Das OVG Münster (Az. 11 A 2325/10; 11 A 2511/10) muss sich derzeit mit der Frage beschäftigen, ob der Betrieb eines sog. Bierbikes (Anschauungsmaterial siehe hier) straßenrechtlich noch als Nutzung innerhalb des Gemeingebrauchs anzusehen ist oder einer behördlichen Sondernutzungserlaubnis bedarf. Die Verwaltung der Stadt Düsseldorf ist nicht allzu begeistert von dieser – zugegebenermaßen – angenehmen Art der Fortbewegung und hatte entsprechende Fahrten kurzfristig per Ordnungsverfügung untersagt. Der Betreiber klagte im Jahr 2009 gegen die Untersagung beim VG Düsseldorf, dessen Entscheidung (Az. 16 K 8009/09 – Urteil v. 06.10.2010) hier Gegenstand der Betrachtungen sein soll. Mittlerweile wurde die Berufung beim OVG Münster zugelassen, eine letztinstanzliche Entscheidung steht demnach noch aus.
Sachverhalt
K ist Betreiber eines sog. fahrenden „Bierbikes“ oder auch „Partybikes“. Die Konstruktion lässt sich als fahrbare Theke mit Rädern verstehen, an der bis zu 12 Personen sitzen können (Leergewicht: 1100 kg, Breite: 2,25 Meter). Angetrieben wird das Gefährt allein durch die Gäste über Fahrradpedalen, die zu ihren Füßen installiert sind. Die Lenkung erfolgt durch einen – nüchternen – Angestellten des K. Auf dem Bierbike ist mittig ein großes Fass Bier installiert, über das die Gäste während der Fahrt ausreichend mit gekühltem Gerstensaft versorgt werden. Außerdem ist ein großer Schriftzug „Partyfahrrad für Spaß unter Freunden“ angebracht. Daneben findet sich ein Logo mit einem Bierfass auf Rollen.
Der zuständigen Straßenverkehrsbehörde ist das Treiben des K schon länger ein Dorn im Auge und erlässt mit formell ordnungsgemäßem Bescheid vom 13.11.2009 folgende Verfügung:
„Die Benutzung des sogenannten „Bierbikes“ auf den öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen der Stadt E ist untersagt. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung ist mit einem Zwangsgeld in Höhe von 5.000,– Euro zu rechnen.“
In der Begründung heißt es, die Nutzung des Bierbikes auf öffentlichen Straßen überschreite die Grenzen des üblichen Gemeingebrauchs und erfordere eine entsprechende Sondernutzungserlaubnis. Außerdem sei mit erheblichen Störungen für die Sicherheit und Ordnung zu rechnen. So sind schon in der Vergangenheit die Fahrten des Bierbikes vor allem durch den exzessiven Alkoholgenuss der Teilnehmer aufgefallen. Betrunkene seien von dem Wagen herabgefallen und hätten Passanten angepöbelt. Durch die Alkoholisierung falle Glas zu Boden und zersplittere. Zudem könne der Lenker nicht ausreichend bremsen, wenn die Gäste entgegen der Anweisungen nicht aufhören, in die Pedalen zu treten.
K macht geltend, der Hauptzweck des Bierbikes liege in der Fortbewegung im öffentlichen Verkehrsraum und sei auch nach seinem Erscheinungsbild als Fahrrad zu kategorisieren. Immerhin würden auch andere mehrrädrige Fahrzeuge (Planwagen, Kutschen) erlaubnisfrei betrieben werden können. Überdies sei der Lenker nüchtern und die Gäste nicht „Teilnehmer“ im straßenverkehrsrechtlichen Sinne. Was den Konsum anginge, so würde man nur Plastikbecher verteilen und das Bier auf 10l pro Stunde begrenzen. Folgten die Feiernden nicht den Anweisungen des Lenkers, könne dieser die Fahrt abbrechen, was bisher jedoch nie erforderlich war. Man müsste auch nicht mit einer Behinderung des Straßenverkehrs wegen Stillstands rechnen, da das Bierbike im Notfall mit Muskelkraft einer Person an den Fahrbahnrand geschoben werden könne. Während der Fahrten existiere außerdem eine Bereitschaft des K, die den Wagen innerhalb von 15 Minuten abtransportieren kann.
K erhebt Anfechtungsklage gegen die Ordnungsverfügung.
Von der Zulässigkeit der Klage ist auszugehen. Auf § 18 StrWG NRW wird hingewiesen.
Lösung
Die Klage ist nach § 113 Abs.1 S.1 VwGO begründet, wenn die Ordnungsverfügung der Stadt Düsseldorf rechtswidrig und der Kläger in seinen Rechten verletzt ist.
I. Ermächtigungsgrundlage
Zum Erlass eines belastenden Verwaltungsakts ist eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich. Die Stadt Düsseldorf könnte ihre Entscheidung auf § 22 S.1 StrWG NRW stützen. Durch den Erlass einer Sondernutzungserlaubnis regelt die Behörde zur Gefahrenabwehr solche Konstellationen, in denen die begehrte Straßennutzung nicht dem üblichen, erlaubnisfreien Gebrauch durch die Allgemeinheit entspricht. Im Fall geht es um die Art und Weise der Nutzung des öffentlichen Straßenraums durch K im Rahmen des Betriebs eines sog. Bierbikes. § 22 S.1 StrWG NRW kommt damit als Ermächtigungsgrundlage in Betracht.
II. Formelle Rechtmäßigkeit
In formeller Hinsicht ergeben sich keine Bedenken bezüglich der Rechtsmäßigkeit der Ordnungsverfügung.
III. Materielle Rechtsmäßigkeit
Die Verfügung müsste materiell rechtmäßig zustande gekommen sein.
1. Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage
a) Die Art und Weise der Straßennutzung müsste die Grenzen des Gemeingebrauchs überschreiten, sodass eine Sondernutzungserlaubnis im Sinne von § 18 Abs.1 S.1 StrWG NRW erforderlich wird. Gemeingebrauch i.S.v. § 14 Abs. 1 StrWG NRW liegt vor, wenn die Verkehrsfläche im Rahmen der Widmung und der verkehrsrechtlichen Vorschriften zum Zwecke des Verkehrs benutzt wird und die Nutzung nicht unzumutbar ist. Kein Gemeingebrauch liegt hingegen vor, wenn die Straße nicht vorwiegend zu dem Verkehr benutzt wird, dem sie zu dienen bestimmt ist, § 14 Abs. 3 StrWG NRW.
aa) Auf eine Nutzung innerhalb des Gemeingebrauchs könnte schon aufgrund der Erwägung geschlossen werden, dass es sich bei dem Bierbike äußerlich um ein Fahrrad, also um ein per Pedalbetrieb über Muskelkraft angetriebenes Beförderungsmittel handelt. Nach Ansicht des VG Düsseldorf kommt es jedoch nicht darauf an,
[…] ob das Bierbike als Fahrrad im Sinne des Straßenverkehrsrechts einzustufen ist (den Vorstellungen des Gesetzgebers von einem Fahrrad entspricht ein derartiges mehrrädriges Fahrzeug wie das Bierbike jedenfalls nicht, wie sich an der in § 2 Abs. 4 Satz 5 StVO für Fahrräder normierten Pflicht zur Radwegebenutzung und an der aus § 21 Abs. 3 StVO folgenden grundsätzlichen Unzulässigkeit der Personenbeförderung zeigt). Denn auch mit einem – sei es als Fahrrad, sei es als sonstiges Straßenfahrzeug (§ 63 StVZO) – straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften genügenden Fahrzeug kann eine Straße über den Gemeingebrauch hinaus genutzt werden. Entscheidend ist der mit der Nutzung der Straße verbundene Zweck, wobei dem fließenden Verkehr auf den Fahrbahnen ein kommunikativer Gemeingebrauch fremd ist.
Folglich kann allein aus der (zweifelhaften) Natur des Bierbikes als „Fahrrad“ nicht auf automatisch eine Gleichstellung angenommen werden. Abzustellen ist auf den nach außen erkennbar werdenden Zweck der Nutzung.
bb) Äußerlich müsste daher objektiv feststellbar sein, dass der Betrieb des Bierbikes dem üblichen Gemeingebrauch der Straße zuwiderläuft. Dies wäre der Fall, wenn aus Sicht eines unbefangenen Betrachters die Nutzung der öffentlichen Straßen zu Verkehrszwecken nicht im Vordergrund steht. Vorliegend
[…] wird das als Mehrpersonenfahrzeug konzipierte Bierbike durch die Betätigung der Pedale auch in Bewegung gesetzt; die damit verbundene Ortsveränderung ist jedoch lediglich ein Nebeneffekt. Aus den konkreten Umständen des Einzelfalls, insbesondere auf Grund der äußeren Aufmachung des thekenähnlichen Fahrzeugs, das mit einem nicht zu übersehenden Bierfass ausgestattet ist und deutlich sichtbar die Aufschrift „x.de“ sowie ein großes Bierfass auf Rädern im Logo trägt, und auf Grund der Werbung für das Gefährt als „Partyfahrrad für Spaß unter Freunden“ (www.x.de) wird deutlich, dass der Hauptzweck des Betriebes dieses Fahrzeugs nicht der Personentransport, sondern der Betrieb einer mobilen Plattform ist, der dem geselligen, mit dem Konsum von vorwiegend alkoholischen Getränken verbundenen Zusammensein einer Gruppe von Personen dient; die Klägerin betreibt im Schwerpunkt praktisch einen – nicht ortsgebundenen – Selbstbedienungsausschank bzw. eine bewegliche Veranstaltungsfläche;
Rein äußerlich steht damit die Nutzung zu Verkehrszwecken nicht im Vordergrund.
cc) Fraglich ist, ob auch in subjektiver Hinsicht eine solche Zweckentfremdung zu beobachten ist. Bei der Beurteilung, ob eine Verhalten noch im Rahmen des Gemeingebrauchs im Sinne von § 18 Abs.1 StrWG liegt, müssen auch subjektiv verfolgte Zwecke miteinbezogen werden, da es allein auf das äußerliche Erscheinungsbild nicht ankommen kann. Hier fehlt es an einem Willen der Benutzer des Bierbikes, am Straßenverkehr teilzunehmen,
[d]enn zum einen bestimmt hier ein Großteil der Passagiere aktiv die Fortbewegung des Gefährts und nimmt damit entscheidend auf die Teilnahme am fließenden Verkehr Einfluss, zum anderen sitzen die Mitfahrer so exponiert auf dem Fahrzeug, dass sie als Verkehrsteilnehmer nach außen in Erscheinung treten und von den anderen Verkehrsteilnehmern entsprechend wahrgenommen werden. Gerade durch das Verhalten der auf dem Bierbike fahrenden Personen, das auf den in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Fotos zu sehen ist, drängt sich für den außenstehenden Dritten der Eindruck auf, dass für die an Bord des Fahrzeuges befindlichen Personen die Teilhabe am Straßenverkehr keine wirklich entscheidende Rolle spielt, sondern für diese das Party-Feiern und der Spaßfaktor eindeutig im Vordergrund stehen. Dies wird auch deutlich, wenn man dem auf der Internetseite www.x.de enthaltenen Link auf drei bei YouTube eingestellte verfilmte Erinnerungen von Gästen folgt […]
dd) Daneben könnte eine Sondernutzungserlaubnis erforderlich sein, wenn die Art und Weise der Nutzung den übrigen Straßenverkehr unzumutbar beeinträchtigt und die Grenze der Gemeinverträglichkeit überschreitet. Hiervon ist vorliegend auszugehen, da
[…| das Bierbike mit seinen 1100 kg Leergewicht ein ausgesprochen langsames und schwerfälliges Gefährt [ist]; es kann nur eine Geschwindigkeit von ca. 6 km/h erreichen, dies allerdings auch nur dann, wenn die Mitfahrer das wollen und entsprechend in die Pedale treten, ansonsten ist das Fahrzeug langsamer und bewegt sich allenfalls mit Schrittgeschwindigkeit durch die Straßen oder bleibt sogar stehen, ohne dass der Fahrzeugführer/Lenker dies beeinflussen kann. Das Bierbike stellt damit für den sonstigen fließenden Verkehr ein erhebliches Hindernis dar, das wegen seiner beträchtlichen Breite von ca. 2,25 m auch nicht einfach überholt werden kann. Dabei hängt es ganz vom Willen der überwiegend unter Alkoholeinfluss stehenden Benutzer ab, ob das Fahrzeug stehen bleibt, ist also nicht vergleichbar mit einem Pannenfahrzeug, das wegen eines technischen Defektes liegen bleibt.
Die Nutzung ist demnach auch insgesamt unzumutbar.
b) Die Grenzen des Gemeingebrauchs werden damit im Sinne von § 18 Abs.1 S.1, § 14 Abs.1 S.1 StrWG überschritten. Eine Sondernutzungserlaubnis ist erforderlich. Der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage ist damit erfüllt. Grundsätzlich ist für den Betrieb des Bierbikes eine Sondernutzungserlaubnis erforderlich.
2. Rechtsfolge
Die Behörde hat nach pflichtgemäßem Ermessen, insbesondere unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, zu entscheiden. Eine Ermessensreduktion auf Null aufgrund eines Anspruchs auf Erteilung der Sondernutzungserlaubnis kommt vorliegend nicht in Betracht. Sonstige Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Die Maßnahme müsste auch verhältnismäßig sein.
Gründe für die Annahme, die Untersagungsverfügung sei unverhältnismäßig, sind nicht ersichtlich. Gegen die nach §§ 55 Abs. 1, 60 und 63 VwVG NRW zulässige Androhung des Zwangsgeldes bestehen ebenfalls keine rechtlichen Bedenken.
Ergebnis: Die Ordnungsverfügung ist materiell rechtmäßig. Die Klage des K ist zulässig, aber nicht begründet und daher abzuweisen.
Fazit
Spätestens nach der Entscheidung des OVG Münster wird dieser Fall noch Gegenstand schriftlicher und mündlicher Examensprüfungen sein. Es bleibt abzuwarten, ob das OVG Münster den Ausführungen des VG Düsseldorf folgt oder doch eine andere Linie fährt. Anknüpfungspunkt bleibt dabei § 22 S.1 StrWG NRW (oder die entsprechende Norm anderer Bundesländer, für eine Auflistung siehe hier). Kern der Bearbeitung sollte die Frage sein, wann ein Gemeingebrauch im Sinne von § 14 Abs.1 StrWG NRW nicht mehr angenommen werden kann, sodass eine behördliche Sondernutzungserlaubnis für den weiteren Betrieb des Bierbikes auf öffentlichen Straßen erforderlich wird. Die vorliegende Problematik lässt sich hervorragend mit weiteren Problemen aus dem allgemeinen und besonderen Verwaltungsrecht verbinden.