In loser Folge wollen wir Euch in Zukunft Nebengebiete des Rechts vorstellen, die im Rahmen des Jurastudiums nur selten bis überhaupt nicht behandelt werden.
I. Maritimes Wirtschaftsrecht = Recht der Schiffe?
Beginnen wollen wir mit einem echten „Exoten“, dem Maritimen Wirtschaftsrecht. Was sich hierunter verbirgt scheint auf den ersten Blick klar zu sein. In irgendeiner Form wird sich dieses Rechtsgebiet wohl mit Schiffen befassen. Das ist richtig und greift dennoch zu kurz. Beginnen wir daher von vorne:
Schlagt dazu am besten das 5. Buch des Handelsgesetzbuchs auf, das mit der Definition des Reeders in § 476 HGB beginnt. Wer jetzt panisch wird und den Abschnitt nicht in seinem Schönfelder findet, den kann ich beruhigen. Ihr habt die Seiten nicht beim Einsortieren der letzten Ergänzungslieferung verloren. Es handelt sich vielmehr um ein echtes Randthema, auf dass die Herausgeber des Schönfelders bewusst verzichtet haben.
Das bedeutet jedoch nicht, dass dem Seehandelt untergeordnete Relevanz zuzurechnen sei. Ein Blick in die Hafenstädte der Welt macht schnell deutlich, wie wichtig der Handel über die Weltmeere ist.
Nun aber zum Juristischen. Reeder ist gem. § 476 HGB, wer ein Schiff zum Erwerb durch die Seefahrt betreibt. Auffallend ist, dass ausdrücklich auf die Seefahrt verwiesen wird. Die Regelungen der Binnenschifffahrt – also auf Flüssen und Seen – finden sich im Binnenschifffahrtsgesetz, das jedoch zu großen Teilen auf das 5. Buch des HGB verweist.
II. Seetransportrecht
Im Vordergrund steht also der erwerbsmäßige Betrieb von (See-)Schiffen. Zweck der Schifffahrt war und ist schon immer der Transport von Waren und Gütern. Daher lässt sich ein Teil des Maritimen Wirtschaftsrechts als Seetransportrecht umschreiben. Das zu transportierende Gut kann dergestalt befördert werden, dass entweder ein ganzes Schiff oder Teile eines Schiffs gechartert – also gemietet – werden. Daher finden auf die Fälle, in denen bloßer Schiffsraum angemietet wird, die Regelungen des Euch bekannten Mietrechts Anwendung, § 553 HGB.
Zentraler Bezugspunkt des Seetransportrechts ist jedoch der Stückgutfrachtvertrag aus den §§ 481 ff. HGB. Durch diesen verpflichtet sich der Verfrachter, also derjenige der das Gut verfrachtet, gegenüber dem Befrachter, das Gut zum rechtmäßigen Empfänger zu transportieren. Es handelt sich dabei in den allermeisten Fällen um ein Drei-Personen-Verhältnis, wobei Be- und Verfrachter einen Vertrag zugunsten Dritter, nämlich des Empfängers abschließen.
Die Haftung des Verfrachters richtet sich dabei nach den §§ 498 ff. HGB. Bei der Lektüre der Normen wird ein typisches Merkmal des gesamten Transportrechts deutlich. Die gesamte Haftung ist durchzogen von Haftungsbegrenzungen. § 504 HGB bestimmt, dass bei Güterschäden die Haftung auf entweder 666, 67 Rechnungseinheiten für Stück oder Einheit oder 2 Rechnungseinheiten pro Kilogramm begrenzt ist. Bei diesen ominösen Rechnungseinheiten handelt es sich um die sog. Sonderziehungsrechte (SZR), deren Wert sich nach dem Wert der wichtigsten Weltwährungen richtet. Derzeit entspricht ein SZR in etwa 1,24 €.
Hintergrund der Haftungshöchstbeträge ist die bessere Versicherbarkeit des Transports. Angenommen, ein Schiff transportiert hochkomplexe Computertechnologie in Massen, bei denen schon ein einzelner Rechenkern mehrere zehntausend Euro wert ist und sinkt auf hoher See, so würde sich der Verlust schnell auf einen dreistelligen Millionenbetrag aufsummieren und die Versicherer schnell an ihre wirtschaftliche Leistungsgrenze bringen. Diese müssten ansonsten derart hohe Versicherungsprämien verlangen, dass der gesamte Transport von vornherein unrentabel würde.
Nun denkt Ihr wahrscheinlich, dass in der heutigen Zeit kein großes Schiff mehr sinkt oder beschädigt wird. Schließlich befinden wir uns ja in einer Zeit des technischen Fortschritts und der Risikominimierung, oder?
Irrtum! Zwar nimmt die Zahl der Schiffsunfälle stetig ab, dennoch sanken (!) im Jahr 2016 insgesamt 85 Schiffe (Allianz Safety and Shipping Review 2017). Das macht im Schnitt fast ein Schiff alle vier Tage. Im selben Jahr ereigneten sich darüber hinaus 2.611 Schiffsunfälle, also ca. sieben pro Tag (ebd.). Ihr könnt Euch also vorstellen, vor welche Haftungsrisiken die Versicherer gestellt würden, gäbe es keine Haftungsbegrenzungen.
Die Haftungsbegrenzungen gelten übrigens aufgrund internationaler Abkommen im Grunde weltweit.
III. Internationales Privatrecht
Das maritime Recht ist jedoch nicht nur für Transport- und Versicherungsrechtler interessant. Auch für Freunde des internationalen Privatrechts (IPR) finden sich hier aufgrund des zwangsläufig grenzüberschreitenden Verkehrs eine Vielzahl von Problemen, die es zu lösen gilt.
Darüber hinaus kommen auch Bank- und Wertpapierrechtler auf ihre Kosten. In den allermeisten Fällen wird der Kauf von Waren über See durch Akkreditivgeschäfte abgesichert. Dabei fungiert das wichtigste Dokument des Seehandels, das Konnossement, als Dokumentenakkreditiv. Im Konnossement wird zum einen der seefrachtrechtliche Ablieferungsanspruch verbrieft. Nur der rechtmäßige Inhaber dieses Dokuments kann die Aushändigung der Ladung an sich fordern. Zum anderen ersetzt die Übergabe des Konnossements, die nach § 929 I BGB üblicherweise erforderliche Übergabe des Gutes, sodass auch sich auf See befindliche Ladung übereignet werden kann. Im Rahmen des Akkreditivgeschäfts nutzen die Banken des Verkäufers und des Käufers das Konnossement dazu, festzustellen, ob die Ware überhaupt existent ist und verschifft wurde und weisen dann die Zahlungen an. Auf diese Weise muss nicht eine der beiden Kaufvertragsparteien in Vorleistung gehen, also entweder die Ladung verschicken oder Bezahlung leisten, ohne dass eine Sicherheit für die eigenen Forderungen besteht.
IV. Das „trockene Seerecht“
Neben den oben geschilderten, eher transportrechtlich gelagerten Problemen, dem sogenannten „nassen Seerecht“, gibt es auch einen Teil der sich überwiegend an Land abspielt, das „trockene Seerecht“.
Dabei handelt es sich um die Probleme, die im Zusammenhang, mit dem Bau, dem Erwerb und der Verschrottung von Schiffen ergeben. Vielen von Euch wird da § 929a BGB, die Einigung beim Erwerb von nicht eingetragenen Seeschiffen ins Auge fallen.
In § 929a I BGB ist von einem Schiffsregister die Rede, in das Seeschiffe eingetragen werden. Dies ähnelt stark dem Grundbuch, das Ihr aus dem Immobiliarsachenrecht schon kennt.
Auch Seeschiffe werden eingetragen, um die Eigentümerstellung zu verdeutlichen. Schließlich lässt sich der Besitz eines Seeschiffs nur ähnlich schwer vorstellen, wie der eines Gebäudes oder Grundstücks. Das größte Containerschiff der Welt, die CSCL GLOBE ist fast 400m lang und knapp 60m lang, also deutlich größer als die allermeisten Häuser.
Daneben besteht auch die Möglichkeit, für ein Schiff eine Schiffshypothek zu bestellen, welche die selbe kreditsichernde Wirkung entfaltet, wie ihre Kollegin an Land.
Im Zuge der Weltwirtschaftskrise und der damit einhergehenden Schifffahrtskrise sind mittlerweile weniger die Probleme des Schiffskaufs, als vielmehr der Schiffsinsolvenzen und damit einhergehenden Veräußerungen in den Vordergrund gerückt. Insbesondere deutsche Sparer haben viel Geld in Schiffs-KGs in der Hoffnung auf hohe Rendite gesteckt. Da auf diese Weise mehr Schiffe finanziert und gebaut wurden, als auf dem Weltmarkt benötigt und gleichzeitig das Welthandelsvolumen abnahm, konnten die Schiffskapazitäten nicht genutzt werden. Daher wurden viele dieser Schiffe zwangsversteigert oder notverkauft. Daher befassen sich heutzutage immer mehr Insolvenzverwalter mit diesen Themen und beauftragen hochspezialisierte Anwälte mit der Abwicklung dieser Transaktionen.
IV. Seerecht – Me(h/e)r als nur Zivilrecht
Wer jetzt befürchtet, dass nur Zivilrechtler gefragt sind, den kann ich beruhigen. Auch im öffentlichen Recht und sogar Völkerrecht gibt es eine Vielzahl von maritimen Arbeitsbereichen. Fangen wir mit den landseitigen Fragestellungen an, die der Schiffsverkehr mit sich bringt:
Wer stellt die notwendige Infrastruktur in Häfen bereit? Wer sorgt dafür, dass die Schiffe auch in Zukunft deutsche Häfen anlaufen können (Stichwort: Elbvertiefung)? Wie kann der Umweltbelastung durch Schiffsabgase entgegengewirkt werden?
Anhand dieser Fragen kann exemplarisch dargestellt werden, wie das nationale öffentliche Recht durch Völkerrecht geprägt wird. So richten sich die Schadstoffgrenzwerte von Schiffen nach dem MARPOL-Abkommen (International Convention for the Prevention of Marine Pollution from Ships), die Übertretungen dieser Grenzwerte werden durch die deutsche See-Umweltverhaltensordnung geahndet.
Gerade auf See wird versucht, den allermeisten Problemen durch Völkerrecht zu begegnen. Dass UN-Seerechtsübereinkommen (UNCLOS – United Nation Convention on the Law of the Sea) enthält Regelungen darüber, wo die seewärtigen Grenzen der Nationalstaaten liegen, wer in welchen Meereszonen welche Tätigkeiten betreiben darf (beispielsweise der Abbau von Tiefseeressourcen oder Fischerei) und sogar die Pflicht zur Hilfeleistung auf See in Art. 98 SRÜ. Letzterer ist vor allem vor dem Hintergrund der vielen Flüchtenden auf dem Mittelmeer immer wieder in das Zentrum der aktuellen Diskussion geraten.
V.Ausblick
Der Beitrag sollte Euch zeigen, dass es sich lohnen kann, einmal über den Tellerrand des rechtwissenschaftlichen Pflichtstoffs zu blicken. Das was Ihr dort findet, bietet Euch vielleicht die Möglichkeit, die erlernten juristischen Grundlagen mit Eurem persönlichen Interesse zu verknüpfen. So wird aus dem angestrebten Beruf möglicherweise sogar eine Berufung.
Über Eure Erfahrungsberichte würden wir uns sehr freuen!
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