Wir freuen uns heute einen Gastbeitrag von Julien Lindner veröffentlichen zu können.
In einer am Samstag veröffentlichten Pressemitteilung gab die Bremer Polizei bekannt, dass ihr seit Freitagabend Hinweise auf eine erhöhte Gefährdung durch islamistische Gewalttäter vorlagen (s. aktuelle Presse). Als Reaktion auf die gesteigerte Gefährdungslage hatte die Bremer Polizei verschiedene Schutzmaßnahmen ergriffen, die bundesweit für Aufmerksamkeit sorgten. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die ergriffenen polizeilichen Maßnahmen und deren rechtliche Voraussetzungen gegeben werden.
I. Ingewahrsamnahme von Personen
Die Frage, ob die Polizei zur Gefahrenabwehr (präventiv) oder zur Strafverfolgung (repressiv) tätig wird, entscheidet nicht nur über den Rechtsweg (§ 23 EGGVG), sondern auch darüber, welche Ermächtigungsgrundlage für das polizeiliche Handeln in Betracht kommt. Die (vorläufige) Ingewahrsamnahme einer Person kann sowohl auf Polizeigesetze (etwa § 15 BremPolG) als auch auf die Strafprozessordnung (§§ 112, 127 StPO) gestützt werden. Ob das Schwergewicht vorliegend auf dem Gefahrenabwehr- oder auf dem Strafverfolgungszweck lag, war den Presseberichten nicht zu entnehmen. Letzteres könnte etwa durch einen Anfangsverdacht einer Strafbarkeit nach den neu geschaffenen §§ 89a, 89b, 91 StGB begründet sein, zumal diese Tatbestände die Strafbarkeit auf den Bereich der Vorbereitungshandlungen ausdehnen (und hierfür viel Kritik erfahren haben, s. etwa Gazeas/Grosse-Wilde/Kießling, NStZ 2009, 593). Zu denken ist insofern auch an § 129a StGB. Allerdings wurden entsprechende Straftaten in der Presse nicht erwähnt, sodass wohl eher von einer die Gefahrenabwehr bezweckenden Ingewahrsamnahme auszugehen ist. Diese findet ihre Grundlage in der Standardermächtigung des § 15 BremPolG. Der Tatbestand setzt zunächst das Bestehen eines Gewahrsamsgrundes voraus. Vorliegend ist dabei an den sog. Verhinderungsgewahrsam, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BremPolG, zu denken. Demnach darf die Polizei „eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerläßlich ist […] zur Verhinderung der unmittelbar bevorstehenden Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr, […]“. In Betracht kommt eine Begehung der o. g. Delikte sowie Körperverletzungs- und Tötungsdelikte. Unmittelbares Bevorstehen ist gleichzusetzen mit dem Begriff der gegenwärtigen Gefahr, das heißt der jederzeitigen Möglichkeit bzw. der mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (Tegtmeyer/Vahle, PolG NRW, 11. Aufl. 2014, § 35 Rn. 7, § 8 Rn. 13). Der Tatbestand setzt zudem die Unerlässlichkeit der Ingewahrsamnahme für die Verhinderung voraus. Dem Merkmal fehlt eine konstitutive Wirkung, es geht vielmehr vollständig im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, namentlich dem Erforderlichkeitserfordernis, auf; es verdeutlicht die grundrechtliche Bedeutsamkeit der Ingewahrsamnahme, welche einen Eingriff in die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 Abs. 1 (Freiheitsbeschränkung) bzw. Abs. 2 (Freiheitsentziehung) GG darstellt. Gem. § 16 BremPolG bedarf es einer unverzüglichen richterlichen Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung. Aus Art. 104 Abs. 2 S. 3 GG folgt darüber hinaus, dass jede präventivpolizeiliche Ingewahrsamnahme spätestes mit Ablauf des Tages nach der Ingewahrsamnahme enden muss (R. Schmidt, Bremisches Polizeigesetz, 2006, § 16 Rn. 2).
II. Überprüfung und Beschattung von Personen
In der Pressemitteilung der Bremer Polizei war auch von Überprüfungen von Personen die Rede. Was damit gemeint ist, ist nicht ganz klar. Zu denken ist dabei zum einen an die Befragung von Personen sowie an Gefahrerforschungseingriffe, das heißt Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts zwecks Erhärtung eines Gefahrenverdachts. Zum anderen könnte hierunter auch die (vorübergehende) Observation von Personen zu verstehen sein. Richtige Ermächtigungsgrundlage für Gefahrerforschungseingriffe ist nach ganz herrschender Meinung die polizeirechtliche Generalklausel, hier: § 10 BremPolG (vgl. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl. 2013, Rn. 86 ff.). Hiernach muss die Maßnahme notwendig sein, um „eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren“. In § 2 Nr. 3 lit. a BremPolG ist die Gefahr legal definiert als „eine Sachlage, bei der im einzelnen Falle die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit eintreten wird“. Für den Gefahrerforschungseingriff soll dagegen bereits das Vorliegen eines Gefahrenverdachts genügen, also eine Sachlage in der eine Gefahr nach objektiven Anhaltspunkte lediglich möglich, aber nicht hinreichend wahrscheinlich erscheint (R. Schmidt, Bremisches Polizeigesetz, 2006, § 10 Rn. 12, § 2 Rn. 63). Die öffentliche Sicherheit ist in § 2 Nr. 2 BremPolG legal definiert als „die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des einzelnen sowie der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt“. Bei terroristischen Anschlägen dürfte die Verletzung jedes der genannten Schutzgüter in Betracht kommen. Hinsichtlich der oben unter I. genannten Straftaten ist an eine Verletzung der Rechtsordnung zu denken. Die körperliche Unversehrtheit von Personen unterfällt zudem dem Schutzgut der „subjektiven Rechte und Rechtsgüter des einzelnen“. Bemerkenswert ist, dass selbst die Generalklausel das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraussetzt. Die polizeilichen Maßnahmen in Bremen machen daher deutlich, dass die von Bundesinnenminister Thomas de Maizière proklamierte „abstrakte hohe“ Gefahr nun doch eine konkrete geworden ist. Für die Befragung genügt gem. § 13 BremPolG bereits, dass „von der [befragten Person] Angaben zur Aufklärung eines Sachverhalts in einer bestimmten polizeilichen Angelegenheit erwartet werden können“. Sie ist abzugrenzen von der strafprozessualen informatorischen (Zeugen-)Befragung einerseits sowie der Vernehmung des Beschuldigten gem. §§ 163 f. StPO (setzt Anfangsverdacht voraus) andererseits.
Sofern mit Überprüfung eine Überwachung von Personen im Sinne einer Observation zum Zwecke der Gefahrenabwehr gemeint ist, findet diese ihre Ermächtigungsgrundlage in § 32 BremPolG. Was die formelle Rechtmäßigkeit einer Observation betrifft, sind in § 27 BremPolG grundsätzliche Anforderungen an eine präventivpolizeiliche Datenerhebung geregelt. Gem. § 32 Abs. 3 BremPolG darf die Polizei weniger als 24 Stunden dauernde Observationen (kurzfristige Observationen) durchführen, „soweit dies zum Zwecke der Gefahrenabwehr (§ 1 Abs. 1 [BremPolG]) erforderlich ist und wenn ohne diese Maßnahme die Erfüllung der polizeilichen Aufgabe gefährdet würde“. Eine solche kurzfristige Observation wäre der hier naheliegende Fall. Die Formulierung in § 32 Abs. 3 BremPolG ist allerdings fragwürdig, da sie auf eine Aufgabenzuweisungsnorm verweist (R. Schmidt, Bremisches Polizeigesetz, 2006, § 32 Rn. 13). Jedenfalls erfüllt eine konkrete Gefahr (s. o.) diese Voraussetzung.
III. Durchsuchungen von Wohnungen und Vereinsgebäuden
Zunächst muss wiederum zwischen präventivem und repressivem Polizeihandeln unterschieden werden. Geht man wiederum davon aus, dass es für die Verfolgung von Straftaten vorliegend noch am erforderlichen Anfangsverdacht fehlt, so ist nicht auf § 102 StPO, sondern auf die Standardermächtigung für die Durchsuchung von Wohnungen, § 21 BremPolG, abzustellen. Hiernach darf die Polizei „eine Wohnung ohne Einwilligung des Inhabers betreten und durchsuchen, wenn
[…]
dies zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr erforderlich ist“. Durch das Voraussetzen einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr, wird der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 13 GG Rechnung getragen. Bei einer gegenwärtigen Gefahr handelt es sich nach der Legaldefinition des § 2 Nr. 3 lit. b BremPolG um „eine Sachlage, bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder bei der diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht“. Erheblich ist gem. § 2 Nr. 3 lit. d BremPolG eine „Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut, wie Bestand des Staates, Leben, Gesundheit, Freiheit oder nicht unwesentliche Vermögenswerte“. Durchsucht wurde nach Mitteilung der Bremer Polizei auch das IKZ, ein islamisches Kulturzentrum. Fraglich ist, ob auch ein solches Vereinsgebäude im Lichte des Art. 13 GG als Wohnung i. S. d. § 21 BremPolG zu verstehen ist. Nach § 21 Abs. 1 S. 2 BremPoG umfasst die Wohnung „die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum“. Unter einem befriedeten Besitztum ist insbesondere ein bebautes Grundstück zu verstehen (vgl. Tegtmeyer/Vahle, PolG NRW, 11. Aufl. 2014, § 35 Rn. 7, § 41 Rn. 8). Demnach stellt auch das Vereinsgebäude als befriedetes Besitztum eine Wohnung i. S. d. § 21 BremPolG dar. Für Wohnungsdurchsuchungen ordnet § 22 BremPolG abgesehen von Fällen von Gefahr im Verzug zudem einen Richtervorbehalt an.
IV. Erhöhte Präsenz schwer bewaffneter Polizisten, insbesondere zum Schutz jüdischer Gemeinden
Fraglich ist, ob die erhöhte Polizeipräsenz überhaupt einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf, oder ob insofern das Bestehen einer gesetzlichen Aufgabenzuweisung an die Polizei (§ 1 BremPolG) genügt. Letzteres wäre nach allgemeiner Auffassung der Fall, sofern eine den Bürger rechtlich belastende Wirkung nicht besteht (Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl. 2013, Rn. 36). So liegt der Fall grundsätzlich bei der bloßen Präsenz von Polizisten im öffentlichen Raum, zum Beispiel bei Polizeistreifen. Gleichwohl könnte man hier aufgrund der schweren Bewaffnung und der hohen Zahl der Polizisten, die sich über längere Zeit an einem Ort aufhalten, an einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, der betroffenen Bürger, etwa der Anwohner, denken. Dann wäre wohl jedenfalls die Generalklausel des § 10 BremPolG als Ermächtigungsgrundlage einschlägig.
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