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Dr. Lena Bleckmann

COVID-19: Sind Beherbergungsverbote rechtmäßig? Aktelle Entscheidungen aus Baden-Württemberg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein

Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verwaltungsrecht

Kaum ein Thema hat in der vergangenen Woche die Diskussion um neue Präventionsmaßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 so dominiert wie die Beherbergungsverbote. Diese wurden von einigen Bundesländern aufgrund stark ansteigender Fallzahlen eingeführt, andere wiederum verweigerten vergleichbare Maßnahmen. Nicht nur diese Uneinheitlichkeit stand in der Kritik – auch die Wirksamkeit solcher Beherbergungsverbote zur Pandemiebekämpfung wurde bezweifelt.
Nun liegen erste Eilentscheidungen der zuständigen Gerichte vor, und es zeigt sich: Einheitlichkeit wird auch die Rechtsprechung hier vorerst nicht herbeiführen. Im Folgenden sollen die aktuellen Entscheidungen des VGH Mannheim, des OVG Lüneburg sowie des OVG Schleswig-Holstein in ihren Grundzügen vorgestellt werden. Die Examensrelevanz – für Klausuren wie mündliche Prüfungen – liegt auf der Hand.
I. VGH Mannheim: Beherbergungsverbot außer Vollzug gesetzt
In Baden-Württemberg wurde die Beherbergung von Gästen, die sich in einem Land- oder Stadtkreis oder einer kreisfreien Stadt innerhalb der Bundesrepublik aufgehalten haben oder dort ihren Wohnsitz haben, in dem der Schwellenwert von 50 gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen überschritten wurde, durch § 2 Abs. 1 der Corona-Verordnung Beherbergungsverbot untersagt. Eine Ausnahme sollte nur möglich sein, wenn die betroffenen Gäste einen negativen Coronatest vorlegen konnten, der nicht älter als 48 Stunden ist. Die Reisebeschränkung soll nach Angaben der Landesregierung der Eindämmung des Pandemiegeschehens dienen.
Hiergegen wendete sich eine Familie aus dem Kreis Recklinghausen, in dem die kritische Marke bereits überschritten wurde, mit einem Eilantrag. Die Familie hatte einen mehrtägigen Urlaub in Baden-Württemberg gebucht und wollte diesen auch antreten.

Anmerkung: Das Land Baden-Württemberg hat in § 4 AGVwGO von der Möglichkeit nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht, die Normenkontrolle auch gegen im Rang unter dem Landesrecht stehende Rechtsvorschriften zuzulassen. Bei dem Eilantrag gegen die Verordnung handelt es sich daher um einen Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen.

Das Gericht gab dem Antrag statt. Dies begründete es vorwiegend mit einem unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG. Der Eingriff in den Schutzbereich steht hier außer Frage. Kernstück der Prüfung dürfte die Verhältnismäßigkeit eines Verbots sein. Zugunsten der Verordnung ist hier – wie so häufig zur Rechtfertigung von Präventionsmaßnahmen in Zeiten der Pandemie – anzuführen, dass das Beherbergungsverbot dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter dient, da es Gefahren für die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit einer Großzahl von Personen abwenden soll und der Bewahrung der Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems dient. Gegen die Verhältnismäßigkeit eines Beherbergungsverbots spricht jedoch nach der Argumentation des VGH Mannheim ganz entscheidend, dass innerdeutsche Urlaubsreisen sowie der Aufenthalt in Beherbergungsbetrieben bisher kein Treiber der Pandemie gewesen sind. Dies seien vielmehr Feiern in größeren Gruppen sowie der Aufenthalt in engen Räumen. Ein Zusammenhang zwischen der Beherbergung und einem besonders hohen Infektionsrisiko bestehe nicht, zumal in Beherbergungsbetrieben nicht zwangsläufig eine größere Zahl von Menschen aufeinandertreffen würde. Dass daher gerade Beherbergungsbetriebe im Gegensatz zu Bars und Vergnügungsstätten Beschränkungen unterworfen werden sollen, erschließe sich nicht.
Hieran soll auch die Befreiungsmöglichkeit aufgrund eines negativen Coronatests nichts ändern: Ob ein solcher in der vorgegebenen Zeit überhaupt erlangt werden könne, sei nicht gesichert. Den Betroffenen sei es daher nicht zumutbar, sich auf diese Möglichkeit der Befreiung verweisen zu lassen.
Insgesamt wurde das baden-württembergische Beherbergungsverbot daher mit sofortiger Wirkung außer Vollzug gesetzt.
(Siehe zum Ganzen: VGH Mannheim, Pressemitteilung vom 15.10.2020, hier abrufbar).
II. OVG Lüneburg: Niedersächsisches Beherbergungsverbot ebenfalls außer Vollzug gesetzt
Ähnlich entschied das OVG Lüneburg zum niedersächsischen Beherbergungsverbot. Dieses war in § 1 der Niedersächsischen Corona-Berherbergungs-Verordnung vorgesehen. Der Betreiber eines Ferienparks wendete sich wiederum mit einem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen das Verbot und hatte Erfolg.
Das niedersächsische Verbot ist nach Ansicht des OVG Lüneburg bereits zu unbestimmt, da es Personen „aus“ Risikoverbieten erfasse, ohne zu präzisieren, ob sie dort ihren Wohnsitz haben oder gewöhnlichen Aufenthalt haben müssten.
Weiterhin bezweifelte das Gericht die Notwendigkeit der infektionsschutzrechtlichen Maßnahme:

 „Angesichts des engen Anwendungsbereichs (Übernachtungen zu touristischen Zwecken in Beherbergungsbetrieben, nicht aber bloße Einreisen und Aufenthalte ohne Übernachtungen zu jedweden Zwecken, unter anderem Fahrten von Berufspendlern und Heimreisen niedersächsischer Bürgerinnen und Bürger aus Urlauben in innerdeutschen Risikogebieten) und zahlreicher Ausnahmen (unter anderem negativer Corona-Test, „triftiger Reisegrund“ und Einzelfallausnahmen des Gesundheitsamts) erfasse das Verbot von vorneherein nur einen sehr begrenzten Ausschnitt des Reisegeschehens und könne auch nur insoweit überhaupt eine Wirkung auf das Infektionsgeschehen entfalten.“ (OVG Lüneburg, Pressemitteilung vom 15.10.2020).

Im Übrigen argumentierte das Gericht vergleichbar dem VGH Mannheim mit dem fehlenden Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt in Beherbergungsbetrieben und dem Infektionsgeschehen. Das Verbot stelle insgesamt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Betreiber nach Art. 12 GG dar, der auch nicht durch die geltenden Ausnahmen so abgemildert werde, dass eine Verhältnismäßigkeit der Regelung bestehe. Auch hinsichtlich der begrenzten Möglichkeit, innerhalb einer kurzen Zeitspanne einen negativen Coronatest zu erlangen, entspricht die Argumentation des Gerichts der das VGH Mannheim.
Auch das niedersächsische Beherbergungsverbot wurde daher vorläufig außer Vollzug gesetzt.
(Siehe zum Ganzen OVG Lüneburg, Pressemitteilung vom 15.10.2020, hier abrufbar).
III. OVG Schleswig-Holstein: Beherbergungsverbot bleibt in Kraft
Anders entschied demgegenüber das Schleswig-Holsteinsche Oberverwaltungsgericht. Vor dem Hintergrund der stark ansteigenden Infektionszahlen sah sich das Gericht nicht in der Lage, das dort geltende Beherbergungsverbot außer Vollzug zu setzen. Dies könnte zu einem unkontrollierten Anreisen von Touristen nach Schleswig-Holstein führen, was die öffentliche Gesundheit gefährden würde. Im Rahmen der Folgenabwägung müsse eine Entscheidung daher zugunsten des Beherbergungsverbots ausfallen.
(Siehe zum Ganzen die Zusammenfassung der FAZ , eine Pressemitteilung des Gerichts steht noch aus).
IV. Ausblick
Wie so oft zeigt sich: Mit guter Argumentation sind verschiedene Lösungen vertretbar. Die Entscheidungen sollten Studenten wie Examenskandidaten Anlass geben, die Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sowie die Normenkontrolle nach § 47 VwGO zu wiederholen. Ein Augenmerk sollte auch auf den Unterschieden, die sich aus der Situation des Antragstellers ergeben, liegen: Während das baden-württembergische Verbot an Art. 11 GG gemessen wurde, kam es in Niedersachsen auf die Vereinbarkeit mit Art. 12 GG an. 
Im Übrigen sollte im Hinblick auf anstehende Klausuren und mündliche Prüfungen die aktuelle Rechtsprechung zum Pandemiegeschehen im Blick gehalten werden – an den Beherbergungsverboten zeigt sich besonders deutlich, dass sich diese hervorragend in juristische Prüfungen einbinden lässt. 

16.10.2020/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2020-10-16 09:15:592020-10-16 09:15:59COVID-19: Sind Beherbergungsverbote rechtmäßig? Aktelle Entscheidungen aus Baden-Württemberg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein
Dr. Lena Bleckmann

BVerfG: Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen verfassungsgemäß

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Der vergangene Woche veröffentlichte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen in Hessen (Az. 2 BvR 1333/17) hat viel mediale Aufmerksamkeit erhalten. Mit den Grundrechten der Religions- und Berufsfreiheit werden absolute Klassiker des Verfassungsrechts relevant – die Kenntnis der Entscheidung dürfte daher in Zukunft sowohl von Examenskandidaten, als auch von jüngeren Semestern erwartet werden. Nicht zuletzt macht auch die Abgrenzung zu anderen Fällen des Kopftuchverbots die Entscheidung besonders interessant für Klausuren und mündliche Prüfungen.
Sachverhalt (gekürzt und abgewandelt)
A ist deutsche Staatsbürgerin und seit 2017 Rechtsreferendarin im Land Hessen. In der Öffentlichkeit trägt sie ein Kopftuch, was sie als Ausdruck ihrer persönlichen Glaubensüberzeugung und Neutralität versteht.
Rechtsreferendare in Hessen werden in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis berufen. Für sie gelten im Wesentlichen die Vorschriften für Beamte auf Widerruf (§ 27 I 2 JAG Hessen), insbesondere auch § 45 HGB, der lautet:

1Beamtinnen und Beamte haben sich im Dienst politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten. 2Insbesondere dürfen sie Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale nicht tragen oder verwenden, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die Neutralität ihrer Amtsführung zu beeinträchtigen oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden zu gefährden. 3Bei der Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 und 2 ist der christlich und humanistisch geprägten abendländischen Tradition des Landes Hessen angemessen Rechnung zu tragen.

Aus einem diesbezüglich ergangenen Erlass des Hessischen Ministeriums der Justiz folgte, dass Referendarinnen, die während der Ausbildungszeit ein Kopftuch tragen, keine Tätigkeiten ausüben dürfen, bei denen sie von Bürgern als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden können. Das heißt insbesondere, dass sie bei Verhandlungen nicht auf der Richterbank, sondern nur im Zuschauerraum sitzen dürfen, keine Sitzungsleitung oder Beweisaufnahme durchführen, Sitzungsvertretungen für die Staatsanwaltschaft übernehmen oder Anhörungsausschutzsitzungen leiten können.Ursprünglich war vorgesehen, dass entsprechende Teile der Ausbildung, die so nicht abgeleistet werden konnten, mit „ungenügend“ bewertet wurden. Dies wurde in der Folgezeit geändert, vielmehr sollte der Umstand fortan keinen Einfluss auf die Gesamtbewertung haben, sondern der entsprechende Abschnitt schlicht als „konnte nicht erbracht werden“ gekennzeichnet werden.
Nachdem A bereits 2017 mit einer Beschwerde und einem Eilantrag gem. § 32 BVerfGG vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert war, klagte sie erfolglos vor den Verwaltungsgerichten. Gegen die Entscheidung des VGH Kassel legte sie Verfassungsbeschwerde ein.
Entscheidung
Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde der A nach Art. 93 I Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a BVerfGG, §§ 90 ff. BVerfGG wirft keine großen Probleme auf: A ist als natürliche Person und Grundrechtsträgerin beschwerdefähig und kann geltend machen, durch das Urteil des VGH Kassel als Akt öffentlicher Gewalt möglicherweise selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihrer Religionsfreiheit aus Art. 4 I, II GG sowie ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG und ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG verletzt zu sein. Der Rechtsweg ist erschöpft und der Grundsatz der Subsidiarität gewahrt. Das BVerfG bejaht auch nach Abschluss der betroffenen Ausbildungsabschnitte ausdrücklich das Rechtsschutzbedürfnis aufgrund der Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Von der form- und fristgerechten Erhebung der Verfassungsbeschwerde ist auszugehen.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn A durch das letztinstanzliche Urteil in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt wurde.
Hierbei ist wie stets darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht keine Superrevisionsinstanz ist. Es überprüft im Rahmen der Urteilsverfassungsbeschwerde die Entscheidung des Fachgerichts nicht auf die Vereinbarkeit mit dem einfachen Recht, sondern nur im Hinblick auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts.

Beachte: Die Urteilsverfassungsbeschwerde ist zweistufig zu prüfen, wobei der Bearbeiter sich von vorneherein über die Schwerpunktsetzung im Klaren sein sollte. Zumeist wird das Hauptproblem entweder auf der Stufe des zugrundeliegenden Gesetzes liegen, oder aber auf der Stufe des Einzelaktes. Dies sollte aus der Klausur klar hervorgehen. Im vorliegenden Fall liegt der Schwerpunkt erkennbar bei der Normprüfung.

I. Verletzung der Religionsfreiheit
A könnte in ihrem Grundrecht auf Religionsfreiheit aus Art. 4 I, II GG verletzt sein. Das ist der Fall, wenn ein Eingriff in den Schutzbereich vorliegt, der nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann.
1. Eingriff in den Schutzbereich
Das BVerfG bejaht unproblematisch einen Eingriff in den Schutzbereich:

„Die der Beschwerdeführerin auferlegte und vom Verwaltungsgerichtshof bestätigte Pflicht, bei Tätigkeiten, bei denen sie als Repräsentantin des Staates wahrgenommen wird oder wahrgenommen werden könnte, die eigene Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft nicht durch das Befolgen von religiös begründeten Bekleidungsregeln sichtbar werden zu lassen, greift in die von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verbürgte individuelle Glaubensfreiheit ein. Sie stellt die Beschwerdeführerin vor die Wahl, entweder die angestrebte Tätigkeit auszuüben oder dem von ihr als verpflichtend angesehenen religiösen Bekleidungsgebot Folge zu leisten.
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthält ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht. Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, das heißt einen Glauben zu haben, zu verschweigen, sich vom bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten, für seinen Glauben zu werben und andere von ihrem Glauben abzuwerben. Umfasst sind damit nicht allein kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung sowie andere Äußerungsformen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Dazu gehört das Recht der Einzelnen, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, also glaubensgeleitet zu leben; dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze.“ (Rz. 77, 78; Verweise im Zitat ausgelassen).

Insbesondere kann sich A auch im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses auf ihre Grundrechte berufen – sie ist durch das Verbot in ihrer persönlichen Rechtsstellung betroffen, insoweit gelten die Grundrechte auch in Sonderstatusverhältnissen. Auch steht dem Grundrechtsschutz nicht entgegen, dass im Islam unterschiedliche Ansichten zu Bekleidungsvorschriften vertreten werden.
2. Rechtfertigung
Der Eingriff könnte verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Das ist der Fall, wenn das Grundrecht beschränkbar ist und die Grenzen der Einschränkungsmöglichkeit („Schranken-Schranken“) eingehalten wurden.
Das Grundrecht der Religionsfreiheit ist vorbehaltslos gewährleistet. Eine Beschränkung ist dennoch aufgrund verfassungsimmanenter Schranken, namentlich Grundrechten Dritter oder sonstige Werte von Verfassungsrang, möglich. Auch die Beschränkung aufgrund verfassungsimmanenter Schranken bedarf einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage.
Als einschränkendes Gesetz kommt hier § 27 I 2 JAG i.V.m. § 45 HBG in Betracht. An dessen formeller Verfassungsmäßigkeit bestehen keine Zweifel. Hinsichtlich der Bestimmtheit der Norm führt das BVerfG aus:

„Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fehlt die notwendige Bestimmtheit nicht schon deshalb, weil eine Norm auslegungsbedürftig ist. Dem Bestimmtheitserfordernis ist vielmehr genügt, wenn die Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können. Es ist in erster Linie Aufgabe der Rechtsanwendungsorgane, Zweifelsfragen zu klären und Auslegungsprobleme mit den herkömmlichen Mitteln juristischer Methode zu bewältigen. Dass dies vorliegend nicht möglich wäre, ist nicht erkennbar. Soweit die Beschwerdeführerin einwendet, es könne anhand des § 45 Satz 2 HBG nicht definiert werden, worin die „objektive Eignung“ eines muslimischen Kopftuchs bestehe, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung des Beamten zu beeinträchtigen oder den religiös-weltanschaulichen Frieden zu gefährden, macht sie inhaltlich nicht geltend, dass die Norm zu unbestimmt sei, sondern, dass deren Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt seien. Hiermit stellt sie nicht die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage, sondern die der Rechtsanwendung infrage.“ (Rz. 85, Verweise im Zitat ausgelassen).

Das Gesetz dürfte auch nicht gegen Grundrechte verstoßen.

Beachte: Hierbei handelt es sich um eine einzelaktsunabhängige Grundrechtsprüfung. Die Frage ist, ob das Gesetz schon von sich aus in den Schutzbereich eines Grundrechts eingreift und die Grenzen der Einschränkungsmöglichkeit beachtet.

§ 27 I 2 JAG i.V.m. § 45 HBG greift durch das Verbot, religiöse Symbole zu tragen, schon von sich aus in den Schutzbereich der Religionsfreiheit ein. Dies könnte jedoch zum Schutz kollidierenden Verfassungsrechts erfolgen. Als kollidierende Verfassungsgüter kommen die Neutralitätspflicht des Staates, die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und die negative Religionsfreiheit Dritter in Betracht.
Zur Neutralitätspflicht führt das BVerfG aus:

„Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten und darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren. Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist.“ (Rz. 87, Verweise im Zitat ausgelassen).
Hierbei entspricht die Verpflichtung des Staates zur Neutralität einer Verpflichtung seiner Amtsträger: Der Staat kann nur durch seine Amtsträger handeln, sodass diese das Neutralitätsgebot zu wahren haben, soweit ihr Handeln dem Staat zugerechnet wird.
Hier ist eine besondere Betrachtung des Einzelfalls erforderlich. Nicht jede Handlung eines staatlich Bediensteten ist dem Staat in gleicher Weise zuzurechnen. Daher wurde ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen an einer bekenntnisfreien Schule als verfassungswidrig erachtet: Ein solches Bekenntnis wird dem Staat nicht zwingend als eigenes zugerechnet (siehe hierzu BVerfGE 138, 296). Die Situation vor Gericht ist indes besonders dadurch geprägt, dass der Staat dem Bürger klassisch-hoheitlich gegenübertritt. Auch ist eine besondere Formalität und Konformität dadurch gegeben, dass die Richter eine Amtstracht tragen.
„Das unterscheidet die formalisierte Situation vor Gericht, die den einzelnen Amtsträgern auch in ihrem äußeren Auftreten eine klar definierte, Distanz und Gleichmaß betonende Rolle zuweist, vom. Aus Sicht des objektiven Betrachters kann insofern das Tragen eines islamischen Kopftuchs durch eine Richterin oder eine Staatsanwältin während der Verhandlung als Beeinträchtigung der weltanschaulich-religiösen Neutralität dem Staat zugerechnet werden.“ (Rz. 90, Verweise im Zitat ausgelassen).

Als weiteres Gut von Verfassungsrang ist die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und insoweit insbesondere das Vertrauen der Bürger in die Justiz zu berücksichtigen. Zwar sein ein absolutes Vertrauen nicht zu erreichen, der Staat habe sich jedoch um Optimierung zu bemühen.

„Auch wenn das religiöse Bekenntnis einzelner Amtsträger allein nicht gegen deren sachgerechte Amtswahrnehmung spricht, kann die erkennbare Distanzierung des einzelnen Richters und der einzelnen Richterin von individuellen religiösen, weltanschaulichen und politischen Überzeugungen bei Ausübung ihres Amtes zur Stärkung des Vertrauens in die Neutralität der Justiz insgesamt beitragen und ist umgekehrt die öffentliche Kundgabe von Religiosität geeignet, das Bild der Justiz in ihrer Gesamtheit zu beeinträchtigen, das gerade durch eine besondere persönliche Zurücknahme der zur Entscheidung berufenen Amtsträger geprägt ist.“ (Rz. 92, Verweise im Zitat ausgelassen).

Durch religiöse Symbole im Gerichtssaal kann außerdem die negative Religionsfreiheit Dritter beeinträchtigt sein. Diese umfasst u.a. die Freiheit, sich religiösen Handlungen eines fremden Glaubens zu entziehen und ist beeinträchtigt, wenn der Einzelne sich ohne Entziehungsmöglichkeit solchen Bekenntnissen ausgesetzt sieht.

„Der Gerichtssaal stellt einen solchen Raum dar, in dem der Anblick religiöser Symbole im vorgenannten Sinne unausweichlich sein kann, wenn der Staat ihre Verwendung nicht untersagt. Hiermit kann für einzelne Verfahrensbeteiligte eine Belastung einhergehen, die einer grundrechtlich relevanten Beeinträchtigung gleichkommt“ (Rz. 95).

Nicht beeinträchtigt ist nach dem BVerfG hingegen das Gebot der Unparteilichkeit der Richter: Das Tragen eines religiösen Symbols genüge für sich genommen nicht aus, Zweifel an dessen Objektivität zu begründen. Auch bestehe kein genereller Schutzanspruch für den gesellschaftlich-religiösen Frieden, der es gebiete, Richtern das Tragen religiöser Symbole zu untersagen.
Die widerstreitenden Verfassungsgüter sind im Wege praktischer Konkordanz zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. Zu berücksichtigen ist der hohe Wert der Glaubensfreiheit der Amtsträger. Zugunsten der A ist zu bedenken, dass es keinen anderen Weg gibt, das zweite juristische Staatsexamen zu erreichen, als den Vorbereitungsdienst abzuleisten. Auch ist das Tragen des Kopftuchs für sie nicht bloß eine Option, sondern wird von ihr als imperatives religiöses Gebot empfunden. Demgegenüber streitet zugunsten der Verfassungsmäßigkeit der Regelung, dass sich das Verbot auf einzelne Tätigkeiten beschränkt. Auch wird bei den betroffenen Tätigkeiten die Justiz als solche nach außen verkörpert, sodass die Werte, die das Grundgesetz insoweit vorsieht, besonders zu achten sind. (Siehe für die ausführliche Abwägung die Rz. 101 ff. der Entscheidung). Letztlich kommt dem Gesetzgeber in diesem Bereich eine Einschätzungsprärogative zu:

„Hiervon ausgehend ist der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs und die ihm zugrundeliegende Auslegung von § 27 Abs. 1 Satz 2 JAG in Verbindung mit § 45 HBG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Angesichts der konkreten Ausgestaltung des verfahrensgegenständlichen Verbots kommt keiner der kollidierenden Rechtspositionen vorliegend ein derart überwiegendes Gewicht zu, das verfassungsrechtlich dazu zwänge, der Beschwerdeführerin das Tragen religiöser Symbole im Gerichtssaal zu verbieten oder zu erlauben. Die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Pflicht, sich im Rechtsreferendariat in weltanschaulich-religiöser Hinsicht neutral zu verhalten, ist daher aus verfassungsrechtlicher Sicht zu respektieren“ (Rz. 102).

Insoweit ist der Eingriff in die Religionsfreiheit gerechtfertigt.
II. Verletzung sonstiger Grundrechte
Zu einem Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG führt das BVerfG aus:

„Das gegen die Beschwerdeführerin ausgesprochene und im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren bestätigte Verbot, die genannten sitzungsdienstlichen Aufgaben mit Kopftuch wahrzunehmen, greift in diesen Gewährleistungsgehalt ein. Die Ausbildungsfreiheit garantiert aber keinen weitergehenden Schutz als die schrankenlos gewährleistete Religionsfreiheit. Selbst unter der Annahme, dass im Einzelfall die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) betroffen wäre, wenn ein als verpflichtend empfundenes religiöses Gebot in Frage steht, wären die vom Landesgesetzgeber verfolgten Ziele der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates, der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und des Schutzes der negativen Religionsfreiheit Dritter besonders gewichtige Gemeinschaftsbelange, die die Regelung rechtfertigen.“ ( Rz. 110).

Ebenso ist ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus den gleichen Gründen gerechtfertigt.
Das Gesetz erweist sich insgesamt als verfassungsgemäß. Auch das Urteil des VGH Kassel beruht auf einer verfassungskonformen Anwendung des Gesetzes. A ist durch das Urteil nicht in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Folgen für die Ausbildung
Die Entscheidung des BVerfG könnte weitgehend ohne Abwandlungen so als Klausur gestellt werden. Dem Bearbeiter bietet sich ein weiter Argumentationsspielraum und die Möglichkeit, den sicheren Umgang mit der Urteilsverfassungsbeschwerde und dem Grundrecht der Religionsfreiheit unter Beweis zu stellen.
Insbesondere in Abgrenzung zu früheren Entscheidungen (z.B. Kopftuchverbot für Lehrerinnen) dürfte vorliegendes Urteil relevant werden, sodass sich eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Argumenten anbietet. Die Entscheidung ist konkret auf Rechtsreferendarinnen bezogen – indes dürfte ähnliches für Richterinnen und Staatsanwältinnen gelten. Entsprechende Entscheidungen bleiben abzuwarten.

02.03.2020/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2020-03-02 08:30:452020-03-02 08:30:45BVerfG: Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen verfassungsgemäß
Dr. Sebastian Rombey

BVerwG: Kükentöten bleibt rechtmäßig – vorerst

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Das BVerwG hat mit Entscheidung v. 13. Juni 2019 (Az. 3 C 28.16 und 3 C 29.16) ein extrem examensrelevantes Grundsatzurteil gefällt, das politisch brisanter und juristisch spannender kaum sein könnte. Es geht um die Frage, ob die ca. 45 Millionen männlichen Küken, die jährlich in Deutschlands Legehennenbetrieben schlüpfen, direkt nach dem Schlüpfvorgang geschreddert oder vergast werden dürfen, da sie weder Eier legen noch für die Fleischproduktion geeignet sind. Das scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zum TierSchG zu stehen, ist aber europaweite Praxis und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll. Das eigentlich schon für Mitte Mai angekündigte und erst jetzt auf Grund erhöhten Beratungsbedarfs ergangene BVerwG-Urteil beendet einen jahrelang erbittert geführten Streit und erlaubt das Kükentöten – vorerst. Es soll solange zulässig bleiben, bis praxistaugliche Methoden zur Geschlechtsbestimmung der Eier vor dem Schlüpfen auch für Betriebe der Massentierhaltung einsatztauglich sind. Im Einzelnen:
I. Entscheidungskontext: Sachverhalt und Hintergründe
Das im Jahre 2015 (Kabinett Kraft II) noch grün geführte NRW-Umweltministerium richtete an die Kreisordnungsbehörden des Landes einen Erlass, wonach die Tötung männlicher Küken nicht mit dem TierSchG zu vereinbaren sei. Diesem Erlass folgend erließ der Kreis Paderborn (Gleiches geschah im Kreis Gütersloh) gegen einen Legehennenbetrieb nach vorheriger Anhörung das mit einer Übergangsfrist zum 1. Januar 2017 versehene Verbot der Tötung männlicher Küken (sog. Eintagsküken), wobei kranke respektive nicht schlupffähige Küken ausgenommen wurden. Zur Begründung verwies der Kreis darauf, dass kein vernünftiger Grund für die Tötung der männlichen Küken bestehe; insbesondere die von dem Legehennenbetrieb angeführten wirtschaftlichen Interessen seien hierfür nicht ausreichend. Die gesellschaftlichen Anschauungen hätten sich – auch vor dem Hintergrund des mittlerweile in Art. 20a GG normierten Staatsziels des Tierschutzes – derart gewandelt, dass eine Direkttötung nach dem Schlüpfvorgang nicht mehr gerechtfertigt werden könne. Gegen diese auf § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG gestützte Ordnungsverfügung wandte sich der adressierte Legehennenbetrieb mit der Begründung, dass sich ein Verzicht auf diese Praxis existenzgefährdend auswirke, grundrechtliche Gewährleistungen (Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG) verletzt seien deshalb § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage darstelle.
Das OVG Münster gab der Anfechtungsklage des Legehennenbetriebs mit Urteil v. 20. Mai 2016 (Az. 20 A 530/15 und 20 A 488/15) statt und ging dabei davon aus, dass § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG trotz der grundrechtlichen Relevanz eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für behördliches Handeln bilde und die ins Feld geführten ökonomischen Interessen als vernünftiger Grund anzusehen seien. Die dagegen gerichtete Revision wurde nun vom BVerwG abgewiesen, auch wenn die Leipziger Richter eine Hintertür offen lassen, die dann zu durchschreiten ist, wenn praxistaugliche Alternativen zur Geschlechtsbestimmung vor dem Schlüpfvorgang einsatzbereit sind.
II. Die Entscheidung des BVerwG (PM Nr. 47/2019 v. 13. Juni 2019)
Die angegriffene Ordnungsverfügung des Kreises ist rechtswidrig, soweit der Inhaber des Legehennenbetriebs hierdurch in seinen Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Da es sich bei dem Verbot des Kükentötens um einen VA mit Dauerwirkung handelt, ist ausnahmsweise auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen.
1. § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG als taugliche Ermächtigungsgrundlage?
Aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 2, 28 Abs. 1 GG) folgt der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, zu dem der Vorbehalt des Gesetzes gehört. Deshalb bedarf es für ein behördliches Handeln im Bereich der Eingriffsverwaltung einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage, die in § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG zu erblicken sein könnte. Danach trifft die „zuständige Behörde […] die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen.“ Zwar handelt es sich hierbei fraglos um eine Ermächtigungsgrundlage, unklar ist indes, ob diese vor dem Hintergrund des Parlamentsvorbehalts ausreichend sein kann, wenn grundrechtliche Gewährleistungen wie hier der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb nach Art. 14 Abs. 1 GG sowie die Unternehmensfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG in starker Weise eingeschränkt werden. Denn derart wesentliche Entscheidungen sind unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten dem Grundsatz nach durch den Gesetzgeber zu treffen. Dennoch ist es überzeugender, von einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage auszugehen. Da das Urteil des BVerwG noch nicht im Volltext vorliegt, müssen die vom BVerwG bestätigten Erwägungen des OVG Münster an dieser Stelle herangezogen werden (Rn. 21):

„Die Vorschrift bildet die allgemeine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass behördlicher Anordnungen zur Durchsetzung des Tierschutzrechts. Sie begründet nach ihrem Wortlaut sowie ihrem Sinn und Zweck für die zuständige Behörde die generelle Befugnis, durch Verwaltungsakt vorbehaltlich spezieller Vorschriften Regelungen zur Einhaltung des Tierschutzrechts zu treffen. Die Befugnis wird durch § 16a Abs. 1 Satz 2 TierSchG für beispielhaft genannte Fallgruppen („insbesondere“), in denen die Behörde im Einzelnen beschriebene Anordnungen erlassen bzw. Maßnahmen ergreifen darf, konkretisiert und für weitere Konstellationen unter anderem durch § 16a Abs. 2 und 3 TierSchG ergänzt.“

Dass es sich um eine Generalklausel handelt, ist ebenso wenig problematisch, da auf Tatbestandsseite ein Verstoß gegen das TierSchG und auf Rechtsfolgenseite notwendige Anordnungen getroffen werden; beides ist einzelfallgerecht und im Einklang mit höherrangigem Recht (insbesondere im Einklang mit dem Grundgesetz) auszulegen, zumal die Beschränkung der Anordnungen auf das Notwendige den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 15 OBG NRW) zum Ausdruck bringt. Deshalb bildet die Generalklausel des § 16 Abs. 1 S. 1 TierSchG eine taugliche Ermächtigungsgrundlage.
2. Formelle Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung
In formeller Hinsicht bestehen keine Bedenken gegen die durch den zuständigen Kreis nach vorheriger Anhörung erlassene, schriftlich begründete Ordnungsverfügung, § 28 Abs. 1 VwVfG NRW, § 39 Abs. 1 VwVfG NRW i.V.m. § 20 OBG NRW.
3. Materielle Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung
Materiell ist die Ordnungsverfügung rechtmäßig, wenn sie die Voraussetzungen des § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG wahrt, die Tötung der männlichen Eintagsküken also gegen das TierSchG verstößt. In Betracht kommt ein Verstoß gegen § 1 S. 2 TierSchG, wonach Niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf. Dieses allumfassende Verbot sichert Art. 20a GG einfachgesetzlich ab.
a) Bestimmtheitsbedenken gegen § 1 S. 2 TierSchG bestehen nicht
Zunächst könnte man sich fragen, ob § 1 S. 2 TierSchG überhaupt mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG hinreichend bestimmt ist. Dies deshalb, weil ein solches in Grundrechte eingreifendes und mittels § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG abgesichertes Verbot möglicherweise genauer angeben müsste, was genau als vernünftiger Grund zum Töten eines Tieres im Sinne von § 1 S. 2 TierSchG anzusehen ist und was nicht. Wie immer reicht aber die Bestimmbarkeit einer Regelung aus, um dem Bestimmtheitsgrundsatz zu genügen. Maßstab ist die Frage, ob durch Auslegung mittels des Savigny’schen Auslegungskanons eine Konkretisierung des Blankettbegriffs möglich ist. Da § 1 S. 2 TierSchG systematisch im Kontext mit der Staatszielbestimmung aus Art. 20a GG zu lesen ist und überdies selbst angibt, dass das Tier als Mitgeschöpf stark beeinträchtigt sein muss – genannt werden Schmerzen, Leiden und Schäden -, kann im Einzelfall ermittelt werden, was erfasst sein soll und was nicht. Ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot ist damit nicht anzunehmen.
b) Doch: Was ist ein vernünftiger Grund zum Töten eines Tieres? Interessenabwägung bereits auf Tatbestandsebene
Um zu ermitteln, ob die angeführten ökonomischen Interessen des Legehennenbetriebs einen vernünftigen Grund zum Töten der Küken darstellen können, ist bereits auf Tatbestandsebene eine Interessenabwägung zwischen dem menschlichen Nutzungsinteresse einerseits und dem Tierschutz andererseits durchzuführen. Dazu das BVerwG in seiner Pressemitteilung:
„Das Tierschutzgesetz schützt – anders als die Rechtsordnungen der meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – nicht nur das Wohlbefinden des Tieres, sondern auch sein Leben schlechthin. Vernünftig im Sinne dieser Regelung ist ein Grund, wenn das Verhalten gegenüber dem Tier einem schutzwürdigen Interesse dient, das unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse am Schutz des Tieres. Im Lichte des im Jahr 2002 in das Grundgesetz aufgenommenen Staatsziels Tierschutz beruht das Töten der männlichen Küken für sich betrachtet nach heutigen Wertvorstellungen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund. Die Belange des Tierschutzes wiegen schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe, aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung nur weibliche Küken zu erhalten. Anders als Schlachttiere werden die männlichen Küken zum frühestmöglichen Zeitpunkt getötet. Ihre „Nutzlosigkeit“ steht von vornherein fest. Zweck der Erzeugung sowohl der weiblichen als auch der männlichen Küken aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung ist allein die Aufzucht von Legehennen. Dem Leben eines männlichen Kükens wird damit jeder Eigenwert abgesprochen. Das ist nicht vereinbar mit dem Grundgedanken des Tierschutzgesetzes, für einen Ausgleich zwischen dem Tierschutz und menschlichen Nutzungsinteressen zu sorgen.“
Kurzum:Das Leben eines Tieres hat einen Eigenwert. Und: Wirtschaftliche Interessen allein rechtfertigen die Tötung von Tieren nicht. Damit tritt das BVerwG der Auffassung des OVG Münster entgegen. Dieses hatte noch angeführt, dass der mit der Aufzucht der Küken verbundene wirtschaftliche Aufwand nicht lohne und mit der menschlichen Nutzung der Hennen zur Eier- und Fleischproduktion eine Tötung der männlichen Küken einhergehe. Dies sei – so das OVG Münster in Rn. 47 – gerade „kein Mangel an Achtung der Tiere in ihrer Mitgeschöpflichkeit, sondern wird als solches angesichts der hergebrachten und nach wie vor weithin verbreiteten sowie rechtlich und gesellschaftlich akzeptierten Ernährung von Menschen durch tierische Lebensmittel von vernünftigen Gründen im Sinne von § 1 S. 2 TierSchG getragen.“
c) Der gesellschaftliche Wandel als „strafbarkeitsbegründender“ Faktor?
Überzeugender noch sind die Erwägungen des OVG Münster zu den gewandelten gesellschaftlichen und ethischen Anschauungen, denn: Könnten diese eine abweichende Beurteilung rechtfertigen, wäre im Ergebnis – ohne gesetzgerbisches Tätigwerden! – die Tötung nach § 17 Nr. 1 TierSchG strafbar. Mit Art. 103 Abs. 2 GG sowie § 1 StGB sei dies unvereinbar. Ein durchaus berechtigter Einwand, der nicht so leicht übergangen werden kann. Man wird die Urteilsgründe des BVerwG hierzu abwarten müssen.
d) Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen hinreichend belegt?
Und noch ein weiteres tritt hinzu: Es erscheint unklar, ob sich die gesellschaftlichen Anschauungen überhaupt so stark verändert haben. Zugegeben: Tierschutz ist in den vergangenen Dekaden immer wichtiger geworden, Art. 20a GG belegt dies eindrucksvoll, Menschen ernähren sich gesünder und im Zuge dessen steigt auch das Bewusstsein für andere Mitgeschöpfe, wie sich u.a. auch an der stetig wachsenden Zahl an Vegetariern und Veganern zeigt. Und dennoch: Die größte Anzahl der Verbraucher ist nicht bereit, für den Tierschutz mehr Geld auszugeben (s. die Recherchen von Julia Löhr unter dem Titel „Flauschig, männlich – tot“ in der FAZ v. 13.06.2019). Schließlich bestehen auf dem Markt (etwa bei REWE, aber auch bei Discountern wie ALDI) schon jetzt Möglichkeiten, Eier zu kaufen, die nach dem „Seleggt“-Verfahren zuvor auf ihr Geschlecht hin bestimmt wurden, männliche Küken also nicht getötet werden mussten. Aber der Preis treibt. Der Unterschied liegt im einstelligen Cent-Bereich pro Ei im Vergleich zur herkömmlichen Produktion. Durchgesetzt haben sich diese Produkte jedenfalls in der breiten Masse nicht. Haben sich die gesellschaftlichen Anschauungen also wirklich derart gewandelt, dass man allgemeinhin bereit wäre, sein Ess- und Kaufverhalten dem Tierschutz anzupassen? Billigeier aus Bodenhaltung oder zusammengeklebtes Formfleisch aus Massentierhaltung zählen unverändert zu den Verkaufsschlagern. Das wird man nicht wegdiskutieren können – ein erster Kritikpunkt an den Ausführungen des BVerwG.
e) „Doppelte Umstellung“ durch Legehennenbetriebe als vernünftiger Grund
Auch wenn die wirtschaftlichen Interessen für sich genommen die Tötung der Küken nicht zu rechtfertigen mögen und damit ein Verstoß gegen § 1 S. 2 TierSchG eigentlich angenommen werden müsste, wäre es – so das BVerwG – unverhältnismäßig, einen vernünftigen Grund gänzlich abzulehnen. Denn eine in der Folge auf § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG gestützte Verbotsverfügung zöge für den Legehennenbetrieb eine doppelte Umstellung nach sich: Einerseits müssten die männlichen Küken aufgezogen und dürften dann nicht mehr getötet werden, andererseits müssten Verfahren zur Geschlechtsbestimmung der Eier implementiert werden. Dazu das BVerwG in seiner Pressemitteilung:
„Die bisherige Praxis wurde allerdings – ausgehend von einer damaligen Vorstellungen entsprechenden geringeren Gewichtung des Tierschutzes – jahrzehntelang hingenommen. Vor diesem Hintergrund kann von den Brutbetrieben eine sofortige Umstellung ihrer Betriebsweise nicht verlangt werden. […] Ohne eine Übergangszeit wären die Brutbetriebe gezwungen, zunächst mit hohem Aufwand eine Aufzucht der männlichen Küken zu ermöglichen, um dann voraussichtlich wenig später ein Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei einzurichten oder ihren Betrieb auf das Ausbrüten von Eiern aus verbesserten Zweinutzungslinien umzustellen. Die Vermeidung einer solchen doppelten Umstellung ist in Anbetracht der besonderen Umstände ein vernünftiger Grund für die vorübergehende Fortsetzung der bisherigen Praxis.“
f) Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen durch die Hintertür der Zumutbarkeit?
Ob das wirklich überzeugen kann – und das ist der zweite Kritikpunkt – erscheint fraglich, aber auch hier wird man die nähere Urteilsbegründung abwarten müssen. Richtig ist, dass auf Grund der grundrechtlichen Gewährleistungen ein sofortiges Verbot nicht möglich gewesen wäre. Ob die Notwendigkeit einer doppelten Umstellung jedoch einen vernünftigen Grund bildet oder nicht vielmehr erst auf Rechtsfolgenseite bei § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG hätte berücksichtigt werden können, sodass im Ergebnis zwar ein Verstoß gegen § 1 S. 2 TierSchG vorliegt, aber die Anordnung eines Sofortverbots nicht „notwendig“ im Sinne der Vorschrift ist, harrt der näheren Betrachtung. Die Pressemitteilung jedenfalls klingt im Ansatz wertungswidersprüchlich: Denn wenn man im ersten Atemzug den wirtschaftlichen Interessen die Fähigkeit abspricht, einen vernünftigen Grund zur Tötung von Tieren bilden zu können, um sodann im zweiten Atemzug zu sagen, dass von den Legehennenbetrieben aber „nicht verlangt“ werden könne, die Tötungen umgehend einzustellen, klingt dies nach einer Berücksichtigung ökonomischer Interessen „durch die Hintertür“ der Zumutbarkeit. Denn auch wenn das BVerwG das nicht so sagt, kann man es von den Legehennenbetrieben allein wirtschaftlich nicht verlangen, eine doppelte Umstellung vorzunehmen. Eleganter wäre es deshalb m.E. gewesen, auf Rechtsfolgenseite einem Sofortverbot die Notwendigkeit abzusprechen.
g) Ergebnis: In der Sache ändert sich wenig
So oder so: Am Ende steht die Zulässigkeit der Kükentötung bis auf weiteres, oder besser gesagt solange, bis eine praxistaugliche Alternative in den Massentierhaltungsbetrieben etabliert werden kann. Einen zeitlichen Rahmen für diese Übergangsfrist hat das BVerwG freilich nicht bestimmt – allzu schnell wird sich in der Sache also nur wenig ändern, auch wenn das Bundeslandwirtschaftsministerium schon seit längerer Zeit Geld in die Fortentwicklung der Methoden zur Geschlechtsbestimmung investiert.
III. Fazit: Zulässigkeit des Kükentötens auf Abruf
Der CO-Chef der Grünen, Robert Habeck, ließ sich direkt nach Urteilsverkündung zu der Bemerkung hinreißen, es handele sich um „enttäuschendes Kükenurteil“, er freue sich aber immerhin darüber, dass die Debatten über die Thematik in der Öffentlichkeit nun wieder befeuert würden, während verschiedene Tierschutzvereine drastischere Worte fanden und abermals ihren Forderungen nach einem sofortigen Stopp der Tötungspraxis Ausdruck verliehen. Julia Klöckner, derzeit Bundeslandwirtschaftsministerin und stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende, sprach sich ebenso für ein schnelles Ende des Tötens aus, das „ethisch nicht vertretbar“ sei, wies aber zugleich darauf hin, dass die Verfahren zur Geschlechtsbestimmung erst noch weiterentwickelt werden müssten. Diese Aussage wiederum stieß auf Kritik des Koalitionspartners, so sagte z.B. der SPD-Agrarpolitiker Rainer Spiering, dass die entsprechenden Verfahren längst durch das Landwirtschaftsministerium hätten entwickelt werden müssen; wäre dies passiert, hätte die BVerwG-Entscheidung anders ausfallen können. Friedrich-Otto Ripke, Präsident des Zentralverbands Deutsche Geflügelwirtschaft dagegen machte deutlich, dass man zwar ebenso an der Entwicklung passgenauer Methoden zur Geschlechtsbestimmung interessiert sei, hierdurch die Produktionszahl von 100.000 Eiern pro Sortiermaschine aber nicht gefährdet werden dürfe. Vielfach wurde das als Drohung aufgefasst, die Produktion anderenfalls ins EU-Ausland zu verlagern, wo derartige Auflagen überwiegend nicht bestehen und schon heute rund die Hälfte der in Deutschland verzehrten Eier produziert wird.
Man sieht: Kein Lager ist mit dem Urteil vollends zufrieden – das belegt die Ausgewogenheit der Entscheidung, jedenfalls im Ergebnis. Was die juristische Begründung in den Details angeht, wird man die Veröffentlichung des Urteils im Volltext hinsichtlich einiger – nach hiesiger Auffassung – kritischer Punkte mit Spannung erwarten können.

17.06.2019/5 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2019-06-17 09:42:462019-06-17 09:42:46BVerwG: Kükentöten bleibt rechtmäßig – vorerst
Dr. Maximilian Schmidt

BVerfG: Kein NPD-Verbot – Ein Überblick über die wichtigsten Aussagen

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Das Urteil des BVerfG vom 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 zum Verbot der rechtsextremen Partei NPD ist nicht nur in der juristischen Welt auf großen Widerhall gestoßen, sondern wird auch in Politik und Gesellschaft kontrovers diskutiert. Im Folgenden sollen die für Studenten der Rechtswissenschaft wichtigsten Thesen des BVerfG dargestellt und erläutert werden. Gerade in einer anstehenden mündlichen Prüfung könnten neben dem Verbotsverfahren auch weitere Fälle rund um die NPD thematisiert werden – sei es die Bezeichnung durch den Bundespräsidenten als „Spinner„, Versammlungsrechtsstreitigkeiten oder die Kündigung im öffentlichen Dienst wegen einer Mitgliedschaft in der NPD. Ein Überblick über die wichtigsten Entscheidungen rund um die NPD findet sich hier. 
I. Die wichtigsten Aussagen des BVerfG
Zunächst stellt das BVerfG fest, dass das Parteiverbot eine Art „ultima ratio“ des Rechtstaats ist. Grundsätzlich soll ein Meinungskampf stattfinden, der auch extreme Ansichten zulässt.

„Das Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG stellt die schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde dar. Es soll den Risiken begegnen, die von der Existenz einer Partei mit verfassungsfeindlicher Grundtendenz und ihren typischen verbandsmäßigen Wirkungsmöglichkeiten ausgehen.“

Mit Bezug zum NPD-Verfahren I, das wegen V-Leuten in der Führungsebene der Partei ebenfalls zur Ablehnung eines Verbots führte (s. unseren Grundlagenartikel), benennt das BVerfG noch einmal den Grundsatz der Staatsfreiheit politischer Parteien sowie die Notwendigkeit eines fairen Verfahrens. Dieses ist jedenfalls dann nicht gewahrt, wenn nicht mehr unterscheidbar ist, ob V-Leute oder echte Parteimitglieder verfassungsfeindliche Ziele verfolgen und dies öffentlich kundtun. Zudem dürfen die von V-Leuten gewonnenen Erkenntnisse über interne Umstände der Partei grundsätzlich nicht im Verbotsverfahren verwendet werden.
Besonders lesenswert sind die Ausführungen des BVerfG zu der Frage, was denn Art. 21 Abs. 2 GG überhaupt unter „freiheitlich demokratischer Grundordnung“ versteht. Insoweit ist eine enge Auslegung vorzunehmen, da andernfalls die Gefahr einer übermäßigen Einschränkung der Meinungsfreiheit drohte. Letztlich sind insoweit nur die schlechthin unabdingbaren Grundprinzipien unserer Verfassung geschützt: Würde des Menschen sowie Demokratie- und Rechtstaatsprinzip.
Ebenfalls von großer Bedeutung für die Prüfung des Art. 21 Abs. 2 GG ist die Frage, wessen Verhalten einer Partei überhaupt zurechenbar ist. Häufig wehren sich extreme Parteien mit der Behauptung, dass bestimmte Äußerungen gerade nicht „von“ der Partei stammten, sondern Einzelmeinungen darstellten. Der Bezug zur Rede des AfD-Politikers Hoecke in Dresden vom Montag ist schnell hergestellt. Das BVerfG differenziert insoweit sauber zwischen verschiedenen Personengruppen:

  • Tätigkeit ihrer Organe, besonders der Parteiführung und leitender Funktionäre sind ohne weiteres zurechenbar.
  • Bei Äußerungen oder Handlungen einfacher Mitglieder ist eine Zurechnung nur möglich, wenn diese in einem politischen Kontext stehen und die Partei sie gebilligt oder geduldet hat.
  • Bei Anhängern, die nicht der Partei angehören, ist grundsätzlich eine Beeinflussung oder Billigung ihres Verhaltens durch die Partei notwendige Bedingung für die Zurechenbarkeit.
  • Eine pauschale Zurechnung von Straf- und Gewalttaten ohne konkreten Zurechnungszusammenhang kommt nicht in Betracht.

Somit dürfte immer eine zumindest konkludente Billigung durch leitende Organe der Partei notwendig sein, um Äußerungen Dritter zurechnen zu können. Im Einzelfall muss dann zwischen einer konkludenten Billigung und einer bloß unterlassenen Distanzierung (die bei Dritten gerade nicht ausreicht) differenziert werden.
Schließlich folgt der Kern der Entscheidung. Hier gibt es Neues, und zwar zu Recht: Eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Zielsetzung einer Partei reicht für die Anordnung eines Parteiverbots allein nicht aus. Die bloße verfassungsfeindliche Gesinnung kann ein Verbot also nicht begründen. Vielmehr ist eine kämpferische Haltung der Partei notwendig. Andererseits muss nicht bereits eine konkrete Gefahr für den Bestand der freiheitliche demokratischen Grundordnung bestehen. Hiermit hat das BVerfG seine Rechtsprechung aus der KPD-Entscheidung ausdrücklich aufgegeben (BVerfG 5, 85), in der es davon ausgegangen war, dass es einem Parteiverbot nicht entgegenstehe, wenn für die Partei nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen kann. Auch der EGMR hatte – wenn auch mit anderer Nuancierung – bereits zu Art. 11 EMRK deutlich gemacht, dass mehr als das bloße Verfolgen verfassungsfeindlicher Ziele für ein Parteienverbot vorliegen müsse (Urt. v. 13.02.2003, Antrag Nr. 41340/98 u.a.). 
Zuletzt tritt das BVerfG noch der Ansicht entgegen, dass die Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus eine die Tatbestandsmerkmale des Art. 21 Abs. 2 GG ersetzende Funktion habe. Eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus könne allein indizielle Bedeutung hinsichtlich der Verfolgung verfassungsfeindlicher Ziele einer Partei entfalten.
II. Fazit: „Erlaubt ist, was schwach ist“
Das Urteil hat ohne Zweifel sowohl juristisch als auch gesellschaftlich Charme: Es wird eindeutig festgestellt, dass die NPD eine Partei ist, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Allerdings fehlt es ihr schlichtweg (zum Glück!) an faktischer Durchsetzungsmacht. Letztlich mag die NPD somit ein Verfahren „gewonnen“ haben, steht aber doch als großer Verlierer da. Die FAZ hat auch den juristischen Kern der Diskussion um ein Verbot der NPD auf den Punkt gebracht: Erlaubt ist, was schwach ist!

20.01.2017/2 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2017-01-20 09:00:182017-01-20 09:00:18BVerfG: Kein NPD-Verbot – Ein Überblick über die wichtigsten Aussagen
Dr. Christoph Werkmeister

Aktuelle examensrelevante verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung

Kommunalrecht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung

In den letzten Tagen ist wieder eine Reihe von öffentlich-rechtlichen Problemkreisen durch die verwaltungsgerichtliche Judikatur gegangen. Kandidaten, für die bald die mündliche Prüfung ansteht, sollten sich deshalb mit den im Folgenden genannten Themen einmal kurz auseinandergesetzt haben. Daneben ist es zumindest denkbar, dass die folgenden Sachverhalte zu gegebener Zeit auch als Aufhänger in Klausuren für das erste sowie zweite Staatsexamen Eingang finden werden. Da die Pressemitteilungen der genannten Fälle die jeweils einschlägige Problematik bereits ausreichend erläutern, werden im Folgenden lediglich Auszüge aus den respektiven Mitteilungen zitiert, wobei jeweils am Ende auf weiterführende Lektüre hingewiesen wird.
VG Koblenz: Verteilung von Spendengeldern durch Rat oder Bürgermeister?

Der Bürgermeister einer Gemeinde […] darf ohne besondere Dringlichkeit nicht über die Festlegung der Kriterien zur Verteilung von Spendengeldern nach einer Hochwasserkatastrophe entscheiden. Vielmehr ist in einer solchen Angelegenheit ausschließlich der Gemeinderat zuständig (Urteil vom 15.01.2013 – 1 K 593/12.KO).

In der Sache geht es in der Entscheidung um die Festlegung der Organzuständigkeit, also die Frage, ob der Gemeinderat oder der Bürgermeister zuständig ist, was wiederum einen Prüfungspunkt bei der formellen Rechtmäßigkeit der Entscheidung eine Rolle spielt . Dies Organzuständigkeit richtet sich nach der jeweiligen Landesgemeindeordnung (in NRW ergibt sich die Organzuständigkeit beispielsweise aus § 41 GO NW, wobei in besonders dringlichen Fällen nach § 60 Abs. 1 S. 2 GO NW der Bürgermeister entscheiden kann). Ein vergleichbarer Problemkreis, der einen Klausurklassiker darstellt, stellt sich bei Einvernehmensentscheidungen nach § 36 BauGB (siehe dazu ausführlicher hier).
VG Neustadt: NPD-Mitglied aus Ausschuss abberufen

Das VG Neustadt hat entschieden, dass die Entscheidung des Kreistages des Landkreises Südwestpfalz, eines seiner Mitglieder, das der NPD angehört, als Beisitzer aus dem Kreisrechtsausschuss des Landkreises Südwestpfalz abzuberufen, rechtmäßig war (Urteil vom 28.01.2013 – 3 K 845/12.NW).
Nach Auffassung des VG Neustadt ist die Entscheidung des Kreistages, den Kläger als Beisitzer aus dem Kreisrechtsausschuss abzuberufen, rechtlich nicht zu beanstanden. Nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften sei ein Beisitzer von seinem Amt abzuberufen, wenn er seine Amtspflichten gröblich verletzt habe. Dies sei hier der Fall. Ein Beisitzer im Kreisrechtsausschuss übe ein Ehrenamt aus und unterliege deshalb gegenüber dem Landkreis einer besonderen Treuepflicht. Der Kreisrechtsausschuss sei weisungsunabhängig und überprüfe das vom Bürger beanstandete Verhalten der Verwaltung auf seine Recht- und Zweckmäßigkeit. Insofern übe er hoheitliche Gewalt aus. Die Stellung des von Weisungen des Landkreises unabhängigen Beisitzers des Rechtsausschusses sei derjenigen eines ehrenamtlichen Richters angenähert. Dieser unterliege jedoch einer Pflicht zur besonderen Verfassungstreue. Da der Beisitzer dasselbe Stimmrecht wie der vorsitzende Landrat bzw. dessen Vertreter habe, dieser aber die Gewähr dafür bieten müsse, für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten, müsse dies ebenso für die Beisitzer gelten. Der Kläger biete diese Gewähr aber nicht. Er sei langjähriges Mitglied in der NPD, einer rechtsextremen Partei, und nehme dort eine herausgehobene Funktion wahr. So gehöre er als NPD-Mitglied dem Kreistag des Landkreises Südwestpfalz. Er trete als Organisator rechtsextremistischer Demonstrationen und Veranstaltungen in Erscheinung und berichte auf den Seiten des NPD-Kreisverbandes Westpfalz und der „Pfalzstimme“, deren Herausgeber er sei, über aktuelle politische Themen und Veranstaltungen der NPD sowie anderer rechtsextremistischer Organisationen. Bei Kundgebungen verunglimpfe er die Bundesrepublik öffentlich als „Bananenrepublik“, „BRD-Regime“ und „Besatzer-Regime“.
Zwar habe es bisher keine aktenkundigen Beanstandungen aufgrund seines Verhaltens in Sitzungen des Kreisrechtsausschusses gegeben. Jedoch stelle auch ein außeramtliches Verhalten eines Beisitzers eine Amtspflichtverletzung dar, wenn durch dessen gezeigtes Verhalten sein Ansehen in einem solchen Maße erschüttert werde, dass seine Vertrauenswürdigkeit ausgeschlossen werde. Davon sei hier auszugehen. Der Kläger habe mehrfach mit E-Mails die Betriebsabläufe in der Kreisverwaltung gestört, um Arbeitskraft zu binden und zu provozieren. Ferner habe der Kläger einen Beitrag in der „Pfalzstimme“ verfasst („NPD legt Bürokratie in der Südwestpfalz lahm“), in dem er seine negative Einstellung zur Kreisverwaltung eindeutig zu erkennen gegeben habe. Mit diesem Artikel habe er ebenfalls gegen die Treuepflicht verstoßen. Es sei aufgrund einer Gesamtschau nicht anzunehmen, dass der Kläger seiner Aufgabe im Rechtsausschuss unvoreingenommen (z.B. Ausländer betreffend) und offen für unterschiedliche Auffassungen und Überzeugungen nachzukommen vermöge. Das Ansehen des Rechtsausschusses als von Weisungen unabhängiges Kontrollorgan bei der Kreisverwaltung sei daher in hohem Maße gefährdet.

Die Entscheidung reiht sich nahtlos in die bereits bestehende Judikatur zu nachteiligen Folgen durch die NPD-Mitgliedschaft ein. Das Urteil ist als äußerst examensrelevant zu bezeichnen und wird ganz sicher auch Gegenstand von Examensklausuren werden. Um sich mit dem breiten Kontext der anderen examensrelevanten Entscheidungen vertraut zu machen, sei die Lektüre der folgenden weiterführenden Artikel sehr empfohlen (siehe dazu hier, hier, hier und schließlich hier).

02.02.2013/2 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2013-02-02 09:08:012013-02-02 09:08:01Aktuelle examensrelevante verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung
Dr. Johannes Traut

Antrag der NPD auf „Klärung der Verfassungsmäßigkeit“

Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

In der letzten Woche hat die NPD einen Antrag beim BVerfG gestellt, in dem sie begehrt, das Gericht möge ihre Verfassungsmäßigkeit feststellen (vgl. etwa sueddeutsche.de vom 13.11.2012, „Antrag beim Bundesverfassungsgericht – NPD lässt Verfassungstreue prüfen“). Dieser Antrag ist juristisch interessant, weil es kein festgelegtes Verfahren gibt, wonach eine Partei ihre Verfassungstreue „feststellen“ lassen kann. Es bietet sich, gerade wegen der großen Öffentlichkeitswirkung daher an, die Frage in der mündlichen Prüfung im Examen aufzugreifen.
I. Inhalt des Antrages
Aus der Presse lässt sich jedenfalls der ungefähre Inhalt des Antrages der NPD entnehmen. Er richtet sich wohl gegen die Verfassungsorgane Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat. Der Bund und die Länder sollten deshalb entweder Beweise für die Verfassungswidrigkeit vorlegen und einen Verbotsantrag stellen – oder ihre öffentlichen Zweifel an der Verfassungstreue der NPD unterlassen.

Nachtrag: Der Antrag ist im Wortlaut (und mit Begründung) auf der Homepage der NPD veröffentlicht, darauf wurde in einem Kommentar hingewiesen. Die rechtlichen Ausführungen des hiesigen Artikels beantworten M.E. alle Fragen, die sich auch bei Kenntnis des Wortlauts des Antrages stellen. Der Antrag der NPD wird, jedenfalls so wie er gestellt ist, keinen Erfolg haben, weil das Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG / § 43 BVerfGG gerade nicht auf die Partei ausgeweitet werden muss (dazu II.). In Betracht kommt allenfalls eine „Auslegung“ als Antrag im Organstreitverfahren, weil nur dieses statthaft ist (III.). Auch dieser Antrag wird M.E. keinen Erfolg haben (s. dort).

II. Kein Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG
Schon vom Antrag her dürfte damit ein Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG nicht in Betracht kommen. Es wäre auch wohl nicht statthaft. Das Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG kann jedenfalls nach dem BVerfGG, das nach Art. 21 Abs. 3 GG hierfür nähere Regeln enthält, nicht von der Partei selbst angestoßen werden. Nach § 43 BVerfGG kann der Verbotsantrag nur von dem Bundestag, dem Bundesrat oder von der Bundesregierung gestellt werden (sowie nach § 43 Abs. 2 BVerfGG von einer Landesregierung für Parteien, deren Tätigkeit sich auf das Land beschränkt).
Eine Zulassung des Antrages außerhalb des BVerfGG, unmittelbar gestützt auf Art. 21 GG, dürfte wohl eher ausscheiden. Erstens erlaubt Art. 21 Abs. 3 GG die Regelung durch das BVerfGG. Das gibt Raum, dass das BVerfGG auch zu einer Beschränkung führt.
Zum Zweiten ist das Verbotsverfahren auch der Sache nach ungeeignet dafür, von der Partei selbst betrieben zu werden. Denn die Partei hätte ja gar kein Interesse daran, das Verfahren mit Energie zu betreiben. Ebenso wäre es auch misslich, wenn die genannten Organe von der Partei in das Verfahren getrieben werden könnten. Dann drohte ein Ergebnis, wie es beim letzten Anlauf des Parteiverbotsverfahrens gegen die NPD zu befürchten war, nämlich dass das BVerfG den Nachweis der Verfassungswidrigkeit als nicht geführt ansieht. Wenn also die Partei es in der Hand hätte, die Organe zur Unzeit in das Verfahren zu treiben, könnte sie sich erhebliche taktische Vorteile verschaffen.
Zum Dritten bedarf es für die Durchführung des Verfahrens nach Art. 21 Abs. 2 GG wohl durchaus eines Antragsstellers, der dieses durch entsprechende Ermittlungsarbeit vorbereitet hat und dann energisch vorantreibt. Zwar gilt auch für das BVerfG nach § 26 Abs. 1 S. 1 BVerfGG der Amtsermittlungsgrundsatz. Das Gericht hat auch – jedenfalls theoretisch –recht umfangreiche Möglichkeiten der Beweiserhebung, sei es durch Zeugen und Sachverständige (§ 28 BVerfGG) oder sachverständige Dritte (§ 27a BVerfGG). Auch Durchsuchung und Beschlagnahme kann das Gericht im Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG anordnen, §§ 47, 38 BVerfGG. Wichtig dürfte aber vor allem die Möglichkeit sein, nach § 27 BVerfGG Amtshilfe in Anspruch zu nehmen. Demnach wäre es durchaus möglich, die Sicherheitsbehörden mit Ermittlungen dahingehend, ob eine Partei zu verbieten ist oder nicht, zu betrauen. Praktisch erscheint es jedoch schwierig, dass das BVerfG eine solche Untersuchung vollständig selbst durchführt. Aus rechtsstaatlicher Sicht wäre außerdem, statt eines solchen Inquisitionsprozesses, ohnehin eine Trennung zwischen Richter und Ermittlerrolle wünschenswert.
Vor allem aber ist auch das Bedürfnis nach einem solchen Verfahren nicht groß, weil nach Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG bis zur Entscheidung des BVerfG die Partei als verfassungsgemäß gilt, sie also rechtlich betrachtet bereits steht, als wäre ihre Verfassungsmäßigkeit festgestellt worden. Damit ist dann fraglich, welches Interesse sie an einem vom BVerfG abgelehnten Verbotsantrag haben kann. Dieser bedeutet noch nicht einmal zwingend, dass die Partei verfassungskonform ist, weil nur festgestellt wird, dass die gefundenen Beweise nicht ausreichen. Außerdem kann sich dieses „Siegel der Verfassungskonformität“ auch immer nur auf einen Moment erstrecken, kann aber natürlich nicht die Verfassungsmäßigkeit der Partei für alle Zeit rechtskräftig feststellen. Zweifel an ihrer Verfassungsmäßigkeit kann das Verfahren daher auch nicht entscheidend besser ausräumen als die Fiktion des Art. 21 Abs. 2 GG.

Hier kann man natürlich anderer Ansicht sein wegen des politischen Effekts, der mit einem entsprechenden Urteil des BVerfG verbunden wäre. Dieser Effekt ist M.E. aber kaum vom Schutzzweck des Art. 21 Abs. 2 GG gedeckt. Deshalb spielt dieses Argument M.E. allenfalls eine untergeordnete Rolle.

Letztlich stellt sich die Frage nach einer Erstreckung aber ohnehin erst , wenn andere rechtliche Möglichkeiten ausscheiden.
III. Organstreitverfahren
Vieles spricht bei diesem Antrag dafür, dass das Verfahren der NPD als Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG einzuordnen ist. Sowohl von den Beteiligten wie auch von der Begehr (Rechte der Partei aus Art. 21 GG) her passt es.
1. Zulässigkeit
a) Zulässige Beteiligte
Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung sind nach § 63 BVerfGG und Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG taugliche Gegner eines Organstreitverfahrens.
Die NPD müsste jedoch auch tauglicher Antragsteller sein. In Erweiterung von § 63 BVerfGG erkennt das BVerfG in stRspr auch die politischen Parteien als andere Beteiligte im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 an, sofern sie um eigene Rechte streiten, die sich aus ihrem in Art. 21 GG garantierten verfassungsrechtlichen Status ergeben (BVerfGE 1, 208, 223 ff = NJW 1952, 657; 82, 322, 335 = NJW 1990, 3001 BeckOK-GG/Morgenthaler, Art. 93 Rn. 22; wenn auch in der Literatur kritisiert, vgl. BeckOK-GG/Kluth, Art. 21 Rn. 208 m.w.N.). Also ist die NPD, soweit es um ihre Rechte aus Art. 21 GG geht, auch tauglicher Antragsteller.
b) Antragsgegenstand (§ 64 Abs. 1 BVerfGG)
Zunächst müsste Gegenstand des Antrages eine Handlung oder Unterlassung der Antragsgegner sein. Hier gibt es zwei verschiedene Antragsgegenstände. Vorliegend begehrt die NPD entweder die Stellung des Verbotsantrages und/oder die Unterlassung, öffentliche Zweifel an der Verfassungstreue der Partei weiterhin zu äußern. Leider ist der genaue Antrag nicht bekannt, insbesondere ist nicht bekannt, in welchem Verhältnis die beiden Handlungsalternativen – Unterlassung weiterer Diskussion oder Verbotsantrag – stehen.
Dem Wortlaut nach scheint es der Partei in erster Linie darauf anzukommen, einen Verbotsantrag zu erreichen. Dieser stellt eine Maßnahme nach § 64 Abs. 2 BVerfGG dar und ist daher tauglicher Antragsgegenstand.
Soweit dagegen die Partei die Unterlassung weiterer Äußerungen hinsichtlich ihrer Verfassungswidrigkeit begehrt, ist fraglich, inwiefern diese Äußerungen als Maßnahme i.S.d. § 64 Abs. 2 BVerfGG eingeordnet werden können. Nach der Rspr. des BVerfG muss eine Maßnahme rechtserheblich sein oder sich zumindest zu einem die Rechtsstellung des Antragstellers beeinträchtigenden rechtserheblichem Verhalten verdichten können (so BVerfG NJW 1961, 1913). Meinungsäußerungen seien dies nach Ansicht des BVerfG in der zitierten Entscheidung nicht zwingend, denn sie schränken den Rechtskreis des Antragstellers in keiner Weise ein. Das gälte insbesondere für Äußerungen hinsichtlich der Verfassungskonformität einer Partei, da diese nur das BVerfG bindend nach Art. 21 Abs. 2 GG feststellen könne.
Demgegenüber bejaht die hL die Maßnahmenqualität einer Meinungsäußerung dahingehend, dass eine Partei verfassungwidrig sei (vgl. nur Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 64 Rn. 29 m.w.N.). Für diese Ansicht spricht vor allem, dass inzwischen allgemein anerkannt ist, dass auch faktischem Handeln wie Meinungsäußerungen Eingriffsqualität zukommen kann. Der formale Eingriffsbegriff ist überwunden. Darüber hinaus vermischt das BVerfG mit seiner Definition der Maßnahme Fragen von Antragsbefugnis und Antragsgegenstand. Ob der Antragssteller in seinen Rechten eingeschränkt ist, richtet sich nach dem materiellen Gehalt der geltend gemachten Rechte. Es kommt also darauf an, ob Art. 21 GG möglicherweise einer derartigen Meinungsäußerung entgegensteht. Das ist eine Frage der Antragsbefugnis. Insgesamt ist daher der hL zu folgen, zumal ohnehin zweifelhaft ist, ob das BVerfG nach dem Stand der heutigen Dogmatik an seiner Ansicht festhalten würde.
Dann ist aber weiterhin zu klären, ob es sich bei den angegriffenen Meinungsäußerungen auch um Maßnahmen der Organe handelt, ob diese also dem Organ zugerechnet werden können. Leider weiß man nicht, welche Äußerungen genau angegriffen werden; im Folgenden werden daher möglichst allgemeine Leitlinien entwickelt, wie die verschiedenen Fälle zu behandeln wären. Jedenfalls werden Meinungsäußerungen im hiesigen Kontext zumeist nicht von dem Organ als solchem getätigt, sondern von einzelnen Teilen des Organs. Nicht der Bundestag beschließt, die NPD sei verfassungswidrig, sondern einzelne Abgeordnete äußern sich dahingehend – und zwar nicht notwendigerweise im Bundestag, sondern auch gegenüber der Presse. Für die Zurechnung von Äußerungen dürfte dann bei den einzelnen Organen Folgendes gelten:

  • Bundesregierung: „Beschlüsse der Bundesregierung“ (§ 20 Abs. 1 GO BReg; vgl. auch § 15 Abs. 1 GO BReg) sind ihr eindeutig zuzurechnen. Gleiches dürfte aber im Ergebnis auch für Äußerungen von Regierungsmitgliedern gelten, jedenfalls soweit sie nicht eindeutig in einer anderen (etwa Partei-)Funktion getätigt wurden. In diesem Fall ist M.E. die Diskussion offen. Ebenfalls zugerechnet werden können M.E. auch Äußerungen von sonstigen Repräsentanten der Regierung, insbesondere von Beamten aus dem nachgeordneten Verwaltungsaufbau, soweit die Äußerung in amtlicher Funktion getätigt wurde.
  • Bundestag: Beschlüssen nach Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG sind dem Bundestag selbstverständlich zuzurechnen. Bei den sonstigen Äußerungen der Parlamentarier sollte man zunächst zwischen solchen im Bundestag (und Ausschüssen) und solchen außerhalb differenzieren. Für erstere kommt noch eher eine Zurechnung in Betracht. Ich würde sie aber auch ablehnen mit folgender Kontrollüberlegung: Wie kann der Bundestag dafür verantwortlich gemacht werden, was seine Mitglieder sagen? Wie soll er eine Unterlassungsverpflichtung ihnen gegenüber durchsetzen? Das gilt erst Recht für Aussagen der Parlamentarier außerhalb des Bundestages, etwa gegenüber der Presse.
  • Bundesrat: Auch hier dürfte nur der „offizielle“ Beschluss (Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG) zuzurechnen sein. Erwägen mag man dies dann allenfalls noch für Äußerungen im Bundesrat. Äußerungen der Landesregierungen und ihrer Mitglieder außerhalb können dem Bundesrat jedoch keinesfalls zugerechnet werden.

M.E. dürften daher die meisten der angegriffenen Äußerungen schon keine tauglichen Antragsgegenstände sein. Entsprechend kann auch ein geltend gemachter Unterlassungsanspruch hierauf nicht gestützt werden. Mithin dürfte der Antrag im Hinblick auf den Unterlassungsanspruch gegenüber Bundesrat und Bundestag bereits unzulässig sein.
c) Antragsbefugnis (§ 64 Abs. 1 BVerfGG)
Ferner müsste eine Antragsbefugnis gem. § 64 Abs. 1 BVerfGG gegeben sein. Das ist der Fall, wenn eine Verletzung von organschaftlichen Rechten des Antragsstellers durch die bezeichneten Maßnahmen jedenfalls nicht von vornherein ausscheidet.

Wie im Verwaltungsrecht bei § 42 Abs. 2 VwGO (dort: Klagebefugnis) kann man die Antragsbefugnis nach § 64 Abs. 1 BVerfGG bereits bejahen, wenn die Möglichkeit einer Verletzung eines Rechts bzw. einer Pflicht ernsthaft in Betracht kommt, ohne aber die damit verbundenen Rechtsfragen erschöpfend zu klären. Im Verwaltungsprozess wird dies als sog. Möglichkeitstheorie bezeichnet. Demgegenüber fordert die Schlüssigkeitstheorie, dass bereits im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO die Schlüssigkeit der Klage, bei § 64 Abs. 1 BVerfGG dann des Antrages, festgestellt wird. D.h., es ist zu prüfen, ob der Antrag, die vorgetragenen Tatsachen unterstellt, Erfolg hätte. Damit wird die Prüfung allerdings kopflastig. In der Klausur sollte man hier keinen Theorienstreit aufmachen, sondern ohne jede Diskussion einfach eine der Theorien anwenden. Vorzugswürdig ist dabei die Möglichkeitstheorie, weil sie die Kopflastigkeit vermeidet.

Eine Antragsbefugnis im Hinblick auf die begehrte Stellung des Verbotsantrages ist damit gegeben, wenn ein Anspruch der NPD hierauf jedenfalls in Betracht kommt. Wegen der beschränkten Beteiligtenfähigkeit der NPD müsste sich dieser vorliegend aus Art. 21 GG ergeben. Dies erscheint schon beim ersten Zugriff zweifelhaft.
Insofern kann auf die obigen Ausführungen (II.) verwiesen werden. Art. 21 GG sieht einen solchen Antrag nicht vor, § 43 Abs. 1 BVerfGG schließt ihn aus. Dies ist verfassungskonform, weil es wegen Art. 21 Abs. 2 GG ein dringendes Bedürfnis der Partei auf die Stellung des Verbotsantrages nicht gibt. Sie wird ja nach dem Gesetz ohnehin behandelt, als sei ein Verbot abgelehnt worden. Darüber hinaus hat es auch keinen Sinn, der Partei zu erlauben, die zuständigen Organe zur Unzeit in das Verbotsverfahren zu treiben. Damit scheidet eine Antragsbefugnis der NPD hinsichtlich der ersten Begehr, nämlich die genannten Organe zur Stellung des Verbotsantrages zu verpflichten, aus.

Diese Frage hätte man im Hinblick auf die Möglichkeitstheorie an dieser Stelle auch vertretbar offenlassen können. Es entschlackt jedoch die Prüfung deutlich, an dieser Stelle bereits den Anspruch auf Stellung des Verbotsantrages ausscheiden zu lassen. Da er M.E. eher fernliegend sein dürfte, habe ich ihn bereits hier „rausgeworfen“.

Eine Antragsbefugnis im Hinblick auf die begehrte Unterlassung der Meinungsäußerungen ist gegeben, wenn der von der NPD begehrte Anspruch auf Unterlassung jedenfalls in Betracht kommt. Das ist umgekehrt der Fall, wenn die fortlaufenden Behauptungen der Verfassungsorgane, die NPD sei verfassungsfeindlich, eine Verletzung eines Rechts aus Art. 21 GG darstellten.
Schon prima facie spricht hierfür vieles. Die stärkste Beeinträchtigung der Parteienfreiheit stellt die Verhängung eines Parteiverbots dar (BeckOK-GG/Kluth, Art. 21 Rn. 197). Als Vorstufe dessen wird man auch der Diskussion über das Parteiverbot Eingriffsqualität zuerkennen müssen. Daher ist zumindest die Möglichkeit einer Verletzung des Rechts aus Art. 21 GG hinreichend dargetan.

Nach der Schlüssigkeitstheorie müsste man dagegen hier bereits endgültig klären, ob ein solcher Anspruch auf Grundlage der vorgetragenen Tatsachen aus Art. 21 GG folgen könnte. Um Kopflastigkeit zu vermeiden, wird hier darauf verzichtet.

d) Frist: § 63 Abs. 3 BVerfGG
Die Frist des § 63 Abs. 3 BVerfGG dürfte unproblematisch gewahrt sein, weil es sich bei der fortlaufenden Debatte um wiederholte Verstöße handelt, welche die Frist stets aufs Neue zu laufen beginnen lassen.
e) Rechtsschutzbedürfnis
In Hinblick auf Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG könnte ferner das Rechtsschutzbedürfnis der NPD fraglich sein. Nach dieser Vorschrift ist die Partei so lange als verfassungsgemäß anzusehen, bis das BVerfG anderes festgestellt hat. Daher stellt sich die Frage, inwieweit der hiesige Anspruch über diese Position hinausgeht. Vorliegend begehrt die NPD insbesondere Behauptungen zu unterlassen, die Partei sei verfassungswidrig. Derartige Behauptungen werden nicht direkt durch Art. 21 Abs. 2 GG verboten. Es besteht daher durchaus ein Interesse zu klären, inwiefern sie zulässig sind. Da es auch um die Abwägung gegenteiliger Interessen geht, insbesondere um die Frage, inwiefern die Verfassungsmäßigkeit einer Partei zur politischen Diskussion eröffnet ist, stellen sich schwierige Rechtsfragen, die das BVerfG klären kann.
2. Begründetheit: Unterlassungsanspruch aus Art. 21 GG

Ob die momentane Debatte über die Verfassungsmäßigkeit der NPD und die Diskussion über das für und wider eines Verbotsantrages die Partei in ihrem Recht aus Art. 21 GG verletzt, lässt sich an dieser Stelle nicht abschließend beantworten, weil die tatsächlichen Grundlagen fehlen. Es lassen sich aber einige der rechtlich relevanten Fragen und Leitlinien für deren Beantwortung skizzieren.

Der Antrag der NPD ist begründet, wenn sie einen Anspruch gegen die Bundesregierung hat, Äußerungen, dass die Partei verfassungswidrig sei, künftig zu unterlassen.
a) Voraussetzungen des Anspruchs aus Art. 21 Abs. 2 GG
Es ist anerkannt, dass aus Art. 21 GG ein Anspruch der Partei folgt, dass andere Organe Handlungen unterlassen, die sie in ihrem Recht verletzen. Mithin bestünde ein Anspruch der NPD gegen die Bundesregierung, Äußerungen, die Partei sei verfassungswidrig, zu unterlassen, wenn derartige Äußerungen die Partei in ihrem Recht aus Art. 21 GG verletzen.
Zwar ist nicht eindeutig normiert, dass nach Art. 21 Abs. 2 GG auch Diskussionen über die Verfassungsmäßigkeit der Partei unzulässig sein sollen. Andererseits entspricht es aber durchaus seiner Stoßrichtung, dass eine Partei, die nicht vom BVerfG verboten ist, gerade als verfassungskonform behandelt werden muss. Diese Wertung legt es nahe, dass daher regierungsamtliche Zweifel nicht zu einer faktischen Umgehung des Verbotsmonopols des BVerfG führen dürfen.
Entscheidend ist aber vor allem Sinn und Zweck des Art. 21 GG insgesamt. Dieser soll die Chancengleichheit der Parteien wahren und sie vor staatlicher Einflussnahme schützen. Hiermit wäre nicht zu vereinbaren, wenn „der Staat“ durch die Verfassungsorgane Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat durch eine zielgerichtete Kampagne die Seriösität der NPD untergräbt. Solange sie nicht verboten ist, dürfen sich staatliche Organe eben nicht mit Äußerungen zu der Partei in den Wettstreit um die Wählergunst einmischen.
Daher können durchaus Meinungsäußerungen dahingehend, eine Partei sei verfassungswidrig, Art. 21 GG verletzen. Das könnte etwa der Fall sein, wenn die Bundesregierung ohne jeden Zusammenhang mit einem Verbotsantrag äußert, die NPD sei verfassungwidrig. Das widerspräche der Wertung des Art. 21 Abs. 2 GG. Dies gilt aber keineswegs für alle Meinungsäußerungen mit diesem Inhalt. Denn auch die Freiheit der Bundesregierung, derartige Äußerungen zu tätigen, ist grundgesetzlich geschützt.
Schon ihrer Natur nach ist die Debatte über die Verfassungswidrigkeit einer Partei auch eine politische, weshalb nicht jede Diskussion ausgeschlossen sein darf. Das gilt jedenfalls für die Stellung des Verbotsantrages: Nicht umsonst wird die Stellung des Antrags in § 43 BVerfGG politischen Organen übertragen und ihnen dort ein Ermessen („kann“) eingeräumt. Bei der Ausübung dieses Ermessens dürfen auch politische Erwägungen eine Rolle spielen (BVerfGE 5, 85, 129f.). Schon von daher ist eine gewisse Diskussion sogar zwingend notwendig. Im Rahmen dieser Diskussion muss daher auch die Äußerung der Rechtsansicht, eine bestimmte Partei sei verfassungswidrig und daher sei ein Verbotsantrag zu stellen, zulässig sein.
Daneben hat die Regierung im Rahmen ihrer Aufgaben auch das Recht und bisweilen sogar die Pflicht zu informieren und sich zu äußern (vgl. etwa BVerfG NJW 2002, 2621, 2623). Hierher gehört es etwa, wenn die Regierung die Beobachtung einer Partei durch die Sicherheitsbehörden anordnet oder diese bekannt gibt. Bei gegebenem Anlass (z.B. Bericht über Extremismus) muss man auch über mögliche Verbindungen der Partei zu verfassungsfeindlichen Kreisen berichten dürfen.
Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass die Mitglieder der Regierung nicht politisch neutrale „Verwaltungschefs“ sind, sondern ihnen auch eine politische Rolle zukommt. Diese üben sie insbesondere auch durch ihre Funktionen in der Partei aus. Dabei wird man ihnen nicht gänzlich verwehren dürfen, in ihrer Rolle als Parteifunktionäre auch zu vertreten, dass die Ansichten oder Handlungen einer Konkurrenzpartei verfassungswidrig seien. Denn das ist durchaus ein legitimes Argument im Parteienwettbewerb, den ja gerade Art. 21 GG schützen möchte. Daher muss Art. 21 GG auch in Hinblick auf die außerhalb der streng amtlichen Funktion ausgeübten Grundrechte, insbesondere auf Meinungsäußerung (Art. 5 GG), sowohl der Regierungsmitglieder wie auch ihrer Partei beschränkt werden.
Insgesamt kann daher erst nach Abwägung mit den oben aufgezeigten und sonstigen verfassungsimmanenten Werten von einer Verletzung des Art. 21 Abs. 2 GG gesprochen werden, die einen Unterlassungsanspruch auslöst.
b) Abwägung
Eine solche Abwägung wird eher zu Ungunsten der NPD ausfallen. Klar unzulässig wäre etwa eine gezielte Kampagne der Bundesregierung, den Ruf einer Partei durch Behauptung ihrer Verfassungswidrigkeit zu untergraben, ohne aber den Verbotsantrag zu stellen. Die Bundesregierung darf Art. 21 Abs. 2 GG nicht durch faktisches Handeln umgehen.
Dass dagegen die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet wird, dürfte nicht zu bestanden sein. Hierfür gibt es hinreichenden Anlass, denn tatsächlich sind Mitglieder der Partei mit verfassungsfeindlichem Gedankengut wiederholt aufgetreten. Auch dass es eine politische Debatte über die Frage der Verfassungsmäßigkeit der NPD gibt, ist zunächst nicht Gegenstand eines Organstreitverfahrens und im Übrigen auch von Art. 5 Abs. 1 GG der anderen Diskussionsteilnehmer gedeckt. Im vorliegenden Kontext spielen allenfalls die Beiträge der Bundesregierung und der Mitglieder der Bundesregierung eine Rolle. Dabei ist (meiner Kenntnis nach) in amtlicher Eigenschaft nie verlautbart worden, die NPD sei verfassungswidrig, allenfalls, dass es insofern Beobachtungsbedarf gäbe. Wenn dagegen einzelne Mitglieder der Bundesregierung diese Meinung vertreten haben, dann M.E. weniger in dieser Eigenschaft, als vielmehr als Akteure in der politischen Debatte. Das ist auch den Mitgliedern der Bundesregierung nicht verwehrt – siehe oben. Sie müssen vielmehr gerade im Rahmen des politischen Prozesses auch politisch handlungsfähig bleiben. Daher deckt auch bei ihnen Art. 5 Abs. 1 GG entsprechende Meinungsäußerungen jedenfalls bis zu einem gewissen Maße. Dieses ist wohl nicht überschritten worden.

Hier kommt es natürlich genau auf den vom BVerfG zu ermittelnden Sachverhalt an. Ich bin von dem Stand ausgegangen, der mir aus den Medien bekannt war.

IV. Verfassungsbeschwerde
Jedenfalls theoretisch kommt auch eine Verfassungsbeschwerde der NPD in Betracht. Angesichts der Antragsfassung wird eine solche jedoch nicht vorliegen, weil die Inanspruchnahme von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat nur im Rahmen des Organstreits möglich ist. Ferner kann die Partei das Recht aus Art. 21 GG nach hM mangels Grundrechtseigenschaft nicht im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen.

22.11.2012/8 Kommentare/von Dr. Johannes Traut
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Johannes Traut https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Johannes Traut2012-11-22 15:27:112012-11-22 15:27:11Antrag der NPD auf „Klärung der Verfassungsmäßigkeit“
Tom Stiebert

Titanic vs. Papst Benedikt XVI. – Was darf Satire?

Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Zivilrecht

Gestern wurde bekannt, dass Papst Benedikt einen Unterlassungsanspruch gegen die Satirezeitschrift Titanic erwirken möchte, wonach es ihr verboten werden soll, Titel und Rückseite der letzten Ausgabe weiter zu verbreiten.
Unter dem Titel „Halleluja im Vatikan. Die undichte Stelle ist gefunden“ zeigte der Titel den Papst in weißer Soutane mit einem großen gelben Flecken im unteren Bereich des Schritts. Auf dem Rückcover war die Rückenansicht des Papstes mit einem braunen Flecken abgebildet und dem Schriftzug „Noch eine undichte Stelle gefunden!“.  Primäre Assoziation dieses Beitrags ist es, den Papst als inkontinent anzusehen. Hingegen kommentierte der Titanicchefredakteur den Beitrag wie folgt: „Benedikt muss uns missverstanden haben. Der Titel zeigt einen Papst, der nach der Aufklärung der Spitzelaffäre („Vatileaks“) feiert und im Überschwang ein Glas Limonade über seine Soutane verschüttet hat. Es ist allgemein bekannt, dass der Papst ein großer Freund des Erfrischungsgetränks ‚Fanta‘ ist.“
Aufgrund dieser Veröffentlichung sah sich der Papst in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt und beauftragte eine Bonner Kanzlei mit der Vertretung seiner Interessen. Im Zusammenhang mit dieser Rechtsfrage stellen sich einige interessante Fragestellungen.
I. Post vom Papst?
Es ist wohl nicht alltäglich, dass der Papst Anwälte mit der Vertretung seiner Interessen betraut. Schließlich bekommt man ja nicht jeden Tag Post aus dem Vatikan. Zur Erhebung einer entsprechenden Klage ist aber eine Vollmacht bzw. eine Untervollmacht des Papstes zwingend notwendig, soll doch hier ein Recht durchgesetzt werden, dass nur ihm allein zusteht. Veröffentlicht wurde bisher das Schreiben eines Erzbischofs, in dem er die Kanzlei mit der Wahrnehmung der Interessen durch Vollmacht des Papstes bittet. Bei Untervollmachten im weiteren Sinne ist eine lückenlose Vollmachtskette nachzuweisen (BGH NJW-RR 2002, 933). Es muss demnach zusätzlich eine Bevollmächtigung des Papstes an seinen Erzbischof vorgelegen haben und der Kanzlei vorliegen
II. Wer ist Kläger – Papst Benedikt XVI. oder Joseph Ratzinger?
Eine weitere interessante Frage ist, wer die Verletzung des Persönlichkeitsrechts geltend macht: Ist es Papst Benedikt XVI. als Amt, als Person oder ist es Joseph Ratzinger?
Klar muss sein, dass jedenfalls der Papst nicht als Amt die Verletzung geltend macht – die Verletzung des APR knüpft gerade an eine natürliche Person und nicht an ein Amt an. Geklärt werden muss aber, wer genau verletzt ist, oder anders gesagt, ob es Joseph Ratzinger als Person überhaupt noch gibt, oder ob dieser zu Benedikt XVI. geworden ist. Richtig ist, dass es sich bei dem Namen Benedikt XVI. nur um einen Ordensnamen im rechtlichen Sinne handelt. Der bürgerliche Name Joseph Aloisius Ratzinger bleibt damit also weiterhin sein bürgerlicher Name unter dem er im Rechtsverkehr auch auftreten kann.
Anmerkung: Hier werden beide Namen synonym verwendet. Eine rechtliche Aussage ist damit nicht verbunden.
III. Zentrale Frage: Verletzung des APR und mögliche Rechtfertigung
Geltendgemacht wird hier ein Unterlassungsanspruch, der sich aus § 1004 BGB ergibt. Diese Regelung, die dem Wortlaut nach nur auf eine Beeinträchtigung des Eigentums bezogen ist, ist auch bei einer Beeinträchtigung sonstiger absoluter Rechte i.S.d. § 823 BGB anwendbar (Palandt/Bassenge, § 1004, Rn. 4).  Der Schutz komplettiert damit also den Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB.
1. Eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegt hier ohne Weiteres vor. Zwar muss hier kurz geprüft werden, ob eine natürliche Person betroffen ist, nach dem oben Erwähnten ist dies aber unproblematisch gegeben. Geschützt sind alle Darstellungsformen nach außen.
2. Eine Verletzungshandlung liegt durch die Veröffentlichung der Zeitschriften mit der entsprechenden Abbildung unstrittig vor.
3. Zentrales Problem ist aber, ob diese Veröffentlichung widerrechtlich gewesen ist, oder ob der Zeitschrift Titanic Rechtfertigungsgründe zugute gehalten werden können. Liegen schützenswerte Interessen des Beklagten vor, so ist in einer Güterabwägung zu ermitteln, welche Interessen im konkreten Fall überwiegen.
a) Schutz der Pressefreiheit Art. 5 Abs. 1 GG
Grundsätzlich hat die Titanic ein Interesse, die Zeitschriften zu veröffentlichen. Durch die Nichtveröffentlichung ist zwangsläufig die Pressefreiheit verletzt. Grundsätzlich ist davon auch der gesamte Inhalt des Presseorgans erfasst (BGH NJW 2009, 2888), eine Wertung wird an dieser Stelle nicht vorgenommen. Dennoch hat der Schutz der Pressefreiheit und der damit verbundenen Meinungsfreiheit vor allem auch eine inhaltliche Komponente – die Presse soll vor einer Zensur geschützt werden, das heißt es soll ihr nicht verboten werden, über bestimmte Themen und Ansichten zu berichten. Im konkreten Fall geht es der Zeitschrift weniger um einen inhaltlichen Bericht, als um eine bloße Provokation. Zwar enthält die Darstellung einen Bezug zur sog. „Vatileaksaffäre“ – inhaltliche Berichte hierzu sind freilich nicht enthalten.
Der Schutz der Pressefreiheit ist damit zwar eröffnet, der Eingriff bewegt sich aber am unteren Rand des Feststellbaren.
b) Schutz der Satire: Meinungsfreiheit/Kunstfreiheit – Art. 5 Abs. 1; Abs. 3 Satz 1 GG
Deutlich relevanter ist allerdings eine mögliche Verletzung der Meinungs/- und Kunstfreiheit, die sich dann auch in Verbindung mit der Pressefreiheit als Wirkbereich zeigt. Die Grenzen zwischen Meinungs- und Pressefreiheit bzw. Kunstfreiheit sind hier fließend, handelt es sich bei der Satire doch um eine Hybridform, die Aspekte aller drei geschützter Rechte enthält.
Grundsätzlich handelt es sich bei Satire um eine Meinungsäußerung (ausführlich hierzu NJW 1995, 809). Durch die freie Gestaltung der kritisierten Titel tritt aber (zumindest nach dem offenen Kunstbegriff) auch der künstlerische Aspekt hinzu. Kerninhalt der Satire ist das Arbeiten mit Übertreibungen oder Verfremdungen. Dieses Kriterium beinhaltet aber gleichwohl die Voraussetzung, dass eine inhaltliche Aussage damit verbunden sein muss, die durch die gewählte Darstellungsform nur verzerrt wird. Es ist damit zu ermitteln, welche Aussage mit dem Mittel der Satire dargestellt wird.  Ist die Satire hingegen allein als Provokation anzusehen, dann ist sie nicht mehr von den genannten Grundrechten gedeckt, denn es wird keine Meinung mehr kundgetan, so dass der Schutzbereich nicht eröffnet wäre. Es handelt sich dann insofern nur um Scheinsatire. Ungeachtet dessen verbietet sich eine zu strenge Betrachtung. Vielmehr muss jede noch mögliche Deutung als wahrscheinlich angesehen werden, ansonsten würden die Grundrechte zu wenig beachtet.
Bei einer wohlwollenden Betrachtung wäre es bei der hier relevanten Karikatur möglich, die Aussage hineinzulesen, der Papst sei das Leck bei der Vatileaksaffäre, von ihm stammten also die Informationen, die an die Öffentlichkeit gelangt sind. Zwingend ist eine solche Auslegung freilich keineswegs. Es ist ebensogut möglich in dem Titel lediglich eine Verunglimpfung des Papstes als Person zu sehen, ohne dass damit eine weitere inhaltliche Aussage verbunden ist. Jedenfalls fern jeder Auslegung ist die vorgegebene Auslegung des Redakteurs, der Papst habe sich aus Freude mit Fanta bekleckert, enthält der Titel doch keinerlei Hinweise hierauf. Eine solche – nicht ehrverletzende Deutung – ist ausgeschlossen, liegt sie doch fernab des Erkennbaren.
Teilt man also die Ansicht, dass es sich nicht um Satire im rechtlich geschützten Sinn handelt, so entfällt bereits der Schutz der Meinungs- und Kunstfreiheit. Vertritt man hingegen die Gegenansicht, so wäre der entsprechende Schutzbereich eröffnet und es gebietet sich eine Abwägung mit den entsprechenden geschützten Interessen des Papstes. Eine Ehrverletzung des Papstes durch die Darstellung als inkontinent (eine andere Deutung erscheint nicht möglich) verletzt ihn dann zwar in seiner Ehre, dies könnte aber durch die damit verbundene Aussage, er sei das Leck der Affäre, oder es gäbe weiterhin ein entsprechendes Leck (die aus der Satire gelesen werden könnte), gerechtfertigt sein.
c. Interessenabwägung
In diesem Fall muss eine Interessenabwägung erfolgen. Insbesondere ist dabei zu berücksichtigen, wie schwer der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist bzw. wie stark die Meinungs- und Pressefreiheit tangiert sind. Ein weiteres Kriterium bei dieser Abwägung ist, inwiefern der Kläger durch eigenes Verhalten den Angriff mitverursacht hat.
Beim Papst handelt es sich um eine Person des öffentlichen und auch politischen Lebens, so dass Eingriffe einfacher gerechtfertigt werden können. Getrennt werden kann dabei auch nicht streng zwischen der Stellung als öffentliche Person und als Privatperson. Allerdings spricht für den Papst, dass er im Gegensatz zu Politikern nicht selbst polarisierend an Diskussionen teilnimmt und selbst Vorwürfe erhebt oder Dritte angreift (vgl. zu dieser Frage BGH NJW 61, 819; BGH 31, 308, 314).
Der Eingriff ist hier auch verhältnismäßig schwerwiegend, eine Darstellung des Papstes als inkontinent würdigt ihn als Person herab. Auch als öffentliche Person muss ein solcher Angriff, dem zunächst jeder sachliche Aspekt fehlt, nicht hingenommen werden.
Im Gegensatz dazu bewegt sich das konkrete Interesse am Schutz der Pressefreiheit und der Satire als Meinungs- und Kunstfreiheit im unteren Bereich. Es handelt sich allenfalls „gerade noch“ um Satire, deren Aussagegehalt sehr gering ist. Zwar ist eine inhaltliche Kontrolle als solche nicht möglich, dennoch muss klar werden, dass das Schutzbedürfnis auch abhängig von der Stärke der zu verbreitenden Aussage sein muss. Nicht jede Provokation kann sich auf eine satirische Ebene berufen.
Das schützenswerte Interesse des Papstes überwiegt damit das Interesse an einer Veröffentlichung; aus diesem Grund ist eine Rechtfertigung des Eingriffs nicht möglich.
Ein Unterlassungsanspruch ist damit zu bejahen.
IV. Entschädigungsanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB
Ebenso würde den Papst bei einer fortgesetzten Beeinträchtigung auch ein Entschädigungsanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zustehen. Gewährt wird hier ein Ersatz für den erlittenen immateriellen Schaden. Hintergrund ist hier nicht der Ausgleich eines Schadens, sondern die Rehabilitation und Genugtuung. Aus diesem Grund ergibt sich der Anspruch auch direkt aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 und 2 GG. (Palandt/Sprau, § 823 Rn. 124). Die Höhe ergibt sich aus dem Grad der Verletzung des Persönlichkeitsrechts.

11.07.2012/14 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2012-07-11 13:30:152012-07-11 13:30:15Titanic vs. Papst Benedikt XVI. – Was darf Satire?
Tom Stiebert

Vereinsverbot: Hells Angels und Salafistenvereine – Der Rechtsstaat zeigt Zähne

Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

In der letzten Woche wurde bekannt, dass einige bedeutende Salafistenvereine von den zuständigen Behörden verboten wurden (siehe bspw. hier).
Bereits kurz zuvor wurden einige Gruppierungen („Chapter“) der Hells Angels in Deutschland verboten.
Aber wie funktioniert ein solches Vereinsverbot eigentlich und wann kann es erlassen werden?
Die rechtlichen Grundlagen finden sich in Art. 9 Abs. 1 und 2 GG. Grundsätzlich ist die Vereinigungsfreiheit damit nach Art. 9 Abs. 1 GG geschützt. Dieser Schutz besteht nach Art. 9 Abs. 2 GG aber nicht für „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten“. Diese können nicht nur verboten werden, sondern sind es per Grundgesetz bereits. Aus diesem Grund könnte man annehmen, dass Art. 9 Abs. 2 GG bereits den Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit einschränkt. Nach herrschender Meinung stellt Art. 9 Abs. 2 GG hingegen lediglich eine Schranke der Vereinigungsfreiheit dar (Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG, Rn. 112; offen gelassen in BVerfGE 80, 244, 254).
Es sind damit drei abschließende Gründe denkbar, wegen derer ein Verein verboten werden kann:

  • Dessen Zwecke oder Tätigkeiten laufen Strafgesetzen zuwider.
  • Er ist gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet.
  • Er ist gegen Gedanken der Völkerverständigung gerichtet.

Aufgrund des verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes der Vereinigungsfreiheit, ist das Vorliegen dieser Fälle streng zu prüfen. Der Verein muss sich konkret gegen diese geschützten Ziele richten, das heißt – parallel zum Verfahren beim Parteiverbot – muss bei Verstoßen gegen die verfassungsmäßige Ordnung eine aggressive kämpferische Haltung vorliegen (BVerfGE 5, 85, 141; BeckOK/Cornils, Art. 9 GG, Rn. 27; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG, Rn. 128).
Das genaue Verfahren eines Vereinsverbots ergibt sich hingegen nicht aus dem Grundgesetz (hier ist nur geregelt, wann ein Verbot möglich ist) sondern aus § 3 VereinsG. Geregelt ist hier die zuständige Behörde (§ 3 Abs. 2 VereinsG). Diese muss nach § 3 Abs. 1 VereinsG feststellen, dass die Voraussetzungen eines Vereinsverbotes vorliegen. Zudem enthält § 3 Abs. 3 VereinsG noch eine zentrale Regelungen, wie weit ein Vereinsverbot reichen kann. Es erfasst „alle Organisationen, die dem Verein derart eingegliedert sind, daß sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse als Gliederung dieses Vereins erscheinen (Teilorganisationen)“. So kann verhindert werden, dass das Vereinsverbot wirkungslos ist. Auch Nichtteilorganisationen können nach § 9 Abs. 3 S. 2 VereinsG explizit vom Verbot miterfasst sein.
Zumindest bei dem Verbot der Salafistenvereinigungen könnte zudem ergänzend an den Schutz der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG gedacht werden. Fraglich ist, ob hier überhaupt ein Eingriff in Art. 4 GG vorliegt, also ob die Betätigung der salafistischen Vereine eine religiöse Ebene hat, die vom Schutzbereich des Art. 4 GG überhaupt erfasst ist. Die Frage ist somit, ob die Handlungen des Vereins überhaupt religiös geprägt sind oder nur im Zusammenhang hiermit erfolgen (die Grenzen sind aber sehr weit, vgl. BVerfGE 24, 236 – Aktion Rumpelkammer). Allerdings ist auch hier eine entsprechende Anwendung des Art. 9 Abs. 2 GG geboten; auch § 3 VereinsG greift hier (siehe nur BeckOK/Germann, Art. 4 Rn. 59). Eine interessante Stellungnahme dazu findet man hier.
Welche Gründe im konkreten Fall zum Vereinsverbot geführt haben, lässt sich den Medien nicht entnehmen – bei den Hells Angels wird deren Tätigkeit wohl vor allem gegen die Strafgesetze verstoßen (Drogendelikte, Zwangsprostitution, Waffendelikte, Körperverletzung etc.). Bei den Salafisten kommt ergänzend ein Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung in Betracht. Auch ein Verstoß gegen den Grundgedanken der Völkerverständigung ist denkbar, werden doch Andersgläubige als minderwertig dargestellt.
Zum Schluss
Durch die hohe Medienpräsenz sollte man Probleme im Zusammenhang mit Hells Angels und Salafisten zumindest für die mündliche Prüfung auf jeden Fall parat haben.
Aus diesem Grund noch einmal Hinweise auf entsprechende Beiträge von uns:

  • Beitrag zum Hells Angels Verbot in Köln
  • Verbot des Tragens von Kutten im Gericht
  • Artikel zur Koranverteilung
  • Beitrag zum Zeigen der Mohammedkarikaturen und entsprechender Verantwortlichkeit

 

16.06.2012/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2012-06-16 10:24:152012-06-16 10:24:15Vereinsverbot: Hells Angels und Salafistenvereine – Der Rechtsstaat zeigt Zähne
Tom Stiebert

OVG Berlin-Bbg: Online Hausverlosung ist unzulässig

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verwaltungsrecht

In seinem Beschluss vom 08.02.2012 (Az. 1 S 20.11) hatte sich das Oberverwaltungsgericht Berlin mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine Online-Hausverlosung zulässig ist. Dem lag folgender sachverhalt zugrunde: Der Anbieter wirbt im Internet mit dem Slogan: „Erste legale Hausverlosung dieses Hauses in Deutschland„. An der Verlosung kann jeder teilnehmen, der ein Los für 59 Euro erwirbt. Insgesamt sind 13900 Lose zu erwerben, nach deren Verkauf die Verlosung erfolgt. Eine Besonderheit liegt hier darin, dass eine Teilnahme unmittelbar über das Internet nicht möglich ist. Vielmehr ist ein kontakt per Mail bzw. per Briefpost erforderlich, um am „Gewinnspiel“ teilnehmen zu können.
 
I. Das Urteil das OVG
Das OVG hatte zu prüfen, ob ein verbotenes öffentliches Glücksspiel im Internet iSd § 4 abs. 4 GlüStV vorliegt.
Die entsprechenden Definitionen ergeben sich aus § 3 Abs. 1 und 2 GlüStV:

(1) Ein Glücksspiel liegt vor, wenn im Rahmen eines Spiels für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. Die Entscheidung über den Gewinn hängt in jedem Fall vom Zufall ab, wenn dafür der ungewisse Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse maßgeblich ist. Auch Wetten gegen Entgelt auf den Eintritt oder Ausgang eines zukünftigen Ereignisses sind Glücksspiele.
(2) Ein öffentliches Glücksspiel liegt vor, wenn für einen größeren, nicht geschlossenen Personenkreis eine Teilnahmemöglichkeit besteht oder es sich um gewohnheitsmäßig veranstaltete Glücksspiele in Vereinen oder sonstigen geschlossenen Gesellschaften handelt.

Beides ist hier erfüllt. Insbesondere steht dem Grundsatz der Öffentlichkeit nicht entgegen, dass der Teilnehmerkreis auf die Anzahl der Lose (13900) beschränkt ist. Denn hier ist dennoch von vornherein der Teilnehmerkreis nicht abgeschlossen, sondern für alle Beteiligten offen, sodass die Definition erfüllt ist.
Fraglich ist aber, ob das Glücksspiel tatsächlich im Internet veranstaltet wird, schließlich sind hier auch Elemente außerhalb des Internets erforderlich. Das OVG hält dies dennoch für erfüllt:

„Für das Tatbestandsmerkmal von § 4 Abs. 4 GlüStV «im Internet» sei nicht eine bestimmte «Internet-Technik», sondern eine am Normzweck orientierte, auf den Vertriebsweg «Internet» abstellende Auslegung maßgeblich. Eine Ausspielung, die über das Internet angeboten und maßgeblich darüber vertrieben werde, verliere den Charakter einer Veranstaltung «im Internet» nicht dadurch, dass die weiteren Schritte per E-Mail oder Briefpost erfolgen sollen, weil die Veranstaltung ohne die Nutzung des Internets schlechterdings nicht durchführbar sei.“

Zudem wird auch auf einen eventuellen Nachahmungseffekt abgestellt, dem durch ein Verbot vorzubeugen ist. Hintergrund dieser Argumentation ist vor allem § 1 Nr. 1 GlüStVder zum Ziel hat, das „Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen“. Es ist damit eine Auslegung im Sinne dieses Schutzzweckes geboten. Gerade aus der veröffentlichung im Internet resultiert ein erhöhtes Gefährdungspotential, auch wenn eine Teilnahme unmittelbar über diesem Weg nicht möglich ist. Aus diesem Grund ist eine solche weite Auslegung geboten. Auch die Widerholungsgefhar ist ein Argument für eine restriktive Auslegung, kann doch nur so ein effektiver Schutz garantiert werden.
II. Alternative – zulässige – Gestaltungsmöglichkeiten
Allerdings ist eine solche Hausverlosung nicht per se unzulässig. Sie verstößt nur dann gegen den Glücksspielstaatsvertrag, wenn die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. Dies liegt dann nicht vor, wenn eine Wissenskomponente zumindest zum mitbestimmenden Faktor wird, das heißt wenn bspw. zusätzlich noch Fragen gestellt werden, um ein Los zu bekommen. Hierbei muss aber abgesichert sein, dass die Fragen tatsächlich an die Wissenskomponente anknüpfen und (insbesondere aufgrund ihrer fehlenden Schwierigkeit) nicht nur zum Schein gestellt werden.
III. Die rechtlichen Rahmenbedingungen – der Glücksspielstaatsvertrag
Abschließend noch einige Hinweise auf den dem Urteil zugrundeliegenden rechtlichen Rahmen: den Glücksspielstaatsvertrag. Hierbei handelt es sich um einen Staatsvertarg zwischen den einzelnen Bundesländern, der durch Zustimmungsgesetze in den jeweiligen Landesparlamenten ratifiziert wurde. Insofern ist eine parallele Anwendung zu Staatsverträgen des Bundes geboten (vgl. Art 59 GG).  Aufgrund der Entscheidung des EuGH v. 8.9.2010 (C-316/07) war dieser Staatsvertrag zumindest aber hinsichtlich des enthaltenen Sportwettenmonopols unzulässig, sodass er von den Bundesländern erneut abgeändert werden musste, was durch den Glücksspieländerungsstaatsvertarg erfolgte. Für die hier relevanten Normen trat aber keine Änderung ein. Insgesamt wird damit die Einschränkung des Glücksspiels in Deutschland bundeseinheitlich geregelt.
Siehe zur Strafbarkeit einer verbotenen Hausverlosung im Internet unseren Beitrag vom 27.04.2011.

16.02.2012/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2012-02-16 14:57:072012-02-16 14:57:07OVG Berlin-Bbg: Online Hausverlosung ist unzulässig
Tom Stiebert

Glasflaschenverbot im Karneval in den Karnevalshochburgen

Startseite, Verschiedenes

In den Karnevalshochburgen beginnt jetzt wieder die „Fünfte Jahreszeit“. Grund genug kurz auf ein wichtiges Urteil  hinzuweisen, über das wir bereits berichtet hatten: Das Glasflaschenverbot in Köln.
 
Siehe hierzu unsere Beiträge:

  • Entscheidung des OVG Münster
  • Entscheidung des VG Köln

 

11.11.2011/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2011-11-11 08:32:122011-11-11 08:32:12Glasflaschenverbot im Karneval in den Karnevalshochburgen
Dr. Christoph Werkmeister

BGH zu Aufrechnungsverboten in AGB

AGB-Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Zivilrecht, Zivilrecht

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Lars Eckhoff, LL.M. veröffentlichen zu können. Der Autor ist Rechtsanwalt im Kölner Büro der Kanzlei CMS Hasche Sigle. Er ist zudem als Autor für den “Blog CMS” tätig.
Die bisherige Praxis
Nahezu alle Standardverträge oder Allgemeine Geschäftsbedingungen, die zum Beispiel von Verkäufern oder Werkunternehmern verwendet werden, enthalten ein Aufrechnungsverbot, welches dem Vertragspartner die Aufrechnung nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderungen erlaubt. Eine so formulierte Klausel entsprach den Anforderungen des § 309 Nr. 3 BGB und die Rechtspraxis war bis vor kurzem davon ausgegangen, dass dies AGB-rechtlich unproblematisch sei. Damit ist es jetzt vorbei.
Verstoß gegen § 307 BGB
Der bisherigen Praxis hat der BGH jetzt eine klare Absage erteilt. Mit Urteil vom 07.04.2011 – Az. VII ZR 209/07 – hat der BGH entschieden, dass eine solche Klausel gegen § 307 BGB verstößt und den Vertragspartner unangemessen benachteiligt. Denn hierdurch werde in das durch den Vertrag geschaffene Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung in für den Vertragspartner unzumutbarer Weise eingegriffen. Die „synallagmatische Verknüpfung“ der Forderung des Verwenders mit der Forderung auf mangelfreie Erfüllung des Vertrages finde ihren Ausdruck in einem Leistungsverweigerungsrecht des Vertragspartners im Falle einer mangelhaften oder nicht fertig gestellten Leistung (§ 320 Abs. 1 BGB). Der Vertragspartner könne sich im Prozess mit dem Leistungsverweigerungsrecht verteidigen mit der Folge, dass die gegen ihn gerichtet Zahlungsforderung ganz oder teilweise nicht durchsetzbar sei. Dies könne in AGB nicht ausgeschlossen werden (§ 309 Nr. 2a BGB). Es wäre nach Ansicht des BGH ein nicht hinnehmbares Ergebnis, wenn eine aus dem Leistungsverweigerungsrecht erwachsene auf Zahlung gerichtete Gegenforderung dazu führte, dass diese Forderung nunmehr doch durchsetzbar ist.
Relevanz
Obwohl das Urteil einen Vertrag eines Architekten mit einem privaten Bauherrn betraf, dürfte es auch für den unternehmerischen Geschäftsverkehr relevant sein. Denn der BGH stützt seine Entscheidung auf die für alle Verträge geltende Regelung des § 307 BGB. Auch die Begründung, welche auf einen mittelbaren Ausschluss des Leistungsverweigerungsrechts und die synallagmatische Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung abstellt, lässt darauf schließen, dass auch in b2b-Verträgen ein an § 309 Nr. 3 BGB angelehntes Aufrechnungsverbot unwirksam ist.
Offengelassenes
Ausdrücklich offengelassen hat der BGH die Frage, ob ein Aufrechnungsverbot wirksam wäre, welches aus dem synallagmatischen Verhältnis erwachsene Gegenforderungen ausdrücklich vom Aufrechnungsverbot ausnimmt. Unklar ist danach auch, ob diese Forderungen konkret bezeichnet werden müssen oder ob es reicht, die aus dem synallagmatischen Verhältnis entstehenden Gegenleistungen allgemein auszunehmen. Fest steht jedenfalls, dass ein Großteil der Reichweite des Aufrechnungsverbotes damit hinfällig ist.

30.09.2011/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2011-09-30 15:31:472011-09-30 15:31:47BGH zu Aufrechnungsverboten in AGB
Dr. Stephan Pötters

Reform – neuer § 160a StPO mit ausgeweitetem Beweisverwertungsverbot

StPO, Strafrecht

Am 01.02.2011 tritt das „Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Rechtsanwälten im Strafprozessrecht“  in Kraft. Durch dieses Gesetz wird das Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot in § 160a StPO ausgedehnt. Bislang erstreckte es sich lediglich auf Strafverteidiger und nicht auf sonstige Anwälte. Für Geistliche, Verteidiger und Abgeordnete galt nach Absatz 1 der Norm ein absolutes Erhebungs- und Verwertungsverbot hinsichtlich aller Ermittlungsmaßnahmen. Für andere zeugnisverweigerungsberechtigte Berufsgeheimnisträger galt nach Absatz 2 ein Erhebungs- und Verwertungsverbot nur nach Maßgabe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall . Diese Differenzierung ist nun im Hinblick auf Rechtsanwälte, die nicht Strafverteidiger sind, abgeschafft.
Das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant wird hierdurch gestärkt. Alles was ein Mandant seinem Anwalt anvertraut – und künftig eben nicht nur seinem Strafverteidiger – unterliegt einerseits dem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 StPO und ergänzend nun auch dem Beweisverwertungsverbot des § 160a Abs. 1 StPO. Durchsuchungen bei Anwälten dürften damit deutlich seltener werden.
Das Gesetz ist abgedruckt in BGBl. 2010 I Nr. 67, S. 2261, abrufbar unter http://www.bundesgerichtshof.de/DE/Bibliothek/GesMat/WP17/V/vertrauen.html

05.01.2011/0 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2011-01-05 09:12:342011-01-05 09:12:34Reform – neuer § 160a StPO mit ausgeweitetem Beweisverwertungsverbot

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