Die FAZ berichtet heute von einem Urteil des OLG Frankfurt (Urt. v. 7.7.2011 – 1 U 260/10, juris), das sowohl für die mündliche Prüfung als auch die Klausuren im – Achtung – öffentlichen Recht von Bedeutung sein kann. Ein ordentliches Gericht im öffentlichen Recht kann nur eines bedeuten: Staatshaftung. Leider enthält das Urteil keinen Tatbestand (§ 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 ZPO) und die erstinstanzliche Entscheidung ist nicht veröffentlich, aber grob war Folgendes passiert: Am Flughafen musste der Kläger seine Uhr an der Sicherheitskontrolle wegen des Metalldetektors ablegen. Nachdem der Kläger die Schleuse passiert hatte, war die Uhr nicht mehr in dem Transportbehälter (die großen grauen Kisten), in der er sie abgelegt hatte. Der Verbleib der Uhr konnte wohl nicht mehr aufgeklärt werden. Der Kläger begehrte jedenfalls Schadensersatz.
I. Rechtsweg
In der Klausur müsste man eventuell zunächst auf den Rechtsweg eingehen. Dieser hängt von den Anspruchsgrundlagen ab. In Betracht kamen hier Ansprüche aus den §§ 280 Abs. 1, 280 Abs. 3, 283 BGB i.V.m. einer öffentlichen Verwahrung (§ 688 BGB analog) sowie aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG. Für die öffentlich-rechtliche Verwahrung verweist § 40 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 VwGO auf den ordentlichen Rechtsweg. Entsprechendes folgt aus Art. 34 S. 3 GG für den Anspruch aus § 839 BGB.
II. Kein Anspruch aus öffentlicher Verwahrung
Ein Anspruch könnte sich hier aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung ergeben, obwohl die Sicherheitskontrollen in der Regel von privaten Unternehmen durchgeführt werden, weil diese nach § 5 Abs. 5 LuftSiG als Beliehene tätig werden. Ein Anspruch aus den §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 BGB i.V.m. öffentlicher Verwahrung (§ 688 BGB analog) besteht nach Ansicht des Senats gleichwohl nicht (a.A. in einem ähnlichen Fall LG Frankfurt a.M., Urt. v. 1.4.2008 – 2-4 O 451/06, NJW 2008, 2273):
Ein solches öffentlich-rechtliches Verwahrverhältnis entsteht, wenn ein Verwaltungsträger durch eine öffentlich-rechtliche Maßnahme – Verwaltungsakt und Inbesitznahme oder bloße Inbesitznahme – eine Sache in Besitz nimmt. Erforderlich hierzu ist, dass der Verwaltungsträger mit Besitzbegründungswillen mit dem Zweck handelt, den einzelnen aus dessen bisheriger Obhutsstellung zu verdrängen; der Verwaltungsträger muss eine tatsächliche Lage schaffen, die den einzelnen von der Sorge für die Sache ausschließt (vgl. im Einzelnen OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.06.2002, OLGR 2003, 39 [juris Rn. 18]; MünchKomm-BGB-Henssler, 5. Aufl. 2009, § 688 Rn. 60; Staudinger-Reuter, BGB, 2006, Vorbem. zu § 688 ff Rn. 48). Ob dies der Fall ist, bemisst sich nach der Verkehrsanschauung (vgl. zum Besitzbegründungswillen Staudinger-Bund, BGB, 2007, § 854 Rn. 5 f).
…Durch das Einlegen von Gegenständen in ein Behältnis, welches zwecks Kontrolle auf einem Förderband durch ein Durchleuchtungsgerät läuft, verliert der Passagier nicht den Besitz an den in das Behältnis eingelegten Gegenständen. Denn nach der Verkehrsanschauung haben die vor Ort tätigen Luftsicherheitsassistenten, welche für den beliehenen Unternehmer die Aufgaben des Luftsicherheitsgesetzes tatsächlich erfüllen, weder für sich selbst noch für den beliehenen Unternehmer noch für die Beklagte in irgendeiner Form einen Besitzbegründungswillen. Zwar ist dem beliehenen Unternehmer die rechtliche Befugnis eingeräumt, die vom Passagier mitgeführten Gegenstände gemäß dem Luftsicherheitsgesetz zu kontrollieren. Die Einräumung einer solchen Befugnis reicht aber nicht für die Annahme aus, es werde bei der Kontrolle Besitz begründet. Das Luftsicherheitsgesetz gewährt lediglich für einen sehr kurzen Zeitraum ein Verfügungsrecht, soweit dies zur Durchführung der Kontrolle erforderlich ist. Dies reicht aber für eine Besitzbegründung nicht aus. Denn dadurch, dass der Passagier die zu kontrollierenden Gegenstände in ein Behältnis zwecks Durchführung der Kontrolle ablegt, wird die ihm zukommende, nach außen erkennbare tatsächliche Sachherrschaft nicht entzogen; er wird nicht aus seiner Obhutsstellung verdrängt. Vielmehr wird die Ausübung des uneingeschränkten Besitzrechts allenfalls in vorübergehender Weise beeinträchtigt, nämlich für Kontrollzwecke gleichsam überlagert; eine solche, vorübergehende Verhinderung der Ausübung der tatsächlichen Gewalt hat aber gemäß § 856 Abs. 2 BGB keine Beendigung des Besitzes zur Folge. Dabei ist in tatsächlicher Hinsicht zugrunde zu legen, dass die tatsächliche Sachherrschaft des Passagiers nur für einen äußerst kurzen Zeitraum in Frage gestellt ist, nämlich für die Zeit, in welcher das Behältnis das Durchleuchtungsgerät durchläuft, und für allenfalls wenige Sekunden danach, bis der den Bildschirm des Durchleuchtungsgeräts beobachtende Luftsicherheitsassistent zu erkennen gibt, dass zu einer genaueren physischen Nachkontrolle der durchleuchteten Gegenstände keine Veranlassung besteht. Solange das vom Passagier bestückte Behältnis auf dem Förderband sich noch vor dem Durchleuchtungsgerät befindet, verbleibt die tatsächliche Sachherrschaft im Sinne jederzeitiger Zugriffsmöglichkeit bei ihm dauert fort, sobald die technische Durchführung der Kontrolle abgeschlossen ist; er wird gerade nicht aus der Wahrung der Obhut für die von ihm abgelegten Gegenstände verdrängt.
Muss man dieser Argumentation folgen? Eher nicht: Der Passagier hat während der Durchleuchtung keine Möglichkeit des Zugriffs auf seine Sachen, weil sich diese in dem Röntgengerät befinden. In der Regel hat er auch nach der Durchleuchtung nicht sofort Zugriff darauf, weil er sich noch in der Sicherheitsschleuse (Metalldetektor) befindet. Gleichzeitig gelangen die Sachen über das Förderband in den hinteren Bereich des Förderbandes. Dort kann sie jeder andere Fluggast an sich nehmen. Nach meiner Erfahrung achtet das Sicherheitspersonal nämlich nicht darauf, wem welche Sachen gehören und ob diese an den Eigentümer/Besitzer zurückgelangen. Zugegebenermaßen fehlt es an den Sicherheitsschleusen für diese Aufgabe auch an Personal. Das kann aber m.E. nicht zu Lasten der Fluggäste gehen.
III. Kein Anspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG
Auch dies sieht der Senat allerdings anders, so dass er auch einen Anspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG wegen einer Verletzung von Verkehrssicherungspflichten ablehnt:
Nach Einschätzung des Senats genügt das hier praktizierte Verfahren diesen Anforderungen. Dabei ist einerseits in Rechnung zu stellen, dass es sich um ein „Massenverfahren“ handelt, welches im Interesse der Luftsicherheit unumgänglich ist. Andererseits kann jeder Passagier es für den Regelfall in seinem Interesse selbst steuern, dass der Vorgang der Durchleuchtung der von ihm abgelegten Gegenstände und das Durchschreiten der elektronischen „Schleuse“ zur Körperkontrolle zeitlich parallel läuft, er also das Behältnis mit den von ihm abgelegten Gegenständen möglichst im Auge behält.
Auch dem kann ich mich nicht anschließen: Die Sicherheitskontrollen an unseren Flughäfen sind seit dem 11. September 2001 so massiv verschärft worden, dass für den Fluggast keineswegs mehr zu steuern ist, was von ihm verlangt wird. An vielen Flughäfen stehen sogar Umkleidekabinen, in denen sich Fluggäste vor dem Sicherheitspersonal entblößen müssen. Wie ein Fluggast in Unterhose noch auf seine Autoschlüssel aufpassen soll, ist mir ein Rätsel. Der BGH wird sich dazu so schnell nicht äußern können, denn der Senat hat die Revision nicht zugelassen.
IV. Weitere Überlegungen (Ergänzung vom 23.9.2011 um 9:30 Uhr)
Der Senat gibt obiter dictum zu erkennen, dass er in Konstellationen, in denen der Fluggastdurch intensive Kontrollen am Zugriff auf seine Sachen gehindert wird, einen Schadensersatzanspruch nicht stets ausschließen möchte. Ich halte dies dogmatisch für heikel: Wenn keine öffentlich-rechtliche Verwahrung entsteht, ist zumindest für den Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 BGB egal, wie die Kontrolle konkret abläuft. Denn es fehlt dann bereits an einem Schuldverhältnis. Differenzierungsmöglichkeiten ergeben sich m.E. nur bei der Pflichtverletzung. Diese wird aber nur relevant, wenn man eine öffentliche Verwahrung bejaht.
Im Rahmen des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG halte ich es auch für wenig konsequent, nur in den Fällen eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten anzunehmen, in denen die Kontrolle intensiver ausfällt. Entweder das derzeitige System ist – insgesamt – mit § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG vereinbar oder es leidet insgesamt an Fehlern. Hier noch im Einzelfall zu differenzieren, halte ich deshalb für schwierig, weil auch für das Sicherheitspersonal nicht vorhersehbar ist, welcher Fluggast intensiver untersucht werden muss und welcher nicht. Der Vorwurf würde dann lauten, im konkreten Fall nicht in der gebotenen Weise von der Routine abgewichen zu sein. Dadurch wird die Systemverantwortung letztlich bei den Beschäftigten des Sicherheitsunternehmens abgeladen.
Schließlich könnte man dem Senat zugute halten, dass seine Lösung den haushaltspolitischen Vorteil hat, zusätzliche Kostenbelastungen von den öffentlichen Haushalten abzuwenden. Unabhängig davon, ob dies im Rahmen des § 839 BGB eine zulässige Erwägung ist, greift sie letztlich nicht durch: Die für die Fluggäste zwingenden Kontrollen finden nicht nur in ihrem Interesse statt, sondern auch im Interesse der Besatzung, der Fluggesellschaft (Eigentum) sowie der Bewohner der überflogenen Gebiete. Der Staat erhöht durch die Sicherheitskontrollen die Risiken für das Eigentum des Einzelnen im Allgemeininteresse. Wenn sich diese Risiken realisieren, sollte nicht der Einzelne hierfür aufkommen, sondern die Allgemeinheit. Der Staat kann die ihm entstehenden Kosten über Abgaben kollektivieren.