I. Einleitung
Der BGH hat in einer äußerst examensrelevanten Entscheidung die Anwendbarkeit der §§ 280 I, III, 281 I BGB auf den Vindikationsanspruch des § 985 BGB bejaht (Urt. v. 18.03.2016 –V ZR 89/15, NJW 2016, 3235). Damit kann fortan der Eigentümer einer Sache unter den Voraussetzzungen der §§ 280 I, III, 281 I BGB Schadensersatz statt der Herausgabe der Sache verlangen, wenn der unberechtigte, bösgläubige oder verklagte Besitzer seine Herausgabepflicht nicht erfüllt. Die Frage, ob das Leistungsstörungsrecht auf den Vindikationsanspruch anwendbar ist, hat grundlegende Bedeutung und soll nachfolgend anhand des genannten Urteils beantwortet werden.
II. Sachverhalt (leicht abgewandelt)
Getränkemarktinhaber G beteiligt sich an dem Einkaufsring der deutschen Getränkemärkte (=EKR). Der EKR hat einen Kooperationsvertrag mit der C-GmbH geschlossen. Im Zuge dieses Kooperationsvertrages erhielt die C-GmbH das Exklusivrecht, in den im EKR zusammengeschlossenen Getränkemärkten Videogeräte aufzustellen, um Werbung zur Vermarktung ihrer Produkte verbreiten zu können, wobei das Eigentum an den Videogeräten bei der C-GmbH verbleiben sollte.
Auf Basis des Kooperationsvertrags stellte die C-GmbH 15 Videogeräte im Getränkemarkt des G auf. Allerdings wurde der Kooperationsvertrag zum 31.12.2015 beendet. Daraufhin übereignete die C-GmbH die Videogeräte an den Dritten D. Dieser (D) wiederum vermiete die Videogeräte an den Mieter M. D verlangte Anfang Januar von G die Herausgabe sämtlicher Videogeräte, um sie dem M zur Erfüllung der mietvertraglichen Verpflichtung zu überlassen. G jedoch weigerte sich; die daraufhin von D gesetzte, angemessene Frist verstrich fruchtlos. Um seine mietvertragliche Verpflichtung ggü. M erfüllen zu können, erwarb D von einem Händler 15 Videogeräte zum Preis von 500 €. Anstelle der Videogeräte verlangt D nun lieber die Ersatzbeschaffungskosten in Gesamthöhe von 7.500 € ersetzt.
III. Gutachterliche Überlegungen
1. Anspruch aus §§ 989, 990 I BGB
Im relevanten Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses war D Eigentümer und G Besitzer. Die Eigentumsübertragung von der C-GmbH auf D erfolgte nach den §§ 929 S. 1, 931 BGB unter Abtretung des Herausgabeanspruchs aus dem Kooperationsvertrag, § 398 BGB, 870 BGB. Ein Besitzrecht steht G nicht zu, insbesondere besteht auch kein abgeleitetes Besitzrecht, da der Kooperationsvertrag Ende 2015 beendet wurde. Von der Bösgläubigkeit des G ist insoweit auszugehen, als dass er positive Kenntnis gemäß § 990 I 2 BGB von dem fehlenden, eigenen Besitzrecht hatte, also der Beendigung des Kooperationsvertrages.
Gleichwohl greift dieser Anspruch bei grammatikalischer Auslegung des § 990 I BGB allein für Fälle, in denen die Sache infolge eines Verschuldens des Besitzers verschlechtert wird, untergeht oder aus einem anderen Grund nicht mehr herausgegeben werden kann. Die hier vorliegende, alleinige Vorenthaltung der Videogeräte durch G stellt einen nicht genannten Schadensposten dar und ist mithin nicht ausreichend, wie sich zusätzlich aus einem systematischen Vergleich mit § 990 II BGB ergibt. Da der sog. Vorenthaltungsschaden nicht erfasst ist, scheitert ein Anspruch aus §§ 989, 990 I BGB (vgl. dazu BGH, Urt. v. 18.03.2016 –V ZR 89/15, NJW 2016, 3235, Rn. 10).
2. Anspruch aus §§ 280 I, III, 281 I BGB iVm § 985 BGB
Ein Anspruch des D gegen G könnte sich jedoch aus den §§ 280 I, III, 281 I BGB ergeben. Voraussetzung dafür ist zunächst, dass die Regelungen des Leistungsstörungsrechts auf den Vindikationsanspruch des § 985 BGB anwendbar sind. Ob dies der Fall ist, wird unterschiedlich beantwortet:
Teile der Literatur gehen davon aus, die Funktion vindikatorischer und schuldrechtlicher Ansprüche sei grundverschieden, was gegen eine Anwendbarkeit streite. Herausgabeansprüche intendierten die Zusammenführung von Eigentum und Besitz, während ein Anspruch aus dem Leistungsstörungsrecht in Bezug auf § 985 BGB zu einer Verwertung der Sache führe. Außerdem gefährde die Zulassung eines Anspruchs aus den §§ 280 I, III, 281 I BGB den durch die Regeln des EBV intendierten Schutz des redlichen Besitzers (so etwa MüKo-BGB/Baldus, 6. Aufl. 2013, § 990, Rn. 83 ff.; Gursky, Jura 2004, 433 ff.).
In eine ähnliche Richtung hatte auch das Berufungsgericht argumentiert, die §§ 280 I, III, 281 I BGB führten für den Schuldner zu einer Art „Zwangskauf“ des herauszugebenden Gegenstandes (OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.03.2015- 7 U 189/14, BeckRS 2016, 13525, Rn. 42).
Herrschend wird indes die Anwendbarkeit des Leistungsstörungsrechts bejaht (vgl. statt aller Palandt/Bassenge, 76. Aufl. 2017, § 985, Rn. 14). Innerhalb dieser vorzugswürdigen Sichtweise werden die §§ 280 I, III, 281 I BGB auf § 985 BGB teilweise direkt, teilweise aber auch mit Blick darauf, dass ein Vindikationsanspruch nach § 985 BGB kein Schuldverhältnis im Sinne des § 241 II BGB darstellt und die Verweisungsnorm des § 990 II BGB den § 281 I BGB nicht erfasst, analog angewandt.
Um den Bedenken der erstgenannten Auffassung, die eine Anwendbarkeit des Leistungsstörungsrecht auf den Vindikationsanspruch aus § 985 BGB ablehnt, zu begegnen, wird innerhalb der herrschenden Meinung jedoch überwiegend (a. A. Brehm/Berger, Sachenrecht, 3. Aufl. 2014, § 7, Rn. 70) eine Einschränkung dahingehend vorgenommen, dass die Wertungen des EBV nicht leerlaufen dürfen. Folglich kann – wie es der Rechtsgedanke des § 990 II BGB nahelegt – allein gegen den verschärft haftenden Besitzer vorgegangen werden. Dieser überzeugenden Auffassung hat sich der BGH mit der oben genannten Entscheidung angeschlossen. Der BGH argumentiert dabei wie folgt:
Zum einen sei das Argument des „Zwangskaufes“ nicht tragfähig. Der Schuldner werde nicht zum Erwerb des herauszugebenden Gegenstandes gezwungen. Es bliebe ihm unbenommen, die Sache innerhalb der ihm gesetzten, angemessenen Frist herauszugeben. Zum anderen bestehe ein praktisches Bedürfnis, bei der Durchsetzung von Herausgabeansprüchen auf das Leistungsstörungsrecht zurückgreifen zu können. Der dingliche Gläubiger müsse seine Rechte effektiv verfolgen können. Anderenfalls ergebe sich auch ein Wertungswiderspruch, es sei nicht ersichtlich, warum der dingliche Gläubiger schlechter stehen solle als der schuldrechtliche. Überdies sei es nicht unüblich, die Regeln des Leistungsstörungsrechts auf dingliche Ansprüche zu erstrecken, wie bereits § 990 II BGB zeige und erst jüngst vom BGH für die Anwendbarkeit des § 888 BGB auf die §§ 280 I, II, 286 BGB entschieden wurde (BGH, Urt. v. 04.12.2015 – V ZR 202/14, NJW 2016, 2104; insoweit in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, wonach § 888 BGB für den Vormerkungsberechtigten nur eine Art „Hilfsanspruch“ darstellen sollte, BGH, Urt. v. 19.01.1968 – V ZR 190/64, NJW 1986, 788).
Ferner beschäftigt sich der BGH mit der historischen Auslegung des § 281 I BGB. Auf § 283 I BGB a.F. hatte der BGH mit der herrschenden Literatur nämlich § 985 BGB angewandt. Es sei – vor allem unter Zuhilfenahme der Motive – nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, das u.a. Abstand von der früheren Ablehnungsandrohnung nahm, etwas an der Anwendbarkeit des Leistungsstörungsrechts auf § 985 BGB ändern wollte.
Damit ist mit dem BGH von einer Anwendbarkeit der §§ 280 I, III, 281 I BGB auszugehen, wobei an den weiteren Voraussetzungen des Anspruchs keine Bedenken bestehen.
D kann folglich von G Zahlung in Höhe von 7.500 € als Schadensersatz statt der Herausgabe der Videogeräte verlangen, §§ 280 I, III, 281 I BGB iVm § 985 BGB. Wegen des ab jetzt gemäß § 281 IV BGB ausgeschlossenen Primäranspruchs auf Herausgabe ist D, der nun seinen gesamten Schaden ersetzt erhält, zur Vermeidung einer doppelten Begünstigung verpflichtet, dem G die bereits in dessen Besitz befindlichen Videogeräte brevi manu nach § 929 S. 2 BGB zu übereignen, was aus § 255 BGB analog hergeleitet wird (s. dazu BGH, Urt. v. 18.03.2016 –V ZR 89/15, NJW 2016, 3235, Rn. 21).
3. Anspruch aus §§ 990 II, 280 I, II, 286, 985 BGB
§ 990 II BGB erklärt die Vorschriften der §§ 280 I, II, 286 BGB für den Herausgabeanspruch des § 985 BGB für anwendbar. Die Anwendbarkeit der Verzugshaftung ermöglicht eine Haftungsverschärfung für den unredlichen, bösgläubigen oder verklagten Besitzer. Damit wird die durch §§ 989, 990 I BGB gerissene Lücke bzgl. der Ersatzfähigkeit des Vorenthaltungsschadens im EBV geschlossen (MüKo-BGB/Baldus, 6. Aufl. 2013, § 990, Rn. 34).
Auch wenn die Voraussetzungen des Verzugsschadens vorliegend gegeben sind, entspricht die Zielsetzung des Anspruchs nicht dem Begehren des D. Im Kern geht es bei dem Schadensersatz statt und neben der Vindikation um ein ähnliches Problem wie bei der Abgrenzung von Schadensersatz statt und neben der (schuldrechtlichen) Leistung.
D hat von seinem Herausgabeverlangen Abstand genommen und verlangt nun seinen Gesamtschaden ersetzt. Über den Verzugsschaden erhielte er aber neben seinem fortbestehenden Herausgabeanspruch allein die entgangene Miete ersetzt, nicht die Kosten der Ersatzbeschaffung in Höhe von 7.500 €. Damit besteht der Anspruch zwar grundsätzlich, er würde aber nur einen Teil des Schadenspostens abdecken (s. näher BGH, Urt. v. 18.03.2016 –V ZR 89/15, NJW 2016, 3235, Rn. 39), weshalb für die Anwendbarkeit der §§ 280 I, III, 281 I BGB auf den Vindikationsanspruch nach § 985 BGB ein praktisches Bedürfnis besteht (s. dazu ausführlich unter 2.).
IV. Fazit
Der BGH klärt mit der oben genannten Entscheidung ein heftig umstrittenes Problem im Verhältnis von Leistungsstörungsrecht und Vindikationsanspruch aus § 985 BGB – und das erst 14 Jahre nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes. Dennoch ist nicht damit zu rechnen, dass die Literaturmeinung, die prinzipiell eine Anwendbarkeit negiert, von ihrer Ansicht abrückt (so prognostiziert es etwa Riehm, Jus 2016, 1024). Die Streitfrage bleibt damit weiterhin ein beliebtes Examensproblem, das durch die aktuelle BGH-Entscheidung an Aktualität gewonnen hat.
Weitere Artikel
Auch diese Artikel könnten für dich interessant sein.
Leasingverträge sind insbesondere gängige Praxis, wenn eine Alternative zum Kauf von Kraftfahrzeugen gesucht wird. Sind sie Gegenstand von Examensklausuren, so ist die Kenntnis einzelner Problematiken für ein überdurchschnittliches Abschneiden unerlässlich. […]
Geplant war ein schöner und erholsamer Familienurlaub. Dafür wurde extra eine Ferienwohnung gemietet. Der Urlaub endete nach einem tragischen Unfall in eben dieser Ferienwohnung jedoch im Rettungshubschrauber auf dem Weg […]
Es ist wohl der Albtraum eines jeden Mieters: Der Vermieter kündigt die Wohnung wegen Eigenbedarf. Ob Eigenbedarf aber auch dann vorliegt, wenn die Kündigung erfolgt, damit der Cousin des Vermieters […]
Mitmachen
Du hast Lust, Autor bei uns zu werden? Wir freuen uns!
© juraexamen.info e.V.