Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Sofiane Benamor, LL.B. veröffentlichen zu können. Der Autor wird demnächst im Justizministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern tätig sein und beginnt ab kommendem Wintersemester ein Studium der Rechtswissenschaften an der Fernuniversität Hagen.
Die Störer- bzw. Verantwortlichkeitskategorien gehören zu den zentralen Begriffen des Polizei- und Ordnungsrechtes. Sie behandeln die Personen, gegen die sich die Ordnungs- und Polizeibehörden zur Gefahrenabwehr wenden können (vgl. §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 PolG NRW, §§ 13 f. ASOG Bln, explizit § 68 Abs. 1 SOG M-V). Die Verantwortlichkeit als normative Voraussetzung der Inanspruchnahme ist wesentliches Element rechtsstaatlichen Polizei- und Ordnungsrechtes. Es stellt sicher, dass nur derjenige, dem eine Gefahr zuzurechnen ist, auch in Anspruch genommen wird. Zwar ist das Gefahrenabwehrrecht typisches Landesrecht, sodass sich bundeslandspezifische Unterschiede ergeben können, wesentliche gesetzgeberische Entscheidungen sind jedoch weitestgehend bundeseinheitlich. Im Wesentlichen finden sich zwei bzw. drei Kategorien in den Polizeigesetzen:
I. Verhaltens- bzw. Handlungsstörer
II. Zustandsstörer
III. Nichtstörer
Diese sollen folgend skizziert und ihre wesentlichen Merkmale und praxis- bzw. fallrelevanten Gesichtspunkte dargestellt werden. Abschließend soll unter IV. ein kurzer Abriss der Problematik um die Auswahl bei Störermehrheit gegeben werden.
I. Verhaltens- bzw. Handlungsstörer
Bei dieser Störerkategorie ist, wie der Name bereits sagt, das Verhalten der Person maßgeblich. Dieses Verhalten kann zum einen im positiven, eigenen Tun liegen, also der aktiven Verursachung einer Gefahrenlage (z. B. dem Erzeugen nächtlichen Lärms durch Brüllen). Die Verhaltensverantwortlichkeit besteht verschuldensunabhängig, kann also einerseits Einsichtsunfähige und Betrunkene (z. B. den Betrunkenen, der nachts durch sein Liegen auf der Straße den Verkehr gefährdet) andererseits aber auch Kinder treffen. Bei Kindern und Jugendlichen unter 14 (§ 17 Abs. 2 BPolG; § 4 Abs. 2 PolG NRW; § 68 Abs. 2 SOG M-V; § 13 Abs. 2 ASOG Bln) bzw. unter 16 Jahren (§ 6 Abs. 2 PolG BW) besteht daneben auch eine Zusatzverantwortlichkeit für den bzw. die Aufsichtspflichtigen. Eine solche kann auch für den Betreuer einer behinderten Person oder für den Geschäftsherrn eines Verrichtungsgehilfen bestehen (§ 69 Abs. 3 SOG M-V, § 6 Abs. 3 HSOG, § 17 Abs. 3 BPolG). Dieser Zusatzverantwortliche tritt neben den Hauptverantwortlichen, sodass beide je nach Zweckmäßigkeit in Anspruch genommen werden können.
Die Verhaltensverantwortlichkeit kann auch aus einem Unterlassen resultieren (OVG Münster, DVBl. 1979, 735; Kingreen/Poscher, POR, § 9 Rn.6). Voraussetzung hierfür sind gesetzlich normierte Handlungspflichten aus dem öffentlichen Recht (z. B. Pflicht der Eltern, ihre Kinder in die Schule zu schicken; Straßenreinigungspflicht aus Landesrecht; vgl. auch § 10 KrWG, § 26 WHG), bzw. Pflichten aus öffentlich-rechtlichem Vertrag, Verwaltungsakt oder auch Garantenstellung. Ob zivilrechtliche Handlungspflichten ausreichen, ist umstritten und jedenfalls hinsichtlich der Pflicht zur Haltung einer Sache im ordnungsgemäßen Zustand eher abzulehnen, da ansonsten die normative Distinktion zwischen Verhaltens- und Zustandsverantwortlichkeit unterlaufen würde (Thiel, POR, Rn. 228). Daran ändert auch die verfassungsrechtliche Sozialbindung des Eigentums aus Art. 14 Abs. 2 GG nichts.
Regelmäßige Probleme bereiten Fälle, in denen der Gefahrzusammenhang bzw. die Gefahrverursachung des (vermeintlich) Verhaltensverantwortlichen nicht zweifellos feststeht. Zur Abgrenzung verwendet die h. M. die sog. Theorie der unmittelbaren Verursachung (Selmer, JuS 1992, 97 <98>). Danach ist das Verhalten maßgeblich, welches nach den Umständen des Einzelfalles die Gefahrengrenze überschreitet. Abzustellen ist mithin auf das letzte Glied der Kausalkette, mittelbare Verursacher scheiden damit aus. Die Gefahrenschwelle überschreitet eine Handlung, wenn sie nicht mehr denjenigen Anforderungen entspricht, die von der Rechtsordnung im Interesse eines störungsfreien Gemeinschaftslebens verlangt werden (OVG Münster, NVwZ 1985, 355 <356>). Es erfolgt also keine objektive naturwissenschaftliche, sondern eine normativ wertende Gesamtbetrachtung.
Als Korrektiv dieser Theorie wurde die Figur des Zweckveranlassers entwickelt. Hierunter ist die Person zu verstehen, welche „zwar die Gefahrengrenze überschreitet, aber nicht die zeitlich letzte Handlung vor dem Schadenseintritt vornimmt“ (Gusy, POR, Rn. 336). Er veranlasst eine Situation, in welcher durch das Verhalten anderer eine Gefahr entwickelt wird, er „fordert“ den unmittelbaren Störer „heraus“ (Schmidt, POR, Rn. 776). Die enge sachliche Nähe von Veranlassung und dem die Gefahr herbeiführenden Verhalten soll hier die Verantwortlichkeit begründen. Historisch entwickelt wurde die Figur im Schaufensterpuppenfall des Preußischen Oberverwaltungsgerichtes (PrOVGE 40, 216 <217>). Der Eigentümer eines Ladens stellte diverse bewegliche Puppen in sein Schaufenster. Diese lockten viele schaulustige Passanten an, die dann Ansammlungen bildeten und mithin den Verkehr behinderten. Andere Fälle sind etwa die Vermietung von Wohnungen in Sperrbezirken gem. Art. 297 EGStGB an Prostituierte (VGH Kassel, NVwZ 1992, 1111), die Anmeldung einer potenziell unfriedlichen Demonstration (OVG Weimar, NVwZ-RR 1997, 287) oder die Einladung zu einer Facebook-Party (Klas/Bauer, K&R 2011, 533).
An dieser Rechtsfigur gibt es zahlreiche Kritik (vgl. exemplarisch Erbel, JuS 1985, 257), deren Bearbeitung jedoch den Rahmen dieses Beitrages erheblich übersteigen würde.
II. Zustandsstörer bzw. -verantwortlichkeit
Die Zustandsverantwortlichkeit als Ausfluss der Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG stellt im Gegensatz dazu auf die tatsächliche Sachherrschaft oder Eigentum an einer Sache, die wiederum Gefahren verursacht, ab (§ 18 BPolG; § 70 SOG M-V; § 7 PolG BW; § 5 PolG NRW; § 14 ASOG Bln). Es kommt hier also nicht darauf an, ob der Eigentümer oder Inhaber der tatsächlichen Gewalt etwas für den Gefahrenzustand der betreffenden Sache kann oder diesen (schuldhaft oder unschuldhaft) verursacht hat, sondern nur auf die objektiven Gefahren, die von der Sache ausgehen. Klassische Anwendungsfälle für die Zustandsverantwortlichkeit sind der Baum auf einem Privatgrundstück, der auf die Straße (und damit auf Passanten) zu fallen droht oder der um sich beißende Hund.
Die Eigentümereigenschaft ist akzessorisch zu den Wertungen des bürgerlichen Rechts (Götz, POR, § 9 Rn. 55). Eigentümer ist somit, wer nach den Vorschriften des BGB Eigentum an einer Sache hat. Bei gemeinschaftlichem Miteigentum ist jeder Eigentümer eigenständig verantwortlich. Die Verantwortlichkeit des Eigentümers entfällt allerdings, wenn der Inhaber der tatsächlichen Welt diese ohne den Willen des Eigentümers oder des Nutzungsberechtigten ausübt (§ 18 Abs. 2 S. 2 BPolG, § 5 Abs. 2 S. 2 PolG NRW, § 14 Abs. 2 S. 2 ASOG Bln, § 7 Abs. 2 S. 2 HSOG). Dies kann durch typische Fallkonstellationen wie Diebstahl und Unterschlagung, aber auch durch hoheitliche Beschlagnahme (z. B. Pfändung) geschehen.
Nicht beendet wird die Zustandsverantwortlichkeit des Eigentümers jedoch durch Dereliktion gem. §§ 928, 959 BGB. Hier regeln die Polizeigesetze explizit, dass diese auch nach der Dereliktion weiterhin besteht (vgl. § 18 Abs. 3 PolG BW; 5 Abs. 3 PolG NRW; § 14 Abs. 4 ASOG Bln; § 6 Abs. 3 BremPolG; § 70 Abs. 3 SOG M-V). Der Derelinquierende soll sich seiner Verantwortung nicht einfach durch Eigentumsaufgabe entziehen können.
Die andere Form der Zustandsverantwortlichkeit ist die des Inhabers der tatsächlichen Gewalt, also der tatsächlichen Sachherrschaft. Die tatsächliche Gewalt bzw. Sachherrschaft ist ein polizeirechtseigener Begriff, der zwar ähnlich, aber nicht völlig deckungsgleich mit dem zivilrechtlichen Besitzbegriff ist (Götz, § 9 Rn. 51), da er keinen Besitzbegründungswillen erfordert und nach der Verkehrsauffassung zu bestimmen ist. Er wird jedoch in aller Regel zum selben Ergebnis führen. Beispiele für diese Kategorie sind Mieter, Pächter und Verwahrer, aber auch Insolvenz- und Konkursverwalter.
III. Inanspruchnahme des Nichtstörers
Unter gewissen, sehr engen Voraussetzungen können auch Personen, die weder Verhaltens- noch Zustandsstörer bzw. Verantwortliche sind, in Anspruch genommen werden (§ 71 SOG M-V; § 20 BPolG, § 6 PolG NRW; § 9 PolG BW; § 16 ASOG Bln; § 7 BremPolG). Man spricht in diesem Zusammenhang vom polizeilichen Notstand. (Pieroth/Schlink/Kniesel, § 9 Rn. 74). Erforderlich ist hier eine Gefahr, die gegenwärtig und zumeist auch erheblich sein muss. Weiterhin ist die Inanspruchnahme des nichtverantwortlichen Dritten subsidiär zu anderen Möglichkeiten der Gefahrenabwehr. Das bedeutet sowohl, dass die Gefahr weder durch Inanspruchnahme des Verhaltens- noch Zustandsstörer, noch durch die Behörde selbst gebannt werden kann. Die Inanspruchnahme des Nichtverantwortlichen ist insoweit „doppelt subsidiär“ (Gusy, Rn. 384). Bei der Wahl und Ausprägung der Maßnahme muss die Behörde zudem darauf achten, dass diese sich auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt und so wenig invasiv wie möglich ist. Außerdem steht dem Nichtstörer ein öffentlich-rechtlicher Ausgleichsanspruch zu (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 ASOG Bln; § 56 Abs. 1 Satz 1 BremPolG; § 72 Abs. 1 SOG M-V; § 67 PolG NRW; § 55 Abs. 1 PolG BW).
Klassische Beispiele für diese Konstellation sind die sog. Obdachlosenfälle, in denen die Ordnungsbehörde eingreift, um drohende Obdachlosigkeit zu verhindern oder bestehende Obdachlosigkeit (auch nur temporär) zu beenden (vgl. OVG Berlin, NVwZ 1991, 692; VGH München, BayVBl. 1991, 114). Hier wird der Eigentümer der bereits bewohnten oder einer unbewohnten Wohnung als Nichtstörer in Anspruch genommen, da eine Inanspruchnahme des tatsächlichen Störers – hier des Obdachlosen – nicht erfolgsversprechend ist. Da allerdings auch hier die Nachrangigkeit der Inanspruchnahme des Nichtstörers gilt, muss sich die Ordnungsbehörde zunächst bemühen, andere Unterkünfte für den (potenziell) Obdachlosen zu finden (Schmidt, Rn. 837).
Weiterhin in der Praxis bedeutsam sind Fälle auf dem Gebiet des Versammlungsrechtes, in denen die Teilnehmer einer Demonstration zwar friedlich agieren, eine Gefahr jedoch von der Gegendemonstration zu erwarten ist. Hier ist das Verhältnis der potenziellen Maßnahmen zueinander jedoch komplexer, da die Notstandsverantwortung z. B. durch Auflagen oder ggf. auch ein Totalverbot der gefährlichen Demonstration (vgl. § 15 Abs. 1 VersG) teilweise vermieden werden kann (BVerfG, NVwZ 2000, 1406). Hier ist auch zu prüfen, ob der Demonstrationsanmelder nicht bereits als Zweckveranlasser in Anspruch genommen werden kann.
IV. Polizei- und ordnungsbehördliche Störerauswahl
In vielen Fällen wird es nicht nur einen, sondern mehrere Verantwortliche geben, die zur Abwehr der Gefahr in Anspruch genommen werden können. Gerade die aufgezeigten Zusatzverantwortlichkeiten bei der Verhaltens- und Zustandsverantwortlichkeit oder die sog. Doppelstörer, die sowohl verhaltens- als auch zustandsverantwortlich sind, geben den zuständigen Behörden zur Gefahrenabwehr die Möglichkeit der individuellen Auswahl. Diese Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (vgl. § 12 ASOG Bln, § 14 SOG M-V, § 3 PolG NRW; § 3 PolG BW; § 4 Abs. 1 BremPolG; § 16 BPolG). Sie hat dabei Entschließungs- und Auswahlermessen. Bei „besonders hoher Intensität der Störung oder Gefährdung“ (BVerwGE 11, 95 <97>) oder „besonders schweren Gefahrenfällen“
(BVerwG, DÖV 1969, 465) kann dieser Ermessensspielraum eingeschränkt sein. Zentrales und entscheidendes Kriterium bei der Störerauswahl ist der gefahrenabwehrrechtliche Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr, dass sich die Behörde also an denjenigen wendet, der die Gefahr am schnellsten und effektivsten beseitigen kann (Schmidt, Rn. 816). So ist im Verhältnis Mieter (als Inhaber der tatsächlichen Gewalt) und Eigentümer der Mieter als Anwesender, sofort Handlungsfähiger eher in der Lage, einen losen Ziegelstein vom Dach des Hauses zu entfernen als der entfernt wohnende Eigentümer. Andersherum wird sich die Behörde an den Eigentümer wenden, wenn es um bestimmte Handlungen geht, die dem Mieter aus mietvertraglichen bzw. eigentumsrechtlichen Gründen verboten sind, er dazu also rechtlich nicht in der Lage ist. In der Literatur finden sich darüber hinaus vermehrt Faustformeln für die Inanspruchnahme, etwa „Verhaltensverantwortlicher/Handlungsstörer vor Zustandsstörer“ oder „Doppelstörer vor einfachem Störer“ (Thiel, Rn. 305). Die Tauglichkeit solcher Faustformeln ist umstritten (Vgl. Schoch, JURA 2012, 685 <688>). Es wird hier zu raten sein, eine wertende Gesamtbetrachtung der jeweiligen Umstände des konkreten Einzelfalls vorzunehmen.
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Das Unglück hat die Menschen erschüttert: Am Dienstag gegen 11 Uhr stürzte ein Airbus A 320 von germanwings in Südfrankreich ab und riss 150 Menschen mit in den Tod. Seither bewegte nicht nur Deutschland die Frage nach dem „Warum?“.
Gestern nun eine Antwort die für Entsetzen sorgte: Der Co-Pilot der Maschine brachte – so zumindest der aktuelle Erkenntnisstand der StA in Frankreich – bewusst die Maschine zum Absturz, nachdem er den Piloten aus der Maschine ausgesperrt hatte. Soweit die Fakten die bewegen. Nun stellt sich umso mehr die Frage nach dem „Warum?“. Eine Frage, deren Beantwortung die Menschen zurecht verlangen.
Eine Antwort konnte hierauf – naturgemäß – aber noch nicht gegeben werden, die Ermittlungen stehen – keine 72 Stunden nach dem Absturz der Maschine – noch völlig am Anfang. Eine Zeit, die viele Menschen nicht abwarten wollen und oftmals auch nicht können, zu schrecklich ist das Geschehen. Viele Medien kommen diesem Drang nach Informationen nach, indem umgehend Fotos des Co-Piloten, dessen vollständiger Name, Fotos von dessen privaten Wohnungen, vom Haus der Eltern, private Informationen etc. veröffentlicht werden. An dieser Stelle soll keine pauschale Medienschelte erfolgen, ist doch das Bedürfnis der Bevölkerung nach Informationen um das Unvorstellbare vorstellbar zu machen durchaus nachvollziehbar und nicht mit bloßem Voyeurismus gleichzusetzen. Die Medien vollziehen dieses Bedürfnis nur nach und erfüllen damit letztendlich nur Ihre Pflicht. Weder den Medien noch den Lesern ist ein Vorwurf zu machen.
Die Frage stellt sich aber – und damit komme ich zu der eigentlichen Aufgabe unserer Seite – was das Recht, welches sich eben gerade nicht von Emotionen und menschlichen Gefühlen leiten lässt, hierzu äußert.
I. Geschütze Interessen des Piloten und der Verwandten
Dabei ist klar, es stehen sich Interessen gegenüber, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Auf der einen Seite das Informationsinteresse der Bevölkerung, das letztlich die Presseorgane im Rahmen ihrer Pressefreiheit befriedigen, auf der anderen Seite das Persönlichkeitsrecht des getöteten Co-Piloten und von dessem Umfeld. Beide Positionen sind solche von Grundrechtsrang. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ist generell auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit gerichtet. Allerdings – und dies ist ein erster entscheidender Punkt – steht dies nach herrschender Meinung nur Lebenden zu, für Verstorbene wird es abgelehnt ( BVerfGE 30, 173, 194; BVerfG NJW 2008, 549, 550). Allerdings können sich jedenfalls die Verwandten auf ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen.
In der bekannten Mephisto-Entscheidung zu einem Roman angelehnt an den Schriftsteller Klaus Mann (BGHZ 50, 133, 136 ff) modifiziert der Bundesgerichtshof allerdings diese Grundsätze für das postmortale Persönlichkeitsrecht und stellt fest:
Dies [die Fortgeltung des Rechts über den Tod hinaus] gelte in gleicher Weise auch für das allgemeine Persönlichkeitsrecht; denn die schutzwürdigen Werte der Persönlichkeit überdauerten die Rechtsfähigkeit ihres Subjekts, die mit dem Tode erlösche (BGHZ 15, BGHZ Band 15 Seite 249, BGHZ Band 15 Seite 259 = NJW 55, NJW Jahr 1955 Seite 260 [L] = LM Nr. 8 zu § 1 LitUrhG – Cosima Wagner).
Das Persönlichkeitsrecht erfährt zwar – wie schon ein Vergleich des Ehrenschutzes nach §§ 185 bis 187 StGB mit der engeren Bestimmung des § 189 StGB zeigt – mit dem Tode der Person eine einschneidende Einschränkung, da alle diejenigen Ausstrahlungen enden, welche die Existenz einer aktiv handelnden Person bedingen. Ferner kann bei der Abwägung widerstreitender Belange im Rahmen der Abgrenzung des Persönlichkeitsrechtes nicht mehr der Schutz der persönlichen Empfindung des Angegriffenen als solcher ins Gewicht fallen.
Einer (eingeschränkten) Überdauerung des Persönlichkeitsrechts steht auch nicht entgegen, dass dieses vom ehemals Berechtigten nun nicht mehr wahrgenommen werden kann, so das Urteil weiter:
Es ist nicht entscheidend, daß das Persönlichkeitsrecht – abgesehen von seinen vermögenswerten Bestandteilen – als höchstpersönliches Recht unübertragbar und unvererblich ist. Die Rechtsordnung kann Gebote und Verbote für das Verhalten der Rechtsgenossen zum Schutz verletzungsfähiger Rechtsgüter auch unabhängig vom Vorhandensein eines lebenden Rechtssubjektes vorsehen und namentlich Unterlassungsansprüche der in Rede stehenden Art durch jemanden wahrnehmen lassen, der nicht selbst Subjekt eines entsprechenden Rechtes ist, wenn der ursprüngliche Träger dieses Rechtes durch den Tod die Rechtsfähigkeit verloren hat.
Jedenfalls bei einer groben Entstellung greift damit der fortdauernde Schutz des Persönlichkeitsrechts. Mit dem Tod erlischt dieses nicht völlig, sondern dauert postmortal fort. Letztlich ist diese Sichtweise auch mit dem Bundesverfassungsgericht vereinbar, welches den Schutz zumindest über Art. 1 Abs. 1 GG fortdauern lässt (BVerfGE 30, 173, 194).
Diese Sichtweise teilt auch der Bundesgerichtshof in dem Nolde-Urteil aus dem Jahr 1989 (BGHZ 107, 384) und postuliert dabei eine Verhältnismäßigkeitsprüfung:
Es ist dabei zutreffend davon ausgegangen, daß der rechtliche Schutz der Persönlichkeit gemäß Art. 1 Abs. 1 GG zwar nicht mit dem Tode endet. Vielmehr besteht der allgemeine Wert- und Achtungsanspruch fort, so daß das fortwirkende Lebensbild eines Verstorbenen weiterhin gegen schwerwiegende Entstellungen geschützt wird (vgl. BGHZ 50, 133, 136ff – Mephisto; BGH, Urt. v. 4.6.1974 – VI ZR 68/73, GRUR 1974, 797, 798 – Fiete Schulze; BGH, Urt. v. 17.5.1984 – I ZR 73/82, GRUR 1984, 907, 908 – Frischzellenkosmetik; auch BVerfGE 30, 173, 194f – Mephisto).
Die Dauer des postmortalen Persönlichkeitsschutzes läßt sich nicht generell festlegen. Sie hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei wird es neben der Intensität der Beeinträchtigung vor allem auf die Bekanntheit und Bedeutung des durch das künstlerische Schaffen geprägten Persönlichkeitsbildes ankommen. Das Schutzbedürfnis schwindet in dem Maße, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblaßt und im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnimmt (vgl. BGHZ 50, 133, 140f – Mephisto; BVerfGE 30, 173, 196 – Mephisto).
Im konkreten Fall werden zwar „nur“ Fotos, persönliche Informationen etc. genannt, deren Inhalt – dies sei hier vorausgesetzt – auch der Wahrheit entspricht. Dennoch kann m.E. im konkreten Fall und im konkreten Handlungsstadium hierin ein Eingriff in das allgemeine postmortale Persönlichkeitsrecht des Co-Piloten und in das Persönlichkeitsrecht der Verwandten liegen. Das postmortale Persönlichkeitsrecht muss jedenfalls soweit gehen, dass auch eine postmortale Zurschaustellung des Verstorbenen – unter Nennung von Namen, Fotos, Adresse etc. – einen Eingriff darstellt. Dies resultiert schon aus dem unmittelbaren Zusammenhang zu dem Tod und aus sämtlichen Umständen.
Daneben besteht natürlich auch ein Schutzinteresse der Verwandten. Durch die Nennung der gezeigten Informationen bzgl. des Co-Piloten wird auch ihr Persönlichkeitsrecht verletzt, da auch für sie ein normales Weiterleben offenkundig nicht mehr möglich ist.
II. Legitimes Informationsinteresse und Pressefreiheit
Dagegen streitet aber das legitime Informationsinteresse der Bevölkerung, welches letztlich durch die Pressefreiheit nach Art. 5 GG erfüllt wird.
III. Abwägung
Entscheidend muss im Ergebnis eine Abwägung sein welches Interesse überwiegt. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, dass es sich im aktuellen Ermittlungsstadium allein um einen – wenn auch gravierenden und verhältnismäßig konkreten – Verdacht handelt.
1. Erwiesene Verantwortlichkeit
Jedenfalls anders wäre die Situation zumindest dann, wenn tatsächlich der Beweis (im Sinne einer über allen Zweifeln erhabenen Wahrscheinlichkeit) des aktuell diskutierten Geschehens vorliegen würde. Hier wäre ein überwiegendes Informationsinteresse zu bejahen, sodass es auch zulässig wäre, dieses Interesse mit sachlichen und der Information dienenden Fakten zu befriedigen. Dann wäre sowohl die Nennung des Namens, als auch von Fotos und persönlichen – im Zusammenhang mit dem Absturz stehenden – Informationen zulässig. Auch das verletzte Persönlichkeitsrecht der Verwandten müsste dahinter zurücktreten. Es würde sich um ein besonderes Ereignis der Zeitgeschichte handeln.
2. Erwiesene Nichtverantwortlichkeit
Demgegenüber würde das Persönlichkeitsrecht jedenfalls dann überwiegen, wenn sich herausstellen würde, dass der Co-Pilot (wider Erwarten) doch nicht für den Absturz verantwortlich war.
3. Probleme bei bestehenden (Rest)Zweifeln
Aktuell scheint es aber äußerst wahrscheinlich, dass der Co-Pilot für den Absturz verantwortlich war, wobei die konkreten Umstände noch unklar sind. Eine absolute Sicherheit besteht – schon aufgrund der gerade erst anlaufenden Ermittlungen – aber noch nicht. Wie ist also in einem solchen Stadium zu verfahren? Hätte der Co-Pilot den Absturz überlebt, so würde für ihn – strafrechtlich – bis zu einer Verurteilung die Unschuldsvermutung gelten. Diese scheint in der aktuellen Diskussion aufgehoben zu sein. Allerdings – und auch dies muss beachtet werden – könnten natürlich bei einem zweifellos bestehenden Anfangsverdacht Ermittlungen gegen ihn aufgenommen werden, bei einem dringenden Tatverdacht (und weiteren Gründen) wäre die Verhängung von Untersuchungshaft möglich. All dies knüpft an einen Verdacht und nicht an eine erwiesene Verantwortlichkeit an. Demnach ist auch nicht auszuschließen, dass bereits bei einem Verdacht das Informationsinteresse der Allgemeinheit überwiegt. Dabei ist allerdings eine striktere Prüfung als bei der erwiesenen Verantwortlichkeit geboten. Entscheidende Bedeutung hat hier, dass die Eingriffe in das Persönlichkeitsrechts nicht mehr reversibel sind. Die Folgen bei einer sich herausstellenden Unschuld wären damit gravierend. Dies würde jedenfalls bei einem noch lebenden Verdächtigen gelten. Eine (Re)Sozialisierung wäre kaum noch möglich.
Bei einem verstorbenen Verdächtigen mag dieses Argument zwar keine direkte Rolle spielen, dennoch muss auch hier beachtet werden, dass eine Reparatur des Persönlichkeitsbilds bei sich herausstellender Unschuld kaum mehr möglich wäre.
IV. Ergebnis im konkreten Fall
Diese Aspekte wären bei der Abwägung zwingend zu beachten. Hier spricht dennoch viel für eine Veröffentlichung persönlicher Informationen. Die Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung wie vermutet ist sehr hoch; ebenso hoch ist das Informationsinteresse der Bevölkerung zur Klärung dieses schrecklichen Vorfalls. Das Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen ist dagegen hier weniger stark als wenn er überlebt hätte. Zudem findet auch eine Verzerrung seiner Persönlichkeit nicht statt.
Eine Veröffentlichung persönlicher Informationen wäre damit zulässig. Allerdings muss hier sorgsam ausgewählt werden, welche Informationen zu veröffentlichen sind. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass auch das Persönlichkeitsrecht der Eltern massiv betroffen ist. Fotos von deren Wohnhaus oder aber Informationen über ihren Beruf etc. sollten damit nicht veröffentlicht werden. Gleiches gilt auch für Informationen bzgl. des Co-Piloten, die keinen direkten Bezug zur Tat aufweisen. Die Nennung des vollständigen Namens wäre daher m.E. unzulässig. Hier überwiegt das Schutzinteresse des Verstorbenen und der Angehörigen. Die vollständige Nennung dient hier allein dem Voyeurismus der Adressaten, die damit den vollständig Namen googeln etc., um weitere Informationen zu finden. Hingegen erscheint die Veröffentlichung zumindest eines öffentlichen Fotos zulässig, da damit der mutmaßliche Täter „ein Gesicht bekommt“ und damit das Geschehen fassbarer wird, wobei hierbei aber auch an eine Anonymisierung zu denken ist.
Im Einzelnen verschwimmt der Bereich zwischen zulässig und unzulässig hier aber wie man erkennen kann sehr stark.
V. Zum Schluss
Ein Fall der bewegt – so viel steht fest. Die Menschen haben ein Interesse, das nicht Begreifliche durch nähere Informationen begreifbar zu machen. Und dennoch darf bei allem Verständnis hierfür das Interesse der Verwandten des Co-Piloten und auch dessen eigenes postmortales Interesse nicht vollständig vernachlässigt werden. Der Status des Menschseins kann und darf auch einem „Amok-Piloten“ (so heute der Titel der Bild-Zeitung) nicht abgesprochen werden. Den Pranger auf dem Marktplatz haben wir zurecht seit dem Mittelalter abgeschafft. Eine Rückkehr zu diesem Denken wäre – auch wenn die menschlichen Instinkte bei einem solchen schier unfassbaren Vorfall etwas anderes sagen mögen – fatal.