Kaum ein Thema hat in der vergangenen Woche die Diskussion um neue Präventionsmaßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 so dominiert wie die Beherbergungsverbote. Diese wurden von einigen Bundesländern aufgrund stark ansteigender Fallzahlen eingeführt, andere wiederum verweigerten vergleichbare Maßnahmen. Nicht nur diese Uneinheitlichkeit stand in der Kritik – auch die Wirksamkeit solcher Beherbergungsverbote zur Pandemiebekämpfung wurde bezweifelt.
Nun liegen erste Eilentscheidungen der zuständigen Gerichte vor, und es zeigt sich: Einheitlichkeit wird auch die Rechtsprechung hier vorerst nicht herbeiführen. Im Folgenden sollen die aktuellen Entscheidungen des VGH Mannheim, des OVG Lüneburg sowie des OVG Schleswig-Holstein in ihren Grundzügen vorgestellt werden. Die Examensrelevanz – für Klausuren wie mündliche Prüfungen – liegt auf der Hand.
I. VGH Mannheim: Beherbergungsverbot außer Vollzug gesetzt
In Baden-Württemberg wurde die Beherbergung von Gästen, die sich in einem Land- oder Stadtkreis oder einer kreisfreien Stadt innerhalb der Bundesrepublik aufgehalten haben oder dort ihren Wohnsitz haben, in dem der Schwellenwert von 50 gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen überschritten wurde, durch § 2 Abs. 1 der Corona-Verordnung Beherbergungsverbot untersagt. Eine Ausnahme sollte nur möglich sein, wenn die betroffenen Gäste einen negativen Coronatest vorlegen konnten, der nicht älter als 48 Stunden ist. Die Reisebeschränkung soll nach Angaben der Landesregierung der Eindämmung des Pandemiegeschehens dienen.
Hiergegen wendete sich eine Familie aus dem Kreis Recklinghausen, in dem die kritische Marke bereits überschritten wurde, mit einem Eilantrag. Die Familie hatte einen mehrtägigen Urlaub in Baden-Württemberg gebucht und wollte diesen auch antreten.
Anmerkung: Das Land Baden-Württemberg hat in § 4 AGVwGO von der Möglichkeit nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht, die Normenkontrolle auch gegen im Rang unter dem Landesrecht stehende Rechtsvorschriften zuzulassen. Bei dem Eilantrag gegen die Verordnung handelt es sich daher um einen Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen.
Das Gericht gab dem Antrag statt. Dies begründete es vorwiegend mit einem unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG. Der Eingriff in den Schutzbereich steht hier außer Frage. Kernstück der Prüfung dürfte die Verhältnismäßigkeit eines Verbots sein. Zugunsten der Verordnung ist hier – wie so häufig zur Rechtfertigung von Präventionsmaßnahmen in Zeiten der Pandemie – anzuführen, dass das Beherbergungsverbot dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter dient, da es Gefahren für die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit einer Großzahl von Personen abwenden soll und der Bewahrung der Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems dient. Gegen die Verhältnismäßigkeit eines Beherbergungsverbots spricht jedoch nach der Argumentation des VGH Mannheim ganz entscheidend, dass innerdeutsche Urlaubsreisen sowie der Aufenthalt in Beherbergungsbetrieben bisher kein Treiber der Pandemie gewesen sind. Dies seien vielmehr Feiern in größeren Gruppen sowie der Aufenthalt in engen Räumen. Ein Zusammenhang zwischen der Beherbergung und einem besonders hohen Infektionsrisiko bestehe nicht, zumal in Beherbergungsbetrieben nicht zwangsläufig eine größere Zahl von Menschen aufeinandertreffen würde. Dass daher gerade Beherbergungsbetriebe im Gegensatz zu Bars und Vergnügungsstätten Beschränkungen unterworfen werden sollen, erschließe sich nicht.
Hieran soll auch die Befreiungsmöglichkeit aufgrund eines negativen Coronatests nichts ändern: Ob ein solcher in der vorgegebenen Zeit überhaupt erlangt werden könne, sei nicht gesichert. Den Betroffenen sei es daher nicht zumutbar, sich auf diese Möglichkeit der Befreiung verweisen zu lassen.
Insgesamt wurde das baden-württembergische Beherbergungsverbot daher mit sofortiger Wirkung außer Vollzug gesetzt.
(Siehe zum Ganzen: VGH Mannheim, Pressemitteilung vom 15.10.2020, hier abrufbar).
II. OVG Lüneburg: Niedersächsisches Beherbergungsverbot ebenfalls außer Vollzug gesetzt
Ähnlich entschied das OVG Lüneburg zum niedersächsischen Beherbergungsverbot. Dieses war in § 1 der Niedersächsischen Corona-Berherbergungs-Verordnung vorgesehen. Der Betreiber eines Ferienparks wendete sich wiederum mit einem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen das Verbot und hatte Erfolg.
Das niedersächsische Verbot ist nach Ansicht des OVG Lüneburg bereits zu unbestimmt, da es Personen „aus“ Risikoverbieten erfasse, ohne zu präzisieren, ob sie dort ihren Wohnsitz haben oder gewöhnlichen Aufenthalt haben müssten.
Weiterhin bezweifelte das Gericht die Notwendigkeit der infektionsschutzrechtlichen Maßnahme:
„Angesichts des engen Anwendungsbereichs (Übernachtungen zu touristischen Zwecken in Beherbergungsbetrieben, nicht aber bloße Einreisen und Aufenthalte ohne Übernachtungen zu jedweden Zwecken, unter anderem Fahrten von Berufspendlern und Heimreisen niedersächsischer Bürgerinnen und Bürger aus Urlauben in innerdeutschen Risikogebieten) und zahlreicher Ausnahmen (unter anderem negativer Corona-Test, „triftiger Reisegrund“ und Einzelfallausnahmen des Gesundheitsamts) erfasse das Verbot von vorneherein nur einen sehr begrenzten Ausschnitt des Reisegeschehens und könne auch nur insoweit überhaupt eine Wirkung auf das Infektionsgeschehen entfalten.“ (OVG Lüneburg, Pressemitteilung vom 15.10.2020).
Im Übrigen argumentierte das Gericht vergleichbar dem VGH Mannheim mit dem fehlenden Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt in Beherbergungsbetrieben und dem Infektionsgeschehen. Das Verbot stelle insgesamt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Betreiber nach Art. 12 GG dar, der auch nicht durch die geltenden Ausnahmen so abgemildert werde, dass eine Verhältnismäßigkeit der Regelung bestehe. Auch hinsichtlich der begrenzten Möglichkeit, innerhalb einer kurzen Zeitspanne einen negativen Coronatest zu erlangen, entspricht die Argumentation des Gerichts der das VGH Mannheim.
Auch das niedersächsische Beherbergungsverbot wurde daher vorläufig außer Vollzug gesetzt.
(Siehe zum Ganzen OVG Lüneburg, Pressemitteilung vom 15.10.2020, hier abrufbar).
III. OVG Schleswig-Holstein: Beherbergungsverbot bleibt in Kraft
Anders entschied demgegenüber das Schleswig-Holsteinsche Oberverwaltungsgericht. Vor dem Hintergrund der stark ansteigenden Infektionszahlen sah sich das Gericht nicht in der Lage, das dort geltende Beherbergungsverbot außer Vollzug zu setzen. Dies könnte zu einem unkontrollierten Anreisen von Touristen nach Schleswig-Holstein führen, was die öffentliche Gesundheit gefährden würde. Im Rahmen der Folgenabwägung müsse eine Entscheidung daher zugunsten des Beherbergungsverbots ausfallen.
(Siehe zum Ganzen die Zusammenfassung der FAZ , eine Pressemitteilung des Gerichts steht noch aus).
IV. Ausblick
Wie so oft zeigt sich: Mit guter Argumentation sind verschiedene Lösungen vertretbar. Die Entscheidungen sollten Studenten wie Examenskandidaten Anlass geben, die Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sowie die Normenkontrolle nach § 47 VwGO zu wiederholen. Ein Augenmerk sollte auch auf den Unterschieden, die sich aus der Situation des Antragstellers ergeben, liegen: Während das baden-württembergische Verbot an Art. 11 GG gemessen wurde, kam es in Niedersachsen auf die Vereinbarkeit mit Art. 12 GG an.
Im Übrigen sollte im Hinblick auf anstehende Klausuren und mündliche Prüfungen die aktuelle Rechtsprechung zum Pandemiegeschehen im Blick gehalten werden – an den Beherbergungsverboten zeigt sich besonders deutlich, dass sich diese hervorragend in juristische Prüfungen einbinden lässt.