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Schlagwortarchiv für: Völkerrecht

Gastautor

Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Tagesgeschehen, Uncategorized

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Theo Peter Rust veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften im siebten Semester an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Mit dem vorliegenden Aufsatz gewann er eine von ELSA München und ELSA Heidelberg ausgerichtete Essay Competition.

Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über die Regelungen des am 01.01.2023 inkrafttretenden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes und der derzeit in der Verhandlung befindlichen EU Richtlinie zu einem europaweiten Lieferkettengesetz und setzt sich kritisch mit deren Effektivität bei der Bekämpfung von Moderner Sklaverei auseinander. Der Verfasser begrüßt zwar ausdrücklich die Intention der Vorhaben, jedoch bewertet er insbesondere die Einschränkungen kritisch, die den beiden Vorhaben innewohnen, die eine Prüfung der eigenen Lieferketten nur in Bezug auf unmittelbare Zulieferer bzw. etablierte Geschäftsbeziehungen beschränken. Durch diese Einschränkungen drohen die Regelungen ausgehöhlt zu werden und die Maßnahmen könnten nicht an den Anfang der Lieferketten reichen. Es obliegt nun dem europäischen Gesetzgeber diese Maßnahmen ausreichend zu schärfen.

I. Einführung

Im vergangenen Jahr wurde von der alten Bundesregierung, entsprechend des vereinbarten Koalitionsvertrags, das Lieferkettensorgfaltsgesetz (LkSG) verabschiedet, welches am 22.07.2021 verkündet wurde und am 01.01.2023 in Kraft treten soll. Dieses Gesetz zielt darauf ab, „auf eine Verbesserung der weltweiten Menschenrechtslage entlang von Lieferketten hinzuwirken und die Globalisierung mit Blick auf die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung sozial zu gestalten“[1]. Um eine einheitliche Regelung dieser Überprüfung der Lieferketten auf europäischer Eben zu gewährleisten, hat die EU-Kommission einen eigenen Entwurf eines Lieferkettengesetzes erarbeitet, der am 23.02.2022 veröffentlich wurde.

Im Folgenden soll zum einen darauf eingegangen werden, welche Maßnahmen das deutsche und das europäische Lieferkettengesetz zur Abschaffung moderner Sklaverei vorsehen, wie effektiv diese Regelungen bei der Bekämpfung der modernen Sklaverei sind und anschließend welche konkreten Regelungen notwendig wären für eine effektive Bekämpfung der modernen Sklaverei in den internationalen Lieferketten.

II. Das Deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

Das zentrale Vorhaben des deutschen LkSG soll es sein deutsche Unternehmen i.S.d. § 1 Abs. 1 LkSG zur Analyse und zum Management auftretender, menschenrechtlicher Risiken in ihren Lieferketten zu verpflichten. Ein menschenrechtliches Risiko soll nach § 2 Abs. 2 vorliegen bei einem Zustand, bei dem auf Grund tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Verstoß gegen die in Abs. 2 genannten Rechtspositionen droht. Für die Bekämpfung der modernen Sklaverei relevant nennt §2 Abs. 2 verschiedene Formen der Sklaverei wie bspw. in Nr. 1 die Beschäftigung eines Kindes unter dem zulässigen Mindestalter, die Beschäftigung von Personen in Zwangsarbeit in Nr. 3 oder Leibeigenschaft sowie andere Formen von Herrschaftsausübung oder Unterdrückung in Nr. 4. Die Überwachung dieser menschenrechtlichen Risiken soll die Unternehmen für die gesamte Lieferkette betreffen, wobei der Begriff der Lieferkette weiter zu verstehen ist als ihre wirtschaftswissenschaftliche Definition und sich nach § 2 Abs. 5 auf alle Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens bezieht und dabei alle Schritte im In-und Ausland umfasst, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich ist, angefangen von der Gewinnung der Rohstoffe bis zu Lieferung an den Endkunden.                                                                                                                              Eine so weitreichende Definition des menschenrechtlichen Risikos und des Begriffs der Lieferkette ist zunächst vielversprechend für eine umfassende Verpflichtung der Unternehmen zur Überprüfung ihrer ganzen Lieferketten und eine Bekämpfung von moderner Sklaverei innerhalb dieser. Diese weitreichende Definition der Lieferkette wirft aber das Problem der Praktikabilität auf, da zwar davon ausgegangen werden kann und von den Unternehmen erwartbar ist, dass eine hinreichende Überprüfung der Gegenstände und Dienstleistungen vorgenommen werden kann, die zentral und elementar für den Geschäftsbereich des Unternehmens sind, aber nicht für alle möglichen handelsüblichen Maschinen und Anlagen.[2]Ein großer deutscher Konzern hat nach dieser Definition bis zu 100.000 unmittelbare Zulieferer, bei denen eine umfassende Überprüfung praktisch nicht möglich ist.[3] Daher wäre eine Fokussierung und Konkretisierung auf die elementaren und die besonders risikoreichen Bereiche eines Unternehmens sinnvoller sowie eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des Gesetzes, wodurch eine größere Anzahl an Gegenständen und Dienstleistungen überprüft werden und nicht eine so geringe Zahl an Unternehmen alle Bereiche abdecken müssen. 

Auf der anderen Seite unternahm der Gesetzgeber aber eine sehr starke Einschränkung des Anwendungsbereichs, durch zum einen eine Beschränkung in § 1 Abs. 1 Nr. 2 auf Unternehmen mit 3.000 bzw. ab 2024 mit 1.000 Arbeitnehmern, was lediglich 600 bzw. 2.900 Unternehmen einbeziehen würde, [4] die wiederum ihren Sitz in Deutschland haben müssen. Eine solche Beschränkung auf diese Zahlen wirkt willkürlich und widerspricht den etablierten Größendefinition aus § 267 HGB und führt durch eine Beschränkung auf inländische Unternehmen zu einer leichten Umgehung des Gesetzes, einer eingeschränkten Effektivität sowie der Gefahr eines Abzugs inländischer Unternehmen ins Ausland.[5]                                       Zum anderen werden Präventionsmaßnahmen i.S.d § 6 nach § 6 Abs. 3 nur im eigenen Geschäftsbereich und nach Abs. 4 nur bei unmittelbaren Zulieferer verlangt, wodurch eben nicht, wie es in der Gesetzesbegründung heißt, die ganze Lieferkette in allen ihren Schritten zu überwachen ist, sondern beispielsweise mittelbare Zulieferer lediglich kontrolliert werden müssen, wenn das Unternehmen nach § 9 Abs. 2 substantiierte Kenntnis über eine mögliche Verletzung einer geschützten Rechtsposition erlangt. Durch dieses Erfordernis bereits eingetretener Menschenrechtsverstöße widerspricht sich das Gesetz in seiner eigentlichen Intention und ist mit dem Präventionsgedanken aus den Nr. 17ff. der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte unvereinbar, auf die sich das Gesetz explizit bezieht.[6]

Der Kritik an diesen Einschränkungen könnte man aber entgegenhalten, dass die großen betroffenen Unternehmen die kleinen Unternehmen in ihrer ganzen Lieferkette vertraglich dazu bringen, diese Compliance Vorschriften einzuhalten, um so eine Haftung zu umgehen, mit der Folge, dass eine Gewährleistung für die ganze Lieferkette gegeben wäre, wodurch aber eine unverhältnismäßige Belastung kleinerer Unternehmen drohen würde.[7] Dagegen spricht aber, dass, durch die enge Definition des Erlangens von substantiierter Kenntnis, die Unternehmen kein Interesse daran haben werden, Nachforschungen in ihrer Lieferkette zu betreiben. Der Gesetzesentwurf incentiviert die Unternehmen vielmehr, dass sie sich vor solchen Informationen verschließen, um so keine Kenntnis zu erlangen und damit in keine Haftung zu geraten.[8] Damit sind die geäußerten Bedenken wenig hinreichend und das Gesetz würde bei einem aktiven Verschließen vor Menschenrechtsverstößen bei Zulieferern leer laufen.

Außerdem ist bisher noch umstritten, inwieweit die Definition des „eigenen Geschäftsbereichs“ aus § 2 Abs. 6 auf Tochterunternehmen anwendbar ist. Dies könnte man bei einer engen Auslegung der Definition verneinen, womit ein erhebliches Umgehungsrisiko drohen würde bei der Abwicklung von Lieferungen über Tochterunternehmen, die in dem Fall nur als (unmittelbare) Zulieferer einzuordnen wären.[9]

Zuletzt ist noch anzumerken, dass sich aus den öffentlichen Äußerungen der letzten Bundesregierung ergibt, dass bei Menschenrechtsverstößen keine zivilrechtliche Haftung für schädigende Unternehmen vorgesehen ist, um diese vor Schadensersatzklagen zu schützen, die für eine effektive Bekämpfung von moderner Sklaverei notwendig wäre und echte Anreize zu eine menschenrechtsschützenden Überprüfung schaffen würde.[10] So würden Unternehmen bei Menschenrechtsverstößen sogar privilegiert werden können, indem ihnen im Falle einer deliktsrechtlichen Klage eine Verteidigungsmöglichkeit verschafft wird, durch Verweis auf die einfache Überprüfung der unmittelbaren Zulieferer, die kleineren Unternehmen nicht zukommt.[11]
Damit ist festzustellen, dass das Vorhaben des Lieferkettengesetzes zwar begrüßenswert war und zu einer wirklichen Verbesserung für viele Menschen in Zwangsarbeit hätte führen können, jedoch wurde der Anwendungsbereich so weit ausgehöhlt, durch die Beschränkung auf so wenige Unternehmen, die nur den eigenen Geschäftsbereich überwachen müssen sowie die Beschränkung auf unmittelbare Zulieferer, die meist selber keine Due Dilligence Pflichten treffen und dazu noch durch das Ermöglichen eines bewussten Verschließen vor Risiken, dass schlussendlich am Anfang einer Lieferkette, wo die Risiken mit am Höchsten sind, wohl kaum eine Wirkung des Gesetzes zu spüren sein wird. Es wurde zwar berechtigterweise auf die Praktikabilität der Umsetzung bei kleineren Unternehmen und die Verhältnismäßigkeit verwiesen, jedoch ist eine Interessen- und Güterabwägung, bei der sich erhöhte Betriebskosten und Praktikabilität für Unternehmen auf der einen Seite und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf der anderen Seite entgegenstehen, sehr einseitig gewogen. Damit ist die Haltung des damaligen Gesetzgebers, wie sie auch Teile der neuen Bundesregierung vertreten,[12] zu Gunsten der Unternehmen bei dieser Abwägung schwer nachzuvollziehen und letztendlich auch, in Bezug auf den Schutz von Menschenrechten, abzulehnen. 

Das deutsche LkSG kann zwar als Übergangsregelung für ein EU-Lieferkettengesetz gesehen werden, welches die Unternehmen auf starke Regulierungen vorbereiten soll,[13] aber auch dafür geht das Gesetz zu kurz, es bleibt weit hinter den Vorhaben der EU-Kommission zurück und führt so zu keiner richtigen Vorbereitung, sondern kostet eher Zeit bei den Bemühungen gegen moderne Sklaverei. 

III. Der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission

Am 23.02.2022 hat die EU-Kommission nun ihren Vorschlag für eine europäische Richtlinie veröffentlicht zur Implementierung von europaweit einheitlichen Sorgfaltspflichten in den Lieferketten der Unternehmen. Dieser Vorschlag der Kommission geht nun zunächst im Rahmen des europäischen Gesetzgebungsverfahrens an das Europäische Parlament und den Europäischen Rat über und wird voraussichtlich 2025 in Kraft treten und anschließend durch eine Überarbeitung des LkSG in deutsches Recht übergehen. 

Der Entwurf der Kommission schlägt als Anwendungsbereich eine Orientierung an der Mitarbeiterzahl und an dem Umsatz der Unternehmen vor. Demnach sind Unternehmen betroffen, wenn sie gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. (a) mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen und einen Umsatz von mehr als EUR 150 Mio. machen oder wenn sie nach lit. (b) mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigen und einen Umsatz von EUR 40 Mio. machen und 50% von diesem Umsatz in einem risikoreichen Sektor, namentlich Textil, Landwirtschaft und Bergbau, erwirtschaftet wird. Außereuropäische Unternehmen sind dabei nach Abs. 2 genauso betroffen, wenn sie die genannten Umsatzschwellen in der Union erwirtschaften. Des Weiteren geht auch der Begriff der „Value Chain“ im Richtlinienentwurf weiter als jener im LkSG, wobei neben der gesamten Wertschöpfungskette auch die Entsorgung der Produkte gemäß Art. 3 Lit. (g) unter diese Definition fällt. Außerdem regelt der Entwurf explizit die Haftung für das Handeln von Tochtergesellschaften[14]sowie die konkrete zivilrechtliche Haftung der Unternehmen bei mangelhafter Umsetzung der Due Dilligence Prozesse[15]. 

Diese weiten Regelungen finden aber auch bei diesem Entwurf lediglich Anwendung auf um die 1% aller europäischen Unternehmen[16] und auch wenn die Schwellen für Unternehmen, die in besonders risikoreichen Sektoren aktiv sind, gesenkt wurden, was insbesondere mit Blick auf das deutsche Gesetz begrüßenswert ist, fehlen bei dieser Aufzählung der Risikobereiche die besonders gefährdeten Sektoren Transport, Bauwesen, Energie und Finanzen.[17] Die Europäische Kommission behält sich aber vor, die geregelten Risikobereiche um weitere zu ergänzen.[18]                                                                                                                                    Eine sehr drastische Einschränkung erfährt dieser Entwurf aber durch das Erfordernis einer etablierten Geschäftsbeziehung, bei der erst eine Pflicht zur Due Dilligence in der Wertschöpfungskette entsteht, wenn zu den unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferern eine Dauerhaftigkeit in der Geschäftsbeziehung besteht.[19] Dies schränkt zum einen den Anwendungsbereich erheblich ein und sorgt dazu auch noch für eine schlechtere Praktikabilität, indem jedes Unternehmen anhand dieser wagen Definition ihre Geschäftsbeziehungen kategorisieren muss und es birgt das Risiko, dass sich Unternehmen durch dauerndes Wechseln der Geschäftsbeziehungen von dieser Verpflichtung befreien könnten. Außerdem soll den Unternehmen bei der zivilrechtlichen Haftung für indirekte Geschäftsbeziehungen ein Exkulpationstatbestand zugutekommen, wenn sie die verminderten Due Dilligence Anforderungen einhalten, wobei diese Exkulpation eine begrüßenswerte Einschränkung findet, wenn es ungerechtfertigt war zu glauben, dass die Maßnahmen zu einer Verbesserung führen würde.[20]Weiterhin ergibt sich das Problem, dass Unternehmen nicht dazu angehalten sind Formen der modernen Sklaverei innerhalb ihrer Wertschöpfungskette zu eliminieren und Geschäftsbeziehungen mit Zulieferern, die durch moderne Sklaverei profitieren, zu beenden sondern lediglich sich verhältnismäßig dafür einzusetzen diese zu minimieren.[21]Dies widerspricht einem Zero-Tolerance-Approach, dem sich die Union verpflichtet hat.[22]

IV. Effektive Handlungsmöglichkeiten

Dieser Richtlinienentwurf wird nun zur Verhandlungen an das europäische Parlament und den Ministerrat weitergeleitet. Somit obliegt es unter anderem der deutschen Bundesregierung, die sich in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet hat ein europäisches Lieferkettengesetz sowie ein Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit zu unterstützen,[23] die Entscheidung über die Konsequenz und den Umfang eines solchen europäischen Lieferkettengesetzes festzulegen.

Zwingend notwendig für eine effektive Umsetzung wäre dabei eine Änderung der Voraussetzungen von etablierten Geschäftsbeziehungen, um ein Umgehungsrisiko zu verhindern und die Prüfungspflichten auf weitere Teile der Wertschöpfungsketten auszuweiten. Es sollte des Weiteren die Zero-Tolerance Haltung gegenüber moderner Sklaverei mehr in den Entwurf eingearbeitet werden, durch konsequenteres Handeln der Unternehmen in Bezug auf ihre Zulieferer sowie das schnellere Erfordernis des Geschäftsabbruchs bei Kenntnisnahme oder Kennenmüssen von Menschenrechtsverstößen. Außerdem ist ein zentraler Aspekt der konsequenten Durchsetzung der Regelungen die zivilrechtliche Haftung der Unternehmen bei Schädigungen, wobei das Beweisen eines Vertretenmüssens von Seiten der Geschädigten, mangels Kenntnis der internen Geschäftsabläufe der Unternehmen, unmöglich sein wird.[24] Damit wäre es erforderlich eine Beweislastumkehr zu Lasten der Unternehmen einzuführen, womit die Unternehmen von ihrer Seite aus das Einhalten der Due Dilligence Pflichten nachweisen müssten, was anderen Beteiligten nicht möglich wäre. Die Geschädigten müssen dabei weiterhin die Haftungsbegründenden Tatsachen vorlegen und werden nur insoweit entlastet, dass sie nicht selber die interne Ausübung der Sorgfaltspflichten nachweisen müssen. 

Diese Regelungen müssen selbstverständlich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit beschlossen werden, jedoch fällt diese Prüfung, wie bereits dargestellt, sehr einseitig aus. Im Jahr 2020 waren 160 Mio. Kinder Opfer von Kinderarbeit, was jedem zehnten Kind auf der Welt entspricht.[25] Außerdem befinden sich ca. 25 Mio. Menschen auf der Welt in Zwangsarbeit und Deutschland hat dabei den dritthöchsten Konsum von Gütern, bei denen ein hohes Risiko besteht, dass diese in Zwangsarbeit produziert wurden.[26]

Damit steht die deutsche Bundesregierung in der Verpflichtung umfassende und konsequente Regelungen in den Gesetzesentwurf der Kommission zu implementieren, um moderne Sklaverei effektiv zu bekämpfen. 


[1] RegE LkSG, S. 1.

[2] Stellungnahme des DAV, S. 11ff. 

[3] Ebd. 

[4] Stellungnahme der ILG, S. 4.

[5] Krajewski, Stellungnahme zum RegE, S. 9.

[6] Stellungnahme ILG, S. 3.

[7] Stellungnahme des BGA, S. 4.

[8] Korte, Der Betrieb 2021, Heft 12 S. M5.

[9] So auch Ehmann, ZVertriebsR 2021, S. 147; Vgl. Robert Grabosch Stellungnahme zum RegE vom 12.05.2021 S. 5ff.

[10] Krajewski, Stellungnahme zum RegE, S. 2.

[11] Krajewski, Stellungnahme zum RegE, S. 9. 

[12] Sigmund/Specht, „Justizminister Buschmann: EU-Lieferkettengesetz muss praktikabel sein“.

[13] So Löning, Stellungnahme zum RegE, S. 8.

[14] RichtlinienE, S. 31. 

[15] Ebd. S. 42.

[16] Ebd. S. 14

[17] ILG, Pressemitteilung vom 02.03.2022.

[18] RichtlinienE, S. 45.

[19] Ebd. S. 40. 

[20] Ebd. S. 21 (DE).

[21] Ebd. S. 17.

[22] EU-Strategy on the Rights of the Children, S. 21. 

[23] Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 34. 

[24] ILG, Anforderungen an ein wirksames Lieferkettengesetz, S. 7.

[25] COM 2022 66, S. 5.

[26] Global Slavery Index 2018, S. 4ff.

23.12.2022/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-12-23 07:42:522022-12-23 08:49:11Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten
Redaktion

Völkerrecht und nationales Recht

Startseite, Verschiedenes, Völkerrrecht

Der Verlag De Gruyter stellt jeden Monat einen Beitrag aus der Ausbildungszeitschrift JURA – Juristische Ausbildung zwecks freier Veröffentlichung auf Juraexamen.info zur Verfügung.
Der heutige Beitrag

“Völkerrecht und nationales Recht” von Prof. Dr. Dr. Martin Will M.A., LL.M.

behandelt dogmatische Grundlagen des Verhältnisses von Völkerrecht und nationalem Recht und beleuchtet konkrete Ausgestaltung am Beispiel der deutschen Verfassungsordnung. Monismus und Dualismus oder die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetztes, das Grundwissen zu diesen und anderen Themen kann mit Hilfe des vorliegenden Beitrags erworben oder aufgefrischt werden.

Den Beitrag findet Ihr hier.

14.12.2015/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2015-12-14 09:00:592015-12-14 09:00:59Völkerrecht und nationales Recht
Gastautor

Rezension: Andreas von Arnauld, Völkerrecht

Öffentliches Recht, Startseite, Verschiedenes, Völkerrrecht

Wir freuen uns nachfolgend eine Rezension von Andreas Buser veröffentlichen zu dürfen. Der Autor ist Student an der Freien Universität Berlin und steht kurz vor dem ersten Staatsexamen.
Andreas von Arnauld; Völkerrecht. 2012, Heidelberg: C. F. Müller.
ISBN 978-3-8114-9761-0
Preis: 29,99 €
Um es gleich zu sagen, dieses Buch ist das beste Lehrbuch das mir bisher auf den Tisch gekommen ist. Dies bezieht sich sowohl auf den Inhalt, als auch auf die Möglichkeit damit zu lernen. Angeschafft habe ich mir das Buch während meines Schwerpunktbereichsstudiums (Internationalisierung der Rechtsordnung = Völkerrecht, Europarecht und Rechtsvergleichung/IPR) nachdem ich zunächst mit den anderen bekannten Völkerrechtslehrbüchern experimentiert hatte. Innerhalb eines halben Jahres habe ich dieses Buch sicherlich fünf Mal, von vorn bis hinten, regelrecht zerlesen. Nun, mit etwas Abstand zum Schwerpunktbereich, möchte ich meine Erfahrungen mit dem Lehrbuch weitergeben.
Zunächst zum Inhalt:
Professor Dr. Andreas von Arnauld behandelt in seinem, 2012 in erster Auflage im C.F. Müller Verlag erschienen, Völkerrechtslehrbuch alle, auch im Schwerpunktbereich regelmäßig behandelten, Themen – im „Allgemeinen Teil“ des Völkerrechts die Historie, Quellen, Rechtssubjekte, Grundprinzipien, Verantwortlichkeit, Durchsetzung und innerstaatliche Bedeutung und im „Besonderen Teil“ die Diplomatischen Beziehungen, Menschenrechtsschutz, Umwelt und Entwicklung, Wirtschaftsvölkerrecht, Friedenssicherungsrecht, Recht des bewaffneten Konflikts und Völkerstrafrecht.
Im Schwerpunktbereich spielen erfahrungsgemäß nicht alle „besonderen Materien“ eine gleich große Rolle. So wurde etwa das Wirtschafts- genauso wie das Umwelt- und Entwicklungsvölkerrecht in meinem Schwerpunktbereich nur sehr oberflächlich behandelt. Lesenswert sind die entsprechenden Kapitel dennoch. Auch tragen sie zum umfassenderen Verständnis des Völkerrechts bei.
Besonderes Augenmerk legt das Buch meines Erachtens auf den „Menschen im Völkerrecht“. So widmet sich das Buch vertieft dem internationalen Menschenrechtsschutz und beinhaltet auch einen Überblick über die europäische Menschenrechtskonvention, dessen Lektüre sich auch zur Vorbereitung auf den staatlichen Teil des Examens lohnt. Hinzu kommt, dass der Autor vielfach die tradierte Lehre von der absoluten Souveränität der Staaten im Völkerrecht in Frage stellt und dem Konzepte entgegensetzt, die die Souveränität des Staates mit Blick auf die Menschenrechte relativieren. So wird etwa das Konzept der „responsibility to protect“ verständlich und umfassend erklärt. Diese Sichtweise „vom Menschen her“ zeigt sich auch in der Behandlung weiterer völkerrechtlicher „Probleme“, beispielhaft sei hier auf die Behandlung der Streitfragen um die Immunität von (ehemaligen) Staatsoberhäuptern (Bsp. Pinochet Fall) oder die Geltung von Menschenrechten in humanitären Konflikten verwiesen.
Positiv fällt auch die hohe Aktualität des Buches auf. So werden vielfach aktuelle (außen)politische Ereignisse (etwa der Nato Einsatz in Libyen) und Urteile der internationalen, aber auch nationalen Gerichte (etwa Pinochet, Kadi, Al-Skeini, Al-Jedda etc.) aufgegriffen und eingeordnet. Was das Buch, wie allgemein das Völkerrecht, besonders spannend macht.
Zum Didaktischen:
Das Buch ist mit Kontrollfragen, Hinweisen auf Fallbearbeitungen und einer Zusammenfassung wesentlicher Gerichtsentscheidungen ausgestattet.
Die Kontrollfragetechnik ist nun keine Neuheit in juristischen Lehrbüchern. In diesem Buch schaffen es die Kontrollfragen aber, entgegen denen in manch anderem Buch, nahezu den gesamten Inhalt des Buches abzufragen. So dienen sie nicht nur als Kontrolle, ob der_die Leser_in überhaupt etwas verstanden hat, sondern können, ähnlich wie Karteikarten, wiederholt abgefragt werden, um sich so den Stoff langfristig anzueignen. Dazu empfiehlt es sich die relevanten Stichworte zu jeder Kontrollfrage im Text farblich zu markieren. Bleibt die Antwort trotz Lektüre des Markierten unklar, so kann die Passage noch einmal umfänglich nachgelesen werden. Gerade diese direkte Möglichkeit des Nachlesens ist meines Erachtens ein wichtiger Vorteil gegenüber Karteikarten, insbesondere wenn es Ihnen so wie mir geht und Sie den eigenen Karteikarten oft nicht mehr trauen.
Nach jedem Kapitel finden sich zudem umfangreiche Hinweise auf einschlägige Fallbearbeitungen zum jeweiligen Thema aus Ausbildungszeitschriften. So kann das Erlernte dann im Fall getestet und die Verortung der Probleme im Aufbau geübt werden. Daneben existiert auch das Fallbuch vom gleichen Autor. Dieses stellt die im Lehrbuch behandelten Probleme in Falllösungen dar, geht aber auch meist nicht über den Inhalt des Lehrbuchs hinaus.
Zu guter Letzt findet sich am Ende des Buches eine Aufzählung wichtiger gerichtlicher Entscheidungen zum Völkerrecht, jeweils mit kurzer Inhaltsangabe. Im Völkerrecht, das zu einem großen Teil auf Gewohnheitsrecht beruht, welches durch die Gerichte festgestellt und oft auch wesentlich geprägt wird, kommt diesen Entscheidungen eine besondere Bedeutung zu. Alle Entscheidungen sind auch im Buch selbst eingearbeitet, die Entscheidungen am Schluss können aber nochmals, ähnlich wie die Kontrollfragen, zur Abfragung des jeweiligen Inhalts genutzt werden.
Weitere Hinweise zur Prüfungsvorbereitung
In Klausuren und insbesondere in mündlichen Prüfungen wird gerne auf aktuelle politische Entscheidungen oder Rechtsprechung Bezug genommen. Schon deswegen empfiehlt es sich hier am Ball zu bleiben. Darüber hinaus macht gerade die Anwendung des gelernten Völkerrechts auf aktuelle „Fälle“ besonders viel Spaß und verfestigt nebenbei das Erlernte. Ausbildungszeitschriften beschäftigen sich nur gelegentlich mit dem Völkerrecht und sind in der Regel nicht hinreichend aktuell. Hier empfehlen sich zahlreiche Blogs die im Internet frei zur Verfügung stehen. Besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen den Blog des EJIL (European Journal of International Law) in welchem tagesaktuell renommierte Völkerrechtler_innen internationale politische Ereignisse rechtlich bewerten und analysieren.
Resümee
Mein Resümee steht fest: Das aus meiner Sicht beste (deutschsprachige) Völkerrechtslehrbuch am Markt. Empfehlen möchte ich noch das Buch nicht nur zu lesen, sondern es zu „zerlesen“, es sich mit eigenen Anmerkungen und Markierungen anzueignen. Wer darüber hinaus das eine oder andere Problem durch Lektüre der angegebenen Nachweise vertieft und regelmäßig die Anwendung im Fall und in der Vorlesung übt, dem stehen auch sehr gute Noten im Schwerpunktbereich offen.
 

04.06.2014/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2014-06-04 09:30:462014-06-04 09:30:46Rezension: Andreas von Arnauld, Völkerrecht
Dr. Johannes Traut

Fiskalpakt – rechtmäßig oder nicht?

Europarecht, Öffentliches Recht, Tagesgeschehen, Völkerrrecht

Gestern wurde der sogenannte Fiskalpakt geschlossen (vgl. etwa FAZ v. 3.3.2012, S. 1 „Merkel: Fiskalpakt ein Meilenstein in der Geschichte der EU“), in dem sich die  unterzeichnenden Staaten dazu verpflichten, Haushaltsdisziplin zu halten und nationale Schuldenbremsen einzuführen.
Dieses Wissen sollte man für die mündliche Prüfung in jedem Fall parat haben.
Außerdem stellt sich im Zusammenhang mit dem Fiskalpakt auch eine hochumstrittene Rechtsfrage: Da Großbritannien und Tschechien dem Vertrag nicht beigetreten sind, konnte der Vertrag nicht im Rahmen der EU-Verträge – als Änderung bzw. Ergänzung dieser – geschlossen werden. Die teilnehmenden Staaten haben vielmehr den Vertrag als „normalen“ völkerrechtlichen Vertrag geschlossen, der neben die EU-Verträge tritt. Die rechtliche Zulässigkeit einer solchen Konstruktion ist hochproblematisch. Hierzu sei noch mal auf unseren  Artikel zu der Frage hingewiesen – danach ist die Zulässigkeit im Ergebnis zu bejahen.
Da es sich um eine Frage handelt, die mit allgemeinen Kenntnissen im Völker/Europarecht gelöst werden kann, könnte sie durchaus in der mündlichen Prüfung drankommen.

03.03.2012/0 Kommentare/von Dr. Johannes Traut
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Johannes Traut https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Johannes Traut2012-03-03 19:11:032012-03-03 19:11:03Fiskalpakt – rechtmäßig oder nicht?
Dr. Johannes Traut

IGH: Staatenimmunität auch bei Kriegsverbrechen

Rechtsprechung, Schon gelesen?, Völkerrrecht

Die unmittelbare examensrelevanz ist gering, aber eine Mitteilung ist das Urteil des IGH vom 3.2.2012 dennoch wert: Es verstößt gegen das Völkerrecht,

  • dass italienische Gerichte die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Entschädigungen an Opfer wegen Kriegsverbrechen im zweiten Weltkrieg verurteilt haben.
  • Ebenso verstößt es gegen das Völkerrecht, soweit italienische oder griechische Urteile dieses Inhalts durch Entscheidungen staatlicher Stellen in Italien vollstreckt wurden oder werden.

Kurzüberblick IGH
Der Internationale Gerichtshof (IGH) ist das (Haupt-)Rechtsprechungsorgan der UN, vgl. Art. 7 Abs. 1, 92ff. UN-Charta. Der Gerichtshof ist für Streitigkeiten zwischen Staaten zuständig; nur diese können Partei vor ihm sein (Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut).  Der Gerichtshof entscheidet die ihm unterbreiteten Fragen nach dem Völkerrecht (Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut). Dabei wendet er an

(a) internationale Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den streitenden Staaten
ausdrücklich anerkannte Regeln festgelegt sind;
(b) das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung;
(c) die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze;
(d) vorbehaltlich des Artikels 59 richterliche Entscheidungen und die Lehrmeinung der fähigsten
Völkerrechtler der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormenn

Anders als die nationalen Gerichte ist er aber nicht kraft UN-Charta für die Entscheidung jeder Rechtsfrage zuständig; vielmehr müssen die Parteien den Rechtsstreit von sich aus vor den Gerichtshof bringen (Art. 36 Abs. 1 IGH-Statut) oder sie müssen sich im Einzelfall oder auch generell – dann für alle völkerrechtlichen Streitigkeiten – der Rechtsprechung des IGH unterworfen haben (Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut). Das hat Deutschland getan, es kann also von jedem Staat, der ebenfalls die Rechtsprechung des IGH anerkennt, vor diesem verklagt werden oder selbst klagen.
Im vorliegenden Fall aber ergibt sich die Zuständigkeit des IGH ohnehin aus Art. 1 des Europäisches Übereinkommen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten, das Deutschland und Italien ratifiziert haben. Dieses eröffnet die Zuständigkeit des IGH nach Art. 36 Abs. 1 IGH-Statut.
Der Grundsatz der Staatenimmunität
Materiell ging es um die Frage, ob der Grundsatz der Staatenimmunität durch die Verurteilung bzw. die Vollstreckung gegen die Bundesrepublik verletzt wurde. Die grundsätzliche Existenz des Grundsatzes der Staatenimmunität ist jedenfalls unstrittig (vgl. auch Rn. 56f. des Urteils).
Im Völkerrecht gilt der Grundsatz, dass Staaten nicht vor den Gerichten anderer Staaten für ihr hoheitliches Handeln (acta iure imperii) verklagt werden können (insb. Rn. 61 des Urteils). Dies ist ein Ausfluss der Souveränität der einzelnen Staaten (Art. 2 Nr. 1 UN-Charta), mit der es nicht vereinbar wäre, einen Staat der Jurisdiktion des anderen zu unterwerfen. Keinen besonderen Schutz genießen Staaten heutzutage mehr dagegen für nicht-hoheitliches Handeln (acta iure gestionis). Soweit sie sich wie Private am Rechtsverkehr beteiligen (und etwa Kredite aufnehmen), können sie auch verklagt werden. Ein Beispiel hierfür ist etwa die argentinische Staatsschuldenkrise (vgl. etwa BVerfG NJW 2007, 2605; Sester NJW 2006, 2891). Das ist wohl weitgehend anerkannt, auch wenn der IGH sich zu der Frage, ob zwischen hoheitlichem und nicht-hoheitlichem Handeln zu unterscheiden ist, nicht äußern musste. Dazu und zur Entwicklung vgl. Rn. 59ff. des Urteils.
Gilt dieser Grundsatz auch für Klagen wegen Kriegshandlungen im Staat, in dem sie begangen wurden?
Das erste Argument, mit dem Italien die Geltung dieses Grundsatzes angreifen möchte, fasst der IGH wie folgt zusammen (Rn. 62):

The essence of the first Italian argument is that customary international law has developed to the point where a State is no longer entitled to immunity in respect of acts occasioning death, personal injury or damage to property on the territory of the forum State, even if the act in question was performed jure imperii.

Um das Völkergewohnheitsrecht in dieser Frage zu ermitteln untersucht der IGH dann insbesondere die Rechtsprechung nationaler Gerichte zu dem Thema (Rn. 72ff. – zuvor befasst er sich mit völkervertragsrechtlichen Anhaltspunkten, die hier aber ausgeblendet bleiben sollen). Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass französische, deutsche, ägyptische, irische, slowenische, polnische Gerichte und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch in diesen Fällen Staatenimmunität gewährt haben. Eine Ausnahme stellen nur die streitgegenständlichen italienischen und wenige griechische Entscheidungen dar. Daher kommt er zum dem Schluss (Rn. 72):

In light of the foregoing, the Court considers that customary international law continues to require that a State be accorded immunity in proceedings for torts allegedly committed on the territory of another State by its armed forces and other organs of State in the course of conducting an armed conflict. That conclusion is confirmed by the judgments of the European Court of Human Rights to which the Court has referred (see paragraphs 72, 73 and 76).

Dabei kommt der Rechtsprechung des EGMR offensichtlich besondere Bedeutung zu.
Gilt dieser Grundsatz auch bei Kriegsverbrechen?
Das zweite Argument, mit dem Italien die Geltung dieses Grundsatzes hier angreifen möchte, fasst der IGH wie folgt in drei Teilen  zusammen (Rn. 80):

[…] First, Italy contends that the acts which gave rise to the claims constituted serious violations of the principles of international law applicable to the conduct of armed conflict, amounting to war crimes and crimes against humanity. Secondly, Italy maintains that the rules of international law thus contravened were peremptory norms (jus cogens). Thirdly, Italy argues that the claimants having been denied all other forms of redress, the exercise of jurisdiction by the Italian courts was necessary as a matter of last resort. […]

Zunächst ermittelt der IGH das Völkergewohnheitsrecht hinsichtlich der ersten Frage, nämlich ob es Staatenimmunität auch für Handlungen gibt, die Kriegsverbrechen darstellen. Das wurde von verschiedenen Gerichten (etwa kanadischen, britischen, slowenischen) bestätigt (Rn. 85); auch der EGMR ist dem gefolgt (Rn. 90). Daher besteht nach Ansicht des IGH auch für Hoheitsakte, die gleichzeitig Kriegsverbrechen darstellen, keine Ausnahme vom Grundsatz der Staatenimmunität (Rn. 91). Ausdrücklich nicht entschieden wurde aber über die mögliche strafrechtliche Verantwortlichkeit von Individuen, die als Repräsentant (etwa Präsident) eines Kriegsteilnehmers persönliche Verantwortung tragen (etwa Milosovevic). Diese wollte der IGH wohl nicht beschränken.
Das zweite Teilargument, wonach das ius cogens, das Kriegsverbrechen verbietet, der Staatenimmunität vorgehet, weist der IGH mit dem Argument zurück, es bestehe kein Normkonflikt zwischen den ius cogens Regeln des Kriegsrechts und der Staatenimmunität (Rn. 95). Das ist offensichtlich richtig, da sie völlig verschiedene Fragen regeln.
Für die dritte Voraussetzung gibt es schließlich keinerlei Anhaltspunkt in der internationalen Rechtspraxis (Rn. 101ff.). Es wäre auch kaum möglich, zu bestimmen, wann eine gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche nicht mehr erfolgversprechend ist (Rn. 102).
Kurzkommentar
Ein Urteil, das auf den ersten Blick „Kriegsverbrechen“ zu schützen scheint, das aber M.E. dennoch im Ergebnis richtig ist. Vom IGH wurde das Urteil im Wesentlichen auf der rein juristischen Ebene durch eine detaillierte Analyse der Rechtsprechung nationaler Gericht gelöst. Dabei hat der IGH die Ergebnisse deren Rechtsprechung zur Kenntnis genommen, ohne in die Beweggründe näher einzusteigen. Mit den Sachargumenten musste er sich daher kaum auseinandersetzen.
Hätte er dies getan, wäre deutlich geworden, welche Unwägbarkeiten auf die Völkerrechtsordnung zukämen, wenn der IGH die Klagen für zulässig erachtet hätte. Es wäre der Völkerverständigung und damit dem Frieden wohl kaum zuträglich, wenn bewaffnete Konflikte auf gerichtlichem Wege noch einmal „rückabgewickelt“ werden müssten. Nicht nur müsste sich Deutschland auf eine Klagewelle wegen Verbrechen im zweiten Weltkrieg gefasst machen, sondern auch alle anderen am Krieg beteiligten Nationen, ebenso Polen, Russland, Tschechien wegen den Vertreibungen von Deutschen aus dem Osten, die NATO-Partner könnten wegen des Afghanistan Krieges oder wegen des Einsatzes in Libyen verklagt werden. Gerichte können mit ihrem Blick für den Einzelfall eine halbwegs gerechte Abwicklung dieser Verfahren kaum leisten. Ferner ist das Mißbrauchspotenzial solcher Klagen durch weniger als demokratische Regime, die sie zum Tribunal über aktuelle politische Gegner machen könnten, erheblich.
Im deutschen Recht
In Deutschland gilt der Grundsatz der Staatenimmunität im innerstaatlichen Recht als Völkergewohnheitsrecht schon nach Art. 25 GG (es handelt sich um Völkergewohnheitsrecht, auch dazu Rn. 54ff. des Urteils); außerdem findet er eine Anknüpfung im einfachem Recht in § 20 Abs. 2 GVG. Daher wäre das Urteil in Deutschland ohne weiteres zu beachten. Wie die Rechtslage in Italien ist, ist dem Verfasser nicht bekannt. Folgt man dort (wie in Deutschland im Grundsatz) einem dualistischen Ansatz (Völkerrecht und nationales Recht zwei verschieden Rechtsordnungen) wären die Urteil von dem Urteil des IGH zunächst unberührt; die Republik Italien träfe aber die völkerrechtliche Verpflichtung, für ihre Aufhebung oder ähnliches zu sorgen.
Literaturhinweise
Grundlagen zur Staatenimmunität: Roeder JuS 2005, 215
Urteil des BGH zu der Frage (v. 26. 6. 2003 – III ZR 245/98), NJW 2003, 3488, dazu die Anmerkung Geimer, LMK 2003, 215.

06.02.2012/1 Kommentar/von Dr. Johannes Traut
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Johannes Traut https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Johannes Traut2012-02-06 11:43:052012-02-06 11:43:05IGH: Staatenimmunität auch bei Kriegsverbrechen

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