Anhaltender Starkregen hat in der vergangenen Woche schwere Überflutungen in Teilen Nordrhein-Westfalens und Rheinland-Pfalz hervorgerufen. Die in dieser Form nie dagewesene Umweltkatastrophe hat dazu geführt, dass Menschen ihre Häuser, ihr Hab und Gut und zum Teil auch ihre Angehörigen verloren haben.
Nun ist Solidarität mit den Betroffenen gefragt. Während Vieles unwiederbringlich verloren ist und der immaterielle Schaden für die Betroffenen kaum beziffert werden kann, möchte der juraexamen.info e.V. helfen, die akute Not zu lindern und auch den Wiederaufbau unterstützen. Hierzu spenden wir 1000 € an die Sonderaktion Hochwasserhilfe im Rahmen der Aktion Weihnachtslicht des Generalanzeigers. Die Aktion kooperiert mit den Kommunen, insbesondere an der Ahr und in der Region Rheinbach. Die Spende kommt zu 100 % bei den Bedürftigen an.
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Schlagwortarchiv für: Umwelt
Wie schon die vorangegangenen Entscheidungen der Strafgerichte hat auch die Entscheidung des BVerfG (Az. 2 BvR 1985/19, 2 BvR 1986/19) zur strafrechtlichen Relevanz des sogenannten „Containerns“ große mediale Aufmerksamkeit erfahren. Die wesentlichen Entscheidungsgründe des BVerfG sollen Gegenstand des vorliegenden Beitrags sein.
I. Worum es geht
Die beiden Beschwerdeführerinnen wenden sich in ihren Verfassungsbeschwerden jeweils gegen eine strafrechtliche Verurteilung wegen Diebstahls nach § 242 Abs. 1 StGB. Die Studentinnen hatten mehrere Lebensmittel aus einem Abfallcontainer eines Supermarktes entwendet. Der Abfallcontainer war für solche Lebensmittel vorgesehen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen war oder die wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes nicht mehr verkauft werden konnten. Er war – in Reaktion auf vorangegangene Entnahmen von Lebensmitteln – verschlossen und befand sich auf dem Gelände des Supermarktes.
Während sich die Beschwerdeführerinnen in den strafrechtlichen Verfahren darauf beriefen, die Lebensmittel seien infolge des Wegwerfens, das eine Eigentumsaufgabe darstelle, keine fremden Sachen i.S.d. § 242 Abs.1 StGB, sondern vielmehr herrenlos gewesen, sahen die Strafgerichte dies anders.
Eine Eigentumsaufgabe durch den Supermarktinhaber setze den vorherrschenden Willen voraus, sich der Sache ungezielt zu entäußern. Dies sei bei der Entsorgung in dem Abfallcontainer nicht gegeben, sodass die Lebensmittel weiterhin im Eigentum des Supermarktinhabers standen und taugliche Tatobjekte i.R.d. § 242 Abs. 1 StGB darstellten. Die Beschwerdeführerinnen wurden zu acht Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt.
Hiergegen legten sie Verfassungsbeschwerden ein, mit der Begründung, die Verurteilung verletze sie in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Der Supermarkt habe kein schutzwürdiges Interesse an den Lebensmitteln und die Strafbarkeit des Verhaltens verstoße gegen das Übermaßverbot. Insbesondere sei die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG zu beachten, die auch zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln verpflichte.
II. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. In der Begründetheitsprüfung setzte sich das BVerfG zunächst mit einem möglichen Verstoß der Entscheidung gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Willkürverbot auseinander. Maßgeblich dafür, ob eine Gerichtsentscheidung gegen das Willkürverbot verstößt, ist, ob sie auf sachfremdem Erwägungen beruht:
„Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Die fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung allerdings nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Eine Maßnahme ist willkürlich, die im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich.“ (BVerfG, NJW 2010, 1349 (1350)).
Einen solchen Verstoß konnte das BVerfG in der vorliegenden strafrechtlichen Entscheidung nicht erkennen. Die Erwägungen der Strafgerichte zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Fremdheit, wonach die Wertlosigkeit allein nicht entscheidend sei und allein die Entsorgung in einem Abfallcontainer nicht zwingend auf einen Eigentumsaufgabewillen schließen lasse, zumal der Container verschlossen war, beruhen nach Ansicht des BVerfG auf sachgemäßen und nachvollziehbaren Erwägungen und sind daher nicht willkürlich.
Weiterhin ging das BVerfG auf die Verfassungsmäßigkeit der strafrechtlichen Beweiswürdigung ein. Entscheidend war hier, ob die Feststellung, dass die Entsorgung der Lebensmittel in dem Abfallcontainer keine Eigentumsaufgabe i.S.d. § 959 BGB darstelle, verfassungsrechtlich zu beanstanden sei. Hierzu führte das BVerfG aus:
„Die Feststellung, ob die Entnahme von Lebensmitteln aus einem Abfallbehälter eine strafbare Wegnahme einer fremden Sache darstellt, obliegt grundsätzlich den Fachgerichten. Diese haben unter Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Sachverhalts zu entscheiden, ob die Abfälle durch eine Eigentumsaufgabe gemäß § 959 BGB herrenlos geworden sind, ob ein Übereignungsangebot an beliebige Dritte vorlag oder ob die Abfälle im Eigentum des bisherigen Eigentümers verblieben. Die Fachgerichte haben maßgeblich darauf abgestellt, dass sich der Abfallcontainer in der Anlieferzone des Supermarktes und damit auf dessen eigenem Gelände befunden habe und darüber hinaus verschlossen gewesen sei. Zudem hätten die Abfälle zur Übergabe an ein spezialisiertes und vom Inhaber bezahltes Entsorgungsunternehmen bereitgestanden. Schließlich habe das Verschließen der Container eine Reaktion auf vorherige, unbefugte Entnahmen Dritter dargestellt. Aufgrund dieser Umstände sei auf den Willen des Unternehmens zu schließen, dass es weiterhin Eigentümer der Abfälle habe bleiben wollen. Gegen diese Beweiswürdigung ist aus Verfassungssicht nichts einzuwenden.“ (BVerfG, Pressemitteilung Nr. 75/2020).
Schließlich setzt sich die Entscheidung mit der Verhältnismäßigkeit der Verurteilung auseinander. Hierbei lässt das BVerfG jedenfalls im Rahmen der bislang veröffentlichten Pressemitteilung offen, welches der von den Beschwerdeführerinnen gerügten Grundrechte verletzt sein könnte, jedenfalls eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG kommt jedoch in Betracht.
Die Verurteilung zu acht Stunden gemeinnütziger Arbeit stellt eindeutig einen Eingriff dar. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Eingriffs kommt es darauf an, ob das Grundrecht beschränkbar ist und die Grenzen der Einschränkungsmöglichkeit gewahrt wurden. Die allgemeine Handlungsfreiheit unterliegt einem einfachen Gesetzesvorbehalt. Bei der Prüfung einer Urteilsverfassungsbeschwerde ist eine zweistufige Prüfung erforderlich: Zunächst muss die Einschränkung auf einem seinerseits verfassungsgemäßen Gesetz beruhen (Normprüfungsebene).
In Bezug auf § 242 Abs. 1 StGB führt das BVerfG aus:
„Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen. Das Bundesverfassungsgericht kann diese Entscheidung nicht darauf prüfen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat. Es wacht lediglich darüber, dass die Strafvorschrift materiell in Einklang mit der Verfassung steht. Der Gesetzgeber, der bisher Initiativen zur Entkriminalisierung des Containerns nicht aufgegriffen hat, ist insofern frei, das zivilrechtliche Eigentum auch in Fällen der wirtschaftlichen Wertlosigkeit der Sache mit Mitteln des Strafrechts zu schützen.“ (BVerfG, Pressemitteilung Nr. 75/2020).
Weiterhin muss auch die gerichtliche Entscheidung verfassungsgemäß sein (Einzelaktsebene). Bei Vorliegen eines einfachen Gesetzesvorbehalts kommt es hier maßgeblich auf die Verhältnismäßigkeit der Entscheidung an. Das BVerfG führt zur Rechtfertigung vor allem den Schutz des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG an:
„Im vorliegenden Fall dient die Strafbarkeit des Verhaltens der Beschwerdeführerinnen dem Schutz des Eigentumsgrundrechts nach Art. 14 Abs. 1 GG als Rechtsgut von Verfassungsrang. Der Eigentümer der Lebensmittel wollte diese bewusst einer Vernichtung durch den Abfallentsorger zuführen, um etwaige Haftungsrisiken beim Verzehr der teils abgelaufenen und möglicherweise auch verdorbenen Ware auszuschließen. Bereits das Interesse des Eigentümers daran, etwaige rechtliche Streitigkeiten und Prozessrisiken auszuschließen und keinen erhöhten Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die Sicherheit der Lebensmittel ausgesetzt zu sein, ist im Rahmen der Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG grundsätzlich zu akzeptieren.“ (BVerfG, Pressemitteilung Nr. 75/2020).
Weiterhin biete das Straf- und Strafprozessrecht die Möglichkeit, der geringen Schuld des Täters im Einzelfall Rechnung zu tragen, was auch im vorliegenden Fall erfolgt sei. Insgesamt sei die Entscheidung daher nicht verfassungsgerichtlich zu beanstanden.
Die Verfassungsbeschwerden sind unbegründet.
III. Ausblick
Im Hinblick auf die Berücksichtigung der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG stellte das BVerfG lediglich fest, diese sei vorliegend ohne Bedeutung, sie betreffe lediglich die Fragen, ob der Gesetzgeber auch eine alternative Regelung hinsichtlich des Umgangs mit entsorgten Lebensmitteln treffen könnte. Gerade die fehlende Berücksichtigung dieser Bestimmung für die vorliegende Entscheidung ist auf Kritik in den Medien gestoßen. Hatte man sich von der Entscheidung des BVerfG einen Schritt hin zu mehr Nachhaltigkeit im Umgang mit Lebensmitteln erhofft, so wurde dies nicht erfüllt. Soll sich hier etwas ändern, ist nun der Gesetzgeber gefragt.
Der BGH hat mit Urteil vom 15.06.2016 – VIII ZR 134/15 entschieden, dass das Fehlen einer nach den Angaben des Verkäufers noch laufenden Herstellergarantie beim Kauf eines Gebrauchtwagens ein Sachmangel ist, der den Käufer zum Rücktritt berechtigen kann.
I. Sachverhalt (aus der Pressemitteilung des BGH)
Der Kläger kaufte vom Beklagten, einem Kraftfahrzeughändler, einen Gebrauchtwagen, den dieser zuvor auf einer Internetplattform zum Verkauf angeboten und dort mit einer noch mehr als ein Jahr laufenden Herstellergarantie beworben hatte. Kurz nach dem Kauf mussten infolge von Motorproblemen Reparaturen durchgeführt werden, die für den Kläger aufgrund der Herstellergarantie zunächst kostenfrei blieben. Später verweigerte der Hersteller mit der Begründung, im Rahmen einer Motoranalyse seien Anzeichen für eine Manipulation des Kilometerstandes – vor Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger – festgestellt worden, weitere Garantieleistungen; die Kosten der bereits durchgeführten Reparaturleistungen und des während der letzten Reparatur zur Verfügung gestellten Ersatzfahrzeugs wurden dem Kläger nunmehr teilweise in Rechnung gestellt. Daraufhin trat dieser unter Verweis auf die fehlende Herstellergarantie vom Kaufvertrag zurück und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises sowie den Ersatz ihm entstandener Aufwendungen.
II. Lösung des BGH
Ein notwendiger Rücktrittsgrund konnte sich allein aus der Mangelhaftigkeit des PKW ergeben. Der Sachmangel bei einem Kaufvertrag ist bekanntlich in § 434 BGB geregelt und liegt vor, wenn die Soll- von der Ist-Beschaffenheit abweicht. Zu bestimmen ist zunächst die Soll-Beschaffenheit, die sich entweder aus einer vertraglichen Vereinbarung (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB) oder aus den Umständen ( § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 BGB) ergeben kann. Hinsichtlich der Beschaffenheit wurde vor der Schuldrechtsmodernisierung weitgehend davon ausgegangen, dass dies grundsätzlich nur Faktoren sein können, die der Sache selbst anhaften. Nach 2001 nahm der BGH einen erweiterten Beschaffenheitsbegriff an und führt diesen in der vorliegenden Entscheidung fort:
Der BGH – so auch der Senat – habe seit der Schuldrechtsmodernisierung bereits mehrfach entschieden, dass als Beschaffenheitsmerkmale einer Kaufsache nicht nur die Faktoren anzusehen seien, die ihr selbst unmittelbar anhafteten, sondern vielmehr auch all jene Beziehungen der Sache zur Umwelt, die nach der Verkehrsauffassung Einfluss auf die Wertschätzung der Sache hätten.
Maßgeblich ist also nicht, ob der Faktor gleichsam Teil der Sache selbst ist, sondern ob er – auch durch seine Beziehung zur Umwelt – wertbildenden Charakter hat. Somit kommt es vor allem auf das wirtschaftliche Gewicht des vereinbarten oder vorausgesetzten Umstandes an. Bei einer Herstellergarantie liegt ein solch wertbildender Faktor klar vor: Reparaturen von PKW sind teuer, und wenn der Hersteller diese ohne weitere Kosten vornehmen muss, ist dies ein ganz entscheidendes Kaufargument:
Das Bestehen einer Herstellergarantie für ein Kraftfahrzeug erfülle diese Voraussetzungen. Ihr komme beim Autokauf regelmäßig sogar ein erhebliches wirtschaftliches Gewicht zu. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen könne das Fehlen der beworbenen Herstellergarantie deshalb – bei Vorliegen der weiteren, vom Berufungsgericht nicht geprüften Voraussetzungen des § 434 Abs. 1 BGB – auch im vorliegenden Fall einen Mangel des verkauften Gebrauchtwagens begründen und den Kläger zum Rücktritt berechtigen.
Hieran ändert auch der Umstand, dass nicht direkt vom Hersteller erworben wird, sondern es sich um einen Gebrauchtwagen handelt, nichts. Zwar handelt es sich um einen der Sache nicht mehr unmittelbar anhaftenden Faktor, doch ist eine Herstellergarantie, also die Eintrittspflicht des Herstellers selbst und nicht bloß des Verkäufers des Gebrauchtwagens, wirtschaftlich von besonderer Bedeutung. Letztlich kann man die Frage stellen: Wäre der Vertrag zu den Konditionen auch ohne die vereinbarte Herstellergarantie zustande gekommen? Nein – und daher ist diese Teil der Beschaffenheit der Kaufsache. Der BGB geht insoweit sogar davon aus, dass nach allen Tatbestandsvarianten des § 434 Abs. 1 BGB ein Beschaffenheitsmerkmal gegeben ist.
III. Fazit
Für die Klausur bedeutet dies: Der Beschaffenheitsbegriff des § 434 Abs. 1 BGB muss weit sowie unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen ausgelegt werden und erfasst daher auch Beziehungen der Kaufsache zur Umwelt.
Art. 20a GG ist relativ neuer Artikel in unserem Grundgesetz. Anlässlich einer Reihe von Urteilen des BVerfG (etwa kürzlich Urt. v. 12.10.2010 – 2 BvF 1/07), die sich mit dem Thema beschäftigten, halte ich diese Norm durchaus für potentiell examensrelevant.
Normtext Art. 20a [Umweltschutz; Tierschutz]
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.
Keine subjektiven Schutzansprüche – allein objektives Verfassungsrecht
Art. 20a GG weist den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als Staatsziel aus. Dies ergibt sich bereits anhand einer grammatikalischen Auslegung und aus der systematischen Stellung. Der Gesetzgeber hat die Norm bewusst nicht unter die Grundrechte im ersten Abschnitt des GG eingereiht hat, sondern die verfassungsrechtliche Verankerung erst im zweiten Grundgesetzabschnitt und hier in räumlich-inhaltlicher Nähe zu den Staatsstrukturprinzipien aus Art. 20 GG vorgenommen
Die historische Auslegung ergibt, dass der Umweltschutz nicht in Form von subjektiven Rechten, sondern allein und nur in der Form einer Staatszielbestimmung gewollt war. Ein Umweltgrundrecht, wie es insbesondere in der politischen und rechtswissenschaftlichen Diskussion der siebziger Jahre angemahnt und eingefordert wurde, war aus politischen Erwägungen herrührend nicht gewollt.
Als Individuum lassen sich aus Art. 20a GG also keine subjektiven Rechte herleiten. Insbesondere erhalten Vorschriften, die keinen drittschützenden Charakter besitzen, einen solchen (und dadurch eine Klagebefugnis) nicht etwa dadurch, dass sie den verfassungsrechtlichen Schutzauftrag des Art. 20a GG auf unterverfassungsrechtlicher Ebene näher ausformen. Weiterhin gewinnt der einzelne aus dem ökologischen Staatsziel folgerichtig kein subjektives einklagbares Recht auf eine bestimmte legislative Tätigkeit.
Aber zumindest objektives Verfassungsrecht
Art. 20a GG enthält allerdings nicht bloß einen verfassungspolitischen Programmsatz, sondern beinhaltet eine unmittelbar geltende, an alle Formen der Staatsgewalt gerichtete, Leitlinie. Nichtsdestotrotz ist auf der anderen Seite festzustellen, dass Art. 20a GG aufgrund der situativen Offenheit und der entwicklungsbedingten Dynamik ökologischer Bedarfslagen – wie etwa auch bei dem Sozialstaatsprinzip – weitgehend offen bzw. konkretisierungsbedürftig ist.
Für die Klausur bedeutet das, dass dieser Begriff insbesondere im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung relevant werden kann. Das verfassungsrechtliche Rechtsgut „Umweltschutz i.S.d. Art 20a GG“ kann dann innerhalb der Abwägung eine Rolle spielen. In diesem Sinne hat das BVerwG ausgeführt, dass durch die ausdrückliche Einordnung der Staatszielbestimmung in die verfassungsmäßige Ordnung klargestellt werde, dass der Umweltschutz keinen absoluten Vorrang genieße, sondern in Ausgleich mit anderen Verfassungsprinzipien und ‑rechtsgütern zu bringen sei. Denkbar ist es ebenso, dass bei der Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen ein Verstoß gegen Art 20a GG geprüft werden muss.
Damit der Einbau von Art. 20a GG in der Klausur gelingt, muss in den Fällen, wo es nicht gerade um den Schutz von Tieren geht, der Begriff „natürliche Lebensgrundlagen“ definiert und subsumiert werden.
Definition des Begriffs „natürliche Lebensgrundlagen“
Eine allgemein verbindliche Definition des Begriffs „natürliche Lebensgrundlagen“ besteht nicht. Es handelt sich um einen weithin gestaltungsoffenen Begriff, der sich je nach Bedarfssituation auf dem Planeten Erde auch ändern kann. Vorsichtige und vorläufige Annäherungen bietet etwa das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (u.a. Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft).
Im Rahmen einer Klausur wäre es bei der Definition dieses Begriffes somit wichtig, darauf einzugehen, dass er die Grundlagen des Menschen erfasst, also z.B. die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, die Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, die Pflanzen- und Tierwelt sowie die Vielfalt, Eigenart und vielleicht sogar Schönheit von Natur und Landschaft. Insgesamt und grundsätzlich geht es um die Gesamtheit der Ökosysteme.
Nicht zu den „natürlichen Lebensgrundlagen“ im Sinne von Art. 20a GG gehören „schutzwürdige Sachgüter“ wie Bauweise und Kulturdenkmäler oder gar das „kulturelle Erbe“, die gelegentlich auf europäischer Rechtsebene in den Umweltschutz einbezogen werden.
Ebenso dürfen nicht die europarechtlichen Maßstäbe für Tiergerechtheit und Naturschutz zur Auslegung des Verfassungsbegriffs herangezogen werden. Das Gemeinschaftsrecht kann systematisch nicht als Mittel zur Definition von Verfassungsgütern dienen. Das EU-Recht stellt vielmehr auf einer eigenen Ebene Mindeststandards auf, deren Verletzung gesondert nach anderen Maßstäben gerügt werden kann.
Keine mittelbare Drittwirkung
Nach Sinn, Wortlaut und auch Entstehungsgeschichte ist die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG nur an den Staat bzw. dessen Zuständigkeitsträger, nicht dagegen an Private gerichtet. Als Staatszielbestimmung fällt Art. 20a GG schon wesensmäßig keine Drittwirkung zu. Art. 20a GG konstituiert zwar eine materiale Wertentscheidung zugunsten des Umweltschutzes, diese bedarf aber zuerst der Umsetzung bzw. konkreten Aktualisierung durch den Gesetzgeber.
In Privatrechtsstreitigkeiten spielt Art. 20a GG somit keine Rolle. § 241 Abs. 2 BGB erfasst in seinen Schutzpflichten bereits, dass die körperliche Integrität des Vertragspartners zu achten ist; insofern sind Fälle, bei denen aufgrund von Umweltverschmutzung Gesundheitsschäden bei Vertragspartnern auftreten, bereits hiervon erfasst. Das gleiche gilt ebenso beim Deliktsrecht im Rahmen von § 823 BGB etc., wo die Gesundheit ebenso geschützt ist.
Beschränkte Justiziabilität
Die konkrete Umsetzung des in Art. 20a GG angelegten bzw. vorgegebenen Handlungsauftrages an die legislative Gewalt ist der gerichtlichen Nachprüfbarkeit weitgehend entzogen. Von Verfassungswegen vorgegeben ist lediglich das ökologische Ziel, nicht aber auch der Weg dorthin. Dem Gesetzgeber steht somit bei der konkreten Ausgestaltung eine weite Einschätzungsprärogative zu.
Genauso kann es sich für die Exekutive verhalten, sofern etwa Umwelt- oder Tiertbelange angemessen im Tatbestand einer Norm zu berücksichtigen sind. Das bedeutet, dass Behörden diese Belange bei solchen Normen zwar zu beachten haben, wie diese Belange aber konkret umgesetzt werden, bleibt Ihnen überlassen. Das bedeutet, dass im Rahmen solcher Entscheidungen weitreichende Beurteilungsspielräume denkbar sind. Andererseits bedeutet das natürlich trotzdem, dass gerichtlich überprüfbar ist, ob die Behörde diese Belange überhaupt in Betracht gezogen hat, bzw. ob ein sog. Beurteilungsfehler vorliegt.
Verstöße gegen Art. 20a GG
Sofern etwa konkrete Ausgestaltungen des Umweltschutzes in Gesetzesform gegossen werden, hat sich der Gesetzgeber etwa in Fällen von Regelungen zur artgerechten Tierhaltung am aktuellen Stand der Wissenschaft zu orientieren (Urt. v. 12.10.2010 – 2 BvF 1/07). Bevor hier konkrete Regelungen erlassen werden konnten, besteht zudem eine vorherige Ermittlungspflicht, um diesen Stand der Wissenschaft zu ermitteln. In Zweifelsfällen dürfen neue Haltungsformen erst eingeführt werden, wenn ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen an eine artgerechte Tierhaltung nachgewiesen ist.
Weiterhin ist im Rahmen von Ermächtigungsgrundlagen für Rechtsverordnungen in Bereichen des Umwelt- und Tierschutzrechts durch geeignete Verfahrensnormen sicherzustellen, dass bei der Setzung tierschutzrechtlicher bzw. umweltrechtlicher Standards die o.g. Informationen zum Stand der Technik auch verfügbar sind und vom Verordnungsgeber genutzt werden.
Diese genannten Grundsätze lassen sich auf behördliche Entscheidungen im Umwelt- und Tierrecht übertragen. Die Behörden haben stets dafür zu sorgen, dass ihre Entscheidungen technisch auf dem aktuellen Stand sind und haben durch entsprechende Verfahren dafür zu sorgen, dass diese Informationen auch wirksam in die Entscheidung mit einfließen können.
Examensrelevanz
Da im Rahmen der Anwendung von Art. 20a GG noch eine Vielzahl an Fragen offen und da die Anwendung der Norm in weiten Teilen wohl gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist, bietet sich die Norm hervorragend zum Improvisieren in der Klausur oder mündlichen Prüfung an. Hier wird wie in den meisten Fällen von exotischen Randproblemen kein detailliertes Fachwissen abgefragt, sondern es genügen eine brauchbare Definition und Subsumtion. Darüber hinaus lassen sich Aspekte beschränkter Justiziabilität wie Beurteilungsspielräume bzw. die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers einbauen, so dass insoweit zunächst einmal eine Masse abstraktes Grundwissen präsentiert und im Einzelfall angewendet werden kann.