Der unter anderem für das Recht der Zwangsvollstreckung in körperliche Sachen zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in einem Beschluss vom 28. Januar 2010 (VII ZB 16/ 09) entschieden, dass ein Kraftfahrzeug, das der Ehegatte des Schuldners zur Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit benötigt, unpfändbar ist.
Sachverhalt
Die Gläubigerin (G) betreibt aus drei Vollstreckungstiteln wegen einer Forderung von insgesamt 2.459, 79 € die Zwangsvollstreckung gegen die Schuldnerin. Die Schuldnerin ist erwerbsunfähig und bezieht eine Rente in Höhe von etwa 840 € netto. Sie lebt zusammen mit ihrem Ehemann und drei Kindern im Alter zwischen 14 und 18 Jahren in dem Dorf K. Der Ehemann der Schuldnerin ist in der Kreisstadt N. beschäftigt mit regelmäßigen Arbeitszeiten von 7:00 Uhr bis 15:45 Uhr, ab und zu auch bis 17:30 Uhr. Für die Fahrten zur Arbeitsstelle verwendet er einen Pkw Ford Mondeo, Baujahr 1994, den er am 29. April 2006 zum Preis von 1. 900 € erworben hat. Der Pkw ist auf die Schuldnerin zugelassen. Die Gläubigerin hat die Gerichtsvollzieherin beauftragt, diesen Pkw zu pfänden. Die Gerichtsvollzieherin hat den Auftrag abgelehnt. Die dagegen eingelegte Erinnerung der Gläubigerin hat das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – zurückgewiesen.
Lösung
Die Vollstreckungserinnerung hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
I. Zulässigkeit der Vollstreckungserinnerung
1. Statthaftigkeit
Die VE ist gemäß § 766 Abs. 1 ZPO statthaft gegen Vollstreckungsmaßnahmen des Gerichtsvollziehers oder Vollstreckungsgerichts.
2. Zuständigkeit
Ausschließlich örtlich und sachlich zuständig ist das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht, in dessen Bezirk die Zwangsvollstreckung stattfindet, §§ 766 Abs. 1, 764 As. 1, Abs. 2, 802 ZPO.
3. Form und Frist
Für die Form der Erinnerungseinlegung gilt § 569 II ZPO analog, die der G hier auch eingehalten hat. Eine Frist ist nicht zu beachten.
4. Erinnerungsbefugnis
G als Vollstreckungsgläubiger ist hier, dessen Auftrag zurückgewiesen wurde, ist beschwert.
(Dritte müssen die Beschwer besonders dartun. In Parallele zu § 42 II VwGO müssen sie denkbar und möglich in eigenen Rechten verletzt sein. Sog. Drittbeschwer.)
5. Rechtsschutzbedürfnis
Das Rechtsschutzbedürfnis besteht für den Vollstreckungsgläubiger, sobald und solange eine vollstreckbare Ausfertigung im Sinne des § 724 ZPO erteilt ist.
6. Die sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen, insbesondere §§ 50 ff ZPO liegen vor.
Zwischenergebnis: Die Vollstreckungserinnerung ist zulässig.
II. Begründetheit der Vollstreckungserinnerung
Die Vollstreckungserinnerung ist begründet, wenn sich die Gerichtsvollzieherin zu Unrecht geweigert hätte, die Vollstreckungshandlung dem Auftrag gemäß auszuführen, hier den PKW der Frau zu pfänden. Dies wäre dann der Fall, wenn die Weisung berechtigt und der PKW nicht eine unpfändbare Sache i.S.d. § 811 ZPO war.
1. Ein ordnungsgemäßer Vollstreckungsauftrag i.S.d. § 754 ZPO liegt vor (abgekürzt).
2. Möglicherweise war der Ford Mondeo der Frau jedoch unpfändbar.
Nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO sind bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen, die zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände unpfändbar.
a) Fraglich ist jedoch, ob sich die Schuldnerin auf § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO berufen kann, obwohl ihr Ehemann den Pkw für die Fahrten zu seiner Arbeitsstelle benutzt. Dies wäre dann der Fall, wenn sich der Schutzbereich der Vorschrift auch auf ihn erstrecken würde.
aa) Nach der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur greift § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO auch dann ein, wenn der beim Schuldner zu pfändende Gegenstand von seinem Ehegatten für eine eigene Erwerbstätigkeit benötigt wird.
bb) Nach anderer, vor allem am Wortlaut der Norm orientierter Ansicht soll § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO allein für den Schuldner gelten.
cc) Der BGH hat sich der erstgenannten Meinung angeschlossen.
(1) Dafür spricht der Gesetzeszweck. Die Pfändungsverbote des § 811 Abs. 1 ZPO dienen dem Schutz des Schuldners aus sozialen Gründen im öffentlichen Interesse und beschränken die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen mit Hilfe staatlicher Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Sie sind Ausfluss der in Art. 1 GG und Art. 2 GG garantierten Menschenwürde bzw. allgemeinen Handlungsfreiheit und enthalten eine Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG). Dem Schuldner und seinen Familienangehörigen soll durch sie die wirtschaftliche Existenz erhalten werden, um – unabhängig von Sozialhilfe – ein bescheidenes, der Würde des Menschen entsprechendes Leben führen zu können.
Innerhalb dieses allgemeinen Rahmens soll durch § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO erreicht werden, dass der Schuldner seine Arbeitskraft für sich und seine Familienangehörigen einsetzen kann; er soll auch künftig den Unterhalt für sich und seine Familienangehörigen aus eigenen Kräften erwirtschaften können. Letztlich schützt § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO daher auch den Unterhalt der Familie.
Dieser Schutz der Familie wäre unvollkommen, wenn auch die Gegenstände gepfändet werden könnten, die der Ehegatte des Schuldners für eine Erwerbstätigkeit benötigt, die den Familienunterhalt sichert. Ihm würde es dadurch unmöglich gemacht oder doch wesentlich erschwert, seiner Unterhaltsverpflichtung aus § 1360 BGB nachzukommen. Die wirtschaftliche Existenz der Familie wäre in gleicher Weise gefährdet wie bei einer Pfändung beim erwerbstätigen Schuldner. Welcher Ehegatte den zu pfändenden Gegenstand für seine Erwerbstätigkeit benötigt, kann daher im Rahmen des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nicht entscheidend sein. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass ansonsten der Schuldner gesetzlich besser geschützt wäre als der nicht schuldende Ehegatte, der den Gegenstand zur Fortsetzung seiner Erwerbstätigkeit benötigt. Dieses Ergebnis ist mit Sinn und Zweck des § 811 ZPO nicht in Übereinstimmung zu bringen.
(2) Der Wortlaut von § 811 Abs. 1 ZPO zwingt ebenfalls nicht zu einer anderen Auslegung. Zwar ist es richtig, dass die Familie des Schuldners in den Nummern 1, 2, 3, 4, 4 a, 10 und 11 ausdrücklich genannt ist, während in Nummer 5 nur vom Schuldner die Rede ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Gesetzgeber eine erweiternde Auslegung dieser Vorschrift nicht zulassen wollte, die sich am Schutz der Familie und am Sozialstaatsprinzip orientiert. Eine solche Wertung kann weder – wie die Rechtsbeschwerde meint – direkt aus § 1362 BGB noch daraus abgeleitet werden, dass gemäß § 739 ZPO für den Fall der Eigentumsvermutung des § 1362 BGB unbeschadet der Rechte Dritter für die Durchführung der Zwangsvollstreckung nur der Schuldner als Gewahrsamsinhaber und Besitzer gilt. Diese Regelungen erleichtern den Gläubigern eines Ehegatten den Zugriff auf dessen Vermögen und die Zwangsvollstreckung gegen den schuldenden Ehegatten. Sie schalten jedoch nicht die sozialpolitisch motivierten Regelungen des § 811 ZPO aus. Mit der Anwendung des § 811 ZPO wird § 739 ZPO entgegen einer Auffassung des OLG Stuttgart nicht sinnentleert. Diese Regelung kommt in vollem Umfang zur Geltung. Die Pfändungsmöglichkeit wird lediglich unter mit dem Gewahrsam nicht zusammenhängenden Gesichtspunkten eingeschränkt.
b) Des Weiteren müsste das Fahrzeug für den Ehemann der Schuldnerin zur Fortsetzung seiner Erwerbstätigkeit erforderlich gewesen sein.
aa) Zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit im Sinne des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO erforderliche Gegenstände können auch Kraftfahrzeuge sein, die ein Arbeitnehmer für die täglichen Fahrten von seiner Wohnung zu seinem Arbeitsplatz und zurück benötigt. Voraussetzung ist jedoch, dass das Kraftfahrzeug für die Beförderung erforderlich ist. Das ist nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer in zumutbarer Weise öffentliche Verkehrsmittel benutzen kann. Inwieweit die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln zumutbar ist, ist eine Frage des Einzelfalles, die unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Schuldners, der öffentlichen Verkehrsanbindung und des Arbeitsverhältnisses zu entscheiden ist. Dabei kann auch eine Rolle spielen, dass es dem Schuldner nach Beendigung der Arbeit in der Regel nicht zuzumuten ist, ungewöhnlich lange auf Bus oder Bahn für den Weg nach Hause zu warten.
bb) Laut Sachverhalt muss im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass der Ehemann gelegentlich nicht nur eine Busverbindung zu seinem normalen Arbeitszeitende um 15:45 Uhr, sondern auch um 17: 30 Uhr benötigt und es ihm nicht zuzumuten ist, zu dieser Zeit stundenlang auf ein öffentliches Verkehrsmittel zu warten, wenn es überhaupt noch verkehrt. Weiter ist es aufgrund der Ausführungen des Amtsgerichts davon ausgegangen, dass öffentliche Verkehrsmittel zur Realisierung der Arbeitszeit des Ehemanns der Schuldnerin nicht zur Verfügung stünden. Daraus kann ohne weiteres entnommen werden, dass es dem Ehemann der Schuldnerin, so er denn um 17: 30 Uhr seinen Heimweg antreten muss, nicht zuzumuten ist, öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch zu nehmen. Die genauen Abfahrzeiten der öffentlichen Verkehrsmittel sind zwar nicht mitgeteilt, jedoch ergibt sich aus den Ausführungen der Vorinstanzen, dass der Ehemann der Schuldnerin entweder stundenlang warten muss oder überhaupt keine Busse mehr fahren.
Mithin war der PKW der Ehefrau unpfändbar nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO.
Zwischenergebnis: Die Vollstreckungserinnerung ist unbegründet.
Im Ergebnis ist die Vollstreckungserinnerung somit zwar zulässig, aber unbegründet.
Die Leitsätze dieser BGH Entscheidung:
a) Unpfändbar (nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) sind auch die Gegenstände des Schuldners, die sein Ehegatte zur Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit benötigt.
b) Zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit im Sinne des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO erforderliche Gegenstände können auch Kraftfahrzeuge sein, die ein Arbeitnehmer für die täglichen Fahrten von seiner Wohnung zu seinem Arbeitsplatz und zurück benötigt.
Examensrelevanz:
Eine sehr examensrelevante Entscheidung aus dem Zwangsvollstreckungsrecht / ZPO. Zwar wird die Zulässigkeit und Begründetheit einer Vollstreckungserinnerung im 1. Staatsexamen weit weniger abgeprüft als beispielsweise eine Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO, jedoch sollte man die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in das bewegliche Vermögen, die Systematik der §§ 803 ff. ZPO und insbesondere auch den § 811 ZPO mit den einzelnen Nummern im Abs. 1 und dessen Sinn und Zweck als sozialpolitisch motivierte Regelung kennen. Ohne diese Entscheidung zumindest einmal gelesen zu haben, ist es meines Erachtens nicht so einfach, auf die richtige Lösung zu kommen, insbesondere, weil man wegen der ausdrücklichen Erwähnung der Familie des Schuldners in den Nr. 1, 2, 3, 4, 4a, 10 und 11 des § 811 Abs. 1 ZPO (Wortlaut-Argument) auf die falsche Fährte gelockt wird, sich im Ergebnis gegen die Erweiterung des Schutzbereichs des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO zu entscheiden.