Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Maximilian Drews veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften im sechsten Semester an der Universität Bonn
Der BGH hat in einer jüngeren Entscheidung eine seit jeher diskutierte und umstrittene Frage entschieden und damit neuen Stoff für zukünftige Examensklausuren geschaffen: Ist derjenige, der ein strafunmündiges Kind zur Begehung einer vorsätzlichen, rechtswidrigen Tat veranlasst, mittelbarer Täter oder Anstifter? Jene Abgrenzung gehört schon lange zu den absoluten Examensklassikern. Im Beschluss vom 13.9.2023 (Az. 5 StR 200/23) entschied der 5. Strafsenat nunmehr, dass entgegen vieler Stimmen in derartigen Konstellationen eine Anstiftung anzunehmen ist.
I. Der Sachverhalt (leicht gekürzt)
Der dem Senat vorliegende Sachverhalt ist schnell erzählt: Die Schwägerin (S) des Angeklagten (A) floh aus Angst vor sexuellen Übergriffen durch selbigen gemeinsam mit ihren Kindern in ein Frauenhaus. Wenig später verließ der 11-jährige Sohn der S (M) das Frauenhaus mit dem Ziel, seinen Vater, der zugleich der Bruder des Angeklagten ist, für mehrere Wochen zu besuchen. Dort traf er auf A, der ihn (M) im Rahmen eines Vier-Augen-Gesprächs aufforderte seine Mutter (S) zu töten, weil sie „schlechte Sachen“ gemacht habe. Dabei solle er warten, bis sie schlafe und sie sodann unter Zuhilfenahme eines scharfen Küchenmessers erstechen. Zudem zeigt der A dem M ein Video, in dem ein Mann eine andere Person ersticht. Weitere Instruktionen zur Tat gab der A dem M nicht; letzterer sollte die Tat vielmehr „eigenmächtig zu einer von ihm selbst bestimmten Zeit begehen.“ Hierbei äußerte er (A), dass M aufgrund seines Alters ohnehin nicht bestraft werden könnte, während er selbst bei eigenhändiger Begehung der Tat in das Gefängnis müsste. Als Gegenleistung versprach der A dem M Süßigkeiten, die Rückgabe weggenommener Sachen und ein Motorrad. Daraufhin ging der M zum Schein auf den „Vorschlag“ des M ein, weil er fürchtete, seine Mutter ansonsten nicht mehr wiederzusehen. M kehrte erst ca. zwei Monate später zu seiner Mutter zurück und erzählte ihr sogleich das Vorhaben des A. S erstattete daraufhin sofort Strafanzeige gegen den A.
II. Die Entscheidung (leicht gekürzt)
Der BGH hatte sich mit der dogmatischen Frage auseinanderzusetzen, ob das Verhaltene des A ein versuchter Mord in mittelbare Täterschaft (§§ 212 I, 211, 22, 23 I, 25 I 2.Alt. StGB) sei oder ob „lediglich“ eine versuchte Anstiftung (§ 30 I 1 Alt. 1 i.V.m. §§ 212 I, 211) vorläge. Zwar hat das Reichsgericht die Anstiftung eines strafunmündigen grundsätzlich für möglich gehalten (RGSt 61, 265, 267), eine tragende Entscheidung zu dieser Konstellation hat der BGH nach eigener Aussage aber noch nicht entschieden – bis jetzt!
1) Ein Blick auf die Ansichten in der Literatur
Neben der bisher fehlenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der konkreten Frage mangelt es – wie so oft – auch an einer einheitlichen Literaturansicht.
Nach der wohl herrschenden Literaturansicht wäre A in einem solchen Fall immer als mittelbarer Täter zu bestrafen. Dabei wird die Tatherrschaft normativ (rechtlich) und nicht – so die Gegenansicht – faktisch (tatsächlich) bestimmt (MüKoStGB/Joecks/Scheinfeld, 4. Aufl. 2020, StGB § 25 Rn. 106 ff.).
Andere wiederum sehen bei Strafunmündigen gem. § 19 StGB keinen Fall einer Generalisierung, sondern folgen mitunter der schon vom Reichsgericht verfolgten Auslegung, dass auf das „hinreichende Verständnis“ des Kindes und damit die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Kindes abgestellt werden muss (BGH, Beschl. v. 13.09.2023 – Az. 5 StR 200/23, Rn. 12; Matt/Renzikowski/Haas StGB § 25 Rn. 34). Dies muss anhand einer genauen Prüfung des Einzelfalls festgestellt werden.
Für die wohl herrschende Meinung in der Literatur existieren unterschiedliche Begründungsansätze. Zum Teil wird an eine rein normative Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme angeknüpft. Dem Hintermann wird gegenüber dem Strafunmündigen eine sog. „Verantwortungsherrschaft“ oder rechtlicher Überlegenheit attestiert, sodass es nicht darauf ankommt, ob der Schuldunfähige das Unrecht tatsächlich erkennen und sich normgemäß verhalten könne. (BGH, Beschl. v. 13.09.2023 – Az. 5 StR 200/23, Rn. 10; MüKoStGB/Joecks/Scheinfeld, 4. Aufl. 2020, StGB § 25 Rn. 106). Andere stützen sich auf eine dem § 19 StGB entnommene Wertung durch den Gesetzgeber, der durch diese Norm klarstellt, dass die Verantwortung für das Tun von Kindern bei dem tatveranlassenden Hintermann liegen muss. Begründet wird dies damit, dass eine generelle Grenzziehung unabhängig von den individuellen Fähigkeiten eines Kindes nötig wäre, um Ergebnissicherheit und damit auch Rechtssicherheit gewährleisten zu können. In den Worten von Joecks/Scheinfeld beinhaltet der § 19 StGB „eine gesetzgeberische Grundentscheidung, die es der Strafjustiz untersagt, danach zu fragen, ob der kindliche Täter im konkreten Fall in der Lage war, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln“. Konsequenterweise sollen dann alle schuldunfähigen Vordermänner als Tatmittler angesehen werden (MüKoStGB/Joecks/Scheinfeld, 4. Aufl. 2020, StGB § 25 Rn. 109).
2) Die Argumentation des BGH in concreto
Der wohl herrschenden Ansicht tritt der BGH nunmehr explizit entgegen. Vielmehr folgt er der eingangs geschilderten Gegenansicht, die eine Anstiftung bei schuldunfähigen Kindern für möglich hält. Demnach könne man nur von einer mittelbaren Täterschaft ausgehen, wenn der Täter die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft inne hat, er das Geschehen mithin auch in tatsächlicher Hinsicht steuernd in den Händen hält. Dies sei einzelfallabhängig. Dafür müsse beim Strafunmündigen insbesondere die Reife, das Unrecht zu erkennen, anhand seiner sittlichen und geistigen Entwicklung berücksichtigt werden. Fehle es daran, könne man regelmäßig von der Steuerungsmacht – Tatherrschaft – des Hintermannes sprechen. Eine rein normative Abgrenzung der Täterschaft von der Teilnahme würde stets zur Täterschaft führen und keinen Raum für eine Anwendung der Teilnahme geben.
Für ein Verständnis in diesem Sinne sprechen vor allem auch der Wortlaut und die Systematik des § 26 StGB. Die Teilnahme im Strafrecht ist gekennzeichnet durch die „limitierte Akzessorietät“. Es bedarf demnach lediglich einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat, wohl aber keiner schuldhaft begangenen Tat. Zudem wird gem. § 29 StGB jeder Beteiligte zwingend nach seiner Schuld bestraft. Würde man demgegenüber der wohl herrschenden Ansicht in der Literatur folgen, so würde der Schuld des die Tat tatsächlich Umsetzenden eine maßgebliche Bedeutung zugemessen werden. Denn schließlich ist die Strafunmündigkeit gem. § 19 StGB ein (nur) die Schuld ausschließender Aspekt, aber eben keiner, der zum Wegfall einer vorsätzlichen, rechtswidrigen Haupttat führt.
Auch historische Argumente führt der BGH ins Feld. Zur Zeit des Reichsstrafgesetzbuchswurde die Teilnahme noch durch eine strenge Akzessorietät ausgezeichnet (§ 48 RStGB). Aufgrund der Sorge vor erhöhter Straflosigkeit bei der Unterstützung von Schuldunfähigen (die Gesetzesbegründung verwies insbesondere auf „Geisteskranke“), wurde 1943 aber die „limitierte Akzessorietät“ eingeführt. Diesen Schritt hätte es allerdings nicht benötigt, wenn man generell von einer mittelbaren Täterschaft bei einem schuldlosen Vordermann ausgegangen wäre. Das Nebeneinander von mittelbarer Täterschaft – die früher noch nicht fest normiert, aber bereits fest etabliert war – und Anstiftung wurde auch später vom Gesetzgeber bei der gesetzlichen Einführung der Tatbegehung „durch einen anderen“ fortgeführt und verwies zur Abgrenzung auf das Kriterium der „Tatherrschaft“. Ebenso wenig kann man aus § 19 StGB eine gesetzgeberische Wertung ziehen. Der § 19 StGB betrifft die Ebene der Schuld. Schuldhaftes Handeln des die Tat tatsächlich Ausübenden ist – wie bereits mehrfach angesprochen – aufgrund der nur „limitierten Akzessorietät“ nicht konstitutiv für eine Bestrafung als Anstifter. Zudem handelt es sich beim § 19 StGB um eine gesetzliche unwiderlegliche Vermutung, die keine Aussage über tatsächliche Verhältnisse trifft, sondern die Schuldunfähigkeit aufgrund des Alters bestimmt. Da es sich bei der Tatherrschaft aber um ein Kriterium handelt, das aufgrund tatsächlicher Verhältnisse festgestellt wird, kann § 19 StGB hierbei keine Bedeutung zukommen.
Schließlich kann noch eine Parallele zu der Unterscheidung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung in anderen Fallkonstellationen gezogen werden, bei der die Tatherrschaft nicht abstrakt auf die Verantwortlichkeit des Handelnden bezogen wird. Beispielhaft zu nennen sind die Fälle des „Täters hinter dem Täter“, bei denen ein strafrechtlich voll Verantwortlicher auch das Werkzeug eines Hintermannes sein kann.
3) Ergebnis des BGH
Auf Grundlage dieser Argumentation kam der BGH zu folgendem Schluss: Der A bestimmte weder die Wahl des Tatzeitpunktes noch weitere Einzelheiten der Tat, sondern überließ diese Entscheidungen dem M, der die Tat an einem für den A unbekannten Ort, dem Frauenhaus, durchführen sollte. Zudem legte er dem M das Unrecht der Tat offen, indem er ihm erklärte, dass er bei eigener Ausführung ins Gefängnis käme, und machte sich auch kein Reifedefizit des M zum Vorteil. Vielmehr überließ er die Tat dem M. Dem A kam somit kein steuernder Einfluss auf die Tatbegehung zu, sodass er ohne Tatherrschaft handelte und lediglich ihm so nur eine versuchte Anstiftung zur Last gelegt werden.
III. Einordnung der Entscheidung
Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme bzw. zwischen mittelbarer Täterschaft und Anstiftung war schon vor dieser Entscheidung ein ständiger Begleiter eines jeden Studierenden und wird es auch in Zukunft – trotz oder gerade wegen dieser Entscheidung – bleiben. Die Entscheidung des BGH zeigt allerdings auch, dass auch strafrechtliche Probleme mit grundlegendem „juristischen Handwerkszeug“ und insbesondere durch eine saubere Anwendung der Auslegungskanones gelöst werden können.
Es besteht zwar ein Großteil der Begründung aus der „Historie“, die in Klausuren eine wohl eher untergeordnete Rolle spielen dürfte. Gleichwohl ist offenkundig, dass auch historische Argumente zu tragfähigen Ergebnissen führen können. Man ist vor diesem Hintergrund gut beraten, sich mit grundlegenden historischen Wertungen auseinanderzusetzen.
Des Weiteren folgt der Senat bei der Abgrenzung zwischen mittelbarer Täterschaft und Teilnahme auch in diesem Fall der „gemäßigten subjektiven Theorie“ und stellt auf den Täterwillen (animus auctoris) ab, wobei dieser durch verschiedene Kriterien und vor allem einer objektiven Tatherrschaft bestimmt wird. Auffällig ist zugleich, dass die Formulierung „mit steuerndem Willen in den Händen hält“ dann doch stark an die von der h.M. in der Literatur vertretene Tatherrschaftslehre erinnert. Ein weiteres Indiz dafür, dass die Grenzen dieser beiden Theorien bei der Anwendung durch die Rechtsprechung verschwimmen und eine Annäherung zur Tatherrschaftslehre stattfindet – besser: stattgefunden hat. Es offenbart sich aber wie so oft: Es kommt auf eine strukturierte und in sich stimmige, logische Argumentation an. Dennoch bedarf es wohl (sehr) guter Argumente, um sich gegen diese lesenswerte und dogmatisch nachvollziehbare Entscheidung des BGH zu stemmen.