Der nachfolgende Beitrag stammt aus unserer gemeinsamen Kooperation mit jur:next und befasst sich mit einem examensrelevanten Urteil des OVG Lüneburg zur Zulässigkeit von Ferienwohnungen im allgemeinen Wohngebiet.
Keine Ferien im Wohngebiet!?
Urteil des 1. Senats des OVG Lüneburg vom 15.01.2015 – 1 KN 61/14 – Thematik: Zur Zulässigkeit von Ferienwohnungen im allgemeinen Wohngebiet sowie den materiellen Anforderungen an eine Veränderungssperre.
I. Zum Sachverhalt
A und B sind Eigentümer eines Baugrundstücks in der kreisangehörigen Stadt T des Landkreises I, welches im Geltungsbereich eines rechtswirksamen Bebauungsplans liegt. Dieser Plan setzt für das Grundstück sowie die weiteren Grundstücke entlang der Straße ein allgemeines Wohngebiet fest. Tatsächlich wird die bauliche Nutzung neben Wohnungen auch von vermieteten Gästeunterkünften (Pensionszimmer, Ferienapartments) geprägt. Die zuständige Bauaufsichtsbehörde gestattete A und B mit Genehmigung vom 10.02.2012 die Errichtung eines Apartmenthauses mit vier Wohneinheiten auf 2 Etagen, wobei Keller und Dachgeschoss des Gebäudes nicht zu Wohnzwecken ausgebaut werden sollten. Tatsächlich errichteten beide aber ein Gebäude mit insgesamt 7 Wohneinheiten unter Nutzung von Dachgeschoss und Keller, von denen 5 als Ferienwohnungen vermietet und weitere 2 als Dauerwohnungen genutzt werden sollten. Bereits am 30.06.2010 war jedoch der Beschluss zur Änderung des Bebauungsplans im dem entsprechenden Gebiet gefasst worden, wobei über konkrete Inhalte keine Übereinstimmung erzielt wurde. Im späteren Verlauf sprach sich jedoch die überwiegende Meinung für die Festsetzung in ein „sonstiges Sondergebietes“ nach § 11 BauNVO aus. So sollte ein „ausgewogenes Nebeneinander der Wohnnutzung und der Kleinbeherbergung“ geregelt werden, sodass letztlich am 16.04.2013 vom Verwaltungsrat eine Veränderungssperre beschlossen wurde. Die Nutzung der Gebäudeeinheiten als Ferienwohnungen untersagte die Bauaufsichtsbehörde mit Verfügung vom 15.10.2013 in der Folge unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. Sie verwies auf die „Illegalität“ der tatsächlich errichteten Gebäude, die von der erteilten Baugenehmigung nicht gedeckt seien. Die nachfolgenden Anträge auf nachträgliche Genehmigung des Bauvorhabens wurden abgelehnt. Der daraufhin vor dem Verwaltungsgericht verfolgte Eilrechtsschutz blieb erfolglos. (VG Oldenburg, Beschl. v. 14.04.2014 – 4 B 7040/13 -, bestätigt durch den Senatsbeschluss v. 16.06.2014 – 1 ME 70/14 -, NVwZ-RR 2014, 802.)
A und B möchten nun gegen die vom Rat der Stadt T beschlossene Veränderungssperre gerichtlich vorgehen.
II. Problemaufriss
Die nachfolgende Prüfung der Zulässigkeit eines Normenkontrollantrags unterscheidet sich von anderen verwaltungsrechtlichen Klagearten in einigen Details, welche aber problemlos aus § 47 VwGO entnommen werden können.
Mangels aufdrängender Sonderzuweisung ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 VwGO eröffnet. Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers (§§ 88, 86 III VwGO). A und B wollen die Veränderungssperre für unwirksam erklären lassen, sodass die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Normenkontrollantrags nach § 47 VwGO vorliegen könnten. Instanziell zuständiges Gericht ist nach § 47 I, III VwGO das OVG und als solches das örtlich zuständige in Lüneburg. Die Veränderungssperre wurde vom Verwaltungsrat als Satzung gemäß § 14 BauGB beschlossen und ist demnach zulässiger Antragsgegenstand nach § 47 I Nr. 1 VwGO. A und B sind nach § 47 II VwGO durch die Geltendmachung einer möglichen Verletzung der Baufreiheit aus Art. 14 GG sowie § 70 NBauO (§ 75 BauONRW) antragsbefugt. Auch die Antragsfrist gemäß § 47 II VwGO von einem Jahr seit Erlass der zu kontrollierenden Norm wurde vorliegend eingehalten.
Fraglich ist allein, ob das Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist. Dies ist bspw. dann nicht der Fall, wenn die mögliche Unwirksamkeitserklärung des Gerichts ungeeignet ist, die Rechtsstellung des Antragenden zu verbessern (So speziell für den Fall des Normenkontrollantrags in Kopp/Schenke, § 47 VwGO, Rn. 88 ff.). Die Nutzung der Gebäude als Ferienwohnungen ist generell nicht genehmigungsfähig, wenn dies bereits mit dem vorher geltenden Bebauungsplan unvereinbar wäre. In diesem Fall käme es dann auf die Beurteilung der Veränderungssperre gar nicht mehr an. Der geltende Plan setzt für das Grundstück der Antragsteller ein allgemeines Wohngebiet fest, womit fraglich ist, ob Ferienwohnungen hier zulässig sind. Dies ist zumindest zwischen Rechtsprechung und Literatur überaus streitig.
So wurde von den Gerichten vertreten, dass es sich weder um Wohnen i.S.v § 4 I und II Nr. 1 BauNVO, noch um einen Beherbergungsbetrieb i. S. Von § 4 III Nr. 1 BauNVO handelt.(So zuletzt das BVerwG, Urt. v. 11.07.2013 – 4 CN 7.12 -). Dies sei darin begründet, dass Ferienapartments auf die Selbstversorgung der Bewohner angelegt sind und auch keine anderen hotelmäßigen Nebenleistungen erbracht würden. Weiterhin wurde auch eine Einstufung als „sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb“ i.S.v. § 4 III Nr. 2 BauNVO wegen der besonderen Festsetzung nach § 10 BauNVO abgelehnt (In diesem Sinne das OVG Niedersachsen, Urt. v. 24.07.2013 – 1 LB 245/10 -).
Dem wird in der Literatur entgegnet, dass es sich sehr wohl um einen Beherbergungsbetrieb oder als zulässige Form des Wohnens handeln könne (Stock in: König/Roeser/Stock, § 3 BauNVO, Rn. 24 und 41 sowie Fickert/Fieseler, § 3 BauNVO, Rn. 10.1.).
Stellt man darauf ab, dass viele Hotels tatsächlich nur noch Übernachtungen ohne Zusatzleistungen anbieten, ließe sich zudem auch eine Einstufung als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb vertreten. Ein Meinungsentscheid kann jedoch dahinstehen, da ersichtlich ist, dass auch aufgrund der Einzelkasuistik keine einheitliche Auffassung besteht und eine Entscheidung in der Sache geeignet ist, Klarheit über die vorliegende Einstufung der Zulässigkeit im allgemeinen Wohngebiet zu bringen. Somit ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Rechtsstellung der Antragsteller durch den Normenkontrollantrag verbessert werden könnte und das Rechtsschutzbedürfnis ist zu bejahen.
Die Begründetheit des Normenkontrollantrags liegt vor, insoweit die Norm rechtswidrig ist, also die beschlossene Veränderungssperre formelle oder materielle Fehler aufweist. Die vorliegende Norm muss auf einer Ermächtigungsgrundlage beruhen, die selbst wiederum an Art. 80 GG zu messen ist. Die Veränderungssperre wird nach § 14 I i.V.m. § 16 I, II BauGB als Satzung beschlossen. Diese Normen setzen Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung zum Erlass einer Satzung fest und genügen damit den Anforderungen aus Art.80 GG.
Innerhalb der formellen Rechtmäßigkeit sind Zuständigkeit, Verfahren, Form und hier insbesondere die ortsübliche Bekanntmachung der Veränderungssperre nach § 16 II BauGB zu prüfen und vorliegend zu bejahen.
Die Norm ist auch materiell rechtmäßig, wenn sie nicht gegen höherrangiges Recht verstößt, also in der vorliegenden Konstellation mit Landesgesetzen, Landesverfassungsrecht, Bundesgesetzen und dem Grundgesetz vereinbar ist.
Dann müssen zunächst die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage vorliegen. Gemäß § 14 I BauGB kann die Gemeinde eine Veränderungssperre nur dann beschließen, wenn dies zur Sicherung einer inhaltlich konkretisierten Planung für den künftigen Planbereich erforderlich ist und ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans erfolgt ist. Durch den Beschluss des Gemeinderates vom 30.06.2010 zur Änderung des Bebauungsplans war diese Voraussetzung zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Veränderungssperre (16.04.2013) erfüllt. Die Veränderungssperre müsste auch zur Sicherung der Bauleitplanung der Stadt T erforderlich sein. „Das setzt voraus, dass die Planung zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Veränderungssperre bereits ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll“ (Rn. 30 des Urteils.). Sinn und Zweck ist, dass die Gemeinde, um über mögliche Ausnahmen von der Veränderungssperre nach § 14 II S.1 BauGB zu entscheiden, bereits konkretisierte inhaltliche Strukturen definiert hat. Dabei müssen zumindest Planungsabsichten über die Art der baulichen Nutzung, wie bspw. Festsetzungen für ein bestimmtes Baugebiet (§ 9 I-II a BauGB) getroffen worden sein (Vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 19.02.2004 – 4 CN 13.03 – sowie BVerwG, Urt. v. 30.8.2012 – 4 C 1.11 -.). . Neben den Niederschriften aus den Ratssitzungen sind hierfür erkennbare Rückschlüsse auch aus anderen Unterlagen und Umständen zulässig.
Die baulichen Vorstellungen der Gemeinde T konkretisierten sich zwar erst nach und nach, jedoch wurden zumindest vor Erlass der Veränderungssperre konkrete Absichten ersichtlich. So fand sich in den Sitzungen eine Ratsmehrheit, die ein „ausgewogenes Nebeneinander der Wohnnutzung und der Kleinbeherbergung“ für die Art der baulichen Nutzung anstrebte.
Fraglich ist, ob es sich insgesamt nur um nachgeschobene Gründe handeln könnte, um das konkrete Bauvorhaben von A und B zu vereiteln. Dann wäre das erforderliche Sicherungsbedürfnis zu verneinen. Es ist jedoch nicht unzulässig, dass die Gemeinde T das Vorhaben der A und B zum Anlass für eine Veränderungssperre genommen hat, da sie mit dieser zugleich hinreichend konkretisierte Planungsabsichten verband (Rn. 32 des Urteils). Zwar wurde mit der tatsächlichen Planung durch ein Büro erst ein halbes Jahr später begonnen, jedoch räumt § 17 I BauGB der Gemeinde 2 Jahre Zeit für ihre Umsetzung ein, die sogar gemäß § 17 II BauGB um 1 Jahr verlängert werden kann. Des Weiteren ist es vorliegend auch nicht relevant, dass die Zielsetzungen erst nach Erteilung der Baugenehmigung definiert wurden, da die Nutzung als Ferienwohnung davon nicht erfasst war und somit auch der Bestandsschutz aus § 14 III BauGB nicht eingreift. Fraglich ist, ob die Planung den Bestimmungen der Baunutzungsverordnung widersprechen und so auf ein unzulässiges Ziel gerichtet sein könnte. Zum einen wird jedoch im Rahmen des Normenkontrollantrags nicht der zukünftige Bebauungsplan selbst, sondern nur die grundsätzliche städtebauliche Machbarkeit der Veränderungssperre geprüft. Zum anderen ist die Zulässigkeit der Festsetzung eines Sondergebietes für Dauer- und Ferienwohnungen zuletzt auch gerichtlich erneut bestätigt worden (OVG Niedersachsen, Urt. v. 18.09.2014 – 1 KN 123/12 -). Demnach ist die Veränderungssperre der Stadt T sowohl in formeller als auch materieller Hinsicht rechtmäßig und nicht für unwirksam zu erklären. Diese getroffene Entscheidung des OVG Lüneburg besitzt nach § 47 I VwGO Allgemeingültigkeit.
III. Bedeutung für die Ausbildung
Der verwaltungsrechtliche Normenkontrollantrag gehört sicherlich zu der Klageart, die bei Studierenden nicht nur starke Ängste hervorrufen kann, sondern in der Tat selten eine ganze Examensklausur füllen wird. Letzter Punkt bedeutet jedoch, dass sie umso mehr als Zusatzaufgabe gestellt werden kann. In Kombination mit den Anforderungen an eine Veränderungssperre entsteht so eine Baurechtsklausur, die wie viele ihrer Art noch nicht zum Schwierigsten im Examen gehören. Möchte man jedoch beim Korrektur einen wirklich guten Eindruck hinterlassen, gilt es die Details der Strukturen des Normenkontrollantrags sowie die erwähnten baurechtlichen Probleme zu erkennen und an der richtigen Stelle zu platzieren. Gerade die Frage der Zulässigkeit der Nutzung von Wohnungen als Ferienapartments bekommt nicht zuletzt durch den enormen Erfolg der Plattform „Airbnb“, die solche Angebote vermittelt, eine besondere Aktualität. Darin liegt nicht nur der Reiz dieses Urteils, sondern auch der Fahrplan für jede Examensvorbereitung: altbekanntes und neues verbinden!
Schlagwortarchiv für: Urteilsbesprechung
Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag veröffentlichen zu können. Er stammt erneut von Patrick Otto, Studium in Hannover, studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht (Prof. Dr. Volker Epping) sowie am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft (Prof. Dr. Veith Mehde).
Das Betreuungsgeld: Mangels Kompetenz des Bundesgesetzgebers verfassungswidrig und nichtig
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bzgl. des Betreuungsgeldes vom 21. Juli 2015 sorgte sowohl in der Presse- und Medienlandschaft wie auch in der Politik für viel Aufsehen. Das BVerfG stellte in diesem fest, dass das Betreuungsgeld verfassungswidrig und nichtig ist, da dem Bundegesetzgeber die Kompetenz zu dessen Erlass fehle. Patrick Otto fasst die Hintergründe, rechtlichen Probleme und Kernaussagen des Urteils zusammen und gibt eine Bewertung des Urteils ab.
Leitsätze des Autors
1. Der Begriff der öffentlichen Fürsorge in Art. 74 I Nr. 7 GG ist nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des BVerfG sehr extensiv auszulegen, sodass hierunter jede Regelung fällt, die darauf abzielt, eine Bedarfslage im Sinne einer mit besonderen Belastungen einhergehenden Lebenssituation zu beseitigen oder zu mindern.
2. Die Anforderungen an die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet i.S.d. Art. 72 II GG ist besonders restriktiv auszulegen und nur dann gegeben, wenn sich die Lebensverhältnisse in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet.
3. Aus den Grundrechten folgt in jedem Fall keine Pflicht zur Einführung eines Betreuungsgeldes, da dies nicht mehr vom staatlichen Schutzauftrag gedeckt ist.
Vereinfachte Sachverhaltsdarstellung
Der Bundestag hat die Einführung des äußerst umstrittenen Betreuungsgeldes zum 1.8.2013 beschlossen (BGBl. I, 254). Dieses gewährt den Eltern in der Zeit vom 15. bis zum 36. Lebensmonat ihres Kindes einkommensunabhängig eine Zusatzleistung des Staates i.H.v. zunächst 100 EUR und inzwischen 150 EUR, sofern das Kind weder eine öffentlich geförderte Tageseinrichtung noch Kindertagespflege in Anspruch nimmt. Die Freie und Hansestadt Hamburg sah sich durch die bundesgesetzliche Einführung des Betreuungsgeldes in ihrer Landeskompetenz beeinträchtigt und leitete daher gegen die §§ 4a bis 4d des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) ein abstraktes Normenkontrollverfahren gem. Art. 93 I Nr. 2 und Nr. 2a GG und § 76 I Nr. 1, II BVerfGG vor dem BVerfG ein.
Rechtliche Probleme
Im Kern ergeben sich beim Betreuungsgeld drei rechtliche Probleme. Einerseits geht es in zwei voneinander getrennten Fragestellungen darum, ob der Bund überhaupt die Kompetenz dazu hat, das Betreuungsgeld selbst zu regeln oder ob dies nicht allein Sache der Länder ist. Anderseits ist fraglich, inwieweit das Betreuungsgeld möglicherweise gegen Grundrechte verstößt. Hinsichtlich der Kompetenz hatte sich das BVerfG mit der Frage zu befassen, ob das Betreuungsgeld unter die „öffentliche Fürsorge“ gem. Art. 74 I Nr. 7 GG fällt. In seiner bisherigen Judikatur wurde dieser Begriff stets extensiv ausgelegt. Das Korrektiv wurde dann wiederum in der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse respektive der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit gem. Art. 72 II GG gesehen, über welches viele bundesgesetzliche Regelungen dann doch wieder in den Kompetenzbereich der Länder fallen, da sie nicht im Bundesgebiet einheitlich geregelt werden müssen. Bezogen auf die Grundrechte hat sich das BVerfG vor allem dazu zu verhalten, ob das Betreuungsgeld entweder als staatliches Leistungsrecht aus den Grundrechten unmittelbar folgt oder sogar selbst gegen die Gleichheitsrechte aus Art. 3 I, II GG sowie gegen Art. 6 I, II GG verstößt.
Lösung des BVerfG
1. Das BVerfG trifft zunächst Ausführungen zum Begriff der „öffentlichen Fürsorge“, wobei es seiner bisher großzügigen Linie treu bleibt und insoweit ausführt: „Der Begriff der öffentlichen Fürsorge in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ist nicht eng auszulegen (vgl. BVerfGE 88, 203 <329 f.>; 97, 332 <341>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. Oktober 2014 – 2 BvR 1641/11 -, juris, Rn. 135). Er setzt voraus, dass eine besondere Situation zumindest potenzieller Bedürftigkeit besteht, auf die der Gesetzgeber reagiert. Dabei genügt es, wenn eine – sei es auch nur typisierend bezeichnete und nicht notwendig akute (ähnlich BVerfGE 88, 203 <329 f.>; 97, 332 <342>; 106, 62 <134>) – Bedarfslage im Sinne einer mit besonderen Belastungen (vgl. BVerfGE 88, 203 <329 f.>) einhergehenden Lebenssituation besteht, auf deren Beseitigung oder Minderung das Gesetz zielt.“ Im konkreten Fall lässt das BVerfG hierfür genügen, dass der Gesetzgeber mit Einführung des Betreuungsgeldes auf die Belastung von Familien mit Kleinkindern und eine damit verbundene besondere Hilfs- und Unterstützungsbedürftigkeit reagieren wollte.
2. Sodann geht es auf die Anforderungen zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse bzw. der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit gem. Art. 72 II GG ein, die letztlich den Schwerpunkt der Urteilsbegründung darstellt. Betrachtet wird jedoch hauptsächlich die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse, da die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit auch nicht der Intention des Gesetzgebers entspricht, wenngleich das BVerfG nochmals die allgemeinen Voraussetzungen der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit darlegt und für die hier zu entscheidende Sache verneint. Grundsätzlich sei eine Annahme der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse indes nur unter sehr engen Voraussetzungen gegeben: „Eine Bestimmung ist zur „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ nicht schon dann erforderlich, wenn es nur um das Inkraftsetzen bundeseinheitlicher Regelungen oder um eine allgemeine Verbesserung der Lebensverhältnisse geht. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist aber dann bedroht und der Bund zum Eingreifen ermächtigt, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet (vgl. BVerfGE 106, 62 <144>; 111, 226 <253>; 112, 226 <244>). Ein rechtfertigendes besonderes Interesse an einer bundesgesetzlichen Regelung kann auch dann bestehen, wenn sich abzeichnet, dass Regelungen in einzelnen Ländern aufgrund ihrer Mängel zu einer mit der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse unvereinbaren Benachteiligung der Einwohner dieser Länder führen und diese deutlich schlechter stellen als die Einwohner anderer Länder (vgl. BVerfGE 106, 62 <153 f.>; 112, 226 <244 f.>).“
Vor diesem Hintergrund wird gleichsam zurückgewiesen, dass es sich bei dem Betreuungsgeld um ein Instrument zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse handele. Die Gründe, die sich aus den Gesetzgebungsmaterialien ergeben, seien insoweit nicht tauglich und werden vom Gericht in bisweilen rigoroser Manier nahezu allesamt zurückgewiesen. Zunächst geht es darauf ein, dass der Gesetzgeber die Einführung des Betreuungsgeldes als Kopplung zum Anspruch auf eine Betreuung in Kindertagestätten ansieht. Dieser Verknüpfungswille habe wiederum keinerlei Auswirkungen auf das kompetenzrechtliche Schicksal. Isoliert betrachtetet trage das Betreuungsgeld daher nicht zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse bei. Zwar erkennt das BVerfG durchaus an, dass in den Ländern unterschiedliche Regelungswerke vorhanden sind, jedoch habe der Gesetzgeber nicht hinreichend dargelegt, dass das Betreuungsgeld diese beseitige, da keinerlei Anrechnungsvorschriften bestehen und entsprechende Landesregelungen auch lediglich in Bayern, Thüringen und Sachsen existieren. Fernerhin müsse dabei stets der Ausgleich spezifisch föderaler Nachteile der Einwohner einzelnen Länder bezweckt werden. Einzig hören ließe sich, dass durch das Betreuungsgeld gewissermaßen präventiv einer Überlastung der Kindertagesstätten und damit der Gefahr der Nichterfüllung des gesetzlichen Kita- Anspruchs entgegengewirkt wird. Dieses Lenkungsziel folge wiederum nicht der gesetzgeberischen Entscheidung und bleibe daher außer Acht. Das BVerfG führt aus, dass sich eine andere Lesart der §§ 4a bis 4d BEEG auch nicht aus dem verfassungsgerichtliche Verfahren ergeben hätte. Zudem müsse jede Fürsorgeleistung für sich genommen hinsichtlich Art. 72 II GG untersucht werden und ein pauschaler Verweis auf bereits bestehende anderweitige Regelungen genüge nicht. Eine Ausnahme hiervon sei nur dann möglich, wenn die jeweiligen Förderinstrumente objektiv in einem sachlichen Unteilbarkeitsverhältnis stehen. Das Betreuungsgeld trage insoweit diesen Anforderungen in keiner Weise hinreichend Rechnung. Generell gibt das BVerfG auch zu erkennen, dass Materien, die sachlich unteilbar sind, nur in ganz seltenen Ausnahmefällen vorlägen, denn dazu müsse die betreffende Regelung ein integraler Bestandteil der anderen sein, dessen Herausbrechen die Tragfähigkeit der Gesamtkonstruktion gefährde.
Zuletzt befasst sich das BVerfG unter Würdigung der historischen Entwicklung mit der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers in Bezug auf Art. 72 II GG. Diese stehe dem Gesetzgeber zwar grundsätzlich zu, jedoch sei dieser keinesfalls als von verfassungsrechtlicher Kontrolle freier gesetzgeberischer Entscheidungsspielraum zu interpretieren, sondern erstrecke sich nur auf die Einschätzung und Bewertungen tatsächlicher Entwicklungen.
3. Inhaltlich äußerte sich das Gericht indes nicht mehr zum Betreuungsgeld, wenngleich der Antragsteller noch hervorgehoben hatte, dass es sich hierbei auch um einen nicht gerechtfertigten Eingriff in Grundrechte handele. Das BVerfG äußerte sich lediglich sehr kurz dahingehend, dass aus der schutzrechtlichen Dimension der Grundrechte in jedem Fall keine Pflicht zur Zahlung eines Betreuungsgeldes oder eines Äquivalents bestehe, da Art. 6 I, II GG keine konkreten Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen gewähren.
4. Folglich erklärte das BVerfG das Betreuungsgeld für verfassungswidrig und damit nichtig (§ 78 S. 1 BVerfGG). Auch sah das BVerfG davon ab, eine Übergangsregelung gem. § 35 BVerfGG zu schaffen, da sie diese nicht als erforderlich ansah, sondern der herkömmliche Vertrauensschutz aus § 79 II S. 1 BVerfGG i.V.m. § 45 II SGB X genüge.
Bewertung
Die Entscheidung des BVerfG vermag sowohl in der Begründung wie auch im Ergebnis zu überzeugen, wenngleich die Entscheidung gegen das Bereuungsgeld nicht sonderlich verwundert, sondern absehbar war. Das BVerfG zeigt wiederum sehr schön auf, welche Voraussetzungen an eine Bundeskompetenz im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung geknüpft sind, insbesondere mit Blick auf die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet. Daneben wird sie hoffentlich den Trend des Bundesgesetzgebers eindämmen, originäre Ländermaterien selbst in die Hand zu nehmen und damit das Kompetenzgefüge des Grundgesetzes ins Wanken zu bringen.
Patrick Otto
Studium in Hannover. Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht (Prof. Dr. Volker Epping) sowie am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft (Prof. Dr. Veith Mehde, Mag.rer.publ.)