Wie schon die vorangegangenen Entscheidungen der Strafgerichte hat auch die Entscheidung des BVerfG (Az. 2 BvR 1985/19, 2 BvR 1986/19) zur strafrechtlichen Relevanz des sogenannten „Containerns“ große mediale Aufmerksamkeit erfahren. Die wesentlichen Entscheidungsgründe des BVerfG sollen Gegenstand des vorliegenden Beitrags sein.
I. Worum es geht
Die beiden Beschwerdeführerinnen wenden sich in ihren Verfassungsbeschwerden jeweils gegen eine strafrechtliche Verurteilung wegen Diebstahls nach § 242 Abs. 1 StGB. Die Studentinnen hatten mehrere Lebensmittel aus einem Abfallcontainer eines Supermarktes entwendet. Der Abfallcontainer war für solche Lebensmittel vorgesehen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen war oder die wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes nicht mehr verkauft werden konnten. Er war – in Reaktion auf vorangegangene Entnahmen von Lebensmitteln – verschlossen und befand sich auf dem Gelände des Supermarktes.
Während sich die Beschwerdeführerinnen in den strafrechtlichen Verfahren darauf beriefen, die Lebensmittel seien infolge des Wegwerfens, das eine Eigentumsaufgabe darstelle, keine fremden Sachen i.S.d. § 242 Abs.1 StGB, sondern vielmehr herrenlos gewesen, sahen die Strafgerichte dies anders.
Eine Eigentumsaufgabe durch den Supermarktinhaber setze den vorherrschenden Willen voraus, sich der Sache ungezielt zu entäußern. Dies sei bei der Entsorgung in dem Abfallcontainer nicht gegeben, sodass die Lebensmittel weiterhin im Eigentum des Supermarktinhabers standen und taugliche Tatobjekte i.R.d. § 242 Abs. 1 StGB darstellten. Die Beschwerdeführerinnen wurden zu acht Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt.
Hiergegen legten sie Verfassungsbeschwerden ein, mit der Begründung, die Verurteilung verletze sie in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Der Supermarkt habe kein schutzwürdiges Interesse an den Lebensmitteln und die Strafbarkeit des Verhaltens verstoße gegen das Übermaßverbot. Insbesondere sei die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG zu beachten, die auch zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln verpflichte.
II. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. In der Begründetheitsprüfung setzte sich das BVerfG zunächst mit einem möglichen Verstoß der Entscheidung gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Willkürverbot auseinander. Maßgeblich dafür, ob eine Gerichtsentscheidung gegen das Willkürverbot verstößt, ist, ob sie auf sachfremdem Erwägungen beruht:
„Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Die fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung allerdings nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Eine Maßnahme ist willkürlich, die im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich.“ (BVerfG, NJW 2010, 1349 (1350)).
Einen solchen Verstoß konnte das BVerfG in der vorliegenden strafrechtlichen Entscheidung nicht erkennen. Die Erwägungen der Strafgerichte zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Fremdheit, wonach die Wertlosigkeit allein nicht entscheidend sei und allein die Entsorgung in einem Abfallcontainer nicht zwingend auf einen Eigentumsaufgabewillen schließen lasse, zumal der Container verschlossen war, beruhen nach Ansicht des BVerfG auf sachgemäßen und nachvollziehbaren Erwägungen und sind daher nicht willkürlich.
Weiterhin ging das BVerfG auf die Verfassungsmäßigkeit der strafrechtlichen Beweiswürdigung ein. Entscheidend war hier, ob die Feststellung, dass die Entsorgung der Lebensmittel in dem Abfallcontainer keine Eigentumsaufgabe i.S.d. § 959 BGB darstelle, verfassungsrechtlich zu beanstanden sei. Hierzu führte das BVerfG aus:
„Die Feststellung, ob die Entnahme von Lebensmitteln aus einem Abfallbehälter eine strafbare Wegnahme einer fremden Sache darstellt, obliegt grundsätzlich den Fachgerichten. Diese haben unter Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Sachverhalts zu entscheiden, ob die Abfälle durch eine Eigentumsaufgabe gemäß § 959 BGB herrenlos geworden sind, ob ein Übereignungsangebot an beliebige Dritte vorlag oder ob die Abfälle im Eigentum des bisherigen Eigentümers verblieben. Die Fachgerichte haben maßgeblich darauf abgestellt, dass sich der Abfallcontainer in der Anlieferzone des Supermarktes und damit auf dessen eigenem Gelände befunden habe und darüber hinaus verschlossen gewesen sei. Zudem hätten die Abfälle zur Übergabe an ein spezialisiertes und vom Inhaber bezahltes Entsorgungsunternehmen bereitgestanden. Schließlich habe das Verschließen der Container eine Reaktion auf vorherige, unbefugte Entnahmen Dritter dargestellt. Aufgrund dieser Umstände sei auf den Willen des Unternehmens zu schließen, dass es weiterhin Eigentümer der Abfälle habe bleiben wollen. Gegen diese Beweiswürdigung ist aus Verfassungssicht nichts einzuwenden.“ (BVerfG, Pressemitteilung Nr. 75/2020).
Schließlich setzt sich die Entscheidung mit der Verhältnismäßigkeit der Verurteilung auseinander. Hierbei lässt das BVerfG jedenfalls im Rahmen der bislang veröffentlichten Pressemitteilung offen, welches der von den Beschwerdeführerinnen gerügten Grundrechte verletzt sein könnte, jedenfalls eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG kommt jedoch in Betracht.
Die Verurteilung zu acht Stunden gemeinnütziger Arbeit stellt eindeutig einen Eingriff dar. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Eingriffs kommt es darauf an, ob das Grundrecht beschränkbar ist und die Grenzen der Einschränkungsmöglichkeit gewahrt wurden. Die allgemeine Handlungsfreiheit unterliegt einem einfachen Gesetzesvorbehalt. Bei der Prüfung einer Urteilsverfassungsbeschwerde ist eine zweistufige Prüfung erforderlich: Zunächst muss die Einschränkung auf einem seinerseits verfassungsgemäßen Gesetz beruhen (Normprüfungsebene).
In Bezug auf § 242 Abs. 1 StGB führt das BVerfG aus:
„Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen. Das Bundesverfassungsgericht kann diese Entscheidung nicht darauf prüfen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat. Es wacht lediglich darüber, dass die Strafvorschrift materiell in Einklang mit der Verfassung steht. Der Gesetzgeber, der bisher Initiativen zur Entkriminalisierung des Containerns nicht aufgegriffen hat, ist insofern frei, das zivilrechtliche Eigentum auch in Fällen der wirtschaftlichen Wertlosigkeit der Sache mit Mitteln des Strafrechts zu schützen.“ (BVerfG, Pressemitteilung Nr. 75/2020).
Weiterhin muss auch die gerichtliche Entscheidung verfassungsgemäß sein (Einzelaktsebene). Bei Vorliegen eines einfachen Gesetzesvorbehalts kommt es hier maßgeblich auf die Verhältnismäßigkeit der Entscheidung an. Das BVerfG führt zur Rechtfertigung vor allem den Schutz des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG an:
„Im vorliegenden Fall dient die Strafbarkeit des Verhaltens der Beschwerdeführerinnen dem Schutz des Eigentumsgrundrechts nach Art. 14 Abs. 1 GG als Rechtsgut von Verfassungsrang. Der Eigentümer der Lebensmittel wollte diese bewusst einer Vernichtung durch den Abfallentsorger zuführen, um etwaige Haftungsrisiken beim Verzehr der teils abgelaufenen und möglicherweise auch verdorbenen Ware auszuschließen. Bereits das Interesse des Eigentümers daran, etwaige rechtliche Streitigkeiten und Prozessrisiken auszuschließen und keinen erhöhten Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die Sicherheit der Lebensmittel ausgesetzt zu sein, ist im Rahmen der Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG grundsätzlich zu akzeptieren.“ (BVerfG, Pressemitteilung Nr. 75/2020).
Weiterhin biete das Straf- und Strafprozessrecht die Möglichkeit, der geringen Schuld des Täters im Einzelfall Rechnung zu tragen, was auch im vorliegenden Fall erfolgt sei. Insgesamt sei die Entscheidung daher nicht verfassungsgerichtlich zu beanstanden.
Die Verfassungsbeschwerden sind unbegründet.
III. Ausblick
Im Hinblick auf die Berücksichtigung der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG stellte das BVerfG lediglich fest, diese sei vorliegend ohne Bedeutung, sie betreffe lediglich die Fragen, ob der Gesetzgeber auch eine alternative Regelung hinsichtlich des Umgangs mit entsorgten Lebensmitteln treffen könnte. Gerade die fehlende Berücksichtigung dieser Bestimmung für die vorliegende Entscheidung ist auf Kritik in den Medien gestoßen. Hatte man sich von der Entscheidung des BVerfG einen Schritt hin zu mehr Nachhaltigkeit im Umgang mit Lebensmitteln erhofft, so wurde dies nicht erfüllt. Soll sich hier etwas ändern, ist nun der Gesetzgeber gefragt.