Verbraucher können Außergeschäftsraumverträge (kurz AGV) binnen einer Frist von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen widerrufen. Doch handelt es sich auch bei einem auf einer Messe abgeschlossenen Kaufvertrag um einen solchen AGV, mit der Folge, dass ein Verbraucherwiderrufsrecht besteht? Genau mit dieser Frage hatte sich der VIII. Zivilsenat des BGH in seiner jüngsten Entscheidung zu befassen. Da hierbei – wie so oft, wenn es um Widerrufsrechte geht – nicht nur nationale Normen, sondern auch europäisches Sekundärrecht (genauer die RL 2011/83/EU) zu Grunde lagen und überdies eine neuere EuGH-Entscheidung zu beachten war, dürfte dem Urteil – auch wegen seiner grundsätzlichen Relevanz – eine erhöhte Klausurrelevanz zukommen. Doch der Reihe nach.
I. Sachverhalt (vereinfacht)
Worum es geht, ist schnell erzählt: Der gewerbliche Verkäufer V vertreibt Einbauküchen und bot diese u.a. auf der alle zwei Jahre stattfindenden „Messe Rosenheim“ zum Kauf an. Mit dem Käufer K, einem Verbraucher, schloss er an seinem Stand einen schriftlichen Kaufvertrag über eine Einbauküche des Modells „P“ zu einem Preis von rund 10.000 €. Der Kaufvertrag enthielt keine Widerrufsbelehrung. Unbeirrt davon widerrief K noch am selben Tag seine Willenserklärung, was V aber nicht gelten lassen wollte, weshalb die Sache vor Gericht ging.
II. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 10.04.2019 – VIII ZR 82/17, BeckRS 2019, 7655)
Es stellt sich damit die Rechtsfrage, ob der wirksam geschlossene Kaufvertrag ex nunc erloschen ist, was wiederum der Fall ist, wenn K seine Willenserklärung wirksam widerrufen hat. Dazu bedarf es zunächst eines Widerrufsrechts.
Mangels vertraglich vereinbarten Widerrufsrechts kommt vorliegend nur ein gesetzliches Widerrufsrecht im Sinne der §§ 312g Abs. 1, 312b, 355 Abs. 1 S. 1, 357 BGB in Betracht. An dem dafür notwendigen Vorliegen eines Verbrauchervertrags (K ist Verbraucher, § 13 BGB, V ist Unternehmer, § 14 BGB, und es geht um eine entgeltliche Leistung, namentlich den Küchenkauf) bestehen keine Bedenken, §§ 312 Abs. 1, 310 Abs. 3 BGB.
Gleichwohl müsste es sich auch um einen AGV handeln. Darunter fallen nach der Legaldefinition des § 312b Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB Verträge, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Ein beweglicher Geschäftsraum ist wiederum ein solcher Raum, in dem der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt. Es gilt damit zu klären, ob auch ein Messestand und diese beiden Definitionen fällt. Da die genannten Vorschriften indes europarechtlich determiniert sind, muss zunächst ein Blick auf die entsprechende Richtlinie geworfen werden.
Zum Hintergrund: In einem ähnlich gelagerten Fall (dort ging es um einen von einem Unternehmer auf der Berliner Messe „Grüne Woche 2015“ betriebenen Stand) hatte der I. Zivilsenat des BGH dem EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV die Frage vorgelegt, ob es sich hierbei um einen „beweglichen Gewerberaum“ im Sinne von Art. 2 Nr. 9 lit. b) RL 2011/83/EU handelt (BGH, Beschl. v. 13.07.2017 – I ZR 135/16, EuZW 2017, 809). Der EuGH entschied daraufhin, dass es zur Beurteilung dieser Frage darauf ankomme, ob „ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen konnte, dass der betreffende Unternehmer dort seine Tätigkeiten ausübt und ihn anspricht, um einen Vertrag zu schließen […]“ (EuGH, Urt. v. 07.08.2018 – C-485/17, EuZW 2018, 742). Zur Begründung berief er sich insbesondere auf Sinn und Zweck der Widerrufsvorschriften sowie auf Erwägungsgrund 21 zur RL 2011/83/EU. Es gehe darum, den Verbraucher vor psychischen Drucksituationen sowie Überraschungs- und Überrumpelungsmomenten zu schützen. Überdies könne Erwägungsgrund 22 zur RL 2011/83/EU entnommen werden, dass auch Messestände als Geschäftsräume zu behandeln seien, soweit eben diese gerade genannten Voraussetzungen vorlägen. Auf Grund des Gebots richtlinienkonformer Auslegung ist die Entscheidung für § 312b Abs. 2 S. 1 BGB von elementarer Bedeutung respektive sind die nationalen Gerichte daran gebunden.
Überträgt man eben diese Auslegungsgrundsätze auf den vorliegenden Fall, ergibt sich ein eindeutiges rechtliches Bild:
Im Einklang mit dem Berufungsgericht geht der VIII. Zivilsenat des BGH (Rn. 25) deshalb davon aus, dass „es sich bei der ‚Messe Rosenheim‘ im Jahr 2015 um eine klassische Verkaufsmesse handelte, bei der das interessierte Publikum in 14 Ausstellungshallen mit 19 unterschiedlichen Branchen und deren Kaufangeboten in Kontakt treten konnte. Angesichts des offensichtlichen Verkaufscharakters der Messe und der breit gefächerten, teils auch hochwertige Gegenstände umfassenden Produktpalette, die in einem ‚bunten Mix‘ verschiedener Branchen – über sämtliche Hallen verteilt – präsentiert worden sei, habe das Angebot der Beklagten [hier des Verkäufers] zum Kauf der hier in Rede stehenden Einbauküche für den Kläger [hier den Käufer] nicht überraschend sein können, so dass von einer Überrumpelung nicht gesprochen werden könne.“
An diesem Ergebnis könnte sich nur dann etwas ändern, wenn man berücksichtigt, dass auf der Messe auch Händler vertreten waren, die ihre Stände zu Werbe- oder Informationszwecken betrieben. Das jedoch – so der BGH (Rn. 26) – könne an dem Auslegungsergebnis nichts ändern:
„Anders könnte es sich in Bezug auf den Messestand der Beklagten [hier des Verkäufers] nur darstellen, wenn dieser – wie etwa die von der Berufungsbegründung des Klägers [hier des Käufers] hierfür (neben anderen) exemplarisch benannten Stände der Agentur für Arbeit, der AOK, des Arbeiter-Samariter-Bunds oder von Handwerkern, die ihr Berufsbild vorstellen wollten – nach außen das Erscheinungsbild eines reinen Informations- oder Werbestands vermittelt hätte, an dem, entgegen dem einen anderen Eindruck vermittelnden generellen Verkaufscharakter der Messe, Verkäufe nicht getätigt würden.“ Da dafür im vorliegenden Fall aber nichts ersichtlich war, kam es darauf nicht weiter an.
Ein weiterer, mündlich vorgetragener Einwand des Käufers verfing ebenso wenig. Dieser hatte argumentiert, es habe es sich bei der Einbauküche um einen Kaufgegenstand gehandelt, dessen Maße erst noch durch Aufmaß hätten ermittelt werden müssen, sodass er nicht damit habe rechnen können, an dem Messestand sogleich mit einem Kaufangebot konfrontiert zu werden. Darauf ließ sich der BGH indes nicht ein und stellte unter Rekurs auf die oben zitierte EuGH-Auslegungshinweise klar (Rn. 27):
„Diese Frage [gemeint ist die Beurteilung eines Überrumpelungseffekts aus Sicht eines verständigen Verbrauchers] ist unabhängig davon zu beurteilen, ob im Hinblick auf den im Einzelfall in Rede stehenden Kaufgegenstand weitere Maßnahmen erforderlich sind, wie etwa ein Aufmaß nach den örtlichen Gegebenheiten beim Verbraucher zu nehmen, um die vertragsgemäße Leistung ordnungsgemäß erbringen zu können.“
Im Ergebnis verbleibt es also dabei, dass es sich um einen beweglichen Geschäftsraum und daher nicht um einen AGV handelt, sodass kein gesetzliches Widerrufsrecht besteht und der Kaufvertrag weiterhin wirksam ist.
III. Fazit: Verbraucherwiderruf nicht um jeden Preis
Auch wenn der EuGH zu einer weiten Auslegung der Widerrufsvorschriften tendiert, ist er doch bei Messeständen, bei denen sich der Verkaufscharakter in der Vielzahl der Fälle aufdrängen dürfte, etwas vorsichtiger in seinen Wertungen und hat zur Beurteilung eines AGVs darauf abgestellt, dass „ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen konnte, dass der betreffende Unternehmer dort seine Tätigkeiten ausübt und ihn anspricht, um einen Vertrag zu schließen […].“ Das ist freilich ein nur wenig konkreter Maßstab.
Was der BGH wiederum daraus gemacht hat, verdient volle Zustimmung; sein Urteil sollte man sich merken: Danach wird man bei einer Verkaufsmesse mit unterschiedlichen Ausstellern nicht davon ausgehen können, dass ein Verbraucher an einem Stand überrumpelt wird. Er wird vielmehr genau damit rechnen müssen, dass man mit Kaufangeboten auf ihn zukommt – ein typischer Geschäftsraumvertrag also. Eine Ausnahme gilt dann, wenn es sich um einen Messebereich handelt, der seinem äußeren Erscheinungsbild nach Werbe- und Informationszwecken dient. Ob es sich dagegen – wie konkret bei einer Einbauküche – um einen Kaufgegenstand handelt, dessen Maße beim Verbraucher erst noch durch Aufmaß ermittelt werden müssen oder – abstrakt formuliert – noch weitere Schritte nötig sind, um die vertragsgemäße Leistung später erbringen zu können, kann keine Rolle spielen.