Wir danken Nicolas für die Zusendung eines weiteren Gastbeitrags zu einem aktuellen Urteil des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern.
Das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat jüngst entschieden, dass ein Abgeordneter des Landtags nicht in seinen verfassungsrechtlich garantieren Abgeordnetenrechten verletzt ist, wenn ihm die Herausgabe bestimmter Videoaufzeichnungen von Landtagssitzungen verweigert wird (Urteil vom 24.02.2011, Az. LVerfG 7/10). Der Fall betrifft verfassungsrechtliche Fragen im Bereich der Abgeordnetenrechte und lässt sich ohne weiteres auf andere Bundesländer übertragen.
Sachverhalt (verkürzt)
N ist Mitglied der NPD und Abgeordneter im Landtag des Landes L. In einem Schreiben an die zuständige Stelle des Landtages bittet er um die Ausfertigung von Kopien ausgewählter Redebeiträge von ihm (N), sowie die jeweiligen Erwiderungen bestimmter Abgeordneten.
Dies wird jedoch abgelehnt. In der Begründung heißt es, eine systematische Erfassung aller Redebeiträge finde im Einzelnen nicht statt, daher sei es zu aufwändig, bestimmte Beiträge manuell herauszusuchen. Die Einrichtung eines Videoarchivs mit Suchfunktion sei nicht vorgesehen. Auch könne man dem N nicht die Kopie der Gesamtaufzeichnungen der Sitzungen erlauben, da diese ausschließlich für den Plenarprotokolldienst vorgesehen sein und nicht, wie von N tatsächlich beabsichtigt, für eine Veröffentlichung im Internet bestimmt sind. Überdies stehe jeder Fraktion ein eigenes Video-Signal zur Verfügung, über welches diese eigenständig Mitschnitte anfertigen könnten.
N ist erbost. Er ist der Ansicht, schon aus seiner Stellung als Abgeordneter des Landtags nach Art. 22 Abs. 1 und Abs. 2 LV M-V ergäbe sich ein Anspruch auf Zugang zu den Video-Aufzeichnungen. So sei er nach einem Boykott der Medien auf Video-Veröffentlichungen im Internet angewiesen, um die Bürger zu informieren. Zudem gebiete es die Gleichheit im politischen Wettbewerb, dass N sich gegenüber anderen Abgeordneten, die über andere Zugänge zu den Medien verfügten, mittels der Verbreitung von DVD und Internetvideos behaupten könne. Ferner sei das Videosignal der Fraktion des N im Gegensatz zu dem anderer Fraktionen teilweise miserabel. Nur wenn N auf die qualitativ besseren Aufzeichnungen durch den Landtag Zugriff habe, sei Chancengleichheit gewahrt. Insoweit bestehe eine Dienstleistungspflicht der Landtagsverwaltung gegenüber allen Parteien.
N wendet sich daraufhin in einem Organstreitverfahren an das LVerfG und verlangt die Herausgabe der Kopien.
Keine Antragsbefugnis wegen Verletzung von Art. 22 Abs. 1 LV M-V
Das Landesverfassungsgericht hält eine Verletzung von Art. 22 Abs. 1 LV M-V nicht für möglich und lehnt eine entsprechende Antragsbefugnis ab.
„Nach Art. 22 Abs. 1 LV sind die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Die Regelung entspricht auch dem Wortlaut nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und umschreibt das freie Mandat als Kernstück der repräsentativen Demokratie. Die Freiheit des Mandats schützt den Abgeordneten vor allen Maßnahmen, die den Bestand und die Dauer des Mandats beeinträchtigen und die inhaltliche Bindung der Mandatsausübung herbeiführen oder sanktionieren. Aus dem Grundsatz der Gesamtrepräsentation folgt ferner auch der Status der Gleichheit der Abgeordneten , weil diese erst in der formalen Gleichheit der Mitwirkungsmöglichkeiten an der Aufgabenerfüllung als legitime Repräsentanten des Volkes gelten können.
Dass die hier im Streit stehende Versagung der Herausgabe der Aufzeichnungen von Parlamentssitzungen geeignet wäre, das freie Mandat des Antragstellers bzw. seine Unabhängigkeit zu beeinträchtigen, ist nicht ersichtlich. Ferner wird eine Beeinträchtigung der Statusgleichheit des einzelnen Abgeordneten – wie sie z.B. vorliegen könnte, wenn eine Regelung der Geschäftsordnung den Zugang zu bestimmten Informationen oder Aufzeichnungen von sachwidrigen Voraussetzungen abhängig machen würde – nicht geltend gemacht.“
Keine Antragsbefugnis wegen Verletzung von Art. 22 Abs. 2 LV M-V
Auch das Recht des N, an Sitzungen des Landtags mitzuwirken (Fragen, Anträge, etc.,), wird nicht durch die Versagung der Herausgabe des Videoaufzeichnungen berührt.
„Danach haben die Abgeordneten das Recht, im Landtag und in seinen Ausschüssen das Wort zu ergreifen sowie Fragen und Anträge zu stellen und bei Wahlen und Beschlüssen die Stimme abzugeben. […] Um diese durch die Verfassung garantierten effektiven parlamentarischen Mitwirkungsrechte geht es dem Antragsteller jedoch nicht. […] Dem Antragsteller wird die Ausübung seines Rede-, Frage-, Antrags- und Stimmrechtes weder unmittelbar noch mittelbar unmöglich gemacht oder erschwert.“
Überdies sei das Argument, der N werde in seinem späteren Wahlkampf erheblich beeinträchtigt, da die Medien über seine Arbeit nicht berichten würden, nicht schlüssig. Geschützt werde im Rahmen von Art. 22 LV M-V nur das aktuelle Mandat bzw. der amtierende Abgeordnete, nicht der in der Zukunft liegende Wahlkampf.
Kein verfassungsrechtlich gesicherter Anspruch auf konkrete Dienstleistungen des Landtags
Das LVerfG lehnt eine Antragsbefugnis ferner mit der Begründung ab, konkrete Dienstleistungen des Parlaments seien einfachgesetzlich zu regeln und nicht Gegenstand des Verfassungsrecht.
„Soweit zum verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten auch sein Recht auf Zugang und Benutzung der Einrichtungen und Dienste des Parlamentes, auf Zusendung der Drucksachen und auf die sonst allgemein vorgesehenen Hilfsleistungen und Informationen gehören soll, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Verfassung dem Abgeordneten ganz bestimmte konkrete Dienstleistungen der Parlamentsverwaltung garantieren will. Allerdings mag die Gewährung von Sach- und Dienstleistungen als Teil der angemessenen, die Unabhängigkeit sichernden Entschädigung gemäß Art. 22 Abs. 3 LV angesehen werden können (vgl. Schindler in: Schneider/Zeh, a.a.O., § 29 Rn. 6 ff.; vgl. dort auch Fn. 12, wonach durch die gesetzlich abgesicherte Bereitstellung eines gemeinsamen Informations- und Kommunikationssystems im Bundestag „die in Art 48 GG erstrebte Unabhängigkeit des Abgeordneten eine neue Dimension erfährt, nämlich die Selbständigkeit der Informationsversorgung“). Welche konkreten Dienstleistungen den Abgeordneten angeboten werden, bleibt aber vordringlich eine Frage der einfachgesetzlichen Regelung bzw. der Ausgestaltung durch die Praxis der Parlamentsverwaltung. Ob und in welcher Art und Weise den Abgeordneten Videoaufzeichnungen von Landtagssitzungen zur Verfügung zu stellen sind, ist der Verfassung nicht zu entnehmen. Dies kann nicht Gegenstand des verfassungsrechtlichen Organstreitverfahrens sein.“
Die Klage des N ist demnach insgesamt unzulässig.
Fazit
Netter Fall, mit dem sich verfassungsrechtliche Fragen in einem landesrechtlichen Kontext abprüfen lassen. Ein Blick in die eigene Landesverfassung, sowie das Landesverfassungsgerichtsgesetz (LVerfGG) sollte jedenfalls schon vor dem ersten Examenstermin geworfen werden, wobei ein Überblick über den Aufbau und die wesentlichen Verfahrensarten (Landesverfassungsbeschwerde, abstrakte Normenkontrolle, Organstreitverfahren) genügen sollte. Es gelten die im wesentlichen gängigen Aufbauschemata. Wie zu erkennen, hat sich auch das Landesverfassungsgericht zur Auslegung des Art. 22 LV M-V u.a. des Art. 38 GG bedient, sodass auch in der Klausur in bekannten Gewässern gefischt werden darf. Für NRW finden sich übrigens ähnliche Regelungen in den Art. 30, 46 LV NRW. Ebenso in den anderen Landesverfassungen.