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Gastautor

Zivilrechtliches Diskriminierungsverbot wegen des Alters: BGH bleibt seiner Linie treu

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns, folgenden Beitrag von Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) veröffentlichen zu können. Der Autor ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn und Wissenschaftlicher Beirat des Juraexamen.info e.V.
 
Der BGH entschied vor einiger Zeit in der Rechtfertigung großzügig zu Adults-only-Hotels: Hotels können Kinder den Zutritt versagen und Familien außen vor lassen, wenn sie sich in ihrem Geschäftskonzept eben dezidiert an kinderlose Gäste wende, die Ruhe suchen (BGH, Urteil vom 27. Mai 2020 – VIII ZR 401/18, BGHZ 226, 145-161). Nun ging es ebenfalls um eine mögliche Rechtfertigung der Unterscheidung nach dem Alter, wenn auch nicht für eine Zurückweisung wegen zu geringen, sondern wegen zu hohen Alters – und es ging nicht um ein Hotel, sondern um eine Musikveranstaltung (Urteil vom 5. Mai 2021 – VII ZR 78/20).
 
Der seinerzeit 44-jährige Kläger wollte 2017 ein von der Beklagten veranstaltetes Open-Air-Event in München besuchen, bei dem über 30 DJs elektronische Musik auflegten. Die Veranstaltung hatte eine Kapazität von maximal 1.500 Personen, ein Vorverkauf fand nicht statt. Ein Ticket konnte erst nach Passieren der Einlasskontrolle erworben werden. Dem Kläger sowie seinen beiden damals 36 und 46 Jahre alten Begleitern wurde der Einlass verwehrt. Zu alt! Vorprozessual teilte die Beklagte dem Kläger mit, Zielgruppe der Veranstaltung seien Personen zwischen 18 und 28 Jahren gewesen. Aufgrund der beschränkten Kapazität und um den wirtschaftlichen Erfolg einer homogen in sich feiernden Gruppe nicht negativ zu beeinflussen, habe es die Anweisung gegeben, dem optischen Eindruck nach altersmäßig nicht zur Zielgruppe passende Personen abzuweisen. Der Kläger hielt das für eine unzulässige Altersdiskriminierung und klagte auf Entschädigung gemäß § 19 Abs. 1, § 21 Abs. 2 AGG In Höhe von 1.000 € sowie den Ersatz der Kosten eines vorangegangenen Schlichtungsverfahrens in Höhe von 142,80 €, jeweils nebst Zinsen.
In den Instanzen blieb der Kläger erfolglos – und auch der BGH gab dem für seine AGG Klagen bundesweit bekannten Kläger nicht recht. Entscheidend waren die §§ 19, 20 AGG:
 
 § 19 AGG
(1) Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die 1. typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen … …ist unzulässig.
 
§ 20 AGG
(1) Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung 1. der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient, 2. dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt, 3. besondere Vorteile gewährt und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt, 4. an die Religion eines Menschen anknüpft und im Hinblick auf die Ausübung der Religionsfreiheit oder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform sowie der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion zur Aufgabe machen, unter Beachtung des jeweiligen Selbstverständnisses gerechtfertigt ist.
 
Das Landgericht ist der Meinung, dem Kläger stehe kein Entschädigungsanspruch wegen Verstoßes gegen das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG zu, da dessen Anwendungsbereich nicht eröffnet sei. Das Benachteiligungsverbot sei auf Massengeschäfte (Fall 1) beschränkt, die typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (wie etwa Einzelhandel, Personennahverkehr, Kino, Schwimmbäder), oder diesen gleichgestellte Geschäfte, bei denen für den Anbieter einer Leistung nach der Art des Schuldverhältnisses die persönliche Auswahl seines Vertragspartners nachrangige Bedeutung hat (Fall 2).
Keiner der beiden Fälle liege hier vor, auch nach Ansicht des BGH. Der Vertrag über den Zutritt zu der hier betroffenen Veranstaltung sein kein „Massengeschäft“ iSd § 19 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 AGG. Es liege ein Ansehen der Person vor, wenn der Anbieter seine Entscheidung über den Vertragsschluss erst nach Würdigung des Vertragspartners treffe. Ob persönliche Merkmale typischerweise eine Rolle spielen, bestimme sich nach einer allgemeinen, typisierenden Betrachtungsweise, bei der auf die für vergleichbare Schuldverhältnisse herausgebildete Verkehrssitte abzustellen ist.
Und darauf folgerten die Karlsruher Richter:

„Eine Verkehrssitte, dass zu öffentlichen Veranstaltungen, die mit dem hier betroffenen Schuldverhältnis vergleichbar sind, jedermann Eintritt erhält, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei nicht festgestellt. Soweit öffentlich zugängliche Konzerte, Kinovorstellungen, Theater- oder Sportveranstaltungen im Regelfall dem sachlichen Anwendungsbereich des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG unterfallen, weil es der Verkehrssitte entspricht, dass dort der Eintritt ohne Ansehen der Person gewährt wird, ist für diese Freizeitangebote charakteristisch, dass es den Veranstaltern – meist dokumentiert durch einen Vorverkauf – nicht wichtig ist, wer ihre Leistung entgegennimmt. Das unterscheidet sie maßgeblich von Party-Event-Veranstaltungen wie der vorliegenden, deren Charakter in der Regel auch durch die Interaktion der Besucher geprägt wird, weshalb der Zusammensetzung des Besucherkreises Bedeutung zukommen kann. Dass auch bei solchen Veranstaltungen gleichwohl nach der Verkehrssitte jedermann Eintritt gewährt wird, macht der Kläger nicht geltend.“

Dann legt das Gericht nach:

„Der Vertrag über den Zutritt zu der von der Beklagten durchgeführten Veranstaltung war auch kein „massengeschäftsähnliches“ Schuldverhältnis im Sinne von § 19 Abs. 1 Nr. 1 Fall 2 AGG. …Bei Schuldverhältnissen wie öffentlichen Party-Event-Veranstaltungen kann die Zusammensetzung des Besucherkreises deren Charakter prägen und daher ein anerkennenswertes Interesse des Unternehmers bestehen, hierauf Einfluss zu nehmen. Soweit der Veranstalter deshalb sein Angebot nur an eine bestimmte, nach persönlichen Merkmalen definierte Zielgruppe richtet und nur Personen als Vertragspartner akzeptiert, die die persönlichen Merkmale der Zielgruppe erfüllen, kommt diesen Eigenschaften nicht nur nachrangige Bedeutung zu. Diese Willensentscheidung ist hinzunehmen; wenn dabei auch das Merkmal „Alter“ betroffen ist, steht dies nicht entgegen.“

Anders als in seiner Entscheidung vom 27. Mai vergangenen Jahres argumentierte das Gericht also bereits mit der fehlenden Anwendbarkeit des AGG – nicht mit der möglichen Rechtfertigung. Dadurch mogelt es sich aus dem AGG heraus. Die Zulassung zur Veranstaltung nicht als Massengeschäft einzuordnen, scheint mir sportlich, denn wer da kommt, ist egal – Hauptsache, das Alter stimmt. Es wird nicht nach Bildungsabschluss, Einkommensverhältnissen, politischer Überzeugung, Familienstand und anderem gefragt. Und selbst das wirkliche Alter interessiert wohl weniger als das optische Alter. Das verträgt sich nicht so recht mit der Ablehnung eines Massengeschäfts oder eines gleichgestellten Geschäfts. 
Derr BGH hätte – wie ehemals bei seiner Entscheidung über ein Hotel ohne Kinder – wohl besser auf der Rechtfertigungsebene argumentiert. Das scheint mir richtiger. Bei der Rechtfertigung ist es dann wir beim Frauentag im Schwimmbad: Selbstverständlich vom Anwendungsbereich des AGG erfasst – aber eben gerechtfertigt in der Unterscheidung. Karlsruhe bleibt also bei seiner großzügigen Linie. Der unternehmerischen Handlungs- und Gestaltungsfreiheit wird ein hoher Stellenwert beigemessen.
 
Das AGG ist durchaus examensrelevant – es lohnt sich in die Entscheidungsgründe zu schauen, sobald sie veröffentlicht werden. Wer vorher schon tiefer einsteigen will: MüKo/Thüsing, § 20 AGG Rnr. 1 ff (bald auch in 9. Aufl.) und auch Thüsing/Pöschke, jm 2020, S. 359.

12.05.2021/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2021-05-12 08:24:522021-05-12 08:24:52Zivilrechtliches Diskriminierungsverbot wegen des Alters: BGH bleibt seiner Linie treu
Dr. Yannik Beden, M.A.

BVerfG: Verfassungswidrigkeit des vollständigen Ausschlusses der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien

Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Das Bundesverfassungsgericht ebnet den Weg zur Stärkung nichtehelicher Familien: Mit Beschluss v. 26.3.2019 – 1 BvR 673/17 äußert sich der Erste Senat grundlegend zur Stiefkindadoption innerhalb nichtehelicher Lebensgemeinschaften und erklärt die bis dato geltende Rechtslage, der zufolge der Stiefelternteil in nichtehelichen Familien die leiblichen Kinder des anderen Elternteils nicht adoptieren kann, ohne dass die Verwandtschaft der Kinder zu diesem erlischt, für verfassungswidrig. Im Zentrum des Beschlusses steht dabei die Unvereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, da laut Gericht Kinder in nichtehelichen Familien mit Stiefelternteil ungerechtfertigt ungleich behandelt würden gegenüber Kindern, deren Stiefeltern verheiratet sind. Die Entscheidung betrifft damit ganz wesentliche Grundrechtsproblematiken, die – insbesondere aufgrund ihrer Aktualität und medialen Präsenz – mit hoher Wahrscheinlichkeit in universitären Klausuren und Examensprüfungen künftig aufzufinden sein werden. Ein vertiefter Blick in den Beschluss der Karlsruher Richter ist bereits deshalb dringend notwendig:
I. Der Sachverhalt (Beschluss entnommen, leicht angepasst)
Die Beschwerdeführerin A ist die leibliche Mutter der zum Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde minderjährigen Beschwerdeführer X und Y. Der mit der Mutter verheiratete leibliche Vater der Kinder verstarb im Jahr 2006. Seit 2007 leben die Beschwerdeführerin A und der Beschwerdeführer B in nichtehelicher Lebensgemeinschaft. Sie haben nach eigenen Angaben davon abgesehen, die Ehe zu schließen, weil die Beschwerdeführerin A eine Witwenrente bezieht, die sie als einen wesentlichen Teil ihrer Existenzgrundlage betrachtet und die sie durch die Wiederverheiratung verlöre. Die beiden haben einen gemeinsamen, im Jahr 2009 geborenen Sohn. Im Oktober 2013 wurde der Antrag der Beschwerdeführer A und B auf Ausspruch der Annahme der Kinder X und Y als gemeinschaftliche Kinder notariell beurkundet.
Das Amtsgericht wies den Antrag auf Ausspruch der Annahme zurück. Eine unverheiratete Person könne ein Kind nur allein annehmen. Eine Adoption dergestalt, dass die Anzunehmenden die Stellung gemeinschaftlicher Kinder der Beschwerdeführer A und B erlangten, sei nach derzeitiger Gesetzeslage nicht möglich. Diese gesetzliche Regelung sei auch nicht verfassungswidrig. Es solle sichergestellt sein, dass das Kind durch die Adoption in stabile Verhältnisse mit dauerhaften Bezugspersonen gelange.
Das Oberlandesgericht wies die Beschwerde der Beschwerdeführer A und B gegen den Beschluss des Amtsgerichts zurück und ließ die Rechtsbeschwerde zu. Der Bundesgerichtshof wies die Rechtsbeschwerde zurück. Die beantragte Adoption sei nach geltendem Recht nicht möglich. Die eindeutigen Regelungen der § 1741 Abs. 2 S. 1 bis 3, § 1754 Abs. 1 und Abs. 2 und § 1755 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB ließen eine teleologische Reduktion nicht zu.
Die Beschwerdeführer rügen, durch die angegriffenen Entscheidungen und die zugrunde liegenden Normen in verschiedenen Grundrechten verletzt zu sein. Die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Adoption verletzten die Rechte der Beschwerdeführer X und Y aus Art. 3 Abs. 1 GG. Insbesondere würden sie gegenüber Kindern ungleich behandelt, deren Stiefeltern verheiratet sind, weil ihnen die Möglichkeit versagt werde, mit dem Beschwerdeführer B, ihrem „gefühlten Vater“, einen mit den Rechten und Pflichten eines rechtlichen Vaters ausgestatteten Vater zu erhalten. Im konkreten Fall entstehe auch ein Benachteiligungsgefühl gegenüber dem gemeinsamen Sohn der Beschwerdeführer A und B. Der als legitim anzusehende Zweck, adoptierten Kindern stabile Familienverhältnisse zu schaffen, erfordere es in Fällen wie ihrem nicht, die Adoption auszuschließen, da Jugendamt und Familiengericht ohnehin eine sorgfältige Prüfung des Adoptionsantrags durchführen müssten.
II. Derzeitige Zivilrechtslage
Nach der bislang gültigen Zivilrechtslage ist eine Adoption eines Stiefkindes dergestalt, dass diese zur gemeinsamen Elternschaft von leiblichen Elternteil und Stiefelternteil führt, nur möglich, wenn der Stiefelternteil mit dem rechtlichen bzw. leiblichen Elternteil verheiratet ist. Hingegen ist es dem Stiefelternteil in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht möglich, das Stiefkind zu adoptieren, ohne dass damit gleichzeitig das Verwandtschaftsverhältnis dieses Kindes zu seinem rechtlichen Elternteil erlischt, §§ 1754 Abs. 1, 2, 1755 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB. In der nichtehelichen Familie bestehen in zivilrechtlicher Hinsicht auch ansonsten keine gesonderten Rechtsbeziehungen zwischen dem nicht verheirateten Stiefelternteil und dem Kind des rechtlichen (leiblichen) Elternteils. Faktisch führt die derzeitige Rechtslage zu einem Ausschluss der Adoptionsmöglichkeit des Stiefelternteils in der nichtehelichen Familiengemeinschaft, da es naturgemäß weder im Interesse des Stiefelternteils, noch des leiblichen Elternteils liegt, dass das Kind aufgrund einer Adoption nur noch den Stiefelternteil als rechtlich anerkannten Elternteil hat. Vielmehr entspricht es regelmäßig auch in der nichtehelichen Familiengemeinschaft dem Interesse beider Elternteile, – und ggf. auch demjenigen des Kindes – eine gemeinsame Elternschaft rechtsverbindlich innezuhaben. Zu denken ist hierbei insbesondere an Fallgestaltungen, in denen neben dem Stiefkind auch weitere Kinder Teil der Familiengemeinschaft sind, bei denen eine gemeinsame Elternschaft besteht. In einem der Entscheidung des BVerfG vorangegangenen Beschluss des BGH ging dieser davon aus, dass eine großzügigere Auslegung der zivilrechtlichen Normen nicht möglich ist. Die eindeutigen Regelungen der § 1741 Abs. 2 S. 1 bis 3, § 1754 Abs. 1 und Abs. 2 und § 1755 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB ließen insbesondere eine teleologische Reduktion nicht zu (BGH Beschl. v. 8.2.2017 – XII ZB 586/15, NJW 2017, 1672, 1673). 
III. Faktischer Ausschluss des Adoptionsrechts mit Art. 3 I GG unvereinbar
Das BVerfG stellt zunächst fest, dass für die Beantwortung der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Differenzierung zwischen nichtehelicher und ehelicher Familiengemeinschaft mit Stiefelternteil ein strenger Prüfungsmaßstab anzuwenden ist, der über das bloße Willkürverbot hinausgeht. Mit anderen Worten: Das Gericht wendet nicht die sog. Willkürformel, sondern die „neue Formel“ an. Die Adoption betrifft die Persönlichkeitsentfaltung des Kindes und damit einen wesentlichen Teil seiner grundrechtlichen Positionen. Die zivilrechtliche Ungleichbehandlung zwischen ehelichen und nichtehelichen Familiengemeinschaften genügen – so das vorweggenommene Ergebnis der richterlichen Würdigung – den strengen Rechtfertigungsanforderungen im Rahmen von Art. 3 I GG nicht. Nach Auffassung des BVerfG mag es zwar ein legitimer Zweck sein, verhindern zu wollen, dass ein Kind unter unzulänglichen familiären Beziehungen aufwachsen muss. Dieses Ziel werde jedoch mit Blick auf die Situation des Stiefkindes nicht durch den Adoptionsausschluss erreicht. Gleichermaßen sei es ein legitimer Zweck, die Stiefkindadoption nur in Stabilität versprechenden Lebensgemeinschaften zuzulassen, um zu verhindern, dass ein Kind vom Stiefelternteil adoptiert wird, obwohl dessen Beziehung zum rechtlichen Elternteil keine längere Bestandsaussicht hat; der vollständige Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien sei jedoch kein angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Zwecks. Zuletzt sei auch die zivilrechtliche Differenzierung nicht durch die in Art. 6 Abs. 1 GG zugunsten der Ehe enthaltene Wertentscheidung gerechtfertigt.
Wesentlich sind vor allem die Überlegungen des BVerfG zum Erforderlichkeitsgrundsatz innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung, da das Gericht der derzeitigen Differenzierung vor allem überschießende Wirkung attestiert. Milderes Mittel sei etwa eine auf den Fortbestand der Paarbeziehung der Eltern gerichtete Stabilitätsprognose, sofern der Gesetzgeber die Unterscheidung zwischen ehelicher und nichtehelicher Familiengemeinschaft aufrechterhalten will:

„Ein milderes Mittel bestünde hier darin, die Stiefkindadoption auch in nichtehelichen Stiefkindfamilien zu ermöglichen, wenn die Beziehung der Eltern Stabilität verspricht. Nach der derzeitigen Rechtslage trifft der Ausschluss der Stiefkindadoption alle nichtehelichen Stiefkindfamilien, mithin auch jene, in denen die Eltern in stabiler nichtehelicher Partnerschaft leben und diese Stabilität auch zukünftig erwartet werden darf. Gemessen an der Zwecksetzung der Differenzierung gibt es in diesen Fällen keinen Grund, die Stiefkindadoption zu verhindern. Die Regelung hat insofern überschießende Wirkung. Wie die zumeist jüngeren Regelungen anderer Rechtsordnungen zeigen, bestehen demgegenüber verschiedene zielgenauere Möglichkeiten, die Stiefkindadoption für Stabilität versprechende nichteheliche Stiefkindfamilien zu öffnen.
Der Gesetzgeber könnte eine Regelung treffen, nach der die zu erwartende Stabilität nichtehelicher Paarbeziehungen im Einzelfall geprüft werden muss. Dieser Weg wurde in einigen anderen Rechtsordnungen gewählt […] Für die Prüfung der Stabilitätsaussichten einer nichtehelichen Partnerschaft können zur Verbesserung der Vorhersehbarkeit zusätzlich oder alternativ konkrete Stabilitätsindikatoren vorgegeben werden. Insbesondere könnte eine konkret bezifferte Mindestdauer der Beziehung oder des Zusammenlebens mit der anderen Person, dem Kind oder beiden verlangt werden.“

Naturgemäß wäre mit einer derartigen einzelfallbezogenen Stabilitätsprüfung ein deutlich erhöhter Aufwand seitens der staatlichen Einrichtungen verbunden. Das – so das BVerfG – ändere jedoch an der Unverhältnismäßigkeit der derzeitigen Regelung nichts:

„Dass es einen gesteigerten Aufwand bedeutet, die Adoptionsvoraussetzungen auch in nichtehelichen Stiefkindfamilien zu prüfen anstatt entsprechende Anträge – wie bisher – unter Verweis auf das geltende Recht kategorisch abzulehnen, kann die Benachteiligung der betroffenen Kinder nicht rechtfertigen, zumal bei einer Adoption ohnehin immer eine Einzelfallprüfung erfolgt.“

IV. Zudem: Keine Rechtfertigung durch Schutz- und Fördergebot der Ehe – Art. 6 Abs. 1 GG
Art. 6 Abs. 1 GG stellt die Institute der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen (Verfassungs-)Ordnung. Bestandteil dieses Schutzes sind zum einen ein Beeinträchtigungsverbot, zum anderen aber auch ein Förderungsgebot. Dem Gesetzgeber ist es vor diesem Hintergrund grundsätzlich nicht verwehrt, die Ehe und ihre Lebensbereiche gegenüber anderen Lebensformen zu begünstigen (vgl. hierzu bereits BVerfGE 124, 199, 225). Zu denken ist etwa an Begünstigungen im Bereich des Unterhalts, der Versorgung oder im Steuerrecht. Allerdings gilt das Förderungsgebot nicht uneingeschränkt: Stellt eine Förderung der Ehe gleichzeitig eine Benachteiligung anderer Lebensformen dar, obgleich der in Rede stehende Lebenssachverhalt und der mit der gesetzlichen Regelung verfolgte Zweck vergleichbar sind, rechtfertigt der bloße Verweis auf das Schutzgebot der Ehe die Differenzierung nicht ohne Weiteres. Es bedarf dann vielmehr eines Differenzierungsgrundes. Einen solchen erkennt das BVerfG für die Adoption des Stiefkindes in ehelichen und nichtehelichen Familien nicht. Ausdrücklich heißt es:

„Die angegriffene Regelung benachteiligt insofern eine vergleichbare Lebensform, als sie Stiefkindern in nichtehelichen Familien, auch wenn diese tatsächlich ebenso stabil sind wie eheliche Familien, eine Adoption durch den Stiefelternteil strikt vorenthält. Für den Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Stiefkindfamilien besteht gemessen an Regelungsgegenstand und Regelungsziel kein hinreichend gewichtiger Sachgrund.“

Damit steht fest, dass auch das Schutz- und Förderungsgebot aus Art. 6 Abs. 1 GG die zugunsten der Ehe enthaltene Wertentscheidung der § 1741 Abs. 2 S. 1 bis 3, § 1754 Abs. 1 und Abs. 2 und § 1755 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB nicht rechtfertigt, mithin ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt. Das Verfassungsgericht gab schlussendlich dem Gesetzgeber auf, bis zum 31.3.2020 eine Neuregelung zu treffen, die dann die Grundrechtspositionen der nichtehelichen Stiefkindfamilien berücksichtigen.   
V. Kurze Zusammenfassung der Kernpunkte
Nach der Entscheidung des BVerfG ist verstößt der faktische Ausschluss des Adoptionsrechts in nichtehelichen Familien mit Stiefkind gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Anzuwenden ist ein strenger Prüfungsmaßstab, der über das Willkürverbot hinausgeht („neue Formel“). Zwar ist die Beschränkung der Möglichkeit zur Adoption eines Stiefkinds auf stabile Lebensgemeinschaften legitim – eine solche kann es in nichtehelichen Familiengemeinschaften aber ebenso geben wie in der ehelichen Lebensform. Ein vollständiger Ausschluss ist deshalb unverhältnismäßig. Möglich ist nach Auffassung des BVerfG hingegen eine Regelung, die eine Einzelfallprüfung bei nichtehelichen Familiengemeinschaften vorsieht. Das Ergebnis wäre eine „Stabilitätsprognose“, innerhalb derer der Gesetzgeber nicht gehindert wäre, an nichteheliche Lebensgemeinschaften solche Stabilitätserwartungen zu stellen, wie sie Ehen berechtigterweise entgegengebracht werden dürfen. Zuletzt rechtfertigt auch das Schutz- und Förderungsgebot der Ehe aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht die derzeitige Benachteiligung der nichtehelichen Stiefkindfamilien. Summa summarum stärkt das BVerfG also die Rechtspositionen der nichtehelichen Familie als weitere, mittlerweile wohl sicherlich gesellschaftlich anerkannte Lebensform. Recht und Wirklichkeit befinden sich damit im Weg aufeinander zu.
 
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13.05.2019/1 Kommentar/von Dr. Yannik Beden, M.A.
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Dr. Maximilian Schmidt

BVerfG: Verfassungswidrige Preisgestaltung eines kommunalen Freibades

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Eine äußerst examensrelevante Entscheidung hat das BVerfG mit Beschluss vom 19. Juli 2016 – 2 BvR 470/08 zur Preisgestaltung eines kommunalen Freizeitbades getroffen. Der Beschluss betrifft eine Vielzahl von klassischen Examensproblemen des öffentlichen Rechts: Bindung an Grundrechte öffentlicher Unternehmen, Ungleichbehandlungen und deren Rechtfertigung sowie Verletzung der Vorlagepflicht zum EuGH als Entzug des gesetzlichen Richters.
I. Sachverhalt (der Pressemitteilung entnommen)

Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Österreich. Bei einem Besuch eines von mehreren Gemeinden und einem Landkreis betriebenen Freizeitbades im Bertechsgadener Land musste er den regulären Eintrittspreis entrichten, während den Einwohnern dieser Gemeinden ein Nachlass auf den regulären Eintrittspreis von etwa einem Drittel gewährt wurde. Der Beschwerdeführer erhob Klage zum Amtsgericht und forderte wegen unzulässiger Benachteiligung die Rückzahlung des Differenzbetrags und die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger den Eintritt künftig zu dem ermäßigten Entgelt zu gewähren. Das Amtsgericht wies die Klage ab; die gegen das Urteil eingelegte Berufung war ebenfalls erfolglos. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) und eine Verletzung seines Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) durch Unterlassung einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union.

II. Thesen des Gerichts
Das BVerfG entschied nun zu Gunsten des Beschwerdeführers und nahm an, dass eine ungerechtfertigte Benachteiligung durch das an Grundrechte gebundene Unternehmen vorliege. Zudem sei die Vorlagepflicht zum EuGH vereltzt worden.
1. Das Unternehmen ist selbst unmittelbar an Grundrechte gebunden, Art. 1 Abs. 3 GG. Dies hängt weder von der Organisationsform ab noch von der Handlungsform („keine Flucht ins Privatrecht“). An Grundrechte gebunden ist nicht nur die hinter dem Unternehmen stehende Körperschaft des öffentlichen Rechts, sondern auch unmittelbar die juristische Person des Privatrechts selbst. Das Freizeitbad ist hier ein öffentliches Unternehmen, dessen einzige Gesellschafterin eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, die sich ihrerseits auf einen Landkreis und fünf Gemeinden stützt. Daher liegt eindeutig eine Grundrechtsbindung vor.

Hinweis: Die Bindung an Grundrechte ist eine extrem wichtige Weichenstellung in einer Klausur. Abzugrenzen sind hier unmittelbare und mittelbare Grundrechtsbindung. Lesenswert hinsichtlich der unmittelbaren Grundrechtsbindung von Unternehmen in öffentlicher Hand ist die Fraport-Entscheidung des BVerfG, zur mittelbaren Grundrechtsbindung Privater sollte das Grundsatzurteil in der Rs. Lüth bekannt sein.

2. Die Entlastung ausschließlich von Gemeindemitgliedern verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser ist zweistufig zu prüfen: Eine Ungleichbehandlung liegt zweifellos vor, diese ist dem BVerfG zufolge nicht gerechtfertigt. Ein Sachgrund zur Differenzierung zwischen Gemeindemitgliedern und Auswärtigen bestehe nicht, da das Schwimmbad auf Überregionalität angelegt ist, Auswärtige ansprechen soll und gerade nicht kommunale Aufgaben im engeren Sinne erfüllt. An dieser Stelle kann man auch anderer Auffassung sein, etwa wenn das Bad durch kommunale Mittel finanziert wird, die die Gemeinemitglieder beisteuern.
3. Art. 3 Abs. 1 GG ist ein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB.
4. Der EuGH ist gesetzlicher Richter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG. Da die letztinstanzlichen Gerichte zur Vorlage verpflichtet sind, wenn die Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV vorliegen, verletzen sie das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), wenn die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist. Im Hinblick auf die Bindung an Grundfreiheiten habe sich das OLG im vorliegenden Fall gar keine Gedanken zur Europarechtskonformität und der Notwendigkeit einer Vorlage zum EuGH gemacht. Vielmehr stehe die Entscheidung des OLG wohl im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des EuGH zur (rabattierten) Nutzung kultureller Einrichtung.
III. Wenn man als Examenskandidat das gute Wetter schon nicht im Freibad genießen kann, so erlaubt die Entscheidung wenigstens eine gedankliche Beschäftigung mit schöneren Orten als der Universitätbibliothek.

24.08.2016/2 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2016-08-24 14:00:402016-08-24 14:00:40BVerfG: Verfassungswidrige Preisgestaltung eines kommunalen Freibades
Gastautor

Jur:Next Urteil des Monats: Je älter der Arbeitnehmer, desto erhohlungsbedürftiger…

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Wir freuen uns auch heute wieder einen Beitrag aus der gemeinsamen Kooperation mit jur:next veröffentlichen zu können. Nachfolgend wird ein examensrelevantes Urteil des Bundesarbeitsgerichts besprochen, das auf die Alterdiskriminierung von Arbeitnehmern eingeht.

BAG Urteil vom 21.10.2014 – 9 AZR 956/12: Urlaubsdauer, Staffelung nach dem Alter der Arbeitnehmer, Diskriminierung und Ungleichbehandlung
Fundstelle: Entscheidungsdatenbank des BAG (http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&Datum=2014-10&nr=17871&pos=16&anz=30)
 
Problemaufriss
Das Urteil des BAG stellt die immer wieder examensrelevante Thematik der Altersdiskriminierung in den Mittelpunkt. In der vorliegenden Entscheidung geht es um die Frage, ob ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern ab 58 Jahren freiwillig zwei zusätzliche Urlaubstage gewähren darf oder ob er dadurch andere, jüngere Arbeitnehmer diskriminiert. Relevant werden dabei Normen aus dem AGG sowie der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz.
Interessant und damit examensrelevant macht dieses Urteil, dass eine Ungleichbehandlung wegen des Alters beim Urlaub anders zu behandeln ist als bei der Kündigungsfrist: Bei § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB war lange strittig, ob diese Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt ist oder nicht. Inzwischen hat der EuGH im Jahr 2010 (Urteil EuGH vom 19.01.2010 (Rechtssache C-555/07) entschieden, dass § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB eine nicht gerechtfertigte Altersdiskriminierung darstellt. Die Norm verstößt gegen Europarecht und ist damit unwirksam. Solange der Gesetzgeber diesen Passus der Norm nicht streicht, darf die Norm nicht angewendet werden. Das BAG ist dieser Rechtsprechung uneingeschränkt gefolgt.
Anders verhält es sich jedoch in der hier vorliegenden Entscheidung des BAG. Eine Ungleichbehandlung wegen des Alters bei der Gewährung von freiwilligem Zusatzurlaub kann gerechtfertigt und damit zulässig sein.
Leitsatz:
„Gewährt ein Arbeitgeber älteren Arbeitnehmern jährlich mehr Urlaubstage als den jüngeren, kann diese unterschiedliche Behandlung wegen des Alters unter dem Gesichtspunkt des Schutzes älterer Beschäftigter nach § 10 Abs. 3 Nr. 1 AGG zulässig sein.“
Entscheidend ist daher, dass zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vorliegt. Diese ist jedoch nach § 10 Satz 1, 2 und Satz 3 Nr. 1 AGG gerechtfertigt.
Die Rechtfertigung prüft das Gericht beinahe lehrbuchmäßig anhand einer Verhältnismäßigkeitsprüfung entsprechend dem Wortlaut der Norm in § 10 AGG:
Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein.“
Die Rechtfertigung nach § 10 AGG schlägt auch auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz durch. Eine Diskriminierung liegt daher im Ergebnis nicht vor.
Sachverhalt
Streitgegenstand ist die Höhe des jährlichen Urlaubsanspruchs der Klägerin.
Die Beklagte stellt Schuhe her. Die am 10. April 1960 geborene Klägerin ist seit 1. Juli 1994 dort als Produktionsmitarbeiterin beschäftigt.
Im Arbeitsvertrag vom 13. November 2000 ist vereinbart, dass der jährliche Urlaubsanspruch 34 Tage beträgt. Die Beklagte gewährt allen AN, die das 58. Lebensjahr vollendet haben, 36 Arbeitstage Jahresurlaub. Die Klägerin wollte mit der Klage feststellen lassen, dass ihr ebenfalls 36 anstatt 34 Urlaubstage zustehen.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass die Urlaubsregelung altersdiskriminierend sei. Die Behauptung, ältere AN benötigen im Produktionsbetrieb längere Erholungsphasen, sei nicht belegt. Das BUrlG stelle bezüglich der Urlaubsdauer auch nicht auf physische Belastung oder das Alter des AN ab. Außerdem gebe es keinen Grund, warum ein gesteigertes Erholungsbedürfnis ausgerechnet mit 58 Jahren entstehen soll. Mit nur 2 zusätzlichen Urlaubstagen könne ein etwaiger erhöhter Erholungsbedarf ohnehin nicht ausgeglichen werden. Bei einem stetig steigenden Erholungsbedarf müsse auch der Urlaub gestaffelt werden. Auch andere AN, wie z.B. junge Eltern, hätten erhöhten Erholungsbedarf, bekämen aber keinen Zusatzurlaub. Daher müsse die Beklagte ihr zwei weitere Urlaubstage gewähren.
Die Beklagte beantragte Klageabweisung. Die Regelung sei nicht diskriminierend. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung benötigen ältere AN, gerade wenn sie körperlich anstrengende, ermüdende Arbeiten verrichten, längere Erholungsphasen. Zwei zusätzliche Urlaubstage seien angemessen.
Das Arbeitsgericht hat die Feststellungsklage abgewiesen, das LAG hat die Berufung der Klägerin zurück gewiesen. Beide Gerichte sahen keine Diskriminierung. Das BAG hat die Revision der Klägerin im Ergebnis ebenfalls zurück gewiesen.
Entscheidung des Gerichts
Das Gericht weist die zulässige Revision als unbegründet zurück, weil die Urlaubsregelung nicht gem. § 7 Abs. 2 AGG unwirksam ist. Der Klägerin stehen nach §§ 1, 3 Abs. 1, 7 Abs.1 und Abs. 2 AGG nicht zwei weitere Urlaubstage zu. Der Urlaubsanspruch der Klägerin wird daher nicht „nach oben angepasst“.
Zwar liegt nach Ansicht des BAG auf der ersten Stufe eine Ungleichbehandlung wegen des Alters gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor. Eine Person erfährt allein aufgrund ihres Alters eine andere, weniger günstige Behandlung als eine andere. Die Ungleichbehandlung ist auch unmittelbar, da zwischen der Benachteiligung und einem der in § 1 AGG genannten Gründe – hier dem Lebensalter – ein direkter Kausalzusammenhang besteht. Der Zusatzurlaub von zwei Tagen knüpft allein an die Vollendung des 58. Lebensjahres und damit das Lebensalter an.
Auf der zweiten Stufe bejaht das BAG jedoch eine Rechtfertigung nach § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG. Sinn und Zweck dieser Regelung ist u.a. der Schutz älterer AN. Hierbei hat der AG bei der Gewährung von freiwilligen Zusatzleistungen wie hier einen Gestaltungs- und Ermessenspielraum, der nur die Verhältnismäßigkeit nach § 10 S. 1 und 2 AGG („geeignet, erforderlich und angemessen“) einhalten muss. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des EuGH sowie dem EU-Recht.
Die Regelung der Beklagten dient allein dem Schutz älterer AN. Durch die zwei zusätzlichen Urlaubstage soll ihrem gesteigerten Erholungsbedürfnis Rechnung getragen werden. Das Gesetz normiert jedoch nicht, wann ein AN „älter“ und damit schutzbedürftiger ist. Fraglich ist daher, ab wann genau der AN aufgrund seines Alters des besonderen Schutzes bedarf.
Das BAG ist 2012 in einer anderen Entscheidung bereits davon ausgegangen, dass bei AN zwischen 50 und 60 ein altersbedingt gesteigertes Erholungsbedürfnis „eher nachvollziehbar“ sei (BAG 20.03.2012 – 9 AZR 529/10).
Die Vorinstanz ist entsprechend der h.M. davon ausgegangen, dass ein steigendes Erholungsbedürfnis im Alter per se ein belastbarer Erfahrungssatz sei. Dagegen wird u.a. die Individualität der Alterungsprozesse eingewandt. Nicht jeder AN ist pauschal ab einem bestimmten Alter erholungsbedürftiger oder kränklicher. Ferner unterscheide auch das BUrlG nicht nach dem Lebensalter. Der Gesetzgeber gehe also auch nicht von einem unterschiedlichen Erholungsbedürfnis aus.
Das BAG schließt sich der Ansicht der h.M. sowie der Vorinstanz an. Erfahrungssätze sind zulässige Hilfsmittel der Tatsacheninstanzen. Zwischen Alter und Krankheitsanfälligkeit gibt es einen Wirkungszusammenhang. Auf dieser Erkenntnis beruhen sämtliche privaten und öffentlichen Systeme der Kranken-, Renten- und Lebensversicherung.
Wenn ein solcher Erfahrungssatz nicht greift oder passt, müssten die Gerichte Sachverständige heranziehen. Hier sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz kein Sachverständigengutachten zu der Frage, dass das Erholungsbedürfnis im Betrieb der Beklagten mit zunehmendem Alter steigt, eingeholt hat.
Die Vorinstanz hatte nämlich überdies festgestellt, dass im Betrieb der Beklagten körperlich anstrengende Arbeiten zu verrichten waren. Bei körperlich anstrengenden Arbeiten gesteht sogar die Gegenmeinung zu, dass ein Zusammenhang zwischen Alter und Erholungsbedürftigkeit bzw. Krankheitsanfälligkeit besteht. Daher durfte das Gericht vom allgemeinen Erfahrungssatz, dass mit zunehmendem Alter bei körperlich anstrengenden Arbeiten das Erholungsbedürfnis steigt, ausgehen.
Das Argument auf die fehlende Altersstaffelung in § 3 BUrlG greift nach Ansicht des BAG nicht durch, weil hier nur das unterste Maß geregelt sei.
Die Regelung der Beklagten ist nach Ansicht des BAG auch geeignet, den Schutz älterer AN zu fördern. Die Geeignetheit ist nicht zu verneinen, nur weil der zusätzliche Urlaub von 2 Tagen den gesteigerten Erholungsbedarf nicht vollständig, sondern nur partiell ausgleicht. Es handelt sich hier um eine freiwillige Leistung des AG, bei der er einen Ermessensspielraum hat.
Die Regelung ist auch erforderlich und angemessen. Mildere Mittel sind nicht ersichtlich. Zwar könnte die Beklagte kostenneutral z.B. auch einen zusätzlichen Urlaubstag ab einer niedrigeren Altersgrenze (z.B. 40) gewähren. Es liegt jedoch im Gestaltungsermessen des AG, welche Regelung er hier zum Schutz älterer AN treffen möchte.
Das Argument, dass auch jüngere Menschen z.B. mit kleinen Kindern erhöhten Erholungsbedarf haben, hilft nicht. Denn es ist dem AG nicht zumutbar, für jeden AN individuell, nach seiner momentanen Lebenssituation, einen jeweiligen Urlaubsanspruch zu gewähren. Dies wäre nach Ansicht des BAG nicht mehr praktikabel. Der AG darf daher in einer typisierenden Betrachtung im Rahmen seines Gestaltungsspielraumes den Schutz älterer AN fördern.
Auch der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ergibt nichts anderes. Die Klägerin hat auch daraus keinen Anspruch auf zwei weitere Urlaubstage. Denn wenn wie hier eine Rechtfertigung nach § 10 AGG vorliegt, muss dies auch auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz „durchschlagen“. Eine sachwidrige Ungleichbehandlung liegt daher auch hier nicht vor.
Bewertung der Entscheidung
Die Entscheidung des Gerichts überzeugt. Das BAG bejaht zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters, nimmt aber eine Rechtfertigung zum Schutz älterer AN nach § 10 AGG an. Das BAG prüft die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung nach dem AGG streng am Gesetzestext in Form einer ausführlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Alle Argumente der Klägerin, die eine Altersdiskriminierung stützen sollen, widerlegt das Gericht der Reihe nach in seiner Entscheidung.
Interessant ist auch die umstrittene Frage, wann ein Erfahrungssatz herangezogen werden darf und wann ein Sachverständigengutachten einzuholen ist. Auch diese Streitfrage legt das BAG lehrbuchmäßig dar.
Die Entscheidung zeichnet insgesamt eine sehr leichte Lesbarkeit aus. Die Urteilsbegründung ist aus sich heraus sehr gut verständlich. Daher kann diese Entscheidung gut beim Durcharbeiten des sehr examensrelevanten AGG herangezogen werden.
Examensrelevanz
Die Entscheidung hat Examensrelevanz. Zum einen, weil das AGG nach wie vor per se „prüfungsgefährlich“ ist. Zum anderen liegt hier im Unterschied zu § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB der Fall einer gerechtfertigten Ungleichbehandlung wegen des Alters vor. Bei der Gewährung von Zusatzurlaub kann wie im vorliegenden Fall eine Unterscheidung nach dem Alter erfolgen, ohne dass eine Altersdiskriminierung vorliegt. Bei der Berechnung der Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB liegt dagegen eine Altersdiskriminierung vor, die Norm muss daher unangewendet bleiben.
Allein diese Unterscheidung von Altersdiskriminierung bei Berechnung der Kündigungsfrist und Urlaub sowie die damit verbundene „Verwechslungsgefahr“ machen dieses Urteil des BAG examensrelevant.
 

02.03.2015/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-03-02 09:00:432015-03-02 09:00:43Jur:Next Urteil des Monats: Je älter der Arbeitnehmer, desto erhohlungsbedürftiger…
Dr. Maximilian Schmidt

BVerfG: Luftverkehrssteuer verfassungskonform

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Das BVerfG hat mit Urteil vom 5.11.2014 – 1 BvF 3/11 entschieden, dass die ab dem 1.1.2011 in Deutschland geltende Luftverkehrssteuer mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Der Fall beinhaltet verschiedene rechtliche Aspekte, die sowohl in Gänze als auch in Teilen in einer Examensklausur oder einer mündlichen Prüfung geprüft werden könnten. Zudem kann der Fall als kleines verfassungsrechtliches Repititorium dienen.
I. Sachverhalt (der Pressemitteilung entnommen)

Das Luftverkehrsteuergesetz begründet eine Steuerpflicht für die in Deutschland ab dem 1. Januar 2011 startenden Abflüge von Fluggästen, die von einem gewerblichen Luftverkehrsunternehmen transportiert werden, nicht aber für private Flüge und Frachtflüge. Von der Besteuerung ausgenommen sind ferner Flüge zu hoheitlichen, militärischen und medizinischen Zwecken, Versorgungsflüge von und zu Nordseeinseln sowie Transit- und Transferflüge. Neben der Erzielung von Einnahmen in Höhe von einer Milliarde Euro jährlich soll die Abgabe nach der Gesetzesbegründung lenkend wirken, indem sie Anreize für ein umweltgerechteres Verhalten im Bereich des Flugverkehrs setzt. Die Regierung des Landes Rheinland-Pfalz hat das Luftverkehrsteuergesetz im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle zur Prüfung gestellt.

Zweck der Regelung ist – neben der Generierung von Einnahmen – der Schutz der Umwelt; durch die Steuer und die hierdurch steigenden Preise erhofft man sich eine Lenkungswirkung für weniger Flüge und somit weniger Ausstoß von CO2.
II. Rechtsfragen
1. Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes
Zunächst müsste das Luftverkehrssteuergesetz der Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterfallen. Neben den aus dem ersten Semester bekannten Zuständigkeitregelungen der Art. 70 ff. GG finden sich für die Steuergesetzgebung in Art. 105 GG besondere Kompetenzzuweisungen. Für die Luftverkehrssteuer ergibt sich die Zuständigkeit aus Art. 105 Abs. 1 Alt. GG i.V.m. Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG. Danach stehen dem Bund

die Straßengüterverkehrsteuer, die Kraftfahrzeugsteuer und sonstige auf motorisierte Verkehrsmittel bezogene Verkehrsteuern,

zu. Fraglich war, ob unter den Begriff des „sonstigen motorisierte Verkehrsmittel“ auch Flugzeuge fallen. Dies bestätigte das BVerfG überzeugend. In einer Prüfung müsste hier kurz argumentiert werden, dass mit Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 das Steuersetzungsrecht für das gesamte motorisierte Verkehrswesen dem Bund übertragen werden sollte. Hierfür spricht, dass eine je nach Bundesland differierende Luftverkehrssteuer wenig zielführend wäre.
2. Verstoß gegen Art. 80 GG durch Rechtsverordnungsermächtigung
In einem nächsten Schritt ist zu prüfen, ob die in § 11 Abs. 2 Luftverkehrsgesetz vorgesehene Rechtsverordnungsermächtigung den Anforderungen des Art. 80 GG genügt. Danach können qua Rechtsverordnung die Steuersätze jeweils mit Wirkung zu Beginn eines Kalenderjahres unter Berücksichtigung der Vorjahreseinnahmen aus dem Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten prozentual abgesenkt werden. Da sich in § 11 Abs. 2 S. 2 eine genaue Berechnungsmethode findet, erlaubt die Rechtsverordnung keine Entscheidung über „Ob“ und „Wie“ der Steuer, sondern vielmehr wird nur eine jährliche Neuberechnung ermöglicht. Der Exekutive bleibt also kein freier Entscheidungsspielraum wie hoch die Steuer nun ausfallen soll – was mit dem in Art. 80 GG zum Ausdruck kommenden Demokratieprinzip auch nicht vereinbar wäre.
3. Verstoß gegen Art. 3 GG wegen Beschränkung auf gewerbliche Passagierflüge
Das Luftverkehrssteuergesetz normiert nur eine Steuer auf gewerbliche Passagierflüge, weswegen ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG im Hinblick auf die Steuerfreiheit von nicht-gewerblichen Passagierflügen sowie gewerblichen Frachtflügen in Betracht kommt. Bei Festlegung des tertium comparationes, also des Oberbegriffs zur Feststellung einer Ungleichbehandlung, wird man eine Vergleichbarkeit von gewerblichen und nicht-gewerblichen Flügen schon ablehnen müssen.
Hinsichtlich der Unterscheidung von Passagierflügen und Frachtflügen führt das BVerfG in der Pressemitteilung aus:

Mit der Belastung von gewerblichen Passagierflügen hat der Gesetzgeber den Steuergegenstand in verfassungsgemäßer Weise gewählt. Der Gesetzgeber war nicht aus Gleichheitsgründen gehalten, zugleich auch den privaten Flugverkehr und Frachtflüge mit der Luftverkehrsteuer zu belegen. Wegen seines weitgehenden, demokratisch legitimierten Spielraums bei der Auswahl von Steuergegenständen wird der Gesetzgeber vom Gleichheitssatz nicht gezwungen, nach einer einmal getroffenen Entscheidung für ein bestimmtes Steuerobjekt zugleich auch alle ähnlichen, für den Steuerzweck ebenfalls geeigneten Steuerobjekte in die Belastung einzubeziehen. Erst nachdem der Steuergegenstand ausgewählt ist, unterliegt der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Steuergesetzes engeren Bindungen aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liegt damit nicht vor. Das BVerfG verneint schon eine Ungleichbehandlung, so dass es auf eine Rechtfertigung nach Willkür- oder Neuer Formel nicht mehr ankommt.
4. Verstoß gegen Art. 3 GG wegen Ausnahme von Inselflügen und militärischen Flügen
Auch hinsichtlich der getroffenen Ausnahmen verneint das BVerfG einen Verstoß gegen Art. 3 GG. Insoweit nimmt es allerdings an, dass eine zu rechtfertigende Ungleichbehandlung vorliegt, die dann nach der Willkürformel (also mit Sachgrund) gerechtfertigt werden kann.

Die vom Luftverkehrsteuergesetz bestimmten Ausnahmen von der Steuerbelastung werden durch stichhaltige Sachgründe getragen. Die Steuerentlastung von Inselflügen sichert die Daseinsvorsorge für die Inselbewohner. Die Befreiung von Flügen zu militärischen und anderen hoheitlichen Zwecken rechtfertigt sich bereits aus dem gewählten Gegenstand der Besteuerung. Das Umsteigerprivileg soll die deutschen Flughäfen als internationale Drehkreuze schützten, indem sie in dieser Funktion einer geringeren Belastung unterliegen.

5. Verstoß gegen Art. 3 GG wegen Berechnung des Steuertarifs
Besonders interessant sind die Ausführungen des BVerfG zum Gleichheitssatz hinsichtlich der Berechnung der Luftverkehrssteuer. Diese richtet sich nicht nach der tatsächlichen Flugstrecke, sondern nach der Distanz zum größten Verkehrsflughafen des Ziellandes. Hierdurch kommt es zwangsläufig zu Verzerrungen bei der Berechnung, die aber laut BVerfG aus Vereinfachungsgründen zulässig seien:

Ungleiche Belastungen, die dadurch entstehen, dass die Höhe des Steuertarifs an den größten Verkehrsflughafen des Ziellandes statt an den tatsächlichen Zielflughafen anknüpft, führen nicht zur Unvereinbarkeit des vom Gesetzgeber bestimmten Steuermaßstabes mit Art. 3 Abs. 1 GG. Der für die Besteuerung maßgebliche Flughafen des Ziellandes mit dem größten Verkehrsaufkommen gibt nur bei wenigen sehr großen Ländern oder beim Flug in überseeische Territorien einiger Länder den Distanzmaßstab nicht korrekt wieder. Diese geringen Verwerfungen sind aus Vereinfachungsgründen gleichheitsrechtlich noch tragbar.

An dieser Stelle kann man mit guten Argumenten anderer Auffassung sein. Zwar gilt grundsätztlich, dass die Vereinfachung ein zulässiges Mittel bei der Berechnung eines Steuertarifs sind. Diese muss aber grosso modo die tatsächlichen Umstände wiederspiegeln. Ob dies bei Flügen in große, überseeische Staaten noch der Fall ist, kann angezweifelt werden. Man denke nur an die USA (Flug nach LA, Steuertarif New York –> günstiger für Flugunternehmen) oder Russland (Flug nach Wladiwostok, Steuertarif Moskau). Hier ist dann Argumentationskunst gefragt.
6. Verstoß gegen Art. 12 GG
Hinsichtlich eines Verstoßes gegen die Berufsfreiheit kann sich kurz gefasst werden.
Für die Flugpassagiere hat die Besteuerung schon keine berufsregelnde Tendenz.
Für die Flugunternehmen liegt zwar ein Eingriff in die Berufsausübung vor („Wie“ = Stufe 1 der 3-Stufen-Lehre), der aber mit dem Aspekt des in Art. 20a GG als Verfassungsziel benannten Umweltschutzes gerechtfertigt werden kann.
III. Fazit
Das Luftverkehrssteuergesetz ist also verfassungskonform. Es stellen sich einige Einzelprobleme, die in eine Klausur oder mündliche Prüfung Einzug halten können. An einigen Stellen kann man mit guten Argumenten anderer Meinung sein, jedoch sollten die Besonderheiten der verfassungsrechtlichen Prüfung von Steuergesetzen bekannt sein.

14.11.2014/0 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2014-11-14 12:00:392014-11-14 12:00:39BVerfG: Luftverkehrssteuer verfassungskonform
Dr. Christoph Werkmeister

BVerwG: Mindestalter für den Einstieg in eine Beamtenlaufbahn ist verfassungswidrig

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Verfassungsrecht
Das BVerwG entschied kürzlich einen Sachverhalt, der ohne weiteres Eingang in verfassungsrechtlich geprägte Klausuraufgaben finden könnte (Az. 2 C 74.10, 2 C 75.10). In concreto hat das BVerwG entschieden, dass eine Vorschrift in einer beamtenrechtlichen Laufbahnverordnung, die eine Mindestaltersgrenze – hier 40 Jahre – für einen Aufstieg in eine höhere Laufbahn vorschreibt, verfassungswidrig sei.
Sachverhalt
Zwei Steuerhauptsekretärinnen in einer Landesfinanzverwaltung war die Zulassung zum Aufstieg in eine höhere Laufbahnebene verweigert worden, weil sie noch nicht 40 Jahre alt waren. Gestützt wurde diese Entscheidung u.a. auf eine Rechtsverordnung, die die Laufbahnzulassungsvoraussetzungen und auch die hier relevante Altersgrenze regelte.
Entscheidung
Die Vorinstanz zum BVerwG hatte zur Begründung u.a. ausgeführt, die im Streitfall maßgebliche Mindestaltersregelung sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Der Verordnungsgeber bewege sich mit der Annahme, dass Lebensältere im Sinne von „gestandenen“ Männern und Frauen mit einer verfestigten Persönlichkeit eher als Vorgesetzte akzeptiert würden als Lebensjüngere, im Rahmen seines Gestaltungsspielraums.
Das BVerwG stellte dementgegen fest, dass ihre Nichtberücksichtigung wegen Nichterreichens der Altersgrenze rechtswidrig war. Gemäß Art. 33 Abs. 2 GG habe jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Dem Anwendungsbereich dieser Vorschrift würden darüber hinaus auch Auswahlentscheidungen im Vorfeld der Verleihung eines öffentlichen Amtes unterfallen, sodass auch Fälle wie der hiesige, wo es um die Zulassung zu einer Ausbildung für einen Laufbahnaufstieg ging, erfasst seien.
Ein Bewerber könne bei einer solchen Auswahlentscheidung nur dann wegen seines zu geringen Alters abgelehnt werden, wenn deswegen eine Beurteilung seiner Bewährung (noch) nicht möglich sei. Vom Lebensalter seien grundsätzlich keine Rückschlüsse auf die Eignung für das angestrebte Amt möglich. Ebenfalls unzulässig seien zudem längere (als zur Beurteilung der Bewährung des Bewerbers nötige) Mindestwartezeiten, die der Bewerber im Beamtenverhältnis oder in seinem bisherigen Amt verbracht haben muss; denn auch diese zielen nach Auffassung des BVerwG darauf ab, ältere Bewerber den jüngeren vorzuziehen,unabhängig davon, wer der bessere ist.
Examensrelevanz
Die Entscheidung des BVerwG ist deshalb examensrelevant, weil der Prüfling sich mit altbekannten Problemen wie der Ungleichbehandlung wegen des Alters in einem ungewöhnlicheren Kontext, nämlich dem des Art. 33 Abs. 2 GG, beschäftigen muss.
Darüber hinaus basiert die fragliche Rechtslage hier auf einer Rechtsverordnung, also einer von der Exekutive erlassenen Norm i.S.d. Art. 80 Abs. 1 GG. In dieser Hinsicht ist es für den Klausurersteller ein leichtes, noch weitere Probleme in den Sachverhalt einzubauen; genannt sei hier etwa die Einhaltung der Grenzen des Art. 80 ABs. 1 GG im Hinblick auf die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der einschlägigen Rechtsverordnung.
Mitunter ließe sich der hier gestellte Fall zudem auch in einem zivilrechtlichen Kontext erörtern. Zu fragen wäre dann nach Verstößen gegen das AGG und den daraus resultierende Ansprüche der Betroffenen (s. instruktiv zur Prüfung von AGG-Tatbeständen hier).

29.09.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
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