Mit seinem Urteil vom 7. Dezember 2017 – IX ZR 45/16 hat der 9. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs erneut Stellung zur äußerst prüfungsrelevanten Thematik der Anwendbarkeit und Reichweite der Grundsätze zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSD) bezogen. Am selben Tag judizierte der 7. Senat des Gerichts zur Frage des Verhältnisses zwischen dem VSD und § 278 BGB – diese Entscheidung wurde bereits in einem vorherigen Beitrag behandelt. Auch der vom 9. Zivilsenat zu entscheidende Fall beleuchtet im Kern die Primärhaftung von Erfüllungsgehilfen in den klassischen Dreipersonenverhältnissen des VSD. Dieses Mal stand die Haftung eines zur Beratung hinzugezogenen Anwalts zur Debatte:
I. Der zugrundeliegende Sachverhalt (vereinfacht)
Die A-GmbH beabsichtigt, in Rumänien eine Milchviehanlage zu erwerben und zu erweitern. Dazu möchte sie Fördermittel der EU in Anspruch nehmen. Da dies mit einigen bürokratischen und juristischen Hürden verbunden ist, schließt die A-GmbH einen Vertrag mit der X-AG, wonach diese sie gegen ein Erfolgshonorar von 1,2 Mio. € beraten und unterstützen soll. In dem Vertrag vereinbaren die Parteien, dass die anwaltliche Beratung ausschließlich durch die X-AG realisiert werden soll, woraufhin diese einen Anwaltsvertrag mit dem Rechtsanwalt R abschließt.
Die A-GmbH schließt sodann einen Darlehensvertrag mit der P-Bank. Mit diesem Kredit sollen 45 % des Gesamtinvestitionsvolumens abgedeckt werden. Weitere 45 % der Investition sollen mit EU-Fördermitteln gedeckt werden. Die restlichen 10 % bringt die A-GmbH selbst bei. Voraussetzung für die Auszahlung der Darlehensvaluta ist nach den Bestimmungen des Darlehensvertrags, dass die A-GmbH Genossenschaftsanteile an der D-Bank erwirbt. Vor diesem Hintergrund eröffnet Rechtsanwalt R ein Anderkonto, auf welches die A-GmbH 80.000 € für den Erwerb der Genossenschaftsanteile überweist. Diesen Betrag leitet R sodann an die D-Bank weiter.
Entgegen der vertraglichen Vereinbarung zahlt die P-Bank allerdings das Darlehen nicht an die A-GmbH aus. Auch die beantragten EU Fördermittel werden der A-GmbH nicht bewilligt. Sie verlangt deshalb die Rückzahlung der 80.000 € von Rechtsanwalt R. Im zwischen der A-GmbH und der X-AG geschlossenen Vertrag wurde vereinbart, dass der für den Erwerb der Genossenschaftsanteile notwendige Betrag erst nach Bewilligung der EU Fördermittel an die P-Bank ausgezahlt werden soll.
Hat die A-GmbH einen Anspruch gegen Rechtsanwalt R auf Zahlung von 80.000 €?
Anmerkung: Deliktische Ansprüche der A-GmbH gegen R sind nicht zu prüfen.
II. Mögliche Anspruchsgrundlagen
Zu denken ist zunächst an einen Anspruch gegen R aus einem eigenständigen, zwischen der A-GmbH und dem R geschlossenen (Anwalts-)Vertrag. Auch Ansprüche aus einem Treuhandvertrag sind in Betracht zu ziehen. Beides ist jedoch letztlich in Ermangelung eines entsprechenden Parteiwillens abzulehnen. Auch ein Anspruch aus § 675 Abs. 2 BGB scheidet mangels Verpflichtungswillens und auch vor dem Hintergrund der zwischen der A-GmbH und der X-AG getroffenen Vereinbarung aus. Fraglich ist jedoch, ob die A-GmbH einen Anspruch gegen R nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter hat. Diese Wirkung könnte nämlich dem zwischen der X-AG und Rechtsanwalt R geschlossenen Anwaltsvertrag zukommen:
III. Reminder: Dogmatische Begründung und Voraussetzungen des VSD
In der Klausur gilt es, Ansprüche aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in einem zweigliedrigen Aufbau zu prüfen. Zunächst sollte auf die – nach wie vor umstrittene – Verortung der Rechtsfigur eingegangen werden. Im Anschluss müssen dann die weitestgehend einheitlich anerkannten und vom BGH in ständiger Rechtsprechung bestätigten Anspruchsvoraussetzungen geprüft werden1
1. Rechtliche Grundlage
Auch wenn der BGH die dogmatische Verortung des VSD in jüngeren Entscheidungen teilweise ausdrücklich offenlässt, greifen die Senate des Gerichts in den meisten Urteilen auf eine ergänzende Vertragsauslegung und den mutmaßlichen Willen der Vertragsparteien zurück – §§ 133, 157 BGB. Im Schrifttum wird mitunter auf § 328 BGB rekurriert, einige Autoren verorten den Vertragstypus bei § 242 BGB. Auch eine Anknüpfung an § 311 Abs. 3 S. 1 BGB wird diskutiert. Da der VSD als eigenständiger Vertragstypus seit langer Zeit von allen Beteiligten anerkannt wird, mag man auch durchaus von Gewohnheitsrecht sprechen. In der juristischen Prüfung sollten die in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen kurz genannt und sich für eine Auffassung mit entsprechender Begründung entschieden werden.
2. Voraussetzungen des Anspruchs aus VSD
Folgende Merkmale müssen für den Anspruch nach den Grundsätzen des VSD verwirklicht sein:
(1) Bestimmungsgemäße Leistungsnähe des Dritten
Der Dritte muss bestimmungsgemäß mit der (Haupt-)Leistung in Berührung kommen und den Gefahren von Schutzpflichtverletzungen ebenso ausgesetzt sein wie der Gläubiger
(2) Gläubigernähe des Dritten
Der Gläubiger muss ein Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrags haben
(3) Erkennbarkeit der Leistungs- und Gläubigernähe
Für den Schuldner müssen Leistungs- und Gläubigernähe des Dritten erkennbar und zumutbar sein.
(4) Schutzbedürfnis des Dritten
Für die Ausdehnung des Vertragsschutzes muss ein Bedürfnis bestehen. Dieses entfällt insbesondere, wenn dem Dritten eigene vertragliche Ansprüche zustehen, die den identischen oder zumindest gleichwertigen Inhalt haben.
(5) Ggf.: Analoge Anwendung des § 334 BGB
Da der Dritte über die Konstruktion des VSD einen vollwertigen Anspruch gegen den Schuldner erwirbt, stellt sich die Frage nach einer analogen Anwendung der haftungsbeschränkenden Norm des § 334 BGB. Die Bestimmung gilt unmittelbar nur für den Vertrag zugunsten Dritter – § 328 BGB. Eine entsprechende Anwendung wird diskutiert, um eine Besserstellung des Dritten gegenüber dem Primärgläubiger zu verhindern. Ob diese Analogie möglich und geboten ist, wird uneinheitlich beurteilt (zum Streitstand ausführlich Zenner, NJW 2009, 1030 ff.). Die Problematik sollte jedoch nur diskutiert werden, wenn dem Schuldner tatsächlich eine Haftungsbeschränkung gegenüber dem Primärgläubiger zugutekommt.
IV. Was entschied der BGH?
Anders als noch die Vorinstanz urteilte der BGH, dass der zwischen der X-AG und Rechtsanwalt R bestehende Anwaltsvertrag keine drittschützende Wirkung gegenüber der A-GmbH entfalte. Das Landgericht entschied, dass die Beratungsleistungen des R aufgrund der erkennbaren Pflicht der X-AG, die Interessen der A-GmbH umfassend zu schützen, auch gegenüber letzterer Wirkung entfalten. Die Pflichtverletzung des R bestünde darin, die A-GmbH nicht vor den Risiken einer ungesicherten Vorleistung gewarnt zu haben. Im Falle eines entsprechenden Hinweises hätte die A-GmbH – so das Landgericht – eine Treuhandabrede mit R geschlossen und auf schützende Treuhandbedingungen bestanden.
Dieser Wertung widersprach der 9. Zivilsenat. Entscheidend ist nach Auffassung des BGH, dass der Rechtsanwalt R nicht aufgrund eines mit der A-GmbH geschlossenen Vertrags tätig wurde, sondern erst durch die Beauftragung der X-AG. Allein diese ist für die anwaltliche Beratung und Durchführung des Projekts der A-GmbH verantwortlich. R sei deshalb lediglich als Erfüllungsgehilfe der X-AG tätig geworden – § 278 BGB. Für einen eigenständigen Anspruch der A-GmbH gegen R nach den Grundsätzen des VSD fehle eine entsprechende Schutzbedürftigkeit der A-GmbH.
„Auch Verträge über anwaltliche Leistungen können Schutzwirkungen für Dritte entfalten. Voraussetzung der Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines Vertrages ist, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der vom Anwalt geschuldeten Leistung in Berührung kommt, dass der Vertragspartner des Anwalts ein eigenes Interesse an der Einbeziehung des Dritten hat, dass der Anwalt die Leistungsnähe des Dritten und das Einbeziehungsinteresse seines Vertragspartners erkennen kann und dass der Dritte wegen des Fehlens eigener Ansprüche schutzbedürftig ist. Ausgeschlossen ist ein zusätzlicher Rechtsschutz regelmäßig dann, wenn der Dritte wegen des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts bereits über einen inhaltsgleichen vertraglichen Anspruch verfügt. Ob der Anspruch finanziell durchsetzbar ist, ist unerheblich. Durch die Einbeziehung des Dritten ändern sich die Pflichten nicht, welche der Anwalt dem Mandanten gegenüber übernommen hat.
[…]
Die Klägerin [A-GmbH] ist nicht schutzbedürftig. Ihr steht wegen der von ihr beanstandeten Beratungsfehler gegebenenfalls ein Schadensersatzanspruch gegen die Gesellschaft [X-AG] zu, als deren Erfüllungsgehilfe der Beklagte [R] tätig war.
[…]
Die Gesellschaft hatte die Beratung und Unterstützung der Klägerin im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Erwerb der Milchviehanlage in Rumänien einschließlich der Finanzierung und der Beantragung der Fördermittel übernommen. Der Beklagte war nicht Partei dieses Vertrages. Dem Vertrag zwischen der Klägerin und der Gesellschaft zufolge sollte der Beklagte „die anwaltliche Beratung bezüglich der Vertragsgestaltung des Projekts“ übernehmen, jedoch nicht aufgrund eines mit der Klägerin geschlossenen Anwaltsvertrages, sondern aufgrund eines Auftrags der Gesellschaft. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung war die rechtliche Beratung also nicht ausschließlich vom Beklagten geschuldet. Der Beklagte hatte zwar alle auftretenden rechtlichen Fragen zu klären und die Verträge zu gestalten. Im Verhältnis zur Klägerin schuldete jedoch ausschließlich die Gesellschaft die genannten Leistungen. Dem eigenen Vortrag der Klägerin nach bezahlte die Gesellschaft die Beratungsleistungen, die der Beklagte zu erbringen hatte; sie gab diese Kosten im Rahmen des ihr zustehenden Honorars an die Klägerin weiter.
Gemäß § 278 S. 1 BGB hat der Geschäftsherr ein Verschulden der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie ein eigenes Verschulden. Berücksichtigten die Verträge, welche die von der Gesellschaft unterstützte und beratene Klägerin im Zusammenhang mit der Finanzierung schloss, nicht hinreichend die Interessen der Klägerin, sahen sie etwa ungesicherte Vorleistungen vor, war der Rückzahlungsanspruch der Klägerin im Falle eines Scheiterns des Antrags auf Fördermittel oder des Darlehensvertrages nicht hinreichend gesichert oder war der Vertragspartner erkennbar unseriös, hat die Gesellschaft für daraus entstandene Schäden einzustehen. Gleiches gilt, wenn die Beratungsleistungen der Gesellschaft unzulänglich waren, etwa weil sie die Klägerin nicht über die mit den ungesicherten Vorleistungen oder der fehlenden Absicherung des Rückzahlungsanspruchs verbundenen Risiken aufgeklärt hat. Eines zusätzlichen Anspruchs gegen den Beklagten als den Erfüllungsgehilfen der Gesellschaft bedarf es nicht. Nach allgemeinen Grundsätzen haftet der Erfüllungsgehilfe dem Vertragspartner seines Geschäftsherrn nicht unmittelbar. Das gilt auch dann, wenn der Vertragspartner den Erfüllungsgehilfen mit ausgewählt hat oder sich – wie hier – ausdrücklich mit dem Einsatz eines bestimmten Erfüllungsgehilfen einverstanden erklärt hat.“
V. Was bleibt also?
Fest steht, dass der BGH seine Judikatur zur Haftungserweiterung bei Erfüllungsgehilfen konsequent fortsetzt. Zwar können auch Verträge über anwaltliche Leistungen Schutzwirkung für Dritte entfalten – es bedarf jedoch auch hier einer Schutzbedürftigkeit nach den allgemeinen Grundsätzen des VSD. Da Erfüllungsgehilfen im Ausgangspunkt nicht unmittelbar gegenüber dem Vertragspartner des Geschäftsherrn haften, bedarf es einer genauen Kontrolle, ob dem Dritten nicht bereits eigene vertragliche Ansprüche mit (jedenfalls) gleichwertigem Inhalt zustehen. In der Klausur müssen deshalb die jeweiligen Vertragsinhalte genau geprüft und ggf. ausgelegt werden.
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Mit Urteil vom 7.12.2017 – VII ZR 204/14 hat der BGH eine besonders prüfungsrelevante Entscheidung zum Anwendungsbereich der Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSD) erlassen. Im Vordergrund steht das Verhältnis des VSD zu § 278 BGB. Da sich der VSD leicht in Zivilrechtsklausuren einbauen lässt und in verschiedensten Facetten in Erscheinung treten kann, müssen die rechtssystematischen Grundlagen sowie die von der Rechtsprechung entwickelten Anspruchsvoraussetzungen beherrscht werden. Die Entscheidung des BGH bietet Anlass zur Wissensvertiefung in einem Bereich, der von der Anfängerklausur bis hin zur zivilrechtlichen Examensklausur einen beliebten Prüfungsgegenstand darstellt:
I. Sachverhalt (vereinfacht)
Das Gericht hatte über Schadensersatzansprüche zu befinden, die sich letztlich aus einem Vierpersonenverhältnis ergaben. Anders als bei dem klassischen Dreipersonenverhältnis des VSD trat in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt eine weitere Person hinzu, weil der Schuldner sich zur Erfüllung seiner Pflichten eines Dritten bediente. Folgende (zwecks Übersichtlichkeit vereinfachte) Geschehnisse führten zur Rechtsstreitigkeit:
Die F. & R. GmbH führte aufgrund eines am 18. Juni 2003 mit einem Brauereibetreiber geschlossenen Vertrags Abbrucharbeiten auf einem Gelände in der Stadt S durch, auf dem der Brauereibetreiber bis zum Jahr 2003 seine Brauerei betrieben hatte. Nach dem Vertrag sollten die auf dem Gelände befindlichen Versorgungsleitungen sowie Entsorgungsleitungen vor Beginn der Abbrucharbeiten vom Brauereibetreiber stillgelegt werden. Da mit Umweltgefährdungen gerechnet werden musste, beauftrage der Brauereibetreiber einen Gutachter mit der Untersuchung der auf dem Gelände stehenden Gebäude auf eventuelle Gefahrenquellen. Bei einem vom Gutachter durchgeführten Ortstermin wurde unter anderem das Gebäude Nr. 15 nicht von innen besichtigt. In seinem Gutachten (sog. Rückbau- und Entsorgungskonzept) gab der Gutachter unter Bezugnahme auf diesen Ortstermin an, dass die technischen Anlagen ausgebaut und verkauft worden und Rückstände von Maschinen, Behältern und Rohren nicht vorhanden seien. Einen Hinweis auf ggf. noch unter Druck stehende Leitungen oder mit Gasen gefüllte Behältnisse im Gebäude Nr. 15 erteilte er nicht. Die nur eingeschränkte Begutachtung des Innenraums wurde auch sonst nicht vermerkt.
Die Arbeitnehmer A und B der F. & R. GmbH führten am 15. Dezember 2003 mittels zweier Bagger Abbrucharbeiten auf dem Gelände durch. In dem Gebäude Nr. 15 befand sich eine noch mit Ammoniak gefüllte Kälteanlage, bestehend aus zwei Tanks und Rohrleitungen. Infolge der Abrissarbeiten kam es zu einem Austritt einer gischtartigen Ammoniakwolke, welche ein Ausmaß von 10 x 15 Meter erreichte. Hierdurch wurden die Arbeitnehmer A und B verletzt.
Haben A und B Ansprüche gegen den Brauereibetreiber sowie den Gutachter auf Ersatz von Heilbehandlungs-, Arznei- und Transportkosten?
II. Vorüberlegung: Grundlage und Anspruchsvoraussetzungen des VSD
A und B könnten gegen den Gutachter Ansprüche auf Schadensersatz nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter haben. Für die Fallbearbeitung muss insofern allerdings von vornherein im Hinterkopf behalten werden, dass auch zwischen der F. & R. GmbH und dem Brauereibetreiber ein Vertrag besteht, sodass auch vertragliche Schadensersatzansprüche von A und B gegen den Brauereibetreiber in Betracht zu ziehen sind. Für die gutachterliche Prüfung kommt es dann auf einen sauberen Aufbau und eine stringente Prüfung des VSD an:
1. Rechtsgrundlage
Die rechtliche Grundlage des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wird uneinheitlich beurteilt. Der BGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der VSD auf einer ergänzenden Vertragsauslegung beruht und an den hypothetischen Willen der Vertragsparteien anknüpft, §§ 133, 157 BGB (vgl. BGH Urteil v. 17.11.2016 – III ZR 139/14, NJW RR-2017, 888). Anderer Auffassung zufolge handelt es sich um eine auf § 242 BGB gestützte richterliche Rechtsfortbildung (s. Assmann, JuS 1986, 885 (887). Teilweise wird der VSD auch als Gewohnheitsrecht eingeordnet (so bereits Gernhuber, in: FS Nikisch, 1958, S. 269). Auch eine Verortung bei § 311 Abs. 3 S. 1 BGB wurde diskutiert (Kilian, NZV 2004, 489 (494)). Der BGH hat die Frage in manchen Entscheidungen sogar explizit offengelassen. Für die Klausur dürfte es ausreichen, die in Betracht kommenden Anknüpfungspunkte kurz zu benennen.
2. Anspruchsvoraussetzungen
Nach der Rechtsprechung des BGH setzt der Anspruch nach den Grundsätzen des VSD folgende Merkmale voraus:
(1) Bestimmungsgemäße Leistungsnähe des Dritten
Der Dritte muss bestimmungsgemäß mit der (Haupt-)Leistung in Berührung kommen und den Gefahren von Schutzpflichtverletzungen ebenso ausgesetzt sein wie der Gläubiger
(2) Gläubigernähe des Dritten
Der Gläubiger muss ein Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrags haben
(3) Erkennbarkeit der Leistungs- und Gläubigernähe
Für den Schuldner müssen Leistungs- und Gläubigernähe des Dritten erkennbar und zumutbar sein.
(4) Schutzbedürfnis des Dritten
Für die Ausdehnung des Vertragsschutzes muss ein Bedürfnis bestehen. Dieses entfällt insbesondere, wenn dem Dritten eigene vertragliche Ansprüche zustehen, die den identischen oder zumindest gleichwertigen Inhalt haben.
III. Rechtliche Würdigung des BGH
Der BGH stellt in seiner Entscheidung zunächst fest, dass bei einem VSD die geschuldete Hauptleistung allein dem Gläubiger zusteht, der Dritte jedoch in der Weise in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten einbezogen wird, dass er bei deren Verletzung vertragliche Schadensersatzansprüche geltend machen kann. Um die Haftung für den Schuldner jedoch nicht unkalkulierbar auszudehnen, sind an die Einbeziehung von Dritten in den vertraglichen Schutz strenge Anforderungen zu stellen (hierzu bereits BGH Urteil v. 17.11.2016 – III ZR 139/14, NJW RR-2017, 888).
Nach der Rechtsprechung des BGH trifft den Besteller bei einer Werkleistung die vertragliche Pflicht, alles ihm Zumutbare zu tun, um seinen Vertragspartner bei der Ausführung von Arbeiten vor Schaden zu bewahren. Stellt der Besteller das Grundstück oder Arbeitsgerät zur Verfügung, erstreckt sich seine vertragliche Pflicht auch darauf, im Rahmen des ihm Zumutbaren hiervon ausgehende Gefahren für den Vertragspartner zu vermeiden. Bei schuldhafter Verletzung dieser Schutzpflicht haftet der Besteller nach § 280 Abs. 1 BGB (so bereits BGH Urteil v. 24.01.2013 – VII ZR 98/12, NJW-RR 2013, 534). Gleiches gilt dem BGH zufolge, wenn infolge der Schutzpflichtverletzung Arbeitnehmer des Vertragspartners bei Ausführung von Arbeiten geschädigt werden. Das Gericht schlussfolgert: Bei Werkverträgen gehört es regelmäßig zum Vertragsinhalt, dass sich die vertraglichen Schutzpflichten des Bestellers auch auf die Arbeitnehmer des Vertragspartners erstrecken sollen. Der Vertrag zwischen Unternehmer und Besteller entfaltet mithin Schutzwirkung zugunsten dieses abgrenzbaren und bestimmbaren Personenkreises (vgl. BGH Urteil v. 15.06.1971 – VI ZR 262/69, NJW 1971, 1931). Sodann stellt der BGH fest, dass in dem Vertragsverhältnis zwischen Unternehmer und Besteller letzterer auch für ein Verschulden seines Erfüllungsgehilfen gem. § 278 BGB haftet, soweit er diesen bei der Erfüllung seiner gegenüber dem Unternehmer und dessen Arbeitnehmer bestehenden Schutzpflichten eingebunden hat. A und B haben deshalb gegen den Brauereibetreiber Ansprüche auf Schadensersatz aus einem VSD (Werkvertrag zwischen der F. & R. GmbH und dem Brauereibetreiber).
Das Gericht stellt im Anschluss Erwägungen zu Ansprüchen von A und B gegenüber dem Gutachter aus einem VSD an. Entscheidend ist insofern nach Auffassung des Gerichts, dass die beiden Arbeitnehmer bereits von den vertraglichen Schutzpflichten des Bestellers umfasst werden. Deshalb kommt der BGH zu dem Ergebnis:
„Steht den Arbeitnehmern eines Unternehmers nach den Grundsätzen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ein Schadensersatzanspruch gegen den Besteller einer Werkleistung zu, weil sie bei Ausführung der Arbeiten aufgrund einer schuldhaften Verletzung auch ihnen gegenüber bestehender vertraglicher Schutzpflichten durch den Besteller einen Schaden erleiden, scheidet ein weiterer Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gegen einen vom Besteller beauftragten Dritten, der für die Schädigung mitverantwortlich ist und dessen Verschulden sich der Besteller nach BGB § 278 BGB zurechnen lassen muss, grundsätzlich aus.“
Maßgeblich für diese Wertung ist, dass die Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer es regelmäßig nicht erfordert, neben dem Besteller einen weiteren Vertragsschuldner zur Verfügung zu stellen, mithin den Kreis der Haftenden zu erweitern. Der BGH argumentiert darüber hinaus damit, dass der Unternehmer – hätte er selbst den Schaden erlitten – aufgrund von § 278 BGB auch nur einen unmittelbaren Anspruch gegen den Besteller hätte. Einen vertraglichen Anspruch gegen den vom Besteller beauftragten Dritter (hier der Gutachter) wäre nach den Grundsätzen des VSD ausgeschieden. Gleiches muss deshalb gelten, wenn Arbeitnehmer geschädigt werden, da diese insoweit an die Stelle des Unternehmers treten. Andernfalls wären sie bessergestellt als der Unternehmer, da ihnen dann gegen zwei Schuldner inhaltsgleiche Ansprüche zustünden. Anders als die Vorinstanz noch annahm, bestand deshalb keine gesamtschuldnerische Haftung des Brauereibetreibers und Gutachters. Vielmehr war aufgrund von § 278 BGB und den o.g. Wertungen allein der Brauereibetreiber Anspruchsgegner der Arbeitnehmer A und B.
IV. Schlussfolgerung
Aus dem vermeintlichen Vierpersonenverhältnis wird mit der Entscheidung des BGH doch noch das klassische Dreipersonenverhältnis des VSD. Für die Klausur ist entscheidend, dass die unterschiedlichen Vertragsverhältnisse klar differenziert und die jeweilige Schutzbedürftigkeit der Geschädigten herausgearbeitet werden. Der Zugriff auf § 278 BGB liegt nahe, das Argument der hypothetischen Substitution des Unternehmers durch seine Arbeitnehmer dürfte jedoch nicht von jedem Prüfling erkannt werden. Insgesamt handelt es sich um eine äußerst prüfungsrelevante Entscheidung des BGH, die den Anwendungsbereich des VSD erneut konkretisiert.
Wir freuen uns, einen weiteren Gastbeitrag von Patrick Otto [Studium in Hannover. Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht (Prof. Dr. Volker Epping) sowie am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft (Prof. Dr. Veith Mehde)] veröffentlichen zu können.
Der Beitrag behandelt das examensrelevante Thema des „Dritten im Schuldverhältnis“.
Der Dritte im Schuldverhältnis
Der Dritte im Schuldverhältnis begegnet einem im Studium immer wieder in den verschiedensten Konstellationen und ist stets beliebter Prüfungs- und Examensstoff. Die besondere Schwierigkeit liegt darin, dass wechselweise mit geschriebenen und ungeschriebenen Ansprüchen operiert werden muss, weshalb viele Studierende beim Anblick von Sachverhalten im Dreipersonenverhältnis wie beim Anblick der Medusa zu Stein erstarren. Dass eine solch panische Reaktion nicht sein muss, möchte der folgende Beitrag zeigen. Dieser verfolgt daher den Anspruch, die bestehenden Unsicherheiten zu beseitigen und einen systematischen Überblick zu den jeweiligen Ansprüchen und Fallgruppen zu geben.
A. Einleitung
Der BGH hat einen schuldrechtlichen Liebling: den Dritten. Da es der Gesetzgeber versäumt hat, alle Fallgestaltungen, in denen Dritte im Schuldverhältnis eine Rolle spielen, selbst positivgesetzlich zu regeln, hat die Rechtsprechung neue Institute entwickeln müssen. Dies hat zwar dazu geführt, dass alle denkbaren Fallkonstellationen rechtlich lösbar sind, jedoch existiert mittlerweile ein nicht ganz leicht durchschaubares Dickicht. Dies wird noch zusätzlich durch den Umstand erschwert, dass die einzelnen Institute relativ ähnlich klingen und daher eine begriffliche Abgrenzung auf den ersten Blick schwierig ist. So fallen unter den Begriff Dritte im Schuldverhältnis vor allem die Leistungserbringung durch Dritte, die Leistungsbestimmung durch Dritte, der Vertrag zugunsten Dritter, der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und die Drittschadensliquidation. Ergänzend dazu ist auch ein Austausch von Gläubiger und/oder Schuldner möglich, allerdings würde eine umfassende Darstellung hierzu den Umfang dieses Beitrags übersteigen.
Der Beitrag gibt zunächst einen kurzen Überblick zu den Grundlagen des Dritten im Schuldverhältnis (II.) und erläutert sodann die einzelnen Institute (III. – VI.) mit ihren individuellen Besonderheiten und grenzt diese voneinander ab. Damit der studentische Leser das erlernte Wissen auch in der Klausur anzuwenden weiß, werden kompliziertere Ausführungen anhand von Beispielsfällen verdeutlicht. Alle Arbeitsergebnisse werden schlussendlich in einem Resümee zusammengefasst (VII.).
B. Grundlagen zum Dritten im Schuldverhältnis
Bevor auf die einzelnen Institute des Dritten im Schuldverhältnis eingegangen wird, ist zunächst einmal ein Grundverständnis von dessen Konstruktion erforderlich. Die Tatsache, dass Dritte in einem an sich nur inter partes wirkenden Rechtsverhältnis einbezogen werden, ist eine besondere Ausprägung der Vertragsfreiheit und daher an sich unbedenklich. Die Vertragsfreiheit gebietet dabei, dass Dritte stets nur begünstigt, jedoch nie belastet werden dürfen (Stichwort: Verbot des Vertrags zulasten Dritter).
Beispiel: A und B vereinbaren, dass ihr gemeinsamer Strebergarten an C übergeben und übereignet wird. Die Parteivereinbarung zwischen den beiden erlegt ihm allerdings gleichwohl die Pflicht auferlegt, den Rasen des Gartens einmal im Monat zu mähen und zu bewässern.
Allgemein gilt bei vielen Rechtsinstituten zum Dritten im Schuldverhältnis, dass diese ihre Rechtfertigung und Erforderlichkeit in dem fragmentarischen Charakter des Deliktsrechts finden, der ein zu geringes Schutzniveau für Dritte gewährleistet, sodass es vertraglicher Ansprüche bedarf.
C. Die Leistungserbringung durch Dritte und die Leistungsbestimmung durch Dritte
Die Leistungserbringung zwischen zwei Vertragspartnern kann durch Dritte erfolgen (I.) oder die Leistung wird von diesen bestimmt (II.).
I. Leistungserbringung durch Dritte, § 267 I BGB
Eine Leistungserbringung durch Dritte ist von vornherein ausgeschlossen, wenn der Schuldner höchstpersönlich zur Leistung verpflichtet ist. Die persönliche Leistungspflicht lässt sich dabei auf dreierlei Weise konstruieren. Erstens können es die Vertragsparteien vereinbaren. Zweitens gibt es bestimmte gesetzliche Schuldverhältnisse, bei denen in der Regel in Person zu leisten ist (vgl. §§ 613, 664, 691, 713 BGB). Drittens kann sich die Höchstpersönlichkeit der Leistungspflicht auch aus der Natur des Schuldverhältnisses ergeben. Soweit die höchstpersönliche Leistungspflicht jedoch nicht gegeben ist, kann er sich gem. § 267 I BGB eines Dritten bedienen. Zu beachten ist dabei wiederum, dass bei einer Leistung durch Dritte stets der Schuldner gegenüber dem Gläubiger zur Leistung verpflichtet ist, sodass die Relativität des Schuldverhältnisses gewahrt bleibt. § 267 I BGB selbst ist nur unter engen Voraussetzungen einschlägig.
1. Eigenschaft des Dritten
Zunächst einmal muss es sich bei dem Leistungserbringer um einen Dritten handeln. Dies ist nur dann gegeben, wenn der Dritte eine eigene Leistung erbringt. Kein Erbringen einer eigenen Leistung liegt etwa beim Einsatz eines Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB vor.
2. Leistung auf eine fremde Schuld
Zudem ist erforderlich, dass auf eine fremde Schuld geleistet wird. Anhand dessen erfolgt die Abgrenzung zur Gesamtschuldnerschaft nach § 421 BGB sowie zur Bürgschaft nach § 765 BGB. Gesamtschuldner und Bürgen leisten nämlich auf eine eigene Schuld.
3. Fremdtilgungswille
Der Leistende muss auch einen Fremdtilgungswillen aufweisen, der sich nach außen manifestiert (vgl. BGH NJW 2012, 525). Am Fremdtilgungswillen fehlt es etwa bei gemischten Geschäften, bei denen der Dritte auch eine eigene Schuld tilgen möchte.
4. Rechtsfolgen
Hat der Dritte die fremde Schuld beglichen, so erlischt der Anspruch gegenüber dem Schuldner nach § 362 BGB durch Erfüllung (BGH, NJW-RR 2004, 983). Die durch den Dritten erfüllte Schuld geht allerdings nicht im Wege eines gesetzlichen Forderungsübergangs vom Gläubiger auf diesen über. Etwaige Rückgriffsansprüche müssen vielmehr entweder vertraglich zwischen Schuldner und Drittem vereinbart werden oder aus der Geschäftsordnung ohne Auftrag nach den §§ 677 ff. BGB herzuleiten sein.
II. Leistungsbestimmung durch Dritte, §§ 317 – 319 BGB
In besonderen Ausnahmefällen betrauen die Vertragsparteien eine besonders vertrauenswürdige und sachkundige Person damit, ihre Leistungspflichten festzulegen. Diese Rechtsfigur heißt Leistungsbestimmung durch Dritte und findet ihren gesetzlichen Niederschlag in den §§ 317 – 319 BGB. Zu nennen ist hier etwa, dass der Dritte seine Entscheidung gem. § 317 I BGB nach billigem Ermessen zu treffen hat, wenngleich es auch möglich ist, dass der gröbere Maßstab des freien Beliebens vereinbart wird (§ 319 II BGB). Der Dritte wird wiederum selbst zu keinem Zeitpunkt Vertragspartner, sondern bleibt stets außerhalb des Schuldverhältnisses. Praktisch wird jedoch meist ein eigenes Schuldverhältnis zwischen dem Dritten und den Vertragspartnern vorliegen, das den Dritten in die Haftung nimmt, wenn dieser der Verpflichtung zur Leistungsbestimmung nicht oder nicht rechtzeitig nachkommt. Praktisch relevant wird dies etwa bei Industrie- und Handelskammern (BGH, NJW 2001, 3775) oder bei paritätisch besetzten und unabhängigen Gremien im Arbeitsrecht (BAG, DB 1996, 2630).
D. Der Vertrag zugunsten Dritter, §§ 328 ff. BGB
Fall 1: Vater V legt für seinen Sohn S bei der Bank B ein Sparkonto auf dessen Namen an, auf das er monatlich 100, – € einzahlt und über das S an seinem 18. Geburtstag verfügen darf.
Der Vertrag zugunsten Dritter ist geregelt in den §§ 328 ff. BGB und hat aufgrund seiner zahlreichen Gestaltungsmöglichkeiten inzwischen Eingang in jeden Vertragstypus gefunden, sodass er in der Praxis sehr beliebt ist. So sind etwa die betriebliche Altersvorsorge eins Arbeitgebers für seine Arbeitnehmer oder die Lebensversicherung der Eltern zugunsten der Kinder auch Verträge zugunsten Dritter, um nur einige Beispiele zu nennen. Bei diesem ist wiederum nach dem echtem und dem unechtem Vertrag zugunsten Dritter zu differenzieren. Beim echten bzw. berechtigenden Vertrag zugunsten Dritter erhält der Dritte ein eigenes, vollumfängliches Forderungsrecht gegenüber dem Schuldner, dass er in eigenem Namen geltend machen kann. Beim unechten bzw. ermächtigenden Vertrag zugunsten Dritter ist dieses Forderungsrecht des Dritten gerade nicht vorhanden, sondern dieser ermächtigt einerseits den Schuldner, an den Dritten schuldbefreiend zu leisten und andererseits den Dritten, die Leistung entgegen zu nehmen. Welche der beiden Formen vorliegt, kann entweder durch Parteivereinbarung explizit geregelt sein oder muss andernfalls durch Auslegung anhand der §§ 329, 330 BGB ermittelt werden. Der Vertrag zugunsten Dritter ist allerdings keinesfalls ein eigener Vertragstypus, sondern die Drittbegünstigung folgt vielmehr aus der inhaltlichen Ausgestaltung des jeweiligen Vertrags.
I. Die Beteiligten beim Vertrag zugunsten Dritter
Die drei Beteiligten werden dabei als Versprechender, Versprechensempfänger sowie Dritter bezeichnet. Im eingangs beschriebenen Fall verspricht die Bank B (= Versprechende) dem Vater V (= Versprechensempfänger), dass diese an den Sohn S (= Dritter) an seinem 18. Geburtstag die Spareinlage auszahlt. Die entsprechenden Rechtsverhältnisse zwischen B, V und S heißen Deckungsverhältnis, Valutaverhältnis sowie Vollzugsverhältnis. Während sich die ersten beiden Begriffe bereits vollständig durchgesetzt haben, wird statt des Begriffs des Vollzugsverhältnisses auch häufiger von direktem Leistungsverhältnis, Leistungsverhältnis oder Zuwendungsverhältnis gesprochen.
Im Deckungsverhältnis stehen sich Versprechender und Versprechensempfänger gegenüber, die gemeinsam eine Drittbegünstigung vereinbaren. Diese Begünstigung kann auch später durch eine Änderung des betreffenden Schuldverhältnisses geschaffen werden. Im Valutaverhältnis sind der Versprechensempfänger und der Dritte die handelnden Akteure. Diese sind regelmäßig bereits im Vorfeld durch eine schuldrechtliche Beziehung verbunden oder wollen diese zumindest durch die Drittbegünstigung schaffen. Im Vollzugsverhältnis sind Versprechender und Dritter betroffen, die durch die Drittbegünstigungsabrede in einem echten Schuldverhältnis zueinander stehen.
II. Grafische Veranschaulichung
III. Rechtsfolge des Vertrags zugunsten Dritter
Durch den Vertrag zugunsten Dritter erwirbt der Dritte einen eigenen Anspruch (§ 328 I BGB). Dieser entsteht automatisch und sogar ohne dessen Kenntnisnahme. Der genaue Anspruchsinhalt wird durch die Vereinbarung im Deckungsverhältnis vorgegeben, sodass anhand dieser auch zu bestimmen ist, ob ein echter oder ein unechter Vertrag zugunsten Dritter vorliegt. Soweit dabei keine ausdrückliche Vereinbarung über die Rechte des Dritten getroffen wurde, sind die gesamten Umstände, insb. auch der Vertragszweck und der Parteiwille, in die Abwägung zwischen echtem und unechtem Vertrag mit einzubeziehen (vgl. § 328 II BGB). Als grobe Faustformel kann man sich hierbei merken, dass Verträge, welche die Versorgung eines Dritten bezwecken, i.d.R. als echte Verträge zugunsten Dritter zu werten sind, während Erfüllungsübernahmen zur Befriedigung anderer Gläubiger eher unechte Verträge zugunsten Dritter sind.
IV. Der Schutz des Dritten
Um den Dritten gegen unliebsame Begünstigungen zu schützten, räumt § 333 BGB diesem ein Zurückweisungsrecht durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem Versprechenden oder dem Versprechensempfänger ein. Dies hat etwa den Grund, dass der Dritte an der Leistung kein Interesse hat oder die Folgekosten scheut.
Beispiel: A und B vereinbaren, dem C einen Husky (US-Amerikanische Hunderasse) zu schenken. Dieser muss wiederum mindestens dreimal am Tag über 20 Kilometer Auslauf erhalten und kann zudem nur mit einem Spezialfutter ernährt werden.
V. Vertragsstörungen durch Pflichtverletzungen
1. Pflichtverletzungen des Versprechensempfänger
Bei einer Pflichtverletzung im Deckungsverhältnis seitens des Versprechungsempfängers kann der Versprechende Schadensersatzansprüche aus den §§ 280 ff. BGB oder auch nach den §§ 323 ff. BGB vom Vertrag zurücktreten, sodass sich keine spezifischen Besonderheiten ergeben.
2. Pflichtverletzungen des Versprechenden
Verletzt der Versprechende eine Pflicht aus dem Deckungs- oder Vollzugsverhältnis, können sowohl Versprechensempfänger als auch Dritter einen Schadensersatzanspruch aus den §§ 280 ff. BGB geltend machen (vgl. § 335 BGB). Der Dritte ist jedoch privilegiert, da ihm ein Leistungsanspruch an sich selbst zusteht, während der Versprechensempfänger nur Leistung an den Dritten verlangen kann. Zurücktreten kann demgegenüber nur der Versprechensempfänger, da der Dritte nicht selbst Vertragspartner ist. Soweit der Dritte allerdings selbst eine nicht mehr entziehbare Forderung gegen den Versprechenden hat, ist nach h.M. seine Zustimmung zur Rücktrittserklärung des Versprechensempfängers erforderlich.
3. Pflichtverletzungen des Dritten
Verletzt der Dritte im Valutaverhältnis eine Pflicht gegenüber dem Versprechensempfänger, so wirkt sich dies indes nicht auf das Deckungsverhältnis aus. Verletzt er wiederum eine Pflicht gegenüber dem Versprechenden aus dem Vollzugsverhältnis (etwa Verletzung der Abnahmepflicht aus § 433 II BGB), muss sich der Versprechensempfänger das Verhalten des Dritten zurechnen lassen.
4. Der Vertrag zugunsten Dritter in der Fallbearbeitung
In der Fallbearbeitung ist zunächst die Wirksamkeit des Vertrags zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger zu prüfen. Ergibt sich in dieser Prüfung eine Einwendung des Versprechenden (etwa Gesetzes- und Sittenwidrigkeit oder die Möglichkeit der Anfechtung) gegenüber dem Versprechensempfänger, so greift diese auch auf den Dritten durch, sodass die Frage obsolet ist, ob der Dritte nun Teil eines echten oder unechten Vertrags ist. Wenn der Vertrag hingegen wirksam ist, so ist im Anschluss zu thematisieren, ob der Vertrag dem Dritten auch ein eigenes Forderungsrecht einräumt (Abgrenzung echter/unechter Vertrag zugunsten Dritter), was zumeist den Schwerpunkt einer Klausur darstellt. Wird dann das Bestehen eines echten Vertrags zugunsten Dritter bejaht, geht der Anspruch zumeist auch durch, da eine Aufrechnung (vgl. §§ 387 ff. BGB) des Versprechenden gegenüber dem Drittem mit einer bestehenden Forderung gegen den Versprechensempfänger nicht möglich ist, da es insoweit am Merkmal der Gegenseitigkeit fehlt.
Lösung zu Fall 1: Die Vereinbarung zwischen dem Vater V und der Bank B ist wohl so auszulegen, dass dem Sohn S bei Erreichen des 18. Lebensjahrs ein eigenes Forderungsrecht gegenüber der Bank zustehen soll, da davon auszugehen ist, dass er eine möglichst starke Rechtsposition seines Sohnes begehrt.
E. Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter
Fall 2: Familie F bewohnt eine renovierungsbedürftige Dachgeschosswohnung, in der u.a. zahlreiche Malerarbeiten durchzuführen sind. Daher beauftragt Vater V den stets sorgfältig arbeitenden Malerbetrieb des M. Dieser schickt seinen sorgfältig ausgesuchten und regelmäßig nachgeschulten Gehilfen G zur Ausführung der Arbeiten. Aus Unachtsamkeit fällt während der Malerarbeiten die Leiter des G auf den 8-Jährigen Sohn S. Dieser erleidet starke Prellungen und Schürfwunden und muss daher medizinisch behandelt werden. V verlangt von M Ersatz der Behandlungskosten i.H.v. 200, – € sowie Schmerzensgeld i.H.v. 300, – €.
Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter verschafft Dritten, die selbst nicht Vertragspartner sind, neben den deliktischen Ansprüchen eigene vertragliche Ansprüche. Leider gehörte er, anders als der Vertrag zugunsten Dritter, lange Zeit nicht zu den vom Gesetzgeber geregelten Typen, wenngleich seine Existenz und Erforderlichkeit seit vielen Jahrzehnten durch Rechtsprechung und Literatur anerkannt ist. Daher war man sich über die dogmatische Herleitung im Unklaren. Ursprünglich versuchte bereits das Reichsgericht den Rechtsgedanken des § 328 BGB in Analogie auch auf den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritte anzuwenden. Dem wurde jedoch berechtigterweise entgegengehalten, dass § 328 BGB eben gerade nur den Vertrag zugunsten Dritter regelt und sich dieser vom Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte erheblich unterscheidet. Andere Lösungsoptionen waren die ergänzende Vertragsauslegung nach den §§ 133, 157 BGB sowie die Herleitung aus Treu und Glauben gem. § 242 BGB. Um diesen Konflikt zu entschärfen, herrschte zumindest Einigkeit darüber, dass das Rechtsinstitut gewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Inzwischen hat der Gesetzgeber diese Lücke erkannt und mit der Schuldrechtsreform zum 1.1.2002 in § 311 III 1 BGB eine gesetzliche Grundlage geschaffen, die jedoch nicht unisono anerkannt ist, sondern vielmehr von vielen Vertretern im Schrifttum abgelehnt wird.
I. Abgrenzung zum Vertrag zugunsten Dritter
Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter erscheint auf den ersten Blick allein schon begrifflich dem Vertrag zugunsten Dritter sehr ähnlich. Hier ist allerdings eine Abgrenzung angezeigt. Während beim Vertrag zugunsten Dritter der Dritte einen eigenen Erfüllungsanspruch auf die vertragsgemäße Primärleistung des Schuldners hat, stehen diesem beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte nur Sekundäransprüche in Form von Schadensersatz zu.
II. Grafische Veranschaulichung
III. Sinn und Zweck des Rechtsinstituts
Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wurde, wie bereits unter II. erwähnt, vor dem Hintergrund des fragilen deliktischen Schutzes geschaffen. Seine Notwendigkeit lässt sich plastisch gut mit dem eingangs beschriebenen Fall 2 erklären. Ohne ein zusätzliches Rechtsinstitut hätte der Sohn S nur einen deliktischen Anspruch gegen M aus § 831 BGB. Würde der M wiederum geltend machen, den G sorgfältig ausgesucht und stets geschult zu haben, könnte er sich gem. § 831 I 2 BGB exkulpieren und S ginge sprichwörtlich leer aus. Dieses Ergebnis wird allgemein als unbillig empfunden, da die vertragliche Leistung (= Malerarbeiten) für die ganze Familie gedacht ist und damit auch dem S zugutekommen soll. Somit ist man darum bemüht, auch einen eigenen vertraglichen Schadensersatzanspruch des S zu konstruieren. In genau diese Kerbe schlägt das Rechtsinstitut des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Er dient dabei traditionell dem Ersatz von Körperschäden, jedoch werden auch Vermögensschaden vermehrt über dieses Rechtsinstitut geltend gemacht.
IV. Tatbestandsmerkmale
Auch wenn der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter inzwischen nach jedenfalls zum Teil vertretender Auffassung in § 311 III 1 BGB geregelt ist, gehen aus diesem nicht die Tatbestandsmerkmale hervor. Daher war es Aufgabe der Rechtsprechung, die rechtlichen Grenzen des Anspruchs zu entwickeln (vgl. insbesondere BGH, NJW 1970, 40; NJW 1975, 868; NJW 1976, 1844; NJW 2008, 2245, 2247). Dies war auch insbesondere vor dem Hintergrund erforderlich, dass die Haftung keinesfalls uferlos erfolgen darf, sondern stets die Grenze zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung beachtet werden muss (BGH, NJW 1969, 269).
1. Leistungsnähe des Dritten
Zunächst muss der Dritte mit der Leistung des Schuldners in Kontakt kommen und den damit verbundenen Risiken damit gleich dem Gläubiger ausgesetzt sein. In vorvertraglichen Schuldverhältnissen ist der Kontakt zwischen Schuldner und Drittem hingegen irrelevant, sondern dort kommt es ausschließlich darauf an, dass der Dritte mit dem Gefahrenbereich des Schuldverhältnisses in Kontakt kommt, sodass auch von einer Einwirkungsnähe gesprochen werden kann.
2. Gläubigernähe
Hinzu tritt, dass der Gläubiger ein berechtigtes Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Schuldverhältnisses haben muss. Zu unterscheiden ist hierbei zwischen den einzelnen Schadenstypen. Bei Körper- und Sachschäden bedient sich die Rechtsprechung der sog. „Wohl- und Wehe-Formel“, nach der der Dritte dann einzubeziehen ist, wenn der Schuldner selbst für dessen Schutz und Fürsorge einzustehen hat. Hierunter fällt etwa das Vater-Sohn-Verhältnis oder auch das Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis. Im Bereich der wie anfangs erwähnt immer beliebter werdenden Vermögensschäden gilt diese Formel wiederum nicht, sodass teilweise sogar auf den generellen Verzicht des Tatbestandsmerkmals der Gläubigernähe plädiert wird.
3. Erkennbarkeit von Leistungsnähe des Dritten und Gläubigernähe für den Schuldner
Verbindendes Element zwischen der Leistungsnähe des Dritten und der Gläubigernähe ist die Erkennbarkeit für den Schuldner. Diese erfordert indes nicht, dass der Schuldner die Namen oder die Zahl der betreffenden Dritten kennt, jedoch, dass er weiß, dass seine Handlung für einen potenziell überschaubaren und abgrenzbaren Kreis von Personen relevant sein kann. So bejahte der BGH etwa im Bausachverständigen-Fall die Erkennbarkeit schon dadurch, dass der Ersteller eines Baugutachtens wusste, dass dieses für (potenzielle) Käufer relevant werden könnte (vgl. BGH, NJW 1995, 392). Letztlich stellt die Erkennbarkeit der Leistungsnähe des Dritten und der Gläubigernähe für den Schuldner daher keine unüberwindbare Hürde dar, schützt aber gleichsam den Schuldner vor willkürlicher Haftung.
4. Schutzbedürftigkeit des Dritten
Zuletzt kann die Geltendmachung von Schäden von an der fehlenden Schutzbedürftigkeit des Dritten scheitern. Dies ist etwa dann der Fall, wenn dem Geschädigten Dritten ein eigener gleichwertiger vertraglicher Anspruch zusteht. Virulent wird dies etwa im Bereich der Untermietverhältnisse, bei denen der Untervermieter von der Rechtsprechung nicht in den Schutzbereich zwischen Hauptmieter und Vermieter einbezogen wird, da der Untermieter einen eigenen Anspruch aus § 536 a I BGB gegen den Hauptmieter hat (BGH, NJW 1978, 883).
V. Rechtsfolge
Liegen alle tatbestandlichen Voraussetzungen vor, erhält der Dritte einen Anspruch auf Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld, den er in eigenem Namen geltend machen kann. Einziger Wehrmutstropfen aus Sicht des Dritten ist allerdings, dass er sich ein etwaiges Mitverschulden des Gläubigers jedenfalls nach h.M. anrechnen lassen muss, die dies über eine Analogie des § 334 BGB konstruiert. Dem hält jedoch die Gegenansicht m.E. zurecht entgegen, dass der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ein eigenes Rechtsverhältnis schafft, auf dass das Verschulden des Gläubigers nur dann Einfluss haben kann, wenn dieser Erfüllungsgehilfe oder gesetzlicher Vertreter ist (vgl. §§ 254 II, 278 BGB).
VI. Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in der Fallbearbeitung
In Klausuren ist der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter stets unter dem Prüfungspunkt „Schuldverhältnis“ im Rahmen des § 280 I BGB zu thematisieren. Gleichwohl hat der BGH im sog. „Gemüseblattfall“ auch die Existenz eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses zugunsten Dritter anerkannt, sodass die Prüfung dann im Rahmen der §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB unter dem Prüfungspunkt „Schuldverhältnis kraft vorvertraglichen Vertrauens“ zu erfolgen hat. Bevor mit der Prüfung der Tatbestandsmerkmale des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter begonnen wird, sollten jedoch Ausführungen zur dogmatischen Herleitung angestellt werden, da der § 311 III 1 BGB als Anspruchsgrundlage teilweise nicht anerkannt wird und deshalb nicht per se verwendet werden darf.
Lösung zu Fall 2: Wie bereits oberhalb angesprochen scheidet ein deliktischer Anspruch aus § 831 BGB wegen der Möglichkeit der Exkulpation des M nach § 831 I 2 BGB aus. S ist als Sohn des V wiederum in einer unmittelbaren Leistungsnähe und ist als 8-Jähriger auch schutzwürdig. Damit steht ihm ein Anspruch aus dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zu.
F. Die Drittschadensliquidation
Fall 3: Der Harley-Davidson-Liebhaber E lässt sein Motorrad im Winter stets in der Garage seines Nachbarn N stehen. Da N gerne zum Sommer eine schicke und frisch gestrichene Garage haben möchte, beauftragt er den Malermeister M, die Innenwände neu zu streichen. Dieser schickt den stets zuverlässigen und seit 10 Jahren im Betrieb des M stehenden Gesellen G. Diesem fällt aus Unachtsamkeit ein Farbeimer aus der Hand, der sich über das Motorrad des E ergießt und beträchtliche Schäden anrichtet. E verlangt Schadensersatz von M. Zu Recht?
Die Drittschadensliquidation ist im Kanon der Ansprüche Dritter das wohl dem ersten Anschein nach schwierigste Rechtsinstitut und betrifft den Fall, dass ein Schaden, der an sich den Vertragspartner getroffen hätte, aufgrund unvorhersehbarer Umstände auf einen anderen verlagert wird. Seine Besonderheit liegt darin, dass er sich nicht an konkreten Tatbestandsmerkmalen begründen lässt, sondern vielmehr feste Fallgruppen entwickelt wurden, die in gewisser Weise checklistenartig durchgegangen werden müssen. Es ist grundsätzlich zwar auch möglich, eigene Fallgruppen zu bilden, jedoch ist dies äußerst kompliziert und sollte daher vermieden werden, zumal dann häufig auch andere Institute greifen. Liegen die Voraussetzungen vor, ist allerdings nicht der geschädigte Dritte Anspruchsinhaber, sondern stets nur derjenige, in dessen Rechtsposition eingriffen wurde, also der Gläubiger.
I. Abgrenzung zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter
Die Drittschadensliquidation unterscheidet sich dadurch vom Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, dass der Dritte bei der Drittschadensliquidation keinen eigenen Ersatzanspruch gegen den Schuldner erhält, sondern der Gläubiger den Anspruch des Dritten geltend machen muss. Damit wird der Schaden zur Anspruchsgrundlage gezogen, während dies beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter von der Anspruchsgrundlage zum Schaden erfolgt.
II. Grafische Veranschaulichung
III. Die anerkannten Fallgruppen
1. Fallgruppe 1: Obligatorische Gefahrentlastung
Die lange Zeit prominenteste Fallgruppe der obligatorischen Gefahrentlastung war dann gegeben, wenn der Schaden auf Grundlage einer speziellen Bestimmung über die vertragliche Gefahrtragung auf einen Dritten verlagert wird, was vor allem beim Versendungskauf nach § 447 BGB der Fall ist. In der Praxis konnten dadurch vor allem Rechtsprobleme bei der Versendung durch einen gewerbsmäßigen Frachtführer gelöst werden. Der Gesetzgeber hat dies allerdings auch selbst erkannt und schuf daher im Rahmen der Transportrechtsreform 1998 die §§ 421 I 2, 425 I HGB, die vorsehen, dass der Empfänger der Fracht seine Ansprüche direkt gegenüber dem Frachtführer geltend machen kann. Damit fristet die obligatorische Gefahrentlastung heutzutage eher ein Schattendasein.
2. Fallgruppe 2: Mittelbare Stellvertretung
Bis heute nicht an Bedeutung verloren hat wiederum die Fallgruppe der mittelbaren Stellvertretung, bei der jemand im eigenen Namen aber für fremde Rechnung auftritt und Verträge abschließt (sog. Kommissionsverträge). Schäden treten dann häufig beim Geschäftsherrn ein, sodass der mittelbare Stellvertreter an sich keine Möglichkeit hat, die Schäden direkt beim Vertragspartner geltend zu machen. Um diesen misslichen Umstand zu beseitigen, ist gewohnheitsrechtlich anerkannt, dass die Inanspruchnahme des Vertragspartners durch den Stellvertreter über die Drittschadensliquidation möglich ist (BGH, NJW 1996, 2734).
3. Fallgruppe 3: Obhut für Fremde Sachen
Die dritte und letzte Fallgruppe betrifft die Konstellation, dass der ersatzberechtigte Vertragspartner die Obhut über fremde Sachen ausübt. Werden diese Sachen vom Vertragspartner der zur Obhut verpflichteten Person beschädigt oder sogar gänzlich zerstört, so kann der Ersatzberechtigte den Schaden des Eigentümers geltend machen. Teilweise stößt allerdings auch diese Figur auf Kritik, da in solchen Fällen auch ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter konstruierbar sei, der den Eigentümer mit einbezieht.
IV. Die Drittschadensliquidation in der Fallbearbeitung
Dadurch, dass Grundvoraussetzung der Drittschadensliquidation ist, dass dem Geschädigten kein eigener Schadensersatzanspruch zusteht, ist der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter vorrangig zu prüfen. Wird dieser verneint, so ist die Drittschadensliquidation nach dem folgenden Schema zu prüfen:
– Der Anspruchsinhaber hat einen Anspruch, aber keinen Schaden
– Der Geschädigte hat einen Anspruch, aber keinen Schaden
– Zufällige Schadensverlagerung (Prüfung der drei Fallgruppen)
Liegen die drei Voraussetzungen kumulativ vor, kann der Gläubiger den Anspruch für den Geschädigten gegenüber dem Schuldner geltend machen.
Lösung zu Fall 3: Dieser Fall ist ein Beispiel für die Übernahme der Obhut für fremde Sachen. N hat freundlicherweise für den E die Obhut über sein Motorrad übernommen. Wird dieses beschädigt, hätte zwar N einen Anspruch gegen M, jedoch hat dieser nicht den Schaden, sondern E. Damit E in einer solchen Situation selbst geschützt wird, kann der N für ihn im Wege der Drittschadensliquidation Ersatz für die Beschädigung der Harley-Davidson verlangen.
G. Resümee
Dritte im Schuldverhältnis hebeln die Systematik des BGB nicht aus, sondern der Grundsatz der Relativität des Schuldrechts (Geltung inter partes, vgl. § 241 BGB) zwischen Gläubiger und Schuldner wird beibehalten. Nur ausnahmsweise begründet ein Schuldverhältnis auch originäre Rechte und Pflichten Dritter. Die Leistungserbringung an Dritte sowie die Leistungsbestimmung durch Dritte ist Ausfluss des modernen Geschäftsverkehrs, in dem eben nicht mehr nur Zweipersonenverhältnisse existieren, sondern das Funktionieren des Wirtschaftslebens gerade vom Dritten abhängt. Ebenfalls geringe Besonderheiten weist der Vertrag zugunsten Dritter auf, bei dem die Begünstigung des Dritten auf expliziter Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger beruht. Auch der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter trägt zumindest dem Willen des Vertragspartners adäquat Rechnung, der in einem besonderen Näheverhältnis zum Dritten steht. Einzig die Drittschadensliquidation ist bisweilen systemfremd und bedarf daher einer restriktiven und an ausgewählten Fallgruppen orientierten Handhabung, wenngleich sie an sich aus Billigkeits- und Gerechtigkeitsgesichtspunkten geboten ist. Zusammenfassend zeigt der Beitrag, dass die Beteiligung von Dritten im Schuldverhältnis mit soliden Grundkenntnissen gut zu beherrschen ist und den Prüfling nicht vor unüberwindbare Hürden stellt. Es empfiehlt sich jedoch aufgrund der starken richterrechtlichen Implikationen die Judikatur des BGH im Blick zu behalten, um auch auf neuartige Fallgestaltungen vorbereitet zu sein.
Es geht weiter in unserer Serie „Mündliche Prüfung“ mit einem aktuellen Fall aus dem Zivilrecht. Die besonderen Vorschriften der § 6 MPG sowie die Richtlinie 93/42/EW sind ausdrückclich nicht Grundlage dieses Gespräches. Es werden allein allgemeine zivilrechtliche Wertungen abgefragt.
Sehr geehrte Damen und Herren,
willkommen zur Prüfung im Zivilrecht, der ich folgenden Sachverhalt zugrunde legen möchte:
Die Klägerin Karolina Klein begab sich auf Grund eines akuten Schönheitsproblems am 1.1.2007 in Behandlung bei dem international bekannten und renommierten Operateur Dr. Tiberius Großmann. Sie äußerte den Wunsch eine Brustvergrößerung vornehmen zu lassen. Dr. Großmann empfahl ihr daraufhin ein Silikonimplantat. Bedenken der K, ob diese denn auch „besonderen physikalischen (Druck-)Kräften“ standhielten, begegnete Dr. Großmann mit dem Hinweis, dass Sie „die Dinger mit ins Grab nehme“ und „sogar ein vollbesetzter PKW drüberfahren könne“. Gemeint waren Implantate des französischen Hersteller Poly Implant Prothése (PIP). K wollte aber ohnehin auf jeden Fall eine Brustvergrößerung vornehmen lassen.
Kurze Zeit nach der Einpflanzung kam es jedoch zu Komplikationen, obwohl K nach eigener Aussage „noch keinen (PKW) hatte drüber fahren lassen“. Das Problem waren die Implantate selbst, da sie mit billigem Industriesilikon gefüllt waren, womit üblicherweise nur auf Baustellen gearbeitet wird. Der TÜV Rheinland hatte die von PIP hergestellten Implantate als Medizinprodukt zertifiziert, nachdem sie eine Grundsatzprüfung durchgeführt hatten, die zu keinerlei Mängelrügen führte. Erst später hatte PIP offenbar den Inhalt der Silikonkissen mit dem billigen Industriematerial ausgetauscht. K meint, dass sie einem „Pfuscher“ aufgesessen sei und fordert von Dr. Großmann Schadensersatz. Genauso möchte sie gegen den TÜV Rheinland vorgehen. Der französische Hersteller ist mittlerweile insolvent, weswegen K kein Interesse an einer Rechtsverfolgung diesem gegenüber hat.
Herr A, ein Fall der für viel Aufsehen gesorgt hat. Versuchen wir uns ihm juristisch zu nähern. Welche Anspruchsgrundlage kommt gegenüber dem behandelnden Arzt in Betracht?
Zunächst ist an einen vertraglichen Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 i.V.m. § 611 BGB zu denken. Mittlerweise finden sich seit 2013 Sonderregelungen für den Behandlungsvertrag in den §§ 630a ff. BGB. Da der Vertragsschluss hier aber im Jahr 2007 stattgefunden hat, finden diese noch keine Anwendung. Daher liegt ein Dienstvertrag in Form des Behandlungsvertrages nach § 611 BGB vor, so dass die Anspruchsgrundlage für den Schadensersatzanspruch § 280 Abs. 1 BGB ist.
Ja, Sie springen direkt auf den Dienstvertrag, was gut vertretbar ist. Frau B, um welchen Vertragstyp könnte es ich denn noch handeln?
Es könnte sich auch um einen Werkvertrag handeln. Man grenzt beide Vertragsformen danach ab, ob bloß die Vornahme einer Handlung geschuldet ist (Dienstvertrag) oder das Herstellen eines bestimmten Erfolges (Werkvertrag). Insoweit ist aber zu berücksichtigen, dass auch zum Herstellen eines Erfolges eine bestimmte Handlung geschuldet sein kann, § 631 Abs. 2 BGB. In diesem Fall könnte Inhalt des Vertragsschlusses, §§ 145, 147 BGB, sein, dass der Arzt unmittelbar das Einsetzen des Implantats und somit einer Brustvergrößerung schuldet, womit ein Werkvertrag nach § 631 BGB vorläge. Typischerweise ist der Behandlungsvertrag aber ein Dienstvertrag, da beide Parteien nicht davon ausgehen, dass der therapeutische Erfolg tatsächlich erreicht wird, man denke an eine Krebsbehandlung. Im Falle einer Schönheitsoperation kann das aber schon anders aussehen (optisch soll es das ja später auch). Dennoch würde ich auch bei Schönheitsoperationen einen Dienstvertrag annehmen, da auch hier nicht für den Erfolg der „Behandlung“ eingetreten werden soll.
In Ordnung, also bleiben wir bei einem Dienstvertrag. Worin könnte nun die Pflichtverletzung liegen?
Diese könnte in einer fehlerhaften Belehrung liegen, schließlich hat der Arzt hier vollmundig versprochen, dass die Implantate besonders haltbar sind. Eine Aufklärungspflicht über Risiken kann aber nur so weit bestehen, wie diese Risiken typischerweise auftreten. Werden nun Implantate völlig entgegen jeder Vorschriften mit Baumaterial gefüllt, ist dies nicht ein Risiko einer Einpflanzung. Die erhöhte Ruptur-Rate war ja noch nicht bekannt.
Also hat die K letztlich keinen vertraglichen Anspruch gegen Dr. Großmann. Wie siehts es mit deliktischen Ansprüchen aus?
In Betracht kommt ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB. Hierzu müsste aber überhaupt eine Rechtsgutsverletzung vorliegen. Hinsichtlich der Operation, die nach h.M. auch lege artis ausgeführt tatbestandlich eine Körperverletzung darstellt, liegt eine wirksame Einwilligung der K vor, so dass ein Anspruch mangels Rechtswidrigkeit ausscheidet. Die Brustimplantate selbst hat die K schon mangelhaft erworben, so dass hinsichtlich dieser keine Eigentumsverletzung vorliegt. Der bloße Vermögensschaden ist nicht deliktisch geschützt.
Schön! Nun, Frau B, wie sieht es mit Ansprüchen gegen den TÜV Rheinland aus?
Unmittelbare vertragliche Ansprüche zwischen K und dem TÜV Rheinland scheiden von vornherein aus. Hier kommt jedoch ein Anspruch aus § 280 BGB i.V.m. den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSD) in Betracht. Der TÜV schließt mit Herstellern von Medizinprodukten einen Zertifizierungsvertrag ab, vergleichbar der PKW-Prüfung. Wenn der TÜV nun aus diesem Vertragsverhältnis eine Pflicht verletzt hätte, könnte K über den VSD einen Schadensersatzanspruch gegen den TÜV haben.
Gute Idee. Was sind noch einmal die Voraussetzungen eines VSD, Herr A?
Leistungsnähe des Dritten, Einbeziehungsinteresse des Gläubigers, Erkennbarkeit für den Schuldner sowie Subsidiarität.
Leistungsnähe wird man wohl annehmen müssen, da die K von der Schlechtleistung des TÜV genauso betroffen ist wie der Gläubiger PIP.
Voraussetzung ist allerdings des Weiteren, dass hinsichtlich der Zertifizierung auch ein erkennbares Einbeziehungsinteresse (Gläubigernähe) vorliegt. Ursprünglich diente zur Abgrenzung die Wohl und Wehe-Formel, teilweise wurde die Gläubigernähe aber sogar bei diametral entgegengesetzten Interessen angenommen. Ohne die besonderen Wertungen der öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu kennen, muss man ein Einbeziehungsinteresse wohl verneinen. Es wäre eine Fiktion anzunehmen, dass dieser ein Interesse daran hat, alle potentiellen Käufer der Ware in den Begutachtungsvertrag mit dem TÜV einzubeziehen.
Das kann man so – oder auch anders – sehen. Haben Sie denn noch weitere Ansätze?
Einen Anspruch gegen den TÜV Rheinland könnte sich als Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ergeben.
Ja, gute Idee! Wie kommen Sie darauf?
Grundsätzlich tritt der TÜV als Beliehener auf, d.h. wird als eigene Behörde öffentlich-rechtlich Tätigkeit. Daher könnte man an einen Anspruch aus Amtshaftung denken. Voraussetzung hierfür wäre aber, dass der TÜV Rheinland hoheitlich gehandelt hat. Bei der Erteilung der Betriebserlaubnis nach § 21 StVZO tritt der TÜV bspw. hoheitlich auf (s. hierzu BGH, Urteil vom 10. 4. 2003 – III ZR 266/02 (Celle)). Ob das hier der Fall ist kann aber jedenfalls dahinstehen, wenn die weiteren Voraussetzungen eines Anspruches nicht vorliegen.
Inwiefern hegen Sie da Zweifel?
Wenn man eine aufgrund hoheitlichen Handelns entstehende Amtspflicht zur ordnungsgemäßen Prüfung annimmt, müsste diese auch drittgerichtet gegenüber der K sein. Ziel der CE-Zertifizierung von Medizinprodukten ist aber in erster Linie das Inverkehr-bringen des Produktes, weniger der Schutz der später behandelten Patienten.
Hier kann man sicher auch anderer Meinung sein. Warum scheidet ein Anspruch denn auf jeden Fall aus?
Es liegt schon keine Amtspflichtverletzung vor: Dem TÜV wird man nicht die Amtspflicht zur Prüfung eines jeden Silkonimplantats aufbürden können, vielmehr muss er eine grundsätzliche Tauglichkeitsprüfung vornehmen. Dies hat er aber getan, der Hersteller hat in der Folge einfach vorsätzlich den Inhalt ausgetauscht. Mehr als eine Stichprobenprüfung kann vom TÜV nicht verlangt werden. Daher scheidet ein Anspruch jedenfalls mangels Verschulden aus.
So hat es auch das LG Karlsruhe vor kurzem entschieden. Die Prüfung ist hiermit beendet, ich bedanke mich bei Ihnen.
In einem aktuellen Urteil beschäftigt sich das OLG Oldenburg mit der examensrelevanten Materie der Sachverständigenhaftung gegenüber Dritten. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
„Die Kläger erwarben im Jahr 2010 eine Immobilie in der Samtgemeinde Artland, Landkreis Osnabrück zum Kaufpreis von 138.000 Euro, die sie zuvor bereits als Mieter bewohnt hatten. Der Beklagte erstellte vor dem Verkauf auf Bitten des Verkäufers ein „Gutachten zur Ermittlung eines Verkehrswertes“. Der Verkehrswert belief sich danach auf 142.000 Euro. In dem Gutachten war u.a. ausgeführt, dass der Dachstuhl einen leichten Schädlingsbefall aufweise.“
Später stellte sich heraus, dass es sich um einen schwerwiegenden Schädlingsbefall handelt, weswegen die Kläger einen Abriss und Neubau des Dachstuhls vornahmen. Die hierdurch entstandenen Kosten wollten sie zumindest teilweise vom Sachverständigen ersetzt bekommen.
1. Verhältnis Sachverständiger zu Käufer
Zunächst müsste in einer Klausur das Rechtsverhältnis zwischen Sachverständigem und Käufer problematisiert werden. Wie in der Praxis üblich wurde der Sachverständige nur vom Verkäufer beauftragt, so dass zunächst nur mit diesem eine vertragliche Beziehung entsteht. Allein durch ein gesteigertes Eigeninteresse des Käufers an Erstellung des Gutachtens (z.B. zur Abschätzung eines marktüblichen Kaufpreises) wird dieser nicht Vertragspartei (s. hierzu OLG Hamm v. 29.05.2013 – 12 U 178/12, hier besprochen).
Eine Einbeziehung könnte aber entweder direkt über § 311 Abs. 3 BGB oder die Grundsätze über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSD) in Betracht kommen. § 311 Abs. 3 BGB setzte neben der in der Regel vorliegenden maßgeblichen Beeinflussung des Vertragsschlusses ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Abschluss des Vertrages. Mit der wohl h.M. sollte man auf das „Interesse am Abschluss des Vertrages“ Wert legen, da hierfür die Entlohnung für die Erstellung des Gutachtens gerade nicht ausreicht. Typischer Fall ist vielmehr der Makler, der durch die bei Vertragsschluss fällige Provision tatsächlich ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Abschluss des Vertrages hat. Daher scheidet § 311 Abs. 3 BGB als Grundlage der Einbeziehung.
Vielmehr ist auf die Grundsätze des VSD zurückzugreifen, der voraussetzt, dass
– der Dritte bestimmungsgemäß mit der geschuldeten Leistung in Berührung kommt und den Gefahren einer Pflichtverletzung ebenso ausgesetzt ist wie der Gläubiger selbst,
– die Drittbezogenheit seiner Leistung für den Schuldner erkennbar ist,
– der Vertragspartner ein eigenes schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrages hat und
– der Dritte schutzbedürftig ist.
Ob dessen Voraussetzungen bei Gutachterfällen vorliegen, ist im Einzelfall zu bestimmen und darf nicht vorschnell bejaht oder abgelehnt werden. Teils divergieren die Ansichten sogar innerhalb desselben Gerichtes (s. https://www.juraexamen.info/olg-hamm-haftungsbeschrankung-im-vertrag-mit-schutzwirkung-zugunsten-dritter/). Im vorliegenden Fall nahm das OLG an,
„dass der Sachverständige auch der Klägerin gegenüber für begangene Pflichtverstöße haftet und der Schädlingsbefall tatsächlich so schwer war, dass ein Abriss und Neuaufbau des Dachstuhls notwendig wurde.“
2. Umfang der drittbezogenen Pflichten – Pflichtverletzung
Der Sachverständige müsste seine Pflichten nun auch verletzt haben. Insoweit nimmt das OLG Oldenburg an, dass
„bereits aufgrund des erteilten Auftrages zur Erstellung eines Verkehrswertgutachtens und nicht eines Schadensgutachtens keine Pflicht für den Beklagten zur Feststellung etwaiger Baumängel, insbesondere versteckter, nicht sichtbare Baumängel, bestanden“ hat.
An dieser Stelle wird man dem OLG mit guten Gründen widersprechen können: Der Verkehrswert einer Immobilie bestimmt sich maßgeblich durch den Zustand der baulichen Substanz. Ist diese teilweise mangelhaft, sinkt auch zwangsläufig aufgrund der aufzuwendenden Reparaturkosten der Verkehrswert. Eine strikte Trennung zwischen Verkehrswertgutachten einerseits und Schadensgutachten andererseits erscheint insoweit gekünstelt. Eine Pflichtverletzung sollte m.E. daher zunächst angenommen werden (s. aber 3.)
3. Haftungsausschluss
Der Sachverständige hatte laut Pressemitteilung aber seine Haftung beschränkt:
„Darüber hinaus habe der Beklagte seine Haftung gegenüber den Klägern aufgrund des von ihm erteilten Hinweises im schriftlichen Gutachten, dass er das Objekt nicht auf versteckte Mängel untersucht habe und ggf. diesbezüglich ein Schadensgutachter hinzugezogen werden müsse, wirksam beschränkt.“
Eine solche Haftungsbeschränkung wird zunächst mit dem Vertragspartner vereinbart, gilt aber dem Rechtsgedanken des § 334 BGB folgend auch gegenüber dem über den VSD einbezogenen Dritten. Die Haftung des Beklagten kann nicht gegenüber in den Vertrag einbezogenen Dritten weiter sein als gegenüber seinem eigenen Vertragspartner.
Da der Gutachter hier gerade darauf hinweist, das Objekt nicht auf versteckte Mängel untersucht zu haben, besteht insoweit schon keine Pflicht, die verletzt werden könnte. Wahrscheinlich ist dies auch in der Pressemitteilung des OLG gemeint – sollte aber in der Klausur sauber auseinander gehalten werden.
Ob die Annahme des OLG indes richtig ist, kann angezweifelt werden. Der Haftungsausschluss bezieht sich auf versteckte Mängel – doch ist ein entdeckter leichter Mangel, der sich später als schwerer herausstellt, tatsächlich ein versteckter Mangel? An dieser Stelle wird man in einer Examensklausur mit einer guten Argumentation sicherlich Punkte sammeln können.
Nimmt man nun entweder mangels dahingehender Pflicht keine Pflichtverletzung an oder folgt dem OLG in der Annahme eines Haftungsausschlusses, kann nun noch über eine andere Pflichtverletzung nachgedacht werden. Der Gutachter könnte die Pflicht gehabt haben, darauf hinzuweisen, dass der erkannte leichte Mangel u.U. ein größerer sei und daher ein weiteres (Schadens-) Gutachten einzuholen sei. Eine solche Pflicht nimmt das OLG aber nicht an.
4. Gutachterfälle und VSD – ein „Muss“ fürs Examen
Der Fall sollte Anlass sein sich mit dem Problemkreis der Gutachterfälle noch einmal auseinanderzusetzen. Hierzu bieten sich unsere Artikel hier und hier und hier an. Da das Urteil rechtskräftig ist, kann es gut in eine Examensklausur eingebaut werden.
Für die zivilrechtlichen Klausuren im 1. Staatsexamen muss man einige dogmatische Konstruktionen auswendig kennen, die sich im Ernstfall nicht aus dem Gesetz ableiten lassen. Dazu zählt unter anderem auch der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSD). Die folgende Übersicht soll Euch einen kurzen Überblick über diese Rechtsfigur verschaffen. Abzugrenzen ist der VSD von der Drittschadensliquidation (s. dazu diesen Artikel).
1. Wozu überhaupt VSD?
Wozu braucht man überhaupt einen VSD? Um eine Rechtsfigur zu verstehen, hilft es, sich zuerst einmal die Interessen der Beteiligten vor Augen zu führen. Bei einem VSD sind typischerweise drei Parteien beteiligt: Die Parteien eines Vertrages (Schuldner und Gläubiger) sowie ein Dritter, der meistens in einer rechtlichen oder auch nur faktischen Sonderbeziehung zu dem Gläubiger steht.
Angenommen, der Schuldner fügt dem Dritten einen Schaden zu. Der Dritte unterhält in den VSD-Fällen keine eigene vertragliche Beziehung zu dem Schuldner. Er kann gegen diesen also keine originären vertraglichen Ansprüche herleiten, sondern müsste sich ohne den VSD allein auf deliktische Ansprüche (insbesondere §§ 823 ff. BGB) stützen.
Das kann für den Dritten äußerst nachteilig sein: Die vertragliche Haftung schützt das gesamte Vermögen, das Verschulden des Schuldners wird nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet und es erfolgt eine Zurechnung des Verschuldens von Erfüllungsgehilfen über § 278 BGB. Demgegenüber schützt § 823 Abs. 1 BGB nur bestimmte Rechtsgüter und gerade nicht das Vermögen an sich, das Verschulden muss der Dritte darlegen und beweisen und eine Zurechnung über § 278 BGB erfolgt ebenfalls nicht, sondern es gilt für Gehilfen § 831 BGB mit der Möglichkeit für den Schuldner, sich zu exkulpieren.
Der Dritte hat also ein Interesse daran, den Schuldner aus vertraglicher Grundlage in Anspruch zu nehmen, obwohl er keinen Vertrag zu dem Schuldner unterhält. Dieses Interesse kollidiert mit dem Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse: Verträge berechtigen und verpflichten grundsätzlich nur die Vertragsparteien, keine Dritten. Der Schuldner wird deshalb nicht ganz zu Unrecht einwenden, dass er sich gegenüber dem Dritten nicht vertraglich verpflichtet habe und nur „eingeschränkt“ nach den §§ 823 ff. BGB hafte.
Eine Ausnahme von dem Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse kennen allerdings die §§ 328 ff. BGB: Danach sind Verträge zugunsten Dritter zulässig. Unmittelbar regeln die §§ 328 ff. BGB nur den echten Vertrag zugunsten Dritter, bei dem der Dritte ein Leistungsforderungsrecht bzw. einen Erfüllungsanspruch gegen den Schuldner erhält. Die Rechtsprechung hat diese Regelungen aber auch als dogmatische Grundlage für den VSD herangezogen (zuletzt BGH, Urt. v. 12.1.2011 – VIII ZR 346/09, NJW-RR 2011, 462 Rn. 9) und so unter bestimmten Voraussetzungen dem Dritten vertragliche Ansprüche gegen den Schuldner zugebilligt.
Noch weiter geht Canaris, der eine Dogmatik der Haftung für die Inanspruchnahme von Vertrauen entwickelt hat, die zwischen Vertrag und Delikt angesiedelt sein soll (bei Interesse zur Vertiefung: Canaris, JZ 1965, 475; ders., ZHR 163 (1999), 206 – sicherlich kein Examensstoff).
2. Tatbestand des VSD
a) Leistungsnähe des Dritten
Erste Voraussetzung für einen VSD ist, dass der Dritte eine gewisse Nähe zu der Leistung des Schuldners aufweist. Das ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn der Dritte wie der Gläubiger selbst mit der Leistung des Vermieters in Berührung kommt (zuletzt BGH, Urt. v. 21.7.2010 – XII ZR 189/08, NJW 2010, 3152 Rn. 19). Das ist Wertungsfrage im Einzelfall. In der Klausur bietet sich als Testfrage an, ob der Dritte von einer Schlechtleistung typischerweise ebenso betroffen ist wie der Gläubiger.
b) Einbeziehungsinteresse des Gläubigers
Zweite Voraussetzung für einen VSD ist, dass der Gläubiger ein Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrages hat. Die Rechtsprechung verkürzt dies regelmäßig auf die Formel, dass der Gläubiger dem Dritten „Schutz und Fürsorge zu gewährleisten hat“ (zuletzt BGH, Urt. v. 21.7.2010 – XII ZR 189/08, NJW 2010, 3152 Rn. 19) bzw. ob er für dessen „Wohl und Wehe“ verantwortlich ist. Tatsächlich stellt dieses Kriterium wohl das schwierigste Merkmal im Rahmen der Prüfung des VSD dar, weil der Rechtsanwender in wertender Betrachtung die Grenze zwischen schuldrechtlichem Sonderverhältnis und deliktischer Haftung zu ziehen hat. Wie schwierig diese Abgrenzung ist, zeigt sich daran, dass die Rechtsprechung in der Vergangenheit einen VSD zum Teil selbst dann bejaht hat, wenn die Interessen von Gläubiger und Drittem diametral entgegengesetzt waren (BGH, Urt. v. 7. 2. 2002 – III ZR 1/01, NJW 2002, 1196, 1197; BGH, Urt. v. 2.4.1998 – III ZR 245/96, BGHZ 138, 257, 261). Von dieser Position ist der BGH zwar anscheinend wieder etwas abgerückt; eine für alle Sachverhalte gültige Musterlösung gibt es aber dennoch nicht. Hier ist die Argumentation im Einzelfall besonders wichtig.
c) Erkennbarkeit für den Schuldner
Ferner muss das Einbeziehungsinteresse des Gläubigers für den Schuldner erkennbar sein (zuletzt BGH, Urt. v. 21.7.2010 – XII ZR 189/08, NJW 2010, 3152 Rn. 19). Hintergrund dieser Einschränkung ist, dass dem Schuldner keine uferlose Haftung aus dem von ihm abgeschlossenen Vertrag zugemutet werden darf. Anderenfalls wäre seine Willenserklärung, die auf den Abschluss eines Vertrages nur mit dem Gläubiger gerichtet ist, Makulatur. Die Grenzen zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung würden aufgehoben. Als Faustformel gilt, dass der Kreis der Dritten für den Schuldner (abstrakt) überschaubar sein muss (so BGH, Urt. v. 2.7.1996 – X ZR 104/94, NJW 1996, 2927, 2928), ihm aber die Zahl oder gar der Name der Dritten nicht bekannt sein muss (so BGH, Urt. v. 20.4.2004 – X ZR 250/02, NJW 2004, 3035, 3038).
d) Subsidiarität
Um eine uferlose Ausdehnung des Kreises der in den Schutzbereich einbezogenen Personen zu vermeiden, schließt die Rechtsprechung schließlich solche Personen aus dem Schutzbereich aus, die eigene Ansprüche gegen den Schuldner haben, die denen entsprechen würden, die ihnen bei einer Einbeziehung in den Schutzbereich des Vertrages zu stehen würden (zuletzt BGH, Urt. v. 12.1.2011 – VIII ZR 346/09, NJW-RR 2011, 462 Rn. 11). Ansprüche aus VSD sind also insbesondere subsidiär zu anderen vertraglichen (!) Ansprüchen. Deliktische Ansprüche sperren den VSD dagegen in der Regel nicht.
3. Rechtsfolgen des VSD
Auf der Rechtsfolgenseite gewährt der VSD – anders als der echte Vertrag zugunsten Dritter (§§ 328 ff. BGB) – keinen Anspruch auf die Leistung. Der VSD ist stets nur auf Schadensersatz gerichtet (zuletzt BGH, Urt. v. 21.7.2010 – XII ZR 189/08, NJW 2010, 3152 Rn. 19). Dabei kommt nur ein Schadensersatzanspruch neben der Leistung (§ 280 Abs. 1 BGB) in Betracht, denn auch ein Schadensersatzanspruch statt der Leistung würde einen Primärleistungsanspruch des Dritten voraussetzen.
Da der BGH die §§ 328 ff. BGB als dogmatische Grundlage des VSD heranzieht, ist der Rechtsgedanke des § 334 BGB entsprechend auf den VSD anzuwenden. Der Schuldner kann dem Dritten deshalb dieselben Einwendungen entgegenhalten, die er auch dem Gläubiger entgegenhalten könnte (zuletzt BGH, Urt. v. 23.9.2010 – III ZR 246/09, NJW 2011, 139 Rn. 29). Insbesondere muss sich der Dritte ein Mitverschulden des Gläubigers aus § 254 BGB entgegenhalten lassen (zuletzt BGH, Urt. v. 23.9.2010 – III ZR 246/09, NJW 2011, 139 Rn. 29); Entsprechendes gilt für vertragliche (AGB!) oder gesetzliche Haftungsbeschränkungen.
4. VSD in der Klausur
In der Klausur ist der VSD immer unter dem Prüfungspunkt „Schuldverhältnis“ zu prüfen. Praktisch wird dies bei § 280 Abs. 1 BGB. Zu beachten ist, dass es auch ein vorvertragliches Schuldverhältnis zugunsten Dritter gibt. Das hat der BGH in dem berühmten „Gemüseblattfall“ entschieden (BGH, Urt. v. 28.1.1976 – VIII ZR 246/74, BGHZ 66, 51 = NJW 1976, 712). Hier wäre der VSD nach heutiger Rechtslage im Rahmen eines Anspruchs aus den §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 bzw. Abs. 3 BGB unter dem Prüfungspunkt „Schuldverhältnis“ zu thematisieren.