In einem Beschluss des BGH vom 17. März 2011 (4 StR 83/11) ging es um das Merkmal der Freiwilligkeit beim Rücktritt vom Versuch des Totschlags.
Sachverhalt
A suchte die B – die neue Freundin ihres Ehemannes – in deren in einem Mehrfamilienhaus gelegenen Wohnung auf. Sie versetzte der B mit einem Beil einen mit erheblicher Wucht ausgeführten Schlag auf den Hinterkopf, als diese sich zum Wohnzimmertisch herunterbeugte, um den Hausschlüssel an sich zu nehmen. Weitere Schläge mit dem Beil gegen den Kopf der B, ihren Nacken, ihre Schulter und die rechte Seite der Brust folgten. Als es plötzlich im Haus laut wurde, weil ein Hund im Treppenhaus bellte und anschließend eine Wohnungstür laut ins Schloss fiel, schreckte die A zusammen; sie schrie die B an, dass diese sie jetzt anzeigen und man ihr die Kinder wegnehmen werde. Nachdem die B ihr versichert hatte, dies nicht zu tun, steckte die A das Beil ein und verließ den Tatort.
Lösung
A könnte sich wegen versuchten Totschlags gem. §§ 212, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben.
1. Tatbestand
a. Subjektiver Tatbestand: Tatentschluss (+), da zumindest bedingter Tötungsvorsatz. Tötungsvorsatz kann aus der außerordentlichen Gefährlichkeit der Schläge mit dem Beil auf den Hinterkopf, den Nacken und den Oberkörper des Opfers gefolgert werden.
b. Objektiver Tatbestand: Unmittelbares Ansetzen (+), da Teilverwirklichung des Tatbestandes
2. Rechtswidrigkeit (+)
3. Schuld (+)
4. Persönliche Strafaufhebungsgründe
A könnte durch das Einstecken des Beils und das Verlassen des Tatorts jedoch gemäß § 24 Abs. 1 StGB strafbefreiend zurückgetreten sein.
a. Kein fehlgeschlagener Versuch
Ein fehlgeschlagener Versuch liegt vor, wenn die Tat nach der Vorstellung des Täters nicht mehr vollendet werden kann. Vorliegend konnte die Tat nach der Vorstellung der A noch vollendet werden, so dass (der Gesamtbetrachtungslehre folgend) kein fehlgeschlagener Versuch vorliegt.
b. Beendeter oder unbeendeter Versuch?
Weiter ist zu prüfen, ob ein beendeter oder unbeendeter Versuch vorlag. Unbeendet ist der Versuch, wenn der Täter noch nicht alles getan zu haben glaubt, was nach seiner Vorstellung von der Tat zu ihrer Vollendung notwendig ist. Beendet dagegen ist der Versuch, wenn der Täter alles getan zu haben glaubt, was nach seiner Vorstellung von der Tat zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges notwendig oder möglicherweise ausreichend ist.
Es liegt vorliegend ein unbeendeter Versuch vor, da A zu dem Zeitpunkt, zu dem sie das Beil einsteckte und den Tatort verließ, die Vorstellung hatte, noch nicht alles getan zu haben, was nach ihrer Vorstellung von der Tat zu ihrer Vollendung notwendig war.
c. Rücktrittsvoraussetzungen des unbeendeten Versuchs
Beim unbeendeten Versuch gelten die Rücktrittsvoraussetzungen nach § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB.
aa. Aufgabe der weiteren Tatausführung (+) s.o.
bb. Freiwilligkeit
Fraglich ist jedoch, ob die A freiwillig von der weiteren Tatausführung absah. Freiwilligkeit liegt vor, wenn der Täter aus autonomen Motiven die Tat nicht mehr vollenden will. Dabei ist entscheidend, dass der Täter Herr seiner Entschlüsse bleibt, also weder durch eine innere noch durch eine äußere Zwangslage davon abgehalten wird, die Tat zu vollenden.
Innere Zwangslange meint die unwiderstehlich zwingenden inneren Hemmnisse wie Panik, Schock oder unüberwindlicher seelischer Druck. Eine äußere Zwangslage ist dann gegeben, wenn sich der äußere Sachverhalt nach der Vorstellung des Täters derart zu seinem Nachteil geändert hat, dass er das mit der weiteren Tatausführung verbundene Tatrisiko vernünftigerweise nicht mehr eingehen kann.
Das Landgericht hatte vorliegend eine Freiwilligkeit des Rücktritts verneint:
„… weil die Angeklagte die weitere Tatausführung des unbeendeten Versuchs nicht freiwillig aufgegeben habe. Sie habe nicht aus selbst gesetzten Motiven, sondern wegen der äußeren Umstände gehandelt; wegen der Geräusche habe sie befürchtet, entdeckt worden zu sein und angezeigt zu werden. Diese Angst der Angeklagten vor möglicher Entdeckung schließe die Freiwilligkeit aus, da für sie keine Abwägungsmöglichkeit mehr zwischen Tatvollendung und Rücktritt verblieben sei.“
Der Generalbundesanwalt vertritt in seiner Antragsschrift eine andere Auffassung, der sich auch der Strafrechtssenat des BGH angeschlossen hat:
„Für die Frage der Freiwilligkeit des Rücktritts ist entscheidend, ob der Täter von der weiteren Tatausführung absah, obwohl er subjektiv noch in der Lage gewesen wäre, das zur Vollendung der Tat Notwendige zu tun, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden war, die Tat zu vollbringen (BGHR, StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 18 und 19).
Hätte die Angeklagte wegen der Befürchtung, eine dritte Person werde hinzukommen, keine Möglichkeit mehr gesehen, ihr Vorhaben mit Erfolg zu verwirklichen, läge ein freiwilliger Rücktritt nicht vor (Senat, Beschluss vom 16. September 2003, 4 StR 362/03). Die von der Kammer angenommene Angst vor drohender Entdeckung steht der Freiwilligkeit nicht grundsätzlich entgegen, es kommt vielmehr darauf an, ob es dem Täter überhaupt auf Heimlichkeit der Tat ankam bzw. ob sich aus seiner Sicht aufgrund der äußeren Umstände zumindest das von ihm für entscheidend angesehene Risiko der Entdeckung beträchtlich erhöht hat (Fischer, StGB 58. Aufl., § 24 Rdnr. 19a m.w.N.).
Der Generalbundesanwalt listet des Weiteren die Punkte auf, die für eine eindeutige Lösung des Falles relevant sein können:
Hierzu hat die Kammer keine ausreichenden Feststellungen getroffen und insbesondere nicht erkennbar berücksichtigt, dass
– die Geräusche im Flur keine Reaktion auf Hilferufe der Geschädigten waren, weil diese nicht um Hilfe gerufen hat,
– sich das Tatgeschehen in der geschlossenen Wohnung des Opfers abgespielt hat, so dass keine unmittelbare Hilfe zu erwarten war,
– nach dem Hundegebell und dem anschließenden Zuschlagen einer Tür keine weiteren Umstände auf ein etwaiges bevorstehendes Einschreiten dritter Personen hindeuteten (tatsächlich konnte die Angeklagte sofort anschließend das Haus unbehelligt verlassen),
– die Angeklagte die erwartete Anzeige eben nicht durch Tötung des Opfers zu unterbinden suchte; gerade das Absehen von der Tatvollendung war vorliegend am wenigsten geeignet, Entdeckung und Bestrafung zu verhindern“.
Da vorliegend diese Kriterien jedoch nicht klar beurteilt werden konnten, hat der BGH entschieden, dass die Frage, ob die Angeklagte strafbefreiend vom Totschlagsversuch zurückgetreten ist, neuer tatrichterlicher Verhandlung und Entscheidung bedarf.
Je nach Konstellation des Sachverhalts kommt man am Ende zu einem strafbefreienden Rücktritt oder auch nicht. Wichtig in dieser BGH Entscheidung sind jedoch vor allem die Ausführungen zur Freiwilligkeit des Rücktritts. Die Freiwilligkeit ist beim Rücktritt sowohl vom beendeten als auch vom unbeendeten Versuch jeweils Voraussetzung. Daher hier noch einmal die wichtigen Sätze dieser Entscheidung zur Wiederholung:
„Für die Frage der Freiwilligkeit des Rücktritts ist entscheidend, ob der Täter von der weiteren Tatausführung absah, obwohl er subjektiv noch in der Lage gewesen wäre, das zur Vollendung der Tat Notwendige zu tun, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden war, die Tat zu vollbringen (BGHR, StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 18 und 19).
Hätte die Angeklagte wegen der Befürchtung, eine dritte Person werde hinzukommen, keine Möglichkeit mehr gesehen, ihr Vorhaben mit Erfolg zu verwirklichen, läge ein freiwilliger Rücktritt nicht vor (Senat, Beschluss vom 16. September 2003, 4 StR 362/03). Die von der Kammer angenommene Angst vor drohender Entdeckung steht der Freiwilligkeit nicht grundsätzlich entgegen, es kommt vielmehr darauf an, ob es dem Täter überhaupt auf Heimlichkeit der Tat ankam bzw. ob sich aus seiner Sicht aufgrund der äußeren Umstände zumindest das von ihm für entscheidend angesehene Risiko der Entdeckung beträchtlich erhöht hat (Fischer, StGB 58. Aufl., § 24 Rdnr. 19a m.w.N.).