Wir freuen uns Euch heute einen Gastbeitrag von Patrick Otto vorstellen zu können. Patrick studiert Rechtswissenschaften in Hannover und ist studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht (Prof. Dr. Volker Epping) sowie am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft (Prof. Dr. Veith Mehde). Er behandelt in seinem Gastbeitrag die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Einführung von Altershöchstgrenzen im Öffentlichen Dienst anhand einer Besprechung von BVerfG, Beschl. v. 21.4.2015 – 2 BvR 1322/12, 2 BvR 1989/12.
I. Einführung
Das Berufsbeamtentum genießt in Deutschland einen hohen Stellenwert und erfreut sich großer Nachfrage (vgl. etwa http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/junge-studenten-ziehen-eine-stelle-beim-staat-der-freien-wirtschaft-vor-13028053.html). Dies liegt vor allem daran, dass Beamten die Vorteile aus den hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gem. Art. 33 V GG zugutekommen, die diesen u.a. eine Vollalimentation, eine lebenslange Beschäftigung sowie eine Pensionszahlung nach dem aktiven Dienst sichern. Um in den Genuss dieser Vorzüge zu kommen, muss der Beamte jedoch zunächst in das öffentliche Amt berufen werden, wofür der Staat selbst Hürden aufstellt, denn er muss der Bestenauslese des Art. 33 II GG standhalten (Berufung nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung). Dennoch kann einem Bewerber auch dann der Zugang zum öffentlichen Amt verwehrt werden, wenn dieser zwar alle Voraussetzungen des Art. 33 II GG erfüllt, jedoch schlichtweg zu alt ist. Genau diese beamtenrechtlichen Altersgrenzen sind inzwischen in erheblichem Maße in der öffentlichen Diskussion.
Gerade vor dem Hintergrund zunehmender Europäisierung durch das Verbot der Altersdiskriminierung sowie das AGG, das auch auf den öffentlichen Dienst Anwendung findet (vgl. § 24 AGG), hat sich hierbei ein neues Problemfeld herauskristallisiert. Während die grundsätzliche Zulässigkeit von Altersgrenzen im Öffentlichen Dienst wegen des angemessenen Verhältnisses von aktiver Dienstzeit und Pensionslastzeit breit konsentiert ist, streitet man vor allem um die exakten Einstellungshöchstgrenzen. Genau in diese Kerbe schlägt auch die hier vorliegende Entscheidung des BVerfG, die sich anhand des Nordrhein-Westfälischen Beamtenrechts mit den dortigen Höchstgrenzen befasst. Sie ist zwar nicht Pflichtfachstoff für die Erste Juristische Prüfung, jedoch werden in ihr auch wichtige Themen des Pflichtstoffes behandelt. In hohem Maße ausbildungsrelevant sind hier vor allem die sehr dezidierten Ausführungen des BVerfG zu den verfassungsrechtlichen Determinanten der Verordnungsermächtigung an die Exekutive. Diese sind keinesfalls spezifisch für das Beamtenrecht, sondern lassen sich auf alle anderen Klausursachverhalte übertragen, in denen danach gefragt ist, ob eine Entscheidung der Exekutive überlassen werden darf.
II. Sachverhalt und Entscheidungsmaximen des BVerfG
Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihren – zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen – Verfassungsbeschwerden gegen die Ablehnung der Verbeamtung aufgrund von Höchstaltersgrenzen. Sie sind angestellte Lehrkräfte im öffentlichen Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen und begehren die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe, obwohl sie das 40. Lebensjahr bereits vollendet und damit die laufbahnrechtliche Altersgrenze für die Einstellung überschritten haben. Die Ablehnung der Verbeamtung auf Probe fußt in beiden Fällen auf den §§ 6 I, 52 I sowie 84 II der Verordnung über die Laufbahnen der Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen 2009. In beiden Fällen erhoben die Beschwerdeführer Klage, welche in allen Instanzen erfolglos blieb. Nach den jeweiligen Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschl. v. 26.3.2012 – 2 B 26.11 sowie BVerwG, Urt. v. 23.2.2012 – 2 C 79.10) erhoben sie Verfassungsbeschwerde. Der Zweite Senat des BVerfG judizierte, dass die §§ 6 I, 52 I sowie 84 II LVO NRW wegen nicht hinreichender Verordnungsermächtigung in § 5 Abs. 1 LBG NRW verfassungswidrig und nichtig sind. Daher verwies das BVerfG beide Sachen an das Bundesverwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung zurück. Die Entscheidung erging mit 7:0 Stimmen, sodass keine Sondervoten angefertigt wurden. Richter Maidowski durfte aufgrund bundesverwaltungsgerichtlicher Mitwirkung sein Richteramt gem. § 18 I Nr. 2 BVerfGG nicht ausüben.
III. Begründung der Entscheidung
Zur Begründung ihrer Entscheidung rekurrierten die Verfassungsrichter vor allem auf die in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Verordnungsermächtigung und würdigten diese im Lichte des Art. 33 II GG. Zunächst folgern sie aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip, dass die wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber selbst zu treffen seien und dies besonders dann gelte, wenn die Verwirklichung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten betroffen ist. Nur dadurch könne ein hohes Maß an Transparenz sowie die Beteiligung einer parlamentarischen Opposition sichergestellt werden. Als Ergebnis dieses Prozesses müsse aus der Verordnungsermächtigung aus Sicht des Bürgers hervorgehen, was diesem gegenüber zulässig sein soll. Dies gelte auch unmittelbar für den Landesgesetzgeber. Fernerhin führte das BVerfG aus, dass gerade im Bereich des Beamtenrechts der Großteil der Regelungen direkt vom Parlament erlassen werden müsse. Deshalb sei es auch Aufgabe des Parlaments, die Abwägung zwischen dem Leistungsgrundsatz des Art. 33 II GG und den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gem. Art. 33 V GG selbst vorzunehmen. Ausnahmen vom Leistungsgrundsatz müssten aus diesem Grund zwingend durch Parlamentsgesetz vorgesehen sein. Auf den Fall übertragen sehen die Verfassungsrichter die Ermächtigungsgrundlage des Art. 5 I 1 LBG NRW als nicht hinreichend bestimmt an. Die Norm selbst beinhalte zunächst zwar zahlreiche Vorgaben zur Laufbahnverordnung und gebe insofern prima facie ein enges Korsett für die Verordnung vor. Das BVerfG stellt dennoch fest, dass sich der Landesgesetzgeber in NRW einer parlamentarischen Leitentscheidung entzogen habe, sodass die Regelung den Anforderungstrias des Art. 80 I 2 GG (Inhalt, Zweck und Ausmaß) nicht gerecht werde. Dies wird damit begründet, dass der Art. 5 I 1 LBG NRW an keiner Stelle konkrete Vorgaben für die Altershöchstgrenzen enthalte, sondern nur generell vorgebe, dass die Altershöchstgrenzen in der Verordnung zu regeln sind. Insoweit sei der Exekutive Tür und Tor geöffnet. Auch eine systematische Auslegung sowie ein Blick in den Gesetzgebungsmaterialien führten zu keinem anderen Ergebnis. Damit sei die Norm trotz ihrer zahlreichen Regelungen eben doch verfassungswidrig, da dieser eine wichtige Regelungsbereich der Altershöchstgrenzen nicht konkret vorgegeben wurde.
Im letzten Abschnitt der Entscheidung wird trotz der bereits fehlenden Bestimmtheit der Verordnung, die schon für sich genommen zur Verfassungswidrigkeit führt, umfangreich thematisiert, ob und in welchen Bereichen der Gesetzgeber Altersgrenzen für die Beamteneinstellung festsetzen darf. Dies geschieht vor allem deshalb, um die vorhandenen Unsicherheiten zu beseitigen. Hierzu wird ausgeführt, subjektive Zulassungsvoraussetzungen seien im Grundsatz nicht zu beanstanden, da Art. 33 II GG keinen Anspruch auf Zugang zu einem öffentlichen Amt verschaffe. Daher seien auch Höchstaltersgrenzen für den Zugang grundsätzlich zulässig, da sie an die physische Leistungsfähigkeit anknüpften und diese ab einem gewissen Alter nicht mehr in der erforderlichen Weise gegeben sei. Dies gelte wiederum nicht per se, sondern nur für ausgewählte Berufsgruppen (etwa Militär, Polizeivollzugsdienst, Feuerwehr). Folglich komme dieser Grund bei der vorliegenden Entscheidung zu Lehrkräften nicht zum Tragen, gleichwohl jedoch das Lebenszeit- und das Alimentationsprinzip aus Art. 33 V GG, welche als hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums anerkannt sind und daher Verfassungsrang aufweisen. Der Gewährleistungsgehalt des Lebenszeitprinzips umfasst, wie der Name schon nahelegt, dass Beamte auf Lebenszeit berufen werden, also etwaige Befristungen grundsätzlich unzulässig sind. Das Alimentationsprinzip verpflichtet den Staat dazu für den angemessenen Lebensunterhalt des Beamten und seiner Familie zu sorgen. Somit genießen Beamte im Vergleich zu Angestellten deutliche Vorzüge. Angestellte sind etwa kündbar und ihr Gehalt ist, mit Ausnahme von Mindestentgelten aus Tarifverträgen oder dem gesetzlichen Mindestlohn, nicht gesetzlich garantiert.
Dem Lebenszeit- und dem Alimentationsprinzip liegt neben dem Schutz und der Versorgung der Beamten die Vorstellung zugrunde, dass diese möglichst lange aktiv im Amt bleiben sollen, um durch ihre Arbeitskraft dem Dienstherrn nützlich zu sein. Deshalb sei es stets erforderlich, die praktische Konkordanz zwischen Art. 33 II GG sowie Art. 33 V GG herzustellen, wobei dem Gesetzgeber hierbei ein Gestaltungsspielraum zukomme. Aus dem bereits Gesagten ergebe sich folglich die Pflicht für den Gesetzgeber, eine umfassende Gesamtwürdigung zwischen Art. 33 II GG und Art. 35 V GG vorzunehmen und zu einer verhältnismäßigen Lösung zu kommen.
1. Würdigung der Judikatur durch den Verfasser
Die Judikatur des BVerfG vermag sowohl in Bezug auf die unzureichende Bestimmtheit von § 5 I 1 LBG NRW im Speziellen wie auch zur Zulässigkeit von Altershöchstgrenzen für die Verbeamtung auf Probe im Allgemeinen zu überzeugen. Es ist zutreffend, dass an die Verordnungsermächtigung im grundrechtsrelevanten Bereich erhöhte Anforderungen zu stellen sind. Überließe man es dort der Exekutive, die maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen, so führte dies einerseits zu einem Mangel an Demokratie und andererseits zur Unterbindung eines erforderlichen parlamentarischen Diskurses. So zeigt sich in der Praxis immer wieder, dass die Regierungsfraktionen unangenehmen Diskussionen im Parlament gerne aus dem Weg gehen, um sie dann durch Verordnungsermächtigung gewissermaßen „im Hinterzimmer“ von der Regierung selbst regeln zu lassen.
Dieser äußerst fragwürdigen Praxis wird durch die erneute höchstrichterliche Klarstellung Einhalt geboten. Somit ist die Entscheidung nicht nur vor dem Hintergrund von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sehr zu begrüßen, sondern ebenso aus der individuellen Sicht des Bürgers. Für diesen sind parlamentarische Prozesse aufgrund der Öffentlichkeit der Entscheidungsfindung und der stärkeren medialen Berichterstattung wesentlich besser nachzuvollziehen, als Prozesse der Exekutive, bei denen der Bürger häufig nur das Ergebnis sieht. Summa summarum ist die bundesverfassungsgerichtliche Judikatur daher in der Argumentation und im Ergebnis richtig und überzeugend. Einzige Kritikpunkte sind, dass die Begründung der Verfassungswidrigkeit von § 5 I 1 LBG NRW zu knapp ausfällt und dafür ein zu starker Schwerpunkt auf allgemeine Ausführungen gelegt wird. Hier hätte das BVerfG etwa auch noch teleologisch damit argumentieren können, dass es auch Sinn und Zweck des § 5 I 1 LBG NRW im Allgemeinen ist nur zu bestimmen, was zu regeln ist, aber selbst in keiner seiner zahlreichen Alternativen abschließende Entscheidungen trifft.
2. Resümee
Die vorliegende Entscheidung ist ein erneuter Beweis dafür, dass ein Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Verfassungsgericht vorhanden ist, welches das BVerfG auszutarieren versucht. Während das Parlament häufig aufgrund der leichteren Entscheidungsstrukturen und der vermeintlich höheren Expertise wichtige Entscheidungen der Exekutive überlässt, ist das Verfassungsgericht stets darum bemüht, möglichst viele Entscheidungen beim Parlament direkt zu belassen und an die Verordnungsermächtigung strenge Bedingungen zu stellen. Vorliegend beweist das BVerfG wiederum erneut, dass es den Intentionen des Bundes- und vieler Landesgesetzgeber, wichtige Fragen nicht mehr im Parlament zu entscheiden, mit fundierter Argumentation entgegenzutreten weiß. Dabei stellt es unmissverständlich klar, dass die Verordnungsermächtigung nur in engen Grenzen möglich ist und stets einer umfassenden Abwägung der Interessenlage bedarf. Gleichwohl wird die Entscheidung den Konflikt zwischen Gesetzgeber und Parlament wohl nicht endgültig lösen können. Es ist daher auch für die Zukunft davon auszugehen, dass die Strömung der Gesetzgeber hin zur Verordnungsermächtigung weiter anhalten wird. Zusammenfassend empfiehlt es sich deshalb für Studierende die Judikatur des BVerfG sowie die Praxis des Bundes- und der Landesgesetzgeber zur Verordnungsermächtigung im Blick zu behalten.
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