutet dies insbesondere die Informationen des Sachverhalts hierzu fruchtbar zu machen und einen eher strengen Maßstab anzulegen. Dabei darf die Bedeutung des Rechts des Schuldners zur zweiten Andienung nicht übersehen werden. Da es hier auf eine Wertung im Einzelfall ankommt, ist das Ergebnis bei sorgfältiger Verwertung der Informationen des Sachverhalts und Gewichtung der Argumente eher nebensächlich. Hier gilt es, das Ergebnis klausurtaktisch zu wählen und ggf. weitere Probleme des Sachverhalts im Hilfsgutachten zu besprechen.

04.11.2021/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2021-11-04 08:22:272021-11-04 08:22:27Neues zum Dieselskandal: Rücktritt vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung?
Tobias Vogt

Erstes BGH-Urteil im Abgas-Skandal

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Rechtsprechung, Zivilrecht

Ein Urteil, das von der Juristenwelt lange herbeigesehnt wurde: Durch das erste Urteil des BGH im Abgasskandal (Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19) ist nun höchstgerichtlich geklärt, dass die betroffenen Käufer einen Anspruch aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung gegen den Hersteller haben. Ebenso ist nun höchstgerichtlich geklärt, dass sich die Geschädigten dabei jedoch die gezogenen Nutzungen aufgrund der gefahrenen Kilometer anrechnen lassen müssen. Die Examensrelevanz eines derart praxisrelevanten Urteils dürfte auf der Hand liegen. Die Entscheidung sollte daher jeder Examenskandidat eingehend studieren.
I. Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf
Der Kläger erwarb am 10. Januar 2014 zu einem Preis von 31.490,- € brutto von einem Autohändler einen Gebrauchtwagen VW Sharan 2.0 TDl match, der mit einem 2,0-Liter Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet ist. Die Beklagte ist die Herstellerin des Wagens. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.
Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger im Wesentlichen die Zahlung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises in Höhe von 31.490 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Denn er habe geglaubt, umweltbewusst zu handeln und hätte den Kauf nicht getätigt, hätte er Kenntnis von den wahren Abgaswerten gehabt.
Nachdem in erster Instanz das Landgericht Bad Kreuznach – Urteil vom 5. Oktober 2018 – 2 O 250/17 die Klage noch abwies, bejahte das OLG Koblenz mit Urteil vom 12.6.2019 – 5 U 1318/18 einen Anspruch auf Rückerstattung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Rückgabe des Wagens – jedoch unter Anrechnung des Nutzungsvorteils des Klägers anhand der gefahrenen Kilometer. Die Beklagte begehrte mit der Revision die vor dem BGH die Klageabweisung während sich die Revision des Klägers gegen die Anrechnung der gefahrenen Kilometer richtet.
II. Auch BGH bejaht Anspruch aus § 826 BGB
Der BGH schließt sich der Ansicht des OLG Koblenz an. Der Hersteller haftet nach §§ 826, 31 BGB.
1. Systematisches Verschleiern der tatsächlichen Abgaswerte ist sittenwidrig
Das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zum Kläger sei objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren. Dieser hat auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrbundesamts systematisch, langjährig und in siebenstelligen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits die Gefahr einher, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte. Ein solches Verhalten sei im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren, so der BGH.
2. Zurechnung über § 31 BGB analog
Der BGH beanstandete auch nicht, dass das OLG Koblenz aufgrund des nicht ausreichenden Vortrags der Beklagten annahm, dass die systematische Abgasmanipulation jedenfalls mit Kenntnis und Billigung der im Hause der Beklagten für die Motorenentwicklung verantwortlichen Personen, namentlich dem vormaligen Leiter der Entwicklungsabteilung und den für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Beklagten verantwortlichen vormaligen Vorständen, geschah. Das Verhalten dieser Repräsentanten der Beklagten wird über § 31 BGB, der analog auch für sämtliche sonstige Gesellschaftsformen außer dem Verein Anwendung findet, zugerechnet.
3. Ungewollte Verbindlichkeit als Schaden
Ebenso wie das Berufungsgericht sah der BGH den Schaden bereits in der Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit. Der Kläger, dem es gerade darauf ankam ein umweltfreundliches Fahrzeug zu erwerben und zu fahren, ist durch die sittenwidrige Täuschung der Beklagten über die Abgaswerte des Wagens dazu veranlasst worden, eine ungewollte Verbindlichkeit einzugehen. Denn ein Wagen mit den tatsächlich deutlich höheren Abgaswerten eignet sich nicht für die von ihm mit dem Vertrag bezweckte Verwendung. Auf die objektive Eignung des Wagens für den Fahrgebrauch oder eine Wertminderung kommt es nicht an.
4. Abzug der Nutzungsvorteile – schadensrechtliches Bereicherungsverbot
Grundsätzlich sind nach § 249 Abs. 1 BGB die Folgen der ungewollt eingegangenen Verbindlichkeit vom beklagten Hersteller rückgängig zu machen. Der Hersteller hat somit den vom Kläger gezahlten Kaufpreis zu erstatten, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Wagens. Wie die Vorinstanz schon gewährt auch der BGH dem Kläger jedoch nicht die volle Rückerstattung des Kaufpreises. Er muss sich die Vorteile anrechnen lassen, die ihm aus der bisherigen Nutzung des Wagens zugeflossen sind. Bemessungsgrundlage hierfür sind die vom Kläger gefahrenen Kilometer. Dies ist Ausdruck des Bereicherungsverbots als allgemeinen Grundsatz des deutschen Schadensrechts. Der BGH sah sich auch nicht veranlasst, von diesem allgemeinen Grundsatz aufgrund des sittenwidrigen und insoweit nicht schützenswerten Verhaltens des Schädigers eine Ausnahme zu machen, wie es der Kläger forderte. Denn das deutsche Schadensrecht dient gerade nicht der Bestrafung des Schädigers oder einer Schadensbemessung anhand von Billigkeitserwägungen. Dem Geschädigten soll nur sein entstandener Schaden ausgeglichen werden, er soll jedoch nicht am Ende besser dastehen, als er ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses stünde. Dies wäre jedoch der Fall, wenn er den vollen Kaufpreis zurückerstattet bekommen würde, ihm jedoch der geldwerte Vorteil einer jahrelangen Pkw-Nutzung erhalten bliebe.
III. Fazit und Ausblick
Der Hersteller eines mit unzulässiger Abschaltvorrichtung ausgestatteten Wagens haftet den Käufern nach §§ 826, 13 BGB.
Die systematische Täuschung über die tatsächlichen Abgaswerte stuft auch der BGH als sittenwidrig ein. Dieses Verhalten der verantwortlichen Mitarbeiter wird über § 31 BGB analog zugerechnet.
Das Eingehen einer ungewollten Verbindlichkeit ist als Schaden im Sinne des § 826 BGB anzusehen. Daher sind die Folgen dieses Vertrags in Form der Erstattung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Wagens, rückgängig zu machen.
Der Anspruchsteller hat sich jedoch seine Nutzungsvorteile in Form der von ihm gefahrenen Kilometer anspruchsmindernd anrechnen zu lassen. Auch im Rahmen des § 826 BGB gilt das schadensrechtliche Bereicherungsverbot.
Die Entscheidung wird aufgrund ihrer Tragweite und medialen Aufmerksamkeit mit Sicherheit Eingang in juristische Prüfungen finden. Zur weiteren Vertiefung der Problematik empfehlen wir unsere Beiträge zur Vorinstanz OLG Koblenz  (hier) sowie zur Entscheidung des OLG Hamm (hier).
Da sich der Abgasskandal gut dazu eignet, um neben den Ansprüchen gegen der Hersteller zunächst die Ansprüche gegen den Händler aus Mängelgewährleistung abzuprüfen, sind Examenskandidaten gut damit beraten, sich auch mit der Einordnung der Abgasmanipulationssoftware als Mangel zu beschäftigen. Auch mit dieser Frage war der BGH schon befasst, aufgrund eines Vergleichs erging jedoch kein Urteil. Zu den hierzu dennoch bedeutsamen Aussagen des BGH siehe unser Artikel (hier).
 

26.05.2020/1 Kommentar/von Tobias Vogt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tobias Vogt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tobias Vogt2020-05-26 08:24:252020-05-26 08:24:25Erstes BGH-Urteil im Abgas-Skandal
Tobias Vogt

OLG Hamm: § 826 BGB gegen den Hersteller auch bei Kauf erst nach Bekanntwerden des Abgasskandals

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Schon allein aufgrund der Vielzahl an Gerichtsentscheidungen zu dieser Frage liegt die Examensrelevanz von Ansprüchen gegen den Hersteller im Rahmen des Abgasskandals auf der Hand. Nachdem am 12.06.2019 (Az.: 5 U 1318/18) das OLG Koblenz als erstes OLG einen Anspruch gegen den Hersteller wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung bejahte, zog nun das OLG Hamm nach (Urt. v. 10.09.2019, Az.: 13 U 149/18). Neu an dieser Entscheidung ist, dass der Kauf erst erfolgte, nachdem der Abgasskandal bereits aufgedeckt und darüber in den Medien berichtet wurde. Dies hinderte das OLG Hamm jedoch nicht daran, eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung anzunehmen.
I. § 826 BGB gegen der Hersteller
Das OLG Hamm schloss sich der Rechtsansicht des OLG Koblenz an und wertete das vorsätzliche und systematische Verschweigen der Abschalteinrichtung im sogenannten Abgasskandal als vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung. Hierzu wird auf unseren Beitrag zum Urteil des OLG Koblenz verwiesen (hier).
II. Täuschung trotz vorheriger Berichterstattung über Abgasskandal
Naturgemäß scheidet die für einen Anspruch aus § 826 BGB erforderliche Täuschung aus, wenn der Anspruchsteller Kenntnis von den Umständen hatte. Dann wäre bei ihm kein Irrtum erzeugt worden. Daher wies die Vorinstanz (LG Bochum, Urt. V. 27.06.2018, Az.: I-2 O 85/18) die Klage noch ab, da der Kaufvertrag erst geschlossen wurde, nachdem der Abgasskandal bekannt geworden war. Aufgrund der umfassenden Berichterstattung seien die Umstände des Vorgehens der Volkswagen AG im Rahmen des Abgasskandals allgemein bekannt gewesen. Dies hätte niemanden, der sich im Jahr 2016 für den Erwerb eines VW-Diesels interessiert habe, verborgen bleiben können.
Dem schloss sich das OLG Hamm nicht an. Die Klägerin habe glaubhaft dargelegt, dass sie keine Kenntnis davon hatte, dass der von ihr erworbene Wagen ebenfalls von dem Abgasskandal betroffen ist. Richtigerweise differenziert hier das OLG Hamm: Die Kenntnis vom Abgasskandal im Allgemeinen bedeutet nicht zwingend auch Kenntnis darüber, dass der konkret gekaufte Wagen vom Abgasskandal betroffen ist. Die Käuferin durfte also davon ausgehen, dass ihr VW-Diesel entsprechend dem Verwendungszweck uneingeschränkt zulässig sei. Darüber aber wurde sie getäuscht. Denn aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung drohte die Entziehung der Typengenehmigung und damit die Betriebsstillegung.
III. Schadensersatz: Auch Befreiung von Verbindlichkeiten aus Darlehensvertrag
Als Schaden erachtete das OLG Hamm die Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit aus dem Kaufvertrag. Der Klägerin wurde Schadensersatz in Form der Kaufpreisrückzahlung Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Wagens zugesprochen. Da die Käuferin zur Finanzierung des Erwerbs eine Darlehensverbindlichkeit eingegangen war, sind auch die bisher aufgewendeten sowie noch ausstehenden Darlehenszinsen als Schadensposten auszugleichen. Davon abzuziehen ist eine Nutzungsentschädigung für die bisherige Nutzung des Wagens.
IV. Ausblick
Schadensersatzansprüche wegen des Abgasskandals gegen den Hersteller nach § 826 BGB bleiben aufgrund der in jüngster Vergangenheit ergangenen Urteile äußerst Prüfungsrelevant. Da das OLG Hamm zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Revision zum BGH zugelassen hat, bleibt diese Problematik weiterhin spannend.

18.09.2019/1 Kommentar/von Tobias Vogt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tobias Vogt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tobias Vogt2019-09-18 10:13:352019-09-18 10:13:35OLG Hamm: § 826 BGB gegen den Hersteller auch bei Kauf erst nach Bekanntwerden des Abgasskandals
Tobias Vogt

Abgasskandal: 1. OLG-Urteil gegen Hersteller – § 826 BGB

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Auch mehr als drei Jahre nach Aufdeckung des Abgasskandals beschäftigt dieser sowohl Öffentlichkeit als auch Judikatur und ist daher weiterhin von enormer Prüfungsrelevanz. Bislang standen vor allem vertragliche Ansprüche gegen Händler im Fokus (siehe unsere Artikel hier und hier). In der Frage, ob auch deliktische Ansprüche gegen den Hersteller bestehen, waren die verschiedenen Landgerichte uneins (bejahend etwa LG Stuttgart v. 17.1.2019 – 23 O 180/18; LG Frankfurt v. 29.4.2019 – 2-07 O 350/18; ablehnend LG Braunschweig v. 29.12.2016 – 1 O 2084/15). Nachdem die Vorinstanz die Klage noch abwies, bejahte nun das OLG Koblenz in seinem Urteil vom 12.6.2019 (Az.: 5 U 1318/18) einen Anspruch aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung gegen den Hersteller. Es handelt sich um die erste OLG-Entscheidung gegen einen Hersteller im Abgasskandal. Diese Entscheidung dürfte juristischen Prüfern nicht entgangen sein und sollte daher jedem Examenskandidat bekannt sein.
I) Sachverhalt
Der Kläger kaufte einen PKW als Gebrauchtfahrzeug. Der Wagen enthielt einen Dieselmotor mit unzulässiger Abschaltvorrichtung, die dazu führte, dass bei Abgastest stets bessere Ergebnisse erzielt würden, als dies im alltäglichen Fahrbetrieb möglich gewesen wäre. Daher verlangte er vom Hersteller des PKW und Motors die Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Denn er habe geglaubt umweltbewusst zu handeln und hätte den Kauf nicht getätigt, hätte er Kenntnis von den wahren Abgaswerten gehabt.
II) Vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung, § 826 BGB
Entgegen der Vorinstanz bejahte das OLG Koblenz einen Anspruch aus § 826 BGB gegen den Hersteller. Dazu bedarf es einer sittenwidrigen Schädigungshandlung, eines Schadens, der kausal auf dieser Handlung beruht und Vorsatz hinsichtlich des Schadens sowie den die Sittenwidrigkeit begründenden Umständen.
1) Sittenwidrige Schädigungshandlung
Die Schädigungshandlung besteht in dem Inverkehrbringen eines Fahrzeugs unter bewusstem Verschweigen der gesetzwidrigen Softwareprogrammierung, was mit einer konkludenten Täuschung über die uneingeschränkte Zulässigkeit des Fahrzeugs im Straßenverkehr einhergeht. Die Sittenwidrigkeit begründet sich daraus, dass der Hersteller allein zum Zweck der Kostensenkung und möglicherweise der Umgehung von technischen Problemen bei der Entwicklung eines rechtlich und technisch einwandfreien Motors systematisch sowohl Aufsichtsbehörden als auch Verbraucher über die zulassungsrelevanten Abgaswerte getäuscht  und so die Ahnungslosigkeit der unzähligen Verbraucher bewusst zu seinem Vorteil ausgenutzt hat. Dabei wurde das Bestreben Einzelner, durch den Kauf eines umweltschonenden Produkts einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten, durch eine gezielte Täuschung unterlaufen. Die Verwerflichkeit werde durch das systematische Vorgehen und den großen betroffenen Personenkreis vertieft, so das OLG Koblenz. Dass es sich um einen Gebrauchtwagenkauf handelt, mache keinen Unterschied, da die Täuschung auch beim Gebrauchtwagenkauf fortwirkte. Denn auch bei diesem seien unter anderem die Herstellerangaben Grundlage der Kaufentscheidung.
2) Belastung mit ungewollter Verbindlichkeit und Gefahr der Betriebsuntersagung als Schaden
Durch diese Handlung ist dem Kläger auch ein Schaden entstanden. Der oft vom Hersteller im Prozess angeführte Einwand, das Fahrzeug sei trotz der Abschalteinrichtung werthaltig, kann letztlich einen Schaden nicht entfallen lassen. Denn auch, wenn nach strikter Anwendung der Differenzhypothese kein Schaden bestünde, ist unter Anwendung einer normativen Korrektur Schaden i.S.d. § 826 BGB nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung. Insofern kommt es nicht darauf an, ob die erhaltene Leistung wirtschaftlich hinter der Gegenleistung zurückbleibt. Ausreichend ist, dass der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte und dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist (BGH v. 28.10.2014 – Az. VI ZR 15/14). Es komme auch nicht darauf an, ob eine spätere Nachbesserung etwaige vermögensmäßigen Einbußen ausgleichen könnte. Der Kläger wurde hier durch die Täuschung über die Abgaswerte zu einem Vertragsschluss bewegt, den er sonst nicht getätigt hätte, und ist in seinen berechtigten Erwartungen an einen umweltfreundlichen geringen Abgasausstoß enttäuscht worden.
Zudem entspricht das Fahrzeug auch nicht den gesetzlichen Anforderungen. Aufgrund der Unzulässigkeit der Abschaltvorrichtung besteht die Gefahr einer Stilllegung, wodurch die uneingeschränkte Nutzung in Frage gestellt werde.
Beide Aspekte – zum einen die Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit und zum anderen die Gefahr der Betriebsuntersagung – können laut OLG Koblenz für sich alleine als Schaden angesehen werden.
3) Vorsatz – Zurechnung über § 31 BGB analog oder Haftung nach § 831 BGB
Da der Hersteller eine juristische Person ist, bedarf es der Zurechnung der Kenntnis einer natürlichen Person. Angesichts der großen Zahl der manipulierten Fahrzeuge sah das OLG Koblenz es als ausgeschlossen an, dass Mitarbeiter in leitender Stellung (zumindest der Leiter der Entwicklungsabteilung) keine Kenntnis von den Manipulationen hatten. Die Kenntnis des Vorstands oder sonstiger Repräsentanten wird dabei nach § 31 BGB analog zugerechnet. Eine Zurechnung erfolgt nicht nur für den Vorstand, sondern auch für alle sonstigen Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren.
Für den Fall, dass keine Kenntnis von Mitarbeitern in leitender Stellung angenommen werden kann, ergibt sich eine Haftung aus § 831 BGB. Denn sonstige Mitarbeiter des Herstellers, die die Manipulation tätigten, sind jedenfalls Verrichtungsgehilfen. In einer Prüfung ist an dieser Stelle darauf zu achten, dass § 831 eine eigene Anspruchsgrundlage für eigenes Organisationsverschulden ist, also nicht im Rahmen der Vorsatzzurechnung herangezogen werden kann. Die Gerichte helfen sich hier mit einer Wahlfeststellung (so etwa LG Stuttgart v. 17.1.2019 – 23 O 180/18; LG Frankfurt v. 29.4.2019 – 2-07 O 350/18), in einer Klausur sollte jedoch eine „saubere“ getrennte Prüfung erfolgen.
4) Rechtsfolge
Der Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB (oder ggf. § 831 BGB) ist auf Naturalrestitution gerichtet, § 249 BGB. Diese besteht in der Rückgängigmachung der Folgen des „ungewollten“ Kaufs. Der Kläger hat demnach einen Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Nicht übersehen werden darf, dass sich der Gläubiger die tatsächlichen Nutzungen des Fahrzeugs als geldwerten Vorteil anrechnen lassen muss (Stichwort Bereicherungsverbot im deutschen Schadensrecht). Der zu erstattende Kaufpreis ist daher um diesen Betrag zu kürzen.
III) Fazit
Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs können also gemäß § 826 BGB gegen den Hersteller vorgehen. Der Schaden liegt dabei sowohl in der Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit als auch in der Gefahr einer Betriebsuntersagung. Neben der Problematik von vertraglichen Ansprüchen gegen den Verkäufer sollten Prüflinge also auch diese Konstellation vor Augen haben.

19.06.2019/1 Kommentar/von Tobias Vogt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tobias Vogt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tobias Vogt2019-06-19 08:36:472019-06-19 08:36:47Abgasskandal: 1. OLG-Urteil gegen Hersteller – § 826 BGB
Dr. Sebastian Rombey

VW-Abgasskandal: BGH äußert sich zu Mangel und Ersatzlieferung

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Der BGH hat sich – wie in der vergangenen Woche bekanntgeworden ist – zu einem vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeug geäußert (VIII ZR 225/17). Vorläufiges Fazit: betroffene Fahrzeuge weisen wohl einen Sachmangel auf. Da es sich jedoch um einen bloßen Hinweisbeschluss handelt (der Kläger hatte nach einem Vergleich seine Revision zurückgenommen), der am 27.02.2019 auf der Seite des BGH im Volltext veröffentlicht werden soll, wird in der Sache kein Urteil mehr ergehen und der BGH sich nicht mehr zu etwaigen Gewährleistungsansprüchen äußern können; die Rechtsansicht des BGH bleibt damit vorerst eine rein vorläufige. Dennoch lohnt es sich, die knappen Hinweise des BGH näher zu betrachten, auch, da zu erwarten ist, dass untere Instanzen sie ihren Entscheidungen zu Grunde legen werden. Für die gegen VW eingelegte Musterfeststellungsklage hat dies jedoch keine wirkliche Ausstrahlungskraft. Warum sich der BGH zu diesem nicht zwingend notwendigen, überdies öffentlich gemachten Hinweis hinreißen ließ, liegt indes auf der Hand: Der VW-Konzern verfolgt die durchaus nachvollziehbare Strategie, ein Grundsatz-Urteil im Abgasskandal unbedingt zu vermeiden. Der VIII. Zivilsenat hat diese Taktik nun zumindest teilweise durchkreuzt.
I. Sachmangel wohl zu bejahen
In der Sache ging es um die Rechtsfrage, ob dem Käufer eines von VW mit einer bei Übergabe mit einer Abschalteinrichtung versehenen Neuwagens zur Verdeckung erhöhter Stickoxidwerte ein Anspruch auf Ersatzlieferung bei einem Modellwechsel gegen den selbständigen VW-Vertragshändler zusteht. Im Zentrum stand damit die Frage nach dem Vorliegen eines Sachmangels. In Betracht kam ein solcher aus § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB, also die fehlende Eignung für die gewöhnliche Verwendung, die bei Kaufsachen der gleichen Art und Güte üblich ist und die der Käufer nach der Art der Kaufsache erwarten kann. Die in Rede stehende Software reduziert auf dem Prüfstand den Stickoxidaustoß gegenüber dem Fahrbetrieb deutlich. Darin sah der BGH einen Sachmangel, „weil die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde besteht und es damit an der Eignung der Sache für die gewöhnliche Verwendung (Nutzung im Straßenverkehr) fehlen dürfte.“ (PM Nr. 022/2019 v. 22.02.2019). Zum Hintergrund: Das Kraftfahrtbundesamt hatte zuvor verlauten lassen, dass es die Abschalteinrichtung für unzulässig hält. Grund zum Jubeln haben betroffene Käufer dennoch nicht unbedingt, sind doch die meisten Fälle mittlerweile verjährt. Allein bei arglistiger Täuschung wäre dies anders; zu dieser aber wurde höchstrichterlich noch nicht Stellung bezogen.
II. Keine Unmöglichkeit der Ersatzlieferung
Des Weiteren weist der BGH noch auf eine weitere, vorläufige Rechtsauffassung hin: Der Umstand, dass es mittlerweile ein Nachfolgemodell zu dem ursprünglich gekauften Neuwagen gebe, führe nicht zur Unmöglichkeit der Ersatzlieferung im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB. Zwar werde das ursprünglich erworbene Modell (VW Tiguan 2.0 TDI) nicht mehr produziert, eine Beschaffung sei deshalb ausgeschlossen. Entscheidendes Kriterium sei aber vielmehr die Höhe des Beschaffungsaufwandes für den Verkäufer. Dieser könne einfach das Nachfolgemodell liefern. Denn: Ein „mit einem nachträglichen Modellwechsel einhergehender mehr oder weniger großer Änderungsumfang [sei] für die Interessenlage des Verkäufers in der Regel ohne Belang […].“ (PM Nr. 022/2019 v. 22.02.2019). Seien die Beschaffungskosten für den Verkäufer zu hoch, könne dieser sich ggf. auf § 439 Abs. 4 BGB berufen (unverhältnismäßige Kosten), nicht aber die Ersatzlieferung über § 275 Abs. 1 BGB generell verweigern. Bei genauerer Betrachtung wir dem Leser jedoch klar, dass diese Möglichkeit gegenüber einem Verbraucher (§ 13 BGB) faktisch wie rechtlich nicht besteht, da die andere Art der Nacherfüllung (Nachbesserung) oftmals unmöglich ist.
Es bleibt also weiterhin spannend.
S. zu weiteren examensrelevanten Problemen des VW-Abgasskandals auch unseren früheren Beitrag (hier abrufbar).

26.02.2019/1 Kommentar/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2019-02-26 09:11:032019-02-26 09:11:03VW-Abgasskandal: BGH äußert sich zu Mangel und Ersatzlieferung
Dr. Yannik Beden, M.A.

Audi-Vorstand Stadler in Untersuchungshaft: Überblick zur U-Haft und Verdunkelungsgefahr

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Der Vorstandsvorsitzende der Audi-AG Rupert Stadler wurde gestern an seinem Wohnsitz festgenommen und sitzt aktuell in Untersuchungshaft. Seit Beginn der Dieselaffäre im Jahr 2015 soll der Chef der VW-Tochtergesellschaft aus den eigenen Reihen Hinweise erhalten haben, denen zufolge auch bei Fahrzeugen der Marke Audi manipulierte Abgassysteme verarbeitet und verkauft worden sind. Die Münchener Staatsanwaltschaft hatte bereits diverse Telefonate Stadlers abgehört und stellte diverse Unterlagen im Rahmen einer Razzia sicher. Aufgrund konkreter Anhaltspunkte für eine Verdunkelungsgefahr erging letztlich ein Haftbefehl gegen den Vorstandsvorsitzenden. Die Staatsanwaltschaft befürchtete, dass Stadler Zeugen und/oder Beschuldigte im Abgasskandal möglicherweise beeinflussen werde. Sowohl für die schriftliche, als auch mündliche Examensprüfung müssen Kandidaten Grundkenntnisse zum Strafprozessrecht vorweisen können. Die Untersuchungshaft gem. §§ 112 ff. StPO muss von Prüflingen in ihren Grundzügen beherrscht werden. Aus aktuellem Anlass soll deshalb ein kurzer Überblick hierzu gegeben werden:
I. Arten der strafprozessualen Haft nach der StPO
Das Strafprozessrecht kennt verschiedene Arten der Haft, die unterschiedliche Zwecke verfolgen. Die Untersuchungshaft ist in §§ 112 ff. StPO geregelt und dient vornehmlich der effektiven Strafrechtspflege. Daneben besteht die Möglichkeit einer Ordnungs-bzw. Beugehaft gegenüber Zeugen nach §§ 51, 70 StPO. Ebenso kann eine Ordnungshaft entsprechend § 177 GVG angeordnet werden, wenn Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen den zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnungen des Gerichts nicht Folge leisten. Ein Haftbefehl kann auch gegen den Angeklagten ergehen, wenn sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung nicht genügend entschuldigt ist, § 230 Abs. 2 StPO. Im beschleunigten Verfahren kann zudem ein Haftbefehl gegen den Verdächtigen nach § 127b StPO erlassen werden. Darüber hinaus regelt die StPO in §§ 453c, 457 StPO die Vollstreckungshaft sowie die Strafhaft nach den §§ 449 ff. StPO.
II. Zweck der U-Haft: Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs
Die Untersuchungshaft dient der effektiven Durchführung des staatlichen Strafverfahrens und soll neben der Gewährleistung eines geordneten Verfahrens auch die spätere Strafvollstreckung sicherstellen (vgl. BVerfG Beschluss v. 13.10.1971 – 2 BvR 233/71; MüKo/Böhm/Werner, StPO, 1. Auflage 2014, § 112 Rn. 2.). Da die Untersuchungshaft einen erheblichen Eingriff in die persönliche Freiheit des Betroffenen (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) bedeutet, darf sie nur unter strengen Voraussetzungen angeordnet werden. Die staatliche Gemeinschaft hat einen legitimen Anspruch auf eine vollständige Aufklärung der Tat sowie einer zeitnahen Bestrafung des Täters, welcher durch die Untersuchungshaft gesichert werden darf, wenn und soweit die Sicherung nur durch eine Inhaftierung des Verdächtigten möglich ist (vgl. BVerfG Beschluss v. 13.10.1971 – 2 BvR 233/71). Die Untersuchungshaft bedeutet letztlich also immer eine (verfassungsrechtliche) Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Interesse der staatlichen Gemeinschaft an einer effektiven, wirksamen Strafverfolgung (MüKo/Böhm/Werner, StPO, 1. Auflage 2014, § 112 Rn. 1).
III. Voraussetzungen der Untersuchungshaft
Die Prüfungspunkte der Untersuchungshaft ergeben sich unmittelbar aus §§ 112 – 113 StPO: Es bedarf eines dringenden Tatverdachts gegen den Beschuldigten (1) und eines Haftgrundes (2). Zusätzlich muss die Untersuchungshaft dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen (3). Wichtig: Der Prüfungspunkt des dringenden Tatverdachts dient oftmals als Einstieg in den materiellen Teil strafrechtlicher Klausuren / mündlichen Prüfungen!    
1. Dringender Tatverdacht
Der Beschuldigte muss der Tat „dringend verdächtig“ sein, § 112 Abs. 1 S. 1 StPO. Ein dringender Tatverdacht liegt vor, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen eine „hohe“ bzw. „große“ Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist (jüngst BGH Beschluss v. 11.1.2018 – AK 75/17, BeckRS 2018, 1024; BVerfG Beschluss v. 13.10.1971 – 2 BvR 233/71). Zum einen muss also die Täterwahrscheinlichkeit umfassend auf Grundlage der bestehenden Tatsachenbasis geprüft werden. Ebenso ist eine Prognose über die Verurteilungswahrscheinlichkeit zu erstellen (MüKo/Böhm/Werner, StPO, 1. Auflage 2014, § 112 Rn. 21). Bloße Vermutungen reichen also für eine Untersuchungshaft nicht aus (BGH Beschluss v. 18.10.2007 – 3 Sa 214/07, BeckRS 2007, 16872).
2. Haftgrund
Neben dem dringenden Tatverdacht bedarf es für die Anordnung von Untersuchungshaft eines Haftgrundes. Die von der StPO anerkannten Haftgründe sind in § 112 Abs. 2 Nr. 1 – 3 normiert.
a) Fluchtgefahr
112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO regelt den Haftgrund der Fluchtgefahr: Untersuchungshaft kann angeordnet werden, wenn festgestellt wird, dass „der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält“ bzw. „bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde“. Flüchtig ist, wer sich von seinem Lebensmittelpunkt (ggf. ins Ausland) absetzt, um für Ermittlungsbehörden und Gerichte unerreichbar zu sein und sich ihrem Zugriff zu entziehen. Verborgen hält sich der Beschuldigte, wenn er etwa unangemeldet, unter falschem Namen oder an einem unbekannten Ort lebt, um sich dem Verfahren zu entziehen (vgl. OLG Karlsruhe Beschluss v. 1.3.2004 – 3 Ws 44/04, BeckRS 2004, 04171). Die Fluchtgefahr stellt statistisch betrachtet den häufigsten Haftgrund dar. Allgemein gilt wieder, dass es einer hohen Wahrscheinlichkeit bedarf, auch wenn insoweit keine volle Überzeugung der Tatsachen notwendig ist (MüKo/Böhm/Werner, StPO, 1. Auflage 2014, § 112 Rn. 41).
b) Verdunkelungsgefahr
112 Abs. 2 Nr. 3 lit. a bis c regelt den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr. Die Vorschrift ist letztlich selbsterklärend. Das Verfahren wird durch den Beschuldigten verdunkelt, wenn er etwa Beweismittel vernichtet, auf Zeugen und/oder Mitbeschuldigte in unlauterer Weise einwirkt oder Dritte zu einem solchen Verhalten veranlasst. Notwendig ist allerdings, dass gerade das Verhalten des Beschuldigten die Gefahr eines erschwerten Verfahrens, also die Verdunkelung begründet. Ein Einwirken auf Beweispersonen setzt bei der Verdunkelungsgefahr eine unmittelbare oder mittelbare psychische Beeinflussung voraus, durch die die Beweislage zuungunsten der Wahrheit geändert werden soll. Das ist insbesondere der Fall, wenn ein Zeuge durch Bedrohung zur Falschaussage veranlasst wird (OLG Köln Beschluss v. 1.6.2017 – 2 Ws 341/17, BeckRS 2017, 141453).
c) Ausnahme vom Erfordernis eines Haftgrundes bei Schwerkriminalität 
Nach dem Wortlaut des § 112 Abs. 3 StPO soll dann, wenn der Beschuldigte einer der in diesem Absatz genannten Straftaten verdächtig ist, Untersuchungshaft auch ohne Vorliegen eines Haftgrundes nach § 112 Abs. 3 StPO angeordnet werden können. Die aufgelisteten Katalogtaten beinhalten Straftaten der Schwerkriminalität. Da auf den ersten Blick die Anordnung von Untersuchungshaft bereits bei Vorliegen eines dringenden Tatverdachts ohne jegliche Anhaltspunkte für eine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr möglich ist, hat sich das Bundesverfassungsgericht früh für eine restriktivere Auslegung der Vorschrift ausgesprochen: In Anbetracht des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes muss die Norm in Zusammenhang mit § 112 Abs. 2 StPO gelesen werden. Es müssen also Umstände vorliegen, die die Gefahr begründen, dass ohne eine Inhaftierung des Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Straftat verhindert werden (BVerfG Beschluss v. 15.12.1965 – 1 BvR 513/65, NJW 1966, 243). Daraus folgt, dass es im Regelfall genügt, wenn eine Flucht oder Verdunkelungsgefahr nicht auszuschließen ist, wovon bei den genannten Katalogtaten üblicherweise auszugehen sein wird (MüKo/Böhm/Werner, StPO, 1. Auflage 2014, § 112 Rn. 93).  
3. Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Die Untersuchungshaft darf nicht angeordnet werden, wenn sie unverhältnismäßig ist, § 112 Abs. 1 S. 2 StPO. § 113 Abs. 1, 2 StPO kann insoweit als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips verstanden werden. Das Gesetz sieht die Unverhältnismäßigkeit als Haftausschließungsgrund vor, sodass sie positiv festgestellt werden muss (BeckOK/Krauß, StPO, 29. Ed. 2018, § 112 Rn. 42 m.w.N.). Mildere Mittel können etwa sein, dass der Beschuldigte Personalpapiere abliefert (BeckOK/Krauß, StPO, 29. Ed. 2018, § 112 Rn. 46). Insgesamt muss stets geprüft werden, ob der Eingriff in die persönliche Freiheit des Einzelnen in Anbetracht des staatlichen Bedürfnisses nach einer effektiven Strafverfolgung unter Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nicht außer Verhältnis steht.
IV. Formalia
Die Untersuchungshaft wird von der Staatsanwaltschaft beim Richter beantragt. Zuständig ist bis zur Erhebung der öffentlichen Klage der Ermittlungsrichter, vgl. § 125 Abs. 1 StPO. Nach Erhebung der öffentlichen Klage ist das Gericht, welches mit der Sache befasst ist, zuständig (§ 125 Abs. 2 StPO). Wird der Beschuldigte ergriffen, ist er unverzüglich dem Richter vorzuführen, § 115 Abs. 1 StPO. Rechtsbehelfe gegen die Untersuchungshaft sehen die §§ 304 ff. StPO (Haftbeschwerde) sowie die §§ 117 ff. StPO (Antrag auf Haftprüfung) vor. Auch besteht die Möglichkeit, den Vollzug des Haftbefehls auszusetzen, § 116 StPO. Die Norm ist ebenfalls als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu verstehen („weniger einschneidende Maßnahmen“).
V. Summa
Die Untersuchungshaft ist nicht nur Theoriestoff der juristischen Ausbildung, sondern vielmehr Gegenstand alltäglicher Strafverfolgungsarbeit. Das jüngste Beispiel aus dem Hause Audi macht dies erneut deutlich. Examenskandidaten sollten die Grundzüge der Untersuchungshaft für Klausuren und die mündlichen Prüfung unbedingt beherrschen. Nicht zuletzt greifen Prüfer gerne auf die Untersuchungshaft zurück, um die materielle Strafrechtsprüfung prozessual einzukleiden.

19.06.2018/0 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2018-06-19 14:56:012018-06-19 14:56:01Audi-Vorstand Stadler in Untersuchungshaft: Überblick zur U-Haft und Verdunkelungsgefahr
Dr. Melanie Jänsch

Examensrelevante Probleme zum VW-Abgasskandal

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Ein halbes Jahr ist es her – am 22.9.2015 hatte der VW-Konzern bekanntgegeben, dass sich die Software zur Manipulation der Abgaswerte in weltweit 11 Millionen Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 189 befinde. Diese ermögliche, dass iRv Testverfahren ein weitaus geringerer Abgasausstoß verzeichnet wird als unter tatsächlichen Fahrbedingungen. Für Käufer eines Pkw mit manipuliertem Abgassystem stellte sich schnell die Frage nach Gewährleistungsrechten gegenüber dem Verkäufer (dem Autohaus). Besteht ein Anspruch auf Nacherfüllung, Minderung oder Schadensersatz? Ist ggf. sogar ein Rücktritt vom Kaufvertrag möglich? Diese Fragen sind auch sehr gut für eine mündliche Prüfung oder für das Examen selbst geeignet.
Mittlerweile gibt es erste Rechtsprechung:

  • Das LG Münster hat mit Urteil v. 14.3.2016 entschieden, „dass der Käufer eines von der manipulierten Abgassoftware betroffenen VW keinen Anspruch auf die Rückabwicklung des Kaufvertrages hat, sondern von dem Autohändler lediglich die Nachbesserung des Abgassystems verlangen kann.“ (Pressemitteilung)
  • Auch das LG Bochum hat mit seinem Urteil v. 16.3.2016 (Az. I-2 O 425/15) ein Rücktrittsrecht eines betroffenen Kunden verneint. Ferner stellte es fest, dass das beklagte Autohaus, den Verkäufer, wegen des Mangels kein Verschulden treffe, da ihm das Verhalten des Herstellers nicht zugerechnet werden könne (s. auch hier).

Die Entscheidungen sollen in diesem Beitrag zum Anlass genommen werden, noch einmal die allgemeinen Grundsätze der hier in Betracht kommenden Gewährleistungsrechte – angewandt auf den konkreten Fall – darzustellen. Die aktuelle Thematik der Mangelhaftigkeit der Abgassysteme lässt sich hervorragend in Fallkonstellationen integrieren, in denen Gewährleistungsrechte, deren Prüfung für jeden Examenskandidaten sowieso zum Standardrepertoire gehören sollte, abgeprüft werden.

A. Sachverhalte
(leicht abgewandelt)

In beiden Fällen hat der Kläger, Käufer eines VW Tiguan, in dem der Motortyp EA 189 verbaut ist, gegen sein Autohaus geklagt. Nach den Feststellungen des Gerichts steht der Motor des betroffenen VW in Verbindung mit einer manipulierten Abgassoftware, welche Stickoxidwerte im Prüfstandlauf in gesetzlich unzulässiger Weise optimiere. Nur aufgrund der manipulierten Software, die erkenne, ob das Fahrzeug einem Prüfstandtest unterzogen werde oder sich auf der Straße befinde, halte der genannte Motor die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte ein. Der Kläger will nun Gewährleistungsrechte geltend machen.


B. Lösung


I. Anspruch auf Nacherfüllung, §§ 437 Nr. 1, 439 BGB

Der Käufer könnte einen Anspruch auf Nacherfüllung geltend machen, §§ 437 Nr. 1, 439 BGB. Hierbei handelt es sich um eine Modifikation des ursprünglichen Anspruchs auf Lieferung einer mangelfreien Sache, § 433 I 2 BGB. Grds. kann der Käufer gem. § 439 I BGB wählen, ob er die Lieferung einer neuen, mangelfreien Sache (Nachlieferung) oder die Beseitigung des Mangels (Nachbesserung) verlangt. Der Verkäufer kann allerdings die gewählte Art der Nacherfüllung gem. § 439 III BGB verweigern, wenn sie mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden ist. Angesichts des hohen Preises eines Neuwagens kommt vorliegend demnach nur die Nachbesserung in Betracht.

1. Vorliegen eines wirksamen Kaufvertrages

Die Parteien haben einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen.

2. Vorliegen eines Sachmangels
(§ 434 BGB) bei Gefahrübergang (§ 446 BGB)
Zentrale Voraussetzung der kaufrechtlichen Gewährleistung ist das Vorliegen eines Sach- oder Rechtsmangels bei Gefahrübergang. Im vorliegenden Fall kommt ein Sachmangel in Betracht. Ein solcher liegt gem. § 434 I BGB vor, wenn der Kaufgegenstand bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) nicht die vereinbarte Beschaffenheit hat oder sich nicht für die vertraglich vorausgesetzte oder übliche Verwendung eignet. Zugrunde zu legen ist der subjektive Fehlerbegriff, nach dem ein Mangel jede für den Käufer nachteilige Abweichung der tatsächlich geschuldeten Beschaffenheit (Ist-Beschaffenheit) von der vertraglich geschuldeten Beschaffenheit (Soll-Beschaffenheit) ist (BGH v. 30.7.2015 – VII ZR 70/14, MDR 2015, 1359). Nach hM beschränkt sich der Begriff der Beschaffenheit nicht nur auf Eigenschaften, die der Sache physisch anhaften; vielmehr werden auch außerhalb liegende Umstände, insb. Beziehungen der Sache zu ihrer Umwelt, erfasst (vgl. Beck-OK/Faust, § 434 BGB Rn. 22; MüKo/Westermann, § 434 BGB Rn. 9 f.). Die etwa in einem Prospekt angegebenen Emissionswerte werden im vorliegenden Fall nur durch die manipulierte Software in Testverfahren eingehalten. Im regulären Fahrbetrieb weichen sie allerdings erheblich von den Angaben des Herstellers ab. Dass das Fahrzeug also tatsächlich einen viel höheren Schadstoffausstoß hat, als dies im Kaufvertrag, in Prospekten oder Werbung angegeben ist, stellt eine Abweichung der Ist-Beschaffenheit von der Soll-Beschaffenheit dar, die darauf zurückzuführen ist, dass eine manipulierte Software eingebaut wurde. Ob die Emissionswerte als Beschaffenheit konkret zwischen den Parteien vereinbart wurden (§ 434 I 1 BGB), ist im jeweiligen Einzelfall zu klären. In den heutigen Zeiten, in denen ökologische Eigenschaften des Fahrzeugs immer weiter in den Vordergrund rücken, trägt der angegebene Emissionswert sicherlich in vielen Fällen zum Kaufentschluss bei – womit den Kunden umso wichtiger wäre, ob dieser mit dem tatsächlichen Schadstoffausstoß übereinstimmt. Vor dem Hintergrund, dass Einzelheiten des Sachverhalts noch nicht klar sind, kann davon ausgegangen werden, dass die Sache jedenfalls durch den von den angegebenen Werten abweichenden Schadstoffausstoß, der seinerseits auf dem Vorhandensein eines manipulierten Abgassystems beruht, gem. § 434 I Nr. 2 BGB nicht die Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten kann. Das LG Münster argumentiert,

„[…] der Käufer eines Neufahrzeuges dürfe davon ausgehen, dass dessen Motor die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nicht nur aufgrund der manipulierten Software im Prüfstandlauf einhalte.“ (s. Pressemitteilung).

Ein Sachmangel, welcher bei Gefahrübergang vorlag, ist also gegeben.

3. Ergebnis
: Der Käufer kann mithin gem. §§ 437 Nr. 1, 439 BGB Nachbesserung verlangen. In der Praxis soll hierfür ein Software-Update bzw. der Einbau eines Zusatzteils genügen, welches je nach genauem Motortyp zwischen einer halben und einer Stunde dauert, und etwa 100 € kostet (s. hier). Hierbei soll ein Verfahren angewendet werden, das wohl weder Motor- und Fahrleistung beeinträchtigt noch den Verbrauch erhöht, sodass der Mangel damit vollständig beseitigt werden kann.
Hinweis: Die Bearbeitung geht hier aufgrund entsprechender Medienberichte davon aus, dass durch die Nachbesserung der erhöhte Schadstoffausstoß vollständig beseitigt wird.

II. Rücktrittsrecht, §§ 437 Nr. 2, 440, 323 BGB

Fraglich ist indes, ob dem Käufer auch ein Rücktrittsrecht gem. §§ 437 Nr. 2, 323 I BGB zusteht. Ist dies der Fall, könnte er gegen Rückgabe des Wagens Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich Wertersatz für die gefahrenen Kilometer verlangen, §§ 346 I, 437 Nr. 2, 440, 323 I BGB. § 437 Nr. 2, 1. Alt. BGB verweist bei Vorliegen eines Sachmangels auf die den Rücktritt von gegenseitigen Verträgen betreffende Vorschrift des § 323 BGB.

1. Kaufvertrag als gegenseitiger Vertrag, § 323 I BGB

Der von den Parteien geschlossene Kaufvertrag über den Pkw ist ein gegenseitiger Vertrag, aus dem dem Käufer gegen Entrichtung des Kaufpreises ein Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Wagens frei von Sach- und Rechtsmängeln zusteht, § 433 BGB.

2. Nicht vertragsgemäße Leistung, § 323 I BGB = Sachmangel iSd § 434 BGB

Die Leistung einer mangelhaften Kaufsache iSd § 434 BGB stellt eine nicht vertragsgemäße Leistung (§ 323 I, 2. Alt. BGB) dar (s.o.).

3. Notwendigkeit der Fristsetzung
, § 323 I BGB
Zunächst müsste der Käufer dem Verkäufer grundsätzlich eine angemessene Frist einräumen, den Mangel zu beseitigen. Die Angemessenheit der Frist muss so bemessen sein, dass der Verkäufer die Nacherfüllung bewirken kann (MüKo/Ernst, § 323 BGB Rn. 72 f.). Da die Nachbesserung in höchstens einer Stunde durchgeführt werden kann und auch sonst nicht die Notwendigkeit komplizierter Verfahren ersichtlich ist, kann davon ausgegangen werden, dass eine Frist von wenigen Wochen wohl angemessen wäre. U.U. kann die Fristsetzung auch nach § 323 II BGB oder § 440 BGB entbehrlich sein; dies muss dann im jeweiligen Einzelfall geprüft werden.

4. Keine unerhebliche Pflichtverletzung
, § 323 V 2 BGB
Der Rücktritt könnte allerdings wegen Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gem. § 323 V 2 BGB ausgeschlossen sein. Da die Pflichtverletzung in der mangelhaften Leistung besteht, ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen ein unerheblicher Mangel vorliegt. Nach der Rechtsprechung des BGH erfordere die Beurteilung des Kriteriums der Erheblichkeit

„eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls. Bei einem behebbaren Mangel ist im Rahmen dieser Interessenabwägung von einer Geringfügigkeit des Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB jedenfalls in der Regel nicht mehr auszugehen, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt.“ (BGH v. 28.5.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229)

Vorliegend ist zwar ein Mangel gegeben; die Fahrtauglichkeit des Pkw wird hierbei aber in keiner Weise beeinträchtigt. Zudem kann der Mangel wohl durch das Software-Update unter geringem finanziellem Aufwand von etwa 100 € behoben werden, was jedenfalls unter einem Prozent des Kaufpreises liegt (s.o.). Man könnte zwar argumentieren, der Skandal erschwere dem Kunden die Möglichkeit, den Wagen anderweitig zu verkaufen. Unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks der Bagatellklausel des § 323 V 2 BGB, dass geringfügige Pflichtverletzungen nicht den Rücktritt als schärfsten Eingriff in das Vertragsverhältnis rechtfertigen, erschiene ein Rücktrittsrecht in dem Fall aber wohl unverhältnismäßig.
So auch die Tendenz der Rechtsprechung – das LG Bochum sowie das LG Münster führen an, eine Rückabwicklung des Kaufvertrags könne der Käufer vor diesem Hintergrund nicht verlangen.
Anders könnte sich der Fall allerdings darstellen, wenn – was vorliegend noch unklar ist – ein bestimmter Emissionswert als Beschaffenheit explizit zwischen den Parteien vereinbart wurde. Eine Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 I 1 BGB indiziert im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung die Erheblichkeit der Pflichtverletzung (vgl. MüKo/Ernst, § 323 BGB Rn. 251; BGH v. 28.5.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229; v. 6.2.2013 – VIII ZR 374/11, NJW 2013, 1365). Mit einer guten Argumentation wäre hier also sicherlich auch ein anderes Ergebnis vertretbar.

III. Minderung, §§ 437 Nr. 2, 441 BGB

Möglicherweise könnte der Käufer auch den Kaufpreis gem. §§ 437 Nr. 2, 441 BGB mindern. Dafür müssen die Voraussetzungen des Rücktritts vorliegen. Jedoch ist der Ausschlussgrund des § 323 V 2 BGB gem. § 441 I BGB auf die Minderung nicht anwendbar. Da der Rücktritt hier an der Bagatellklausel gescheitert ist, kommt eine Minderung (ggf. nach erfolglosem Ablauf einer Nacherfüllungsfrist) also grds. in Betracht.
Als Rechtsfolge wird der Kaufpreis hierbei in dem Verhältnis herabgesetzt, in welchem zur Zeit des Verkaufs der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand gestanden hätte, § 441 III BGB. Vorliegend wurde der Kaufpreis bereits entrichtet, weswegen der Käufer gem. § 441 IV BGB Rückzahlung des Mehrbetrags verlangen könnte. Allerdings ist auch hier die Nacherfüllung nach §§ 437 Nr. 1, 439 I BGB vorrangig, da durch das Software-Update der Mangel behoben werden kann. Zudem ist nicht ganz klar, in welchem Maß der Wert des PKW gemindert ist.

IV. Schadensersatz, §§ 437 Nr. 3 BGB iVm 280 ff. BGB

Weiterhin ist fraglich, ob der Käufer auch Schadensersatz gem. §§ 437 Nr. 3 iVm 280 ff. BGB verlangen kann.

1. Kaufvertrag als Schuldverhältnis

Das Schuldverhältnis besteht in dem von den Parteien geschlossenen Kaufvertrag.

2. Pflichtverletzung

Wird – wie vorliegend – das Bestehen eines Sachmangels bejaht, steht fest, dass der Verkäufer seine Pflicht aus § 433 I 2 BGB verletzt hat.

3. Vertretenmüssen, § 280 I 2 BGB iVm §§ 276, 278 BGB

Einzig problematisch erscheint hierbei die Frage, ob der Verkäufer die Pflichtverletzung zu vertreten hat, § 280 I 2 BGB. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den §§ 276, 278 BGB. Nach § 276 BGB hat er grds. Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Das manipulierte Abgassystem war für den Verkäufer ebenso wenig erkennbar wie für den Käufer, mithin scheidet eigenes Vertretenmüssen aus. Möglicherweise ist dem Verkäufer allerdings das Verhalten des Herstellers, die Manipulation des Systems, hier des VW-Konzerns, zuzurechnen, § 278 BGB. Das setzt voraus, dass der Hersteller als Erfüllungsgehilfe des Autohauses iSd § 278 BGB tätig geworden ist. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Hersteller einer Kaufsache jedoch nicht Erfüllungsgehilfe des Händlers, der die Sache dem Kunden verkauft (s. z. B. BGH v. 19.6.2009 – V ZR 93/08, BGHZ 181, 317). Auch das LG Bochum entschied in seinem Urteil, dass dem beklagten Autohaus, welches das Fahrzeug lediglich verkauft habe, das Verhalten des Herstellers VW nicht zugerechnet werden könne.
Mithin hat der Verkäufer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten und ein Anspruch auf Schadensersatz scheidet aus. Darüber hinaus ist offen, welcher Schaden dem Käufer entstanden sein soll. In Betracht käme hierbei die Kompensation eines geringeren Wiederverkaufswertes.

V. Verjährung gem. § 438 BGB

Grds. verjähren Mängelansprüche 2 Jahre nach Ablieferung der Sache, §§ 438 I Nr. 3, II BGB. Da viele Kunden ihr Auto bereits vor einigen Jahren gekauft haben, könnte sich der Verkäufer u. U. auf die Verjährung berufen. Angesichts dessen erscheint eine Klage gegen den VW-Konzern direkt um einiges attraktiver, da hierbei die Verjährung 3 Jahre beträgt, §§ 438 III, 195 BGB, und frühestens mit dem Ablauf des Jahres beginnt, in dem der Käufer von den mangelbegründenden Umständen erfahren hat, § 199 I BGB, also frühestens Ende 2015.

C. Fazit und Ausblick

Nach der hier vertretenen Auffassung kann der Käufer also lediglich Nachbesserung verlangen; ein Rücktrittsrecht oder Anspruch auf Schadensersatz bestehen nicht. Sofern zutreffend ist, dass durch das Software-Update der Mangel ohne Beeinträchtigung der Motor- und Fahrleistung oder der Erhöhung des Verbrauchs behoben werden kann, ist den Urteilen des LG Bochum und des LG Münster also i. E. zuzustimmen. Angesichts der Tatsache, dass Einzelheiten der Sachverhalte noch unklar sind, ist auch ein anderes Ergebnis gut vertretbar.
Im Bochumer Fall wird wohl nach Aussage des Klägeranwalts Berufung eingelegt werden. Vor allem vor dem Hintergrund, dass das OLG Hamm erst im Jahr 2015 (Urteil v. 9.6.2015 – 28 U 60/14) ein Urteil des LG Bochum abänderte und einen Rücktritt wegen eines Mangels an der Rückfahrkamera zuließ, wäre eine Befassung des Gerichts mit dem Fall sicherlich aufschlussreich.
Derzeit sind auch noch weitere Klagen gegen Autohäuser oder den VW-Konzern selbst anhängig. Abzuwarten bleibt, ob der Fall (oder ein ähnlicher) irgendwann vor dem BGH landet. So lange ist die Entwicklung der Rechtsprechung auf jeden Fall zu beobachten.
Ferner ist auch an Ansprüche gegen den Konzern VW selbst zu denken. Diese wurden hier bewusst ausgespart. Relevant sind hierbei insbesondere deliktsrechtliche Ansprüche.

23.03.2016/8 Kommentare/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2016-03-23 09:00:562016-03-23 09:00:56Examensrelevante Probleme zum VW-Abgasskandal

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