Einer der absoluten Prüfungsklassiker im öffentlichen Recht sind Abschleppmaßnahmen bei Kraftfahrzeugen. Die Klausurkonstellationen zu diesem Thema sind vielfaltig und können unterschiedliche Schwerpunkte beinhalten (Polizei- und Ordnungsrecht, allgemeines Verwaltungsrecht, Verwaltungsprozessrecht usw.). Mit seiner Entscheidung vom 24.5.2018 – 3 C 25.16 hat das Bundesverwaltungsgericht erneut zu kostenpflichtigen Abschleppvorgängen judiziert – dieses Mal im Zusammenhang mit mobil aufgestellten Halteverbotsschildern. Da der dem Urteil zugrundeliegende Sachverhalt bestens für Fortgeschrittenen- und Examensklausuren geeignet ist, sollte jeder Prüfling unbedingt einen vertieften Blick in die neue Entscheidung werfen:
I. Der Sachverhalt
A stellt ihr Fahrzeug am 19.8.2013 vor dem Nachbarhaus ihrer Wohnung in Düsseldorf ab und begibt sich anschließend per Flieger in den Urlaub. Am Vormittag des nächsten Tages werden in dem Abschnitt der Straße, in dem auch das Fahrzeug der A geparkt ist, zur Vorbereitung eines privaten Umzugs zwei mobile Halteverbotsschilder aufgestellt. Die Schilder gelten ausdrücklich für den Zeitraum vom 23.8.2013 bis 24.8.2013, jeweils von 7:00 Uhr bis 18:00 Uhr. Am Nachmittag des 23.8.2013 beauftragt ein Mitarbeiter der Stadt Düsseldorf das Abschleppunternehmen U mit der Entfernung des Fahrzeugs der A. Als A am 5.9.2013 aus ihrem Urlaub zurückkehrt und von den Geschehnissen erfährt, begibt sie sich zum Hof des U und holt ihr Fahrzeug gegen Zahlung von EUR 176,98 ab. Für den Abschleppvorgang setzt die Stadt zusätzlich eine Verwaltungsgebühr i.H.v. EUR 62,00 fest.
A hält den Abschleppvorgang für rechtswidrig und verlangt von der Stadt Düsseldorf die Erstattung der Abschleppkosten i.H.v. EUR 176,98 sowie die Aufhebung des Gebührenbescheids über EUR 62,00. Zu Recht?
II. Einordnung des Halteverbotsschilds als Verwaltungsakt
Nach der gefestigten Rechtsprechung des BVerwG sowie der ganz herrschenden Literatur stellen Verkehrsverbote und Verkehrsgebote einen Verwaltungsakt in Gestalt der Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 VwVfG dar (BVerwG v. 23.9.2010 – 3 C 37/09, NJW 2011, 246 m.w.N.). Ebenso besteht Klarheit darüber, dass die Verkehrszeichen nicht schriftlich, sondern vielmehr „in anderer Weise“ gem. § 37 Abs. 2 S. 1 VwVfG erlassen werden. Der gedankliche Inhalt eines Verkehrszeichens wird nicht mittels Buchstaben und Zahlen verkündet, sondern durch ein Symbol, dessen Bedeutung sich durch die Vorgaben der StVO ermitteln lässt (Stelkens, NJW 2010, 1184 (1185). Es handelt sich bei Verkehrsschildern letztlich nicht um eine Bündelung von Einzelverwaltungsakten (so jedoch Manssen, NZV 1992, 465 (465)). Verkehrsschilder sind ein Verwaltungsakt, der für eine Vielzahl von bestimmbaren Personen – nämlich sämtliche Verkehrsteilnehmer – vorgesehen ist. Anders als etwa eine durch einen Polizeibeamten getroffene Verkehrsregelung sind Verkehrszeichen mehr oder weniger dauerhafter Natur, sodass sie vom BVerwG als Dauerverwaltungsakt eingeordnet werden (BVerwG v. 23.9.2010 – 3 C 37/09, NJW 2011, 246; v. 13.12.1979 – 7 C 46/78, NJW 1980, 1640).
III. Anforderungen an die Bekanntmachung
Nach § 43 VwVfG wird der Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist wirksam, wenn er ihm bekannt gegeben wird. Für die Bekanntgabe von Verkehrszeichen ist das Bundesrecht maßgeblich, wobei es entscheidend auf die Vorgaben der §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 4 StVO ankommt. Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist für die Bekanntmachung – und diese Definition sollte jeder Prüfling beherrschen – auf Folgendes abzustellen:
„Sind Verkehrszeichen so aufgestellt oder angebracht, dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt schon „mit einem raschen und beiläufigen Blick” erfassen kann (BGH, NJW 1970 1126), äußern sie ihre Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht (BVerwGE 102, 316). Das gilt unabhängig davon, ob die Bekanntgabe in Form starrer Verkehrszeichen erfolgt oder mit Hilfe einer Anzeige über eine Streckenbeeinflussungsanlage oder einen Prismenwender.“ (BVerwG v. 23.9.2010 – 3 C 37/09, NJW 2011, 246 (247)
Für Verkehrsschilder, die den ruhenden Verkehr betreffen, hat das BVerwG zudem vor kurzem eine Konkretisierung vorgenommen. Die Anforderungen an die Sichtbarkeit des Verkehrsschildes sind danach im ruhenden Bereich geringer anzusetzen. Hier hat der Verkehrsteilnehmer die Möglichkeit, sich auch noch nach Abstellen seines Fahrzeugs Klarheit über das Vorhandensein und den Inhalt eines Verkehrsschildes zu verschaffen. Daraus folgt, dass im ruhenden Verkehrsbereich eine einfache Umschau nach dem Abstellen des Fahrzeugs dahingehend, ob ein Halte- oder Parkverbot besteht, zu den Pflichten des Verkehrsteilnehmers nach § 1 StVO gehört (BVerwG v. 6.4.2016 – 3 C 10/15, NJW 2016, 2353).
IV. Was ist maßgeblich für die Klagefrist?
Bei Verkehrszeichen ist allerdings eine Besonderheit hinsichtlich der Klagefrist zu beachten. Diese wird nämlich gerade nicht durch das Aufstellen des Verkehrszeichens in Gang gesetzt. Vielmehr ist für den Fristbeginn auf den Moment abzustellen, in dem sich der betroffene Verkehrsteilnehmer erstmals der Regelung des Verkehrsschildes gegenübersieht. Anders als bei der Bekanntmachung kommt es deshalb für die Klagefrist auf das subjektive Wahrnehmen der Regelung an. Das BVerwG begründet das Auseinanderfallen von Bekanntgabe und Fristbeginn mit dem Schutz der Rechtsweggarantie:
„Jedes andere Verständnis geriete in Konflikt mit der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, die es verbietet, den Rechtsschutz in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Liefe die Anfechtungsfrist für jedermann schon mit dem Aufstellen des Verkehrsschilds, könnte ein Verkehrsteilnehmer, der erstmals mehr als ein Jahr später mit dem Verkehrszeichen konfrontiert wird, keinen Rechtsschutz erlangen; denn bis zu diesem Zeitpunkt war er an der Einlegung eines Rechtsbehelfs mangels individueller Betroffenheit (§ 42 Abs. 2 VwGO) gehindert, danach würde ihm der Ablauf der einjährigen Anfechtungsfrist entgegengehalten. Dieses Rechtsschutzdefizit wird auch durch die Möglichkeit, ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu beantragen, nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise ausgeglichen, dies schon wegen der besonderen Voraussetzungen, die § 51 VwVfG an einen solchen Rechtsbehelf stellt.“ (BVerwG v. 23.9.2010 – 3 C 37/09, NJW 2011, 246 (247))
Im Übrigen gilt auch für die Rechtsbehelfsfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO, dass die einjährige Frist nicht erneut zu laufen beginnt, wenn derselbe Verkehrsteilnehmer erneut dem Verkehrszeichen gegenübersteht. Insoweit hat das Verkehrszeichen allein erinnernde Funktion – die ursprüngliche Anordnung und deren Bekanntgabe bleiben aufrechterhalten.
V. BVerwG: Verhältnismäßigkeit der Abschleppmaßnahme erst nach Vorlaufzeit von drei vollen Tagen
Auch wenn die Regelung eines Verkehrszeichens wirksam bekanntgemacht wurde, müssen die Abschleppmaßnahme und der auf dieser Grundlage ergehende Kostenbescheid dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Abschleppmaßnahme sind bei Parkvorgängen, die gegen ein Halteverbot verstoßen, regelmäßig unproblematisch. Wie aber ist die Angemessenheit zu beurteilen? Zu bedenken ist insoweit, dass im streitigen Fall die A das Verkehrszeichen aufgrund ihres Urlaubs subjektiv nicht wahrnehmen konnte. Dass dies für die wirksame Bekanntgabe des Verkehrszeichens unerheblich ist, muss von der Beurteilung der Angemessenheitsprüfung getrennt werden. Auch muss Berücksichtigung finden, dass der Normgeber die Möglichkeit eines dauerhaften Parkens grundsätzlich unbefristet zugelassen hat, ein solches Verhaltens mithin zu den rechtlich erlaubten Formen der Straßenverkehrsteilnahme zählt.
Im streitgegenständlichen Fall entschied das OVG Münster noch zuvor, dass bei besonders dringlichen Angelegenheiten wie etwa Straßenbauarbeiten oder Sondernutzungen wie Privatumzüge für Halteverbote ein zeitlicher Vorlauf von 48 Stunden notwendig sei, um Fahrzeughalter vor überraschenden Abschleppmaßnahme zu schützen (OVG Münster v. 13.9.2016 – 5 A 470/14, BeckRS 2016, 52498). Eine solche Vorlaufzeit decke üblicherweise kürzere Abwesenheitszeiten ab und verlagere das Risiko eines neu eingerichteten Halteverbots nicht unangemessen in die Sphäre des Fahrzeugführers.
Das BVerwG trat der Entscheidung des OVG Münster entgegen. Die Erforderlichkeit von Halteverbotsregelungen sei – auch wenn es um private Umzüge gehe – regelmäßig auch in großstädtischen Umgebungen deutlich vorher bekannt. Es könne deshalb keine Obliegenheit für Verkehrsteilnehmer geben, mindestens alle 48 Stunden nach Abstellen eines Fahrzeugs zu prüfen, ob zwischenzeitlich neue Verkehrsregeln bekanntgegeben wurden. Angemessen sei vielmehr ein Vorlauf von drei vollen Tagen (so auch bereits VGH Mannheim v. 13.2.2007 – 1 S 822/05, NJW 2007, 2058). Eine stundengenaue Berechnung sei – so das Gericht – von vornherein kaum handhabbar. Vor diesem Hintergrund wäre ein Abschleppen des Fahrzeugs erst am vierten Tag nach Aufstellen der Halteverbotsschilder angemessen gewesen.
VI. Schlussfolgerungen
Auch für Verkehrsschilder, die aus dringlichem Anlass aufgestellt werden, gelten die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätze. Zu beachten ist, dass nach der Judikatur des BVerwG bei Verkehrszeichen im ruhenden Bereich geringere Anforderungen an die Sichtbarkeit, ergo Bekanntmachung des Verwaltungsaktes zu stellen sind. Hier zählt eine einfach Umschau nach dem Abstellen des Fahrzeugs bezüglich etwaiger Halte- oder Parkverbot zu den Pflichten der Verkehrsteilnehmer. Wird ein verbotswidrig geparktes Fahrzeug abgeschleppt, ist dieser Vorgang erst ab dem vierten Tag nach Aufstellen des Schildes verhältnismäßig. Vorher müssen Verkehrsteilnehmer nicht mit zwischenzeitlichen Änderungen der Verkehrsregeln rechnen.
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Es geht weiter in unserer Serie der simulierten mündlichen Prüfungen. Heute: wieder mal abgeschleppt.
Sehr geehrte Damen und Herren,
willkommen zur Prüfung im Öffentlichen Recht. Folgender Fall hat sich kürzlich in Neustadt an der Weinstraße ereignet, ich zitiere aus der Pressemitteilung des VG Neustadt:
Der Kläger stellte sein Fahrzeug am Mittwoch, den 27. Februar 2013, um 7.00 Uhr auf dem Pfalzplatz in Haßloch ab. Er wollte sich mit Freunden treffen, um gemeinsam in den Urlaub zu fahren. Zu diesem Zeitpunkt war das Parken auf dem Pfalzplatz erlaubt. Mehrere Schilder an den umliegenden Straßen und im Zufahrtsbereich des Pfalzplatzes wiesen hin auf „Pfalzplatz unbegrenzt P“. Auf dem Pfalzplatz selbst stehen keine Parkschilder. Ebenfalls am Mittwoch, den 27. Februar 2013, zu einer späteren Zeit, stellte die Beklagte an der Schillerstraße, der einzigen Zufahrt zum Pfalzplatz, folgende Verkehrsschilder auf: Verkehrszeichen 283 (absolutes Halteverbot) und 250 (Verbotder Einfahrt) sowie Zusatzzeichen „Sonntag, 03.03.2013 ab 7.00 Uhr“. Grundlage für die Aufstellung der Verkehrsschilder war die verkehrspolizeiliche Anordnung der Beklagten vom 7. Februar 2013 zum Sommertagsumzug, der am 3.März 2013 stattfinden sollte. Nach der Anordnung sollte die gesamte Beschilderung bis spätestens am Donnerstag, den 28. Februar 2013, aufgestellt werden. Eventuelle gegensätzliche Schilder sollten bis spätestens sonntags, 11.00 Uhr, abgehängt bzw. abgeklebt werden. Am Sonntag um 10.00Uhr wurden auch die Schilder„Pfalzplatz unbegrenzt P“ nach Angaben der Beklagten gemäß der Anordnung mit Müllsäcken abgedeckt. Am Sonntag, den 3. März 2013, um 12.15 Uhr wurde das Auto des Klägers abgeschleppt. Der Kläger konnte nicht informiert werden, da seine Nummer nicht im Telefonbuch eingetragen war.Mit Schreiben vom 7.März 2013 hörte die Beklagte den Kläger zu dem Vorgang an. Mit Bescheid vom 3. April 2013 zog die Beklagte den Kläger zu den Kosten für die Abschleppmaßnahme in Höhe von insgesamt 207,00 € heran. Die Kosten setzten sich zusammen aus 178,50 € Entgelt für das Abschleppunternehmen, 25,00 € Verwaltungsgebühren und eine Zustellungsgebühr von 3,50 €. Dagegen legte der Kläger am 23. April 2013 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. April 2014, dem Kläger zugegangen am 10. April 2014, wies der Kreisrechtsausschuss der Kreisverwaltung Bad Dürkheim den Widerspruch des Klägers zurück.
Der Kläger richtet sich nun an das VG Neustadt. Ein relativer langer Sachverhalt, falls Sie Nachfragen hinsichtlich des Sachverhaltes haben, melden Sie sich bitte. Wir prüfen selbstverständlich nach nordrhein-westfälischem Recht. Zunächst: Welche Klageart kommt in Betracht?
In Betracht kommt eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Fall 1 VwGO. Diese hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.
Ja, wir möchten uns auf die Begründetheitsprüfung konzentrieren. Frau A, beginnen Sie doch bitte!
Die Anfechtungsklage des K ist nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO begründet, soweit der angegriffene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Zunächst ist also die Rechtmäßigkeit des ergangenen Verwaltungsaktes, also des Kostenbescheides, zu prüfen. Ermächtigungsgrundlage hierfür ist §§ 55, 57 Abs. 1 Nr. 1, 59, 77 Abs. 1 VwVG NRW i.V.m. § 20 Abs. 2 Nr. 7 VO VwVG.
Schön, Sie sind nun unmittelbar auf die Ersatzvornahme nach §§ 55, 57 Abs. 1 Nr. 1 VwVG NRW gesprungen. Was könnte „das Abschleppen“ noch sein?
Das Abschleppen eines PKW kann grundsätzlich sowohl als Ersatvornahme als auch als Sicherstellung eingeordnet werden. Sinnvoll erscheint eine Abgrenzung nach der Zweckrichtung der handelnden Behörde. Dabei liegt eine Sicherstellung vor, wenn eine Gefahr für das Fahrzeug vorlag, eine Ersatzvornahme, wenn von dem Fahrzeug eine Gefahr ausging. Demnach ist hier die Ersatzvornahme einschlägig, da die Behörde nicht zum Schutz des Fahrzeuges, sondern zur Beseitigung der von ihm ausgehenden Gefahr handelte.
Kommen wir zu formellen Rechtmäßigkeit, Herr B.
Eine nach § 28 VwVfG erforderliche Anhörung hat stattgefunden, diese war insbesondere nicht nach § 28 Nr. 5 VwVfG hinsichtlich des Kostenbescheides entbehrlich. Zugleich hat die nach § 77 VwVG NRW zuständige Behörde gehandel, wonach Kostengläubiger der Rechtsträger ist, dessen Behörde die Amtshandlung vornimmt.
Frau A, versuchen Sie sich doch bitte an der materiellen Rechtmäßigkeit des Kostenbescheides.
Der Kostenbescheid ist rechtmäßig, wenn eine Amtshandlung nach diesem Gesetz vorliegt, vgl. § 77 VwVG NRW. Daher muss nun inzident die Rechtmäßigkeit der Ersatzvornahme geprüft werden, da nur dann eine „Amtshandlung nach diesem Gesetz“ gegeben ist. Die richtige Ermächtigungsgrundlage hängt davon ab, ob die Behörde das gestreckte Verfahren oder den Sofortvollzug verwendet hat, § 55 VwVG NRW. Hier besteht die Besonderheit, dass es einen Grund-VA in Form der Verkehrsschilder (Halteverbot) gibt, die Behörde diesen aber ohne die Voraussetzungen des Sofortvollzugs vollstreckt. Dies nennt man abgekürztes Verfahren, dessen Rechtmäßigkeit sich aus einem „argumentum a maiore ad minus“ ergibt: Wenn schon alle Voraussetzungen des gestreckten Verfahrens im Sofortvollzug außer Acht gelassen werden können, muss erst-recht das Auslassen einzelner Verfahrensabschnitte zulässig sein. Daher ist das sog. abgekürzte Verfahren rechtmäßig.
Sehr schön. Bevor wir fortfahren, erlauben Sie mir eine kurze Zwischenfrage: Welche weiteren Argumentationsmuster kennen Sie?
Besonders wichtig ist sicherlich das argumentum e contraria, also der Umkehrschluss. Beliebt ist zudem das argumentum ad absurdum sowie das argumentum ad horribilis. Vergleichbar dem schon angesprochenen argumentum a maiore ad minus ist das argumentum a fortiori. Ungeeignet und zu vermeiden ist hingegen ein argumentum ad personam – außer es gehen einem tatsächlich einmal die Argumente aus…
In Ordnung. Herr B, prüfen Sie doch bitte das von der Kollegin beschriebene abgekürzte Verfahren durch.
Zunächst sind die Voraussetzungen des gestreckten Verfahrens nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW zu prüfen. Das Verkehrsschild ist eine HDU-Verfügung, so dass nun die Rechtmäßigkeit des Grund-VAs, also des Verkehrsschildes zu prüfen ist. Dies folgt aus der Tatsache, dass wir mangels Androhung und Festsetzung nun den Sofortvollzug eines tatsächlich ergangenen Grund-VAs prüfen. Aus der Formulierung „im Rahmen ihrer Befugnisse“ folgt also zwingend eine Rechtmäßigkeitsprüfung.
Ist die HDU-Verfügung denn überhaupt wirksam geworden, was § 55 VwVG NRW ja voraussetzt?
Die Voraussetzungen zur Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes sindin § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG geregelt. Hierfür ist die Bekanntgabe erforderlich. Eine ältere Ansicht geht davon aus, dass der Verkehrsteilnehmer das Verkehrsschild wahrnehmen muss, also letztlich (erst) eine Einzelbekanntgabe die Wirksamkeit auslöst. Die Gegenaufassung nimmt hingegen an, dass ein Verkehrsschild durch öffentliche Bekanntgabe wirksam ((§41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG i.V.m.) §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 4 StVO) wird. Auf die tatsächliche Kenntnisnahme durch den einzelnen Verkehrsteilnehmer kommt es dann nicht mehr. Aus Gründen der Rechtsklarheit und der Vermeidung des Auseinanderfallens von Regelungen im Straßenverkehr ist von der Möglichkeit der öffentlichen Bekanntgabe auszugehen. Zudem könnten sonst Verkehrsschilder jederzeit angegriffen werden, man denke nur an den Kieler, der mit dem Auto nach Passau fährt. Im vorliegenden Fall wurde daher das Verkehrsschild mit Aufstellung bekanntgegeben und wirksam.
Wunderbar.Wie ordnen Sie demnach das Verkehrsschild dogmatisch ein?
Es handelt sich um eine Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 VwVfG.
Ist das Verkehrsschild als Allgemeinverfügung denn auch sofort vollziehbar?
Ja, nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO analog. Es ist der Anordnung durch einen Polizisten gleichzusetzen, die Möglichkeit der sofortigen Vollziehung kann nicht davon abhängen, ob die Regelung durch bspw. Handzeichen eines Polizisten oder durch ein Schild verkörpert wird.
Korrekt. Wir springen in der Prüfung etwas weiter und fragen uns, ob die Ersatzvornahme im abkürzten Verfahren wirklich notwendig war. Was meinen Sie, Frau A?
An dieser Stelle ist eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an Beseitigung der Gefahr einerseits und den Interessen des Betroffenen andererseits. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Parkplatz als „Dauerparkplatz“ ausgeschildert war und der Kläger seinen PKW gerade deswegen dort abstellte. Man könnte also an eine Art „Vertrauensschutz“ denken. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass im Straßenverkehr nicht davon ausgegangen werden kann, dass Verkehrsschilder „ewig“ unverändert bleiben. Daher müsste der Parkende innerhalb einer bestimmten zeitlichen Frist, bspw. alle sieben Tage, kontrollieren, ob er noch rechtmäßig dort parkte. Doch in Ausnahmefällen kann auch ein sofortiges Abschleppen zulässig sein, es kommt auf den Einzelfall an. Hier versuchte die Behörde sogar den Kläger zu erreichen. Zudem behinderte das Fahrzeug die Durchführung des Sommerfestes, so dass ein besonderes öffentliches Interesse an der Abschleppmaßnahme vorlag.
Also war das Abschleppen demnach wohl verhältnismäßig. Was bedeutet das für unseren Kläger?
Zunächst nur, dass das Abschleppen selbst rechtmäßig war. Somit liegt eine „Amtshandlung nach diesem Gesetz“ nach § 77 VwVG NRW vor. Es handelt sich um eine gebundene Entscheidung, so dass grundsätzlich mit Rechtmäßigkeit des Verwaltungszwanges auch eine Kostenpflicht des Betroffenen entsteht. Dies ergibt sich aus der Formulierung „werden erhoben“. Allerdings ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass eine Ausnahme vom Grundsatz der gebundenen Entscheidung aus rechtsstaatlichen Gründen zu machen ist, wenn es sich um eine offensichtlich unverhältnismäßige Maßnahme handelte. In diesen Fällen kann ausnahmsweise eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt werden.
Sehr schön. Zu welchem Ergebnis kommen Sie hier, Herr B?
Unverhältnismäßigkeit kann nur in absoluten Ausnahmefällen angenommen werden, bspw. wenn eine Behörde zwar rechtmäßig vollstreckt, aber die Änderung der Rechtslage nicht rechtzeitig angekündigt hatte. Im vorliegenden Fall liegt genau hier das Problem. Sinnvoll erscheint es davon auszugehen, dass der Parkende alle vier Tage kontrollieren muss, ob er noch rechtmäßig parkt. Insoweit hat die Behörde ihrer „Ankündigungsfrist“ Genüge getan. Der Kostenbescheid ist nicht unverhältnismäßig.
Ein vertretbares Ergebnis, genauso entschied das VG Neustadt a.d. Weinstraße (5 K 444/14.NW, Urteil hier abrufbar). Vielen Dank!