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Schlagwortarchiv für: Täuschung

Redaktion

Anfechtung (§ 142 I BGB)

BGB AT, Karteikarten, Rechtsgebiete, Uncategorized, Zivilrecht, Zivilrecht

I. Anfechtungsgrund

  1. 119 BGB: Inhalts-/Erklärungsirrtum (I), Eigenschaftsirrtum (II)
  2. 120 BGB: Falsche Übermittlung
  3. 123 BGB: Arglistige Täuschung/ widerrechtliche Drohung

II. Anfechtungserklärung, § 143 BGB

III. Richtiger Anfechtungsgegner

IV. Anfechtungsfrist

  1. 121 BGB: bei §§ 119, 120 BGB unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern)
  2. 124 BGB: bei § 123 BGB binnen eines Jahres

 V. Kein Ausschluss

→ Bestätigung, § 144 BGB

VI. Rechtsfolgen

  1. 142 I BGB: Nichtigkeit ex tunc → rückwirkend
  2. 122 BGB: Schadensersatz
  3. Rückabwicklung gem. §§ 812 ff. BGB
18.10.2023/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2023-10-18 07:47:072023-10-18 07:47:10Anfechtung (§ 142 I BGB)
Redaktion

Betrug (§ 263 StGB)

Karteikarten, Strafrecht, Uncategorized

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Täuschung:

Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen mit dem Ziel der Irreführung über Tatsachen
Tatsachen: Zustände und Ereignisse der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind

b) Irrtum (str. ob Zweifel einem Irrtum entgegenstehen)

c) Vermögensverfügung

Jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt

d) Vermögensschaden

Minderung des Vermögens durch Vergleich vor und nach der Vermögensverfügung

2. Subjektiver Tatbestand

a) Vorsatz bzgl. aller obj. Tatbestandsmerkmale

b) Absicht stoffgleicher und rechtswidriger Bereicherung

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

IV. Strafzumessung

V. Ggf. Strafantragserfordernis nach § 263 IV, 247, 248a StGB

17.10.2022/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2022-10-17 14:33:372023-10-04 14:41:15Betrug (§ 263 StGB)
Dr. Lena Bleckmann

OLG Celle zur Strafbarkeit der Vorlage eines gefälschten Impfpasses

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT

Im Oktober vergangenen Jahres erhielt u.a. eine Entscheidung des LG Osnabrück (Beschl. v. 26.10.2021 – 3 Ws 38/21) große Aufmerksamkeit: Sie befasste sich mit der Strafbarkeit der Vorlage gefälschter Impfausweise in einer Apotheke und lehnte diese im Ergebnis ab – juraexamen.info berichtete. Die Entscheidung bezog sich auf die alte Rechtslage, dasselbe gilt für ein nun vorliegendes Urteil des OLG Celle (Urt. v. 31.5.2022 – 1 Ss 6/22). Die Diskussion bleibt jedoch aktuell. Hier ein schneller Überblick zu den wichtigsten Eckpunkten.

I. Die Fragestellung und die Entscheidung des LG Osnabrück und anderer Gerichte

Der Knackpunkt: Die Voraussetzungen der urkundsstrafrechtlichen Spezialnormen, die sich auf Gesundheitszeugnisse beziehen (§§ 277 ff. StGB), präziser noch der Tatbestand des Gebrauchens unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach § 279 StGB, war nicht erfüllt. Ein Rückgriff auf die allgemeinere Norm des § 267 StGB in Form des Gebrauchens einer unechten Urkunde (§ 267 Abs. 1 Var. 3 StGB) wurde zwar untersucht – denn auch das Gesundheitszeugnis ist eine Urkunde –, im Ergebnis aber wegen Spezialität der §§ 277 ff.  StGB abgelehnt. Das LG Osnabrück war nicht allein in der Auffassung, dass § 277 ff. StGB eine Sperrwirkung gegenüber § 267 StGB entfaltet (siehe etwa OLG Bamberg, Beschl. v. 17.1.2022 – 1 Ws 732-733/21; LG Karlsruhe, Beschl. v. 26.11.2021 – 19 QS 90/21).

II. Die abweichende Ansicht u.a. des OLG Celle

Andere Ansicht nun das OLG Celle. Schon im ersten Leitsatz heißt es dort: „Der Tatbestand der Urkundenfälschung nach § 267 StGB wird bei der Vorlage eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke zwecks Erlangung eines COVID-19-impfzertifikats nicht durch die Vorschriften der §§ 277 bis 279 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung verdrängt“. Zwar geht auch das OLG Celle davon aus, dass es sich bei § 279 StGB um eine gegenüber § 267 StGB speziellere Regelung handelt Eine Sperrwirkung soll aufgrund der Spezialität allerdings nur eintreten, wenn sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (siehe Rn. 16, 22). Dass dies im Hinblick auf das Gebrauchen von Gesundheitszeugnissen nach § 279 StGB bei Vorlage eines falschen Impfausweises in einer Apotheke nicht der Fall ist, ist unstreitig – die Apotheke ist schon keine Behörde, was die Norm jedoch bis zum 24.11.2021 voraussetzte (siehe hierzu ausführlich unseren Beitrag zur Entscheidung des LG Osnabrück). Eine Verdrängungswirkung gegenüber § 267 StGB lehnt das OLG Celle nunmehr mit Blick auf die ansonsten eintretende Privilegierung des Täters ab (Rn. 22.). Das Gericht nimmt eine mustergültige Auslegung nach Wortlaut, Historie, Systematik und Gesetzeszweck vor, die in dieser Struktur auch jedem Klausurbearbeiter anzuraten ist. Das Ergebnis ist dabei in der Klausur zweitrangig – das zeigen schon die zahlreichen divergierenden Entscheidungen, die mittlerweile vorliegen. Ebenso, wie die Auffassung des LG Osnabrück mehrere Anhänger fand, steht auch die Entscheidung des OLG Celle nicht allein. Zu demselben Ergebnis gelangten etwa bereits das OLG Hamburg (Beschl. v. 27.1.2022 – 1 WS 114/21), das OLG Stuttgart (Beschl. v. 8.3.2022 – 1 Ws 33/22) und das OLG Schleswig (Beschl. v. 31.3.2022).

III. Aktuelle Rechtslage und Ausblick

Die im vergangenen Jahr unter anderem vom LG Osnabrück bekundete Strafbarkeitslücke hat der Gesetzgeber zu schließen gesucht und den Gebrauch unrichtiger Impfbescheinigungen in § 75a Abs. 3 Nr. 2 IfSG unter Strafe gestellt. Auch wurde § 279 StGB erweitert und bezieht sich nunmehr auf die Täuschung im Rechtsverkehr, nicht mehr allein auf Täuschungen gegenüber Behörden und Versicherungsgesellschaften. Zwischen den nebenstrafrechtlichen Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes und §§ 278, 279 StGB in der aktuellen Fassung kann Idealkonkurrenz bestehen (BT-Drucks. 20/15, S. 35). Folgt man der Auffassung, die nun auch das OLG Celle vertritt, wären diese Anpassungen nicht zwingend notwendig gewesen, eine Strafbarkeitslücke hätte aufgrund der Anwendbarkeit des § 267 StGB nicht bestanden. Die aktuelle Entscheidung zeigt: Trotz der gesetzlichen Anpassungen läuft die Debatte weiter und bleibt so auch prüfungsrelevant. Es ist insbesondere Examenskandidaten zu empfehlen, hier auf dem Laufenden zu bleiben und sich mit den wesentlichen Argumentationslinien vertraut zu machen. Sowohl die aktuelle Gesetzeslage – trotz des Bezugs zum Nebenstrafrecht – als auch die gerichtlichen Entscheidungen, die sich noch auf die alte Rechtslage beziehen, sollten jedenfalls in ihren Grundzügen bekannt sein.

Im Oktober vergangenen Jahres erhielt u.a. eine Entscheidung des LG Osnabrück (Beschl. v. 26.10.2021 – 3 Ws 38/21) große Aufmerksamkeit: Sie befasste sich mit der Strafbarkeit der Vorlage gefälschter Impfausweise in einer Apotheke und lehnte diese im Ergebnis ab – juraexamen.info berichtete. Die Entscheidung bezog sich auf die alte Rechtslage, dasselbe gilt für ein nun vorliegendes Urteil des OLG Celle (Urt. v. 31.5.2022 – 1 Ss 6/22). Die Diskussion bleibt jedoch aktuell. Hier ein schneller Überblick zu den wichtigsten Eckpunkten.

I. Die Fragestellung und die Entscheidung des LG Osnabrück und anderer Gerichte

Der Knackpunkt: Die Voraussetzungen der urkundsstrafrechtlichen Spezialnormen, die sich auf Gesundheitszeugnisse beziehen (§§ 277 ff. StGB), präziser noch der Tatbestand des Gebrauchens unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach § 279 StGB, war nicht erfüllt. Ein Rückgriff auf die allgemeinere Norm des § 267 StGB in Form des Gebrauchens einer unechten Urkunde (§ 267 Abs. 1 Var. 3 StGB) wurde zwar untersucht – denn auch das Gesundheitszeugnis ist eine Urkunde –, im Ergebnis aber wegen Spezialität der §§ 277 ff.  StGB abgelehnt. Das LG Osnabrück war nicht allein in der Auffassung, dass § 277 ff. StGB eine Sperrwirkung gegenüber § 267 StGB entfaltet (siehe etwa OLG Bamberg, Beschl. v. 17.1.2022 – 1 Ws 732-733/21; LG Karlsruhe, Beschl. v. 26.11.2021 – 19 QS 90/21).

II. Die abweichende Ansicht u.a. des OLG Celle

Andere Ansicht nun das OLG Celle. Schon im ersten Leitsatz heißt es dort: „Der Tatbestand der Urkundenfälschung nach § 267 StGB wird bei der Vorlage eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke zwecks Erlangung eines COVID-19-impfzertifikats nicht durch die Vorschriften der §§ 277 bis 279 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung verdrängt“. Zwar geht auch das OLG Celle davon aus, dass es sich bei § 279 StGB um eine gegenüber § 267 StGB speziellere Regelung handelt Eine Sperrwirkung soll aufgrund der Spezialität allerdings nur eintreten, wenn sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (siehe Rn. 16, 22). Dass dies im Hinblick auf das Gebrauchen von Gesundheitszeugnissen nach § 279 StGB bei Vorlage eines falschen Impfausweises in einer Apotheke nicht der Fall ist, ist unstreitig – die Apotheke ist schon keine Behörde, was die Norm jedoch bis zum 24.11.2021 voraussetzte (siehe hierzu ausführlich unseren Beitrag zur Entscheidung des LG Osnabrück). Eine Verdrängungswirkung gegenüber § 267 StGB lehnt das OLG Celle nunmehr mit Blick auf die ansonsten eintretende Privilegierung des Täters ab (Rn. 22.). Das Gericht nimmt eine mustergültige Auslegung nach Wortlaut, Historie, Systematik und Gesetzeszweck vor, die in dieser Struktur auch jedem Klausurbearbeiter anzuraten ist. Das Ergebnis ist dabei in der Klausur zweitrangig – das zeigen schon die zahlreichen divergierenden Entscheidungen, die mittlerweile vorliegen. Ebenso, wie die Auffassung des LG Osnabrück mehrere Anhänger fand, steht auch die Entscheidung des OLG Celle nicht allein. Zu demselben Ergebnis gelangten etwa bereits das OLG Hamburg (Beschl. v. 27.1.2022 – 1 WS 114/21), das OLG Stuttgart (Beschl. v. 8.3.2022 – 1 Ws 33/22) und das OLG Schleswig (Beschl. v. 31.3.2022).

III. Aktuelle Rechtslage und Ausblick

Die im vergangenen Jahr unter anderem vom LG Osnabrück bekundete Strafbarkeitslücke hat der Gesetzgeber zu schließen gesucht und den Gebrauch unrichtiger Impfbescheinigungen in § 75a Abs. 3 Nr. 2 IfSG unter Strafe gestellt. Auch wurde § 279 StGB erweitert und bezieht sich nunmehr auf die Täuschung im Rechtsverkehr, nicht mehr allein auf Täuschungen gegenüber Behörden und Versicherungsgesellschaften. Zwischen den nebenstrafrechtlichen Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes und §§ 278, 279 StGB in der aktuellen Fassung kann Idealkonkurrenz bestehen (BT-Drucks. 20/15, S. 35). Folgt man der Auffassung, die nun auch das OLG Celle vertritt, wären diese Anpassungen nicht zwingend notwendig gewesen, eine Strafbarkeitslücke hätte aufgrund der Anwendbarkeit des § 267 StGB nicht bestanden. Die aktuelle Entscheidung zeigt: Trotz der gesetzlichen Anpassungen läuft die Debatte weiter und bleibt so auch prüfungsrelevant. Es ist insbesondere Examenskandidaten zu empfehlen, hier auf dem Laufenden zu bleiben und sich mit den wesentlichen Argumentationslinien vertraut zu machen. Sowohl die aktuelle Gesetzeslage – trotz des Bezugs zum Nebenstrafrecht – als auch die gerichtlichen Entscheidungen, die sich noch auf die alte Rechtslage beziehen, sollten jedenfalls in ihren Grundzügen bekannt sein.

14.06.2022/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2022-06-14 10:28:002022-08-03 08:29:10OLG Celle zur Strafbarkeit der Vorlage eines gefälschten Impfpasses
Gastautor

Keine Hinweispflicht des Verkäufers auf Doppelmord in Wohnhaus: Urteil des LG Coburg vom 06.10.2020 – 11 O 92/20

BGB AT, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns, einen Gastbeitrag von Philippe Keller veröffentlichen zu können. Der Autor hat Rechtswissenschaften in Bonn studiert und verfolgt dort derzeit ein Promotionsvorhaben. Außerdem ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Kölner Großkanzlei.

Das LG Coburg hatte sich in einem erst kürzlich veröffentlichten Urteil vom 06.10.2020 (Az. 11 O 92/20) mit der Anfechtung eines Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung durch Verschweigen, und damit einem klassischen und examensrelevanten Problem des BGB-AT, zu beschäftigen. Kurz gesagt ging es darum, dass die Verkäuferin eines Wohnanwesens die Käuferin nicht darüber informiert hatte, dass sich in dem Haus ein Doppelmord an einer Frau und ihrem kleinen Kind ereignet hatte.

I.       Sachverhalt

Hintergrund war ein Immobilienerwerb im Jahr 2018. Die Klägerin (K) kaufte mit notariellem Vertrag vom 13.12.2018 ein Wohnanwesen von der Beklagten (B) zur Eigennutzung. Ein knappes Jahr später fand K heraus, dass es sich bei der Immobilie um den Schauplatz eines Doppelmordes an einer Frau und ihrem Kleinkind im Jahre 1998 handelte. Durch die Geschichte des Hauses ist K nun psychisch belastet. Sie hätte das Anwesen nicht gekauft, wenn sie von der düsteren Vorgeschichte gewusst hätte. Am 13.12.2019 erklärte K deshalb gegenüber B die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung und verlangte die Rückabwicklung des Vertrags.

B, die das Anwesen ihrerseits 2004 erworben hatte, erfuhr damals auch erst nach dem Kauf von dessen Geschichte, hatte somit aber jedenfalls zu dem Zeitpunkt der Veräußerung an K Kenntnis. Sie informierte K jedoch hiervon im Rahmen des Immobilienerwerbs nicht. B und ihr damaliger Ehemann hatten vielmehr auch nach Kenntniserlangung von dem Doppelmord noch mehr als zehn Jahre dort gewohnt, da dieser für sie keine große Rolle gespielt hatte und sie sich keine weiteren Gedanken darüber gemacht hatten.

II.    Rechtliche Einordnung

Das rechtliche Kernproblem liegt in der Frage, wann eine arglistige Täuschung durch Verschweigen vorliegt. Nachfolgend soll diese durch das LG Coburg (unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des BGH) für den konkreten Fall beantwortete Frage erläutert werden.

Zur Geltendmachung ihres Anspruchs auf Rückzahlung des Kaufpreises aus rechtsgrundloser Bereicherung nach erfolgreicher Anfechtung wegen arglistiger Täuschung Zug um Zug gegen die Rückübereignung des Wohnanwesens kann K sich hier zunächst auf § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB i.V.m. §§ 142 Abs. 1, 123 Abs. 1 Var. 1 BGB berufen.

B hat den Kaufpreis durch Leistung von K erlangt. Fraglich ist jedoch, ob der Rechtsgrund durch Anfechtung des Kaufvertrags ex tunc (nach der m.M. ex nunc und damit § 812 Abs. 1 S. 2 Var. 1) entfallen ist. Wenn wie hier die Anfechtung eines Kaufvertrags aus Gründen erfolgt, die auch einen Mangel darstellen könnten, ist zumindest gedanklich zu prüfen, ob die Anfechtung nicht durch den Vorrang der §§ 437 ff. BGB ausgeschlossen ist (tatsächlich ist dies nur bei einem Eigenschaftsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB der Fall)[1]. Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist jedenfalls aufgrund des unterschiedlichen Schutzzwecks nicht ausgeschlossen.[2] K als Anfechtungsberechtigte hat die Anfechtung gegenüber B als richtiger Anfechtungsgegnerin gemäß § 143 Abs. 1, 2 BGB erklärt.[3] Auch die einjährige Anfechtungsfrist nach Kenntniserlangung gemäß § 124 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Abs. 1 BGB wurde eingehalten.

III.  Anfechtungsgrund: arglistige Täuschung durch Verschweigen

Die entscheidende Frage ist jedoch, ob eine arglistige Täuschung durch B und damit ein Anfechtungsgrund nach § 123 Abs. 1 Var. 1 BGB vorlag. Das LG Coburg führt hierzu aus:

„Bei einer Täuschung durch Verschweigen eines offenbarungspflichtigen Umstandes handelt arglistig, wer den Umstand kennt oder ihn für möglich hält und gleichzeitig weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragspartner den Umstand nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit diesem Inhalt geschlossen hätte (BGH, NJW 1995, Seite 1549f.).“

1.      Täuschung

a)      Offenbarungspflicht

Eine Täuschung kann auch durch ein Unterlassen begangen werden. Grundsätzlich muss aber jede Vertragspartei selbst ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Es gibt keine allgemeine Pflicht zur Offenbarung aller Umstände, die für die andere Partei von Bedeutung für den Vertragsschluss sein könnten. Nur ausnahmsweise kommt eine Offenbarungspflicht in Betracht. Ganz im Sinne der Rechtsprechung des BGH[4] verlangt das LG Coburg für das Vorliegen einer solchen, dass

„[…] der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise Aufklärung über den betreffenden. Umstand erwarten darf.“

Ist nun die Tatsache, dass ein grausames Verbrechen in einem Wohnanwesen stattgefunden hat, ein solcher offenbarungspflichtiger Umstand, über den der Vertragspartner Aufklärung erwarten darf? Wie so oft heißt es auch hier wieder „es kommt drauf an“.

b)     Zeitfaktor: Bedeutung eines Verbrechens nimmt mit der Zeit ab

Grundsätzlich ist nach der Überzeugung des Gerichts die Tatsache, dass in einem zum Verkauf stehenden Haus ein Verbrechen stattgefunden hat, schon aufklärungspflichtig. Allerdings spiele der zeitliche Faktor eine entscheidende Rolle,

„[…] da bei objektiver Bewertung die Bedeutung eines derartigen Umstandes für die Kaufentscheidung mit zunehmendem Zeitablauf geringer wird.“

Hier lagen zwischen dem Doppelmord und dem Vertragsschluss gut 20 Jahre. Eine Zeitspanne, die nach Ansicht des Gerichts dazu führt, dass

„[…] über ein so lange zurückliegendes Verbrechen ohne Nachfrage oder ohne Hinzutreten besonderer Umstände […]“

nicht aufgeklärt werden muss. Vorliegend hat weder K nachgefragt, noch lagen besondere Umstände vor, die an der Beurteilung etwas geändert hätten. Es liegt somit schon keine Täuschung vor.

2.      Arglist

Sicherheitshalber und im Hinblick auf das Gewährleistungsrecht taktisch geschickt widmet sich das LG aber auch noch dem Merkmal der Arglist. Arglistig handelt, wie bereits oben erwähnt, nur der,

„[…] der damit rechnet bzw. billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragspartner den Umstand nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit diesem Inhalt geschlossen hätte.“

Das Gericht stellt darauf ab, dass das Verbrechen für B und ihren damaligen Ehemann keine Bedeutung gehabt habe. Dies zeige sich daran, dass beide auch nach Kenntniserlangung noch über ein Jahrzehnt selbst in dem Anwesen gewohnt hätten. Insoweit glaubt das Gericht der B, dass sie sich bei dem Verkauf keine Gedanken über die tragische Geschichte des Hauses gemacht habe.

„Sie hat daher gerade nicht billigend in Kauf genommen, dass die Klägerin den Vertrag bei Kenntnis der entsprechenden Umstände nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte.“

B hätte das Verbrechen somit auch nicht arglistig verschwiegen, wenn es sich dabei um einen offenbarungspflichtigen Umstand gehandelt hätte.

3.      Mängelgewährleistungsrechte

Die Frage, ob es sich bei der Geschichte des Hauses um einen Sachmangel handelt, konnte vorliegend unbeantwortet bleiben, da der Kaufvertrag einen Haftungsausschluss für Sach- und Rechtsmängel enthielt

„[…] und somit nur arglistig verschwiegene Mängel entsprechende Gewährleistungsansprüche des Käufers auslösen könnten.“

Mangels Arglist scheiden deshalb auch Gewährleistungsansprüche, wie die Rückabwicklung oder Schadensersatz für vergebens getätigte Aufwendungen, aus.

IV. Fazit

Auch hinter einer reißerischen Überschrift und einem tragischen Doppelmord kann sich am Ende ein klassisches Anfechtungsproblem des BGB-AT verbergen. Eine Offenlegungspflicht des Verkäufers besteht nur in Ausnahmefällen und zwar dann, wenn es sich um Umstände handelt, bei denen der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise Aufklärung erwarten darf. Ein solch schweres Verbrechen wie ein Doppelmord ist grundsätzlich ein solcher Umstand. Allerdings nimmt seine Bedeutung nach objektiver Betrachtung mit der Zeit an Bedeutung für die Kaufentscheidung ab. Ohne das Hinzutreten besonderer Umstände ist diese Information mehr als 20 Jahre nach dem Verbrechen nicht mehr unbedingt offenzulegen.

Das Urteil bietet eine hervorragende Grundlage für einen Klausurfall mit dem Schwerpunkt auf der Arglistanfechtung. Ergänzen ließe sich eine Klausur gut durch eine im Originalsachverhalt angelegte Vertretungsproblematik. Bei fortgeschrittenen Klausuren sind auch eine prozessuale Einkleidung sowie die vertiefte Problematisierung des Haftungsausschlusses denkbar.

Das Schema zur Anfechtungsprüfung findet sich hier.

[1] Vgl. m.w.N. MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 29-34.

[2] BeckOK BGB/Wendtland, 60. Ed. 1.11.2021, BGB § 123 Rn. 40.

[3] Im Ausgangsfall ließ K sich hierbei vertreten, so dass in einer Klausur an dieser Stelle ein Anknüpfungspunkt für stellvertretungsrechtliche Probleme sein kann.

[4] BGH NJW 2001, 64; NJW-RR 1998, 1406; NJW-RR 1991, 439; NJW 1989, 763.

04.03.2022/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-03-04 09:25:002022-07-21 09:44:15Keine Hinweispflicht des Verkäufers auf Doppelmord in Wohnhaus: Urteil des LG Coburg vom 06.10.2020 – 11 O 92/20
Gastautor

Neues zum Dieselskandal: Rücktritt vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung?

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Alexandra Ritter veröffentlichen zu können. Die Autorin studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist am Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit am Lehrstuhl von Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) tätig.
Mit Urteil vom 29.9.2021 (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris) hat der BGH entschieden, dass Käufer eines vom Dieselskandal betroffenen Pkw nicht ohne Fristsetzung vom Kaufvertrag zurücktreten können. Dem Verkäufer müsse grundsätzlich Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben werden. Der vom BGH entschiedene Fall ist wie gemacht für eine Klausur in Studium und Examen. Er bietet damit Anlass, sich anhand der aktuellen Problematik mit dem prüfungsrelevanten Thema des Rücktritts auseinanderzusetzen.
I. Der Sachverhalt
Vereinfacht dargestellt ging es in dem dem Urteil zugrunde liegenden Fall um Folgendes: Der Kläger (K) kaufte vom beklagten Autohändler (V) im Februar 2015 einen Škoda, dessen Motor von der Volkswagen AG hergestellt war. Der Motor ist mit einer Software versehen, die erkennt, ob sich das Fahrzeug im Normalbetrieb oder auf einem Prüfstand zur Messung der maßgeblichen Werte für eine Typgenehmigung befindet. In dem Fahrmodus, der für den Fall des Durchlaufens des Prüfstands programmiert ist, kommt es im Vergleich zum regulären Fahrbetrieb zu einer erhöhten Abgasrückführung und damit zu einer Verringerung des Stickoxidausstoßes. Dieser Umstand wurde im Herbst 2015 öffentlich bekannt gemacht.
Für die fehlerhafte Software wurde ein Update entwickelt, das die Fehler beseitigt. Dieses Update wurde von der zuständigen britischen Vehicle Certification Agency freigeben mit der Bestätigung, dass es zur Fehlerbehebung geeignet sei.
Der Kläger ließ das Software-Update nicht aufspielen, weil er befürchtete, dass dieses mit negativen Folgen für das Fahrzeug verbunden sei. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2017 erklärte K gegenüber V den Rücktritt vom Kaufvertrag. V verweigerte die Rücknahme des Fahrzeugs und verwies K auf das zur Verfügung stehende Software-Update.
Hat K einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises?
II. Gutachterliche Lösung
K könnte gegen V einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 346 I BGB haben.
1. Kaufvertrag
K und V haben im Februar 2015 einen Kaufvertrag i.S.v. § 433 BGB über den Škoda geschlossen.
2. Mangel bei Gefahrübergang
Damit K die Mängelgewährleistungsrechte der §§ 437 ff. BGB geltend machen kann, müsste die Kaufsache bei Gefahrübergang mangelhaft gewesen sein.
a) Mangel
Mangels Beschaffenheitsvereinbarung gem. § 434 I 1 BGB und vorausgesetzter besonderer Verwendung gem. § 434 I 2 Nr. 1 BGB, kommt ein Sachmangel gem. § 434 I 2 Nr. 2 BGB in Betracht.
Danach hat die Sache einen Mangel, wenn sie sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und nicht eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Die unzulässige Abschalteinrichtung birgt die Gefahr einer Betriebsuntersagung gem. § 5 I FZV und führt so zu einer herabgesetzten Eignung des Fahrzeugs zur gewöhnlichen Verwendung (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 20). Zudem ist eine solche Abschalteinrichtung bei Sachen der gleichen Art nicht üblich und der Käufer kann erwarten, dass der Wagen keine Abschalteinrichtung einprogrammiert hat. Somit liegt ein Sachmangel i.S.v. § 434 I 2 Nr. 2 BGB vor.
b) Gefahrübergang
Der Mangel müsste schon bei Gefahrübergang vorgelegen haben. Gem. § 446 S. 1 BGB geht die Gefahr mit Übergabe der Kaufsache auf den Käufer über. Die Abschalteinrichtung wurde schon vom Motorhersteller eingerichtet, sodass der Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlag.
c) Zwischenergebnis
Der Anwendungsbereich für die Mängelgewährleistungsrechte gem. §§ 437 ff. BGB ist eröffnet
3. Weitere Rücktrittsvoraussetzungen
Gem. § 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB kann K nach den §§ 440, 323, 326 V BGB vom Kaufvertrag zurückgetreten. Dazu müsste K den Rücktritt gem. § 349 BGB erklärt und gem. § 323 I BGB eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt haben.
a) Erklärung
Die Rücktrittserklärung gem. § 349 BGB ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Mit Schreiben vom 4.10.2017 hat K gegenüber V seinen Willen vom Vertrag zurückzutreten zum Ausdruck gebracht. Diese Erklärung ist V auch zugegangen (§ 130 I BGB). Eine Rücktrittserklärung des K liegt vor.
b) Frist
Gem. § 323 I BGB müsste K dem V zunächst eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt haben. Hier hat K dem V jedoch den Rücktritt erklärt, ohne ihm zuvor die Gelegenheit zur Nacherfüllung zu gewähren. Eine Fristsetzung liegt damit nicht vor.
Die Fristsetzung könnte jedoch entbehrlich sein.
aa) § 323 II Nr. 3 BGB
(1) Zunächst kommt eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 323 II Nr. 3 BGB wegen etwaigen arglistigen Verhaltens in Betracht. Gem. § 323 II Nr. 3 BGB ist die Fristsetzung entbehrlich, wenn im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen.
„Ein die sofortige Rückabwicklung des Kaufvertrags rechtfertigendes überwiegendes Käuferinteresse ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn der Verkäufer dem Käufer einen ihm bekannten Mangel bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen hat […]. In diesen Fällen ist in aller Regel ein den Verkäuferbelangen vorgehendes Interesse des Käufers anzuerkennen, von einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Verkäufer Abstand zu nehmen, um sich vor möglichen weiteren Täuschungsversuchen zu schützen […]. Denn durch das arglistige Verschweigen eines Mangels entfällt auf Seiten des Käufers regelmäßig die zur Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage, während der Verkäufer die Möglichkeit zur nachträglichen Mangelbeseitigung in der Regel nicht verdient, wenn er den ihm bekannten Mangel vor Vertragsschluss hätte beseitigen können und damit im Vorfeld der vertraglichen Beziehungen bereits die Chance hatte, eine Rückabwicklung des später geschlossenen Vertrags zu vermeiden […].“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021– VIII ZR 111/20, juris Rn. 24)
V hatte als Händler im Zeitpunkt der Einigung zwischen V und K keine Kenntnis von der Mangelhaftigkeit des Wagens und diesen somit auch nicht arglistig verschwiegen.
Allerdings hatte der Hersteller des Wagens, die Volkswagen AG, Kenntnis von der Mangelhaftigkeit.
„Zwar kann die Vertrauensgrundlage zwischen einem Käufer und einem Verkäufer unter Umständen auch dann gestört sein, wenn der Verkäufer sich bei Vertragsabschluss ordnungsgemäß verhalten hat, jedoch der Hersteller des Fahrzeugs dieses mit einer ihm bekannten und verschwiegenen unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht hat und der Verkäufer nun allein eine Nachbesserung in Form eines von diesem Hersteller entwickelten Software-Updates anbietet. Dabei kommt es darauf an, ob spätestens bei Erklärung des Rücktritts […] die Vertrauensgrundlage zwischen den Parteien so gestört war, dass eine Nacherfüllung (vgl. § 323 Abs. 1 BGB), also eine Nachbesserung oder eine Ersatzlieferung, für den Käufer unter Einbeziehung des Herstellers nicht zumutbar war. Ob dies der Fall ist, hängt jedoch von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die der Tatrichter nicht schematisch, sondern in sorgfältiger Abwägung zu würdigen hat.“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 27)
Solche Anhaltspunkte dafür, dass K die Nacherfüllung unter Einbeziehung des V nicht zumutbar war, lassen sich dem Sachverhalt nicht entnehmen.
V könnte sich allenfalls die Kenntnis von der Mangelhaftigkeit und ein arglistiges Vorgehen des Herstellers nach § 278 BGB, 166 BGB analog zurechnen lassen müssen.
Dazu müsste die Volkswagen AG als Herstellerin Erfüllungsgehilfin des V i.S.v. § 278 BGB gewesen sein. Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen Gegebenheiten mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird (BeckOK BGB/Lorenz, 59. Ed. Stand: 1.8.2021, § 278 Rn. 11). Die Volkswagen AG könnte bei der dem V gem. § 433 I BGB obliegenden Verbindlichkeit, dem K ein mangelfreies Fahrzeug zu übereignen, tätig geworden sein. Dagegen spricht aber, dass ein Hersteller bei der Herstellung künftiger Kaufsachen eigene Aufgaben erfüllt und nicht solche des späteren Händlerverkäufers. Eine Stellung der Volkswagen AG als Erfüllungsgehilfin des V ist somit abzulehnen.
Damit muss sich V etwaiges arglistiges Verhalten der Herstellerin nicht zurechnen lassen. Eine Entbehrlichkeit der Frist lässt sich aus der Kenntnis der Mangelhaftigkeit der Herstellerin somit nicht begründen.
(2) Eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 323 II Nr. 3 BGB könnte aus dem Umstand herrühren, dass die Installation des Software-Updates zu anderen Mängeln am Wagen führen könnte. Ob das Software-Update solche Konsequenzen hat, lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen. Es genügt nach Auffassung des BGH hier auch nicht, dass solche sich anschließenden Mängel nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ausgeschlossen sind (BGH, Urteil v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 33 ff.).

– die Ausführungen des BGH beziehen sich hier auch auf Fehler der Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Für die Ausführungen im Gutachten kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass der Entbehrlichkeitsgrund nach § 323 II Nr. 2 BGB eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall fordert. Ein nicht hinreichend belegter Verdacht einer Vertragspartei, wie in diesem Fall, genügt nicht, um die Entbehrlichkeit zu begründen (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 38).

Hilfsweise sei an dieser Stelle die Interessenabwägung bei angenommener Unzumutbarkeit der Nacherfüllung durch Nachbesserung für K aufgezeigt.
„Selbst wenn die Nacherfüllung für den Kläger unzumutbar wäre, träte damit das Interesse der Beklagten an einer vom Gesetzgeber durch das Instrument der Nacherfüllung grundsätzlich eingeräumten „zweiten Andienung“ nicht automatisch zurück. Denn der Beklagten war das Vorhandensein der unzulässigen Abschalteinrichtung vor oder bei Vertragsschluss nicht bekannt. Sie hatte daher nicht die Möglichkeit, diesen Mangel frühzeitig zu beseitigen. Gerade diesem Umstand kommt aber nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung entscheidendes Gewicht für ein Zurücktreten der Belange des täuschenden Verkäufers im Rahmen der Interessenabwägung nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu […]-. Der Beklagten ist eine Berufung auf eine „zweite Andienung“ auch nicht per se deswegen zu versagen, weil ihr eine mögliche Arglist des Herstellers zuzurechnen wäre. Denn eine Zurechnung eines solchen Herstellerverhaltens gemäß § 278 BGB, § 166 BGB analog scheidet aus […].“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 37)

Die Fristsetzung war auch unter Berücksichtigung der Behauptung des K entbehrlich gem. § 323 II Nr. 3 BGB.
bb) § 440 BGB
Die Fristsetzung könnte entbehrlich sein gem. § 440 BGB. Hiernach bedarf es einer Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht, wenn dem Käufer die ihm zustehende Art der Nacherfüllung unzumutbar ist. Eine solche Unzumutbarkeit lässt sich aus den geschilderten Umständen – wie dargestellt – aber gerade nicht begründen. Die Frist ist somit auch nicht gem. § 440 BGB entbehrlich.
cc) § 326 V BGB
Zuletzt könnte die Fristsetzung entbehrlich sein gem. § 326 V BGB. Dazu müssten beide Arten der Nacherfüllung unmöglich i.S.v. § 275 I – III BGB sein.
„Vorliegend steht nicht fest, ob eine mangelfreie Nachlieferung des ursprünglichen Modells zum Zeitpunkt des Rücktritts noch möglich war oder nicht. Auch hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, ob eine Nachbesserung durch das Software-Update oder gegebenenfalls durch andere Methoden (etwa „Hardware-Lösung“) unmöglich war […].“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 42)

– Auch hier sind unzureichende Erhebungen des Berufungsgerichts Grundlage der Bewertung durch den BGH. In der Klausur kann es dieser Stelle zu einer Inzidentprüfung der Unmöglichkeit der Nacherfüllung kommen. Dann ist deutlich darzustellen, dass der Bezugspunkt für die Unmöglichkeit i.S.v. § 275 BGB nicht der ursprüngliche Erfüllungsanspruch, sondern der Nacherfüllungsanspruch gem. § 439 I BGB ist.

dd) Zwischenergebnis
Die Setzung einer Frist zur Nacherfüllung war nicht entbehrlich. K ist somit nicht wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten.
– Hilfsgutachten –
5. Kein Ausschluss
Bei der Annahme einer Entbehrlichkeit der Fristsetzung wäre schließlich noch zu prüfen, ob der Rücktritt durch K ausgeschlossen ist. In Betracht kommt ein Ausschluss des Rücktritts gem. § 323 V 2 BGB. Demnach kann der Gläubiger bei nicht vertragsgemäßer Leistungserbringung durch den Schuldner nicht vom Vertrag zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Dies
„erfordert eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls […]. Bei behebbaren Mängeln ist von einer Geringfügigkeit und damit von einer Unerheblichkeit in der Regel auszugehen, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind, was jedenfalls regelmäßig nicht mehr anzunehmen ist, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt […]. Bei unbehebbaren Mängeln ist regelmäßig auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung abzustellen […].“ (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 44).
Für die Annahme einer Geringfügigkeit könnte sprechen, dass das Software-Update ohne größere Schwierigkeiten und mit geringen Zeitaufwand durchführbar ist.
„Jedoch steht derzeit nicht fest, dass das Software-Update zu einer ordnungsgemäßen Nachbesserung führt, also nicht mit dem Auftreten von (nicht zu vernachlässigenden) Folgemängeln verbunden wäre. Eine Nachbesserung im Sinne von § 439 Abs. 1 BGB setzt eine vollständige, nachhaltige und fachgerechte Behebung des vorhandenen Mangels voraus […] und liegt nicht vor, wenn zwar der ursprüngliche Mangel beseitigt, hierdurch aber Folgemängel hervorgerufen werden. Ob dies der Fall ist, ist mangels rechtsfehlerfreier Feststellungen des Berufungsgerichts offen. Damit kann nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht davon ausgegangen werden, dass sich die unzulässige Abschalteinrichtung mit geringem Kostenaufwand folgenlos in dem vorbeschriebenen Sinne beseitigen ließe.“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 47)
Im Ergebnis kann die Unerheblichkeit der Pflichtverletzung nicht angenommen werden. Der Ausschluss gem. § 323 V 2 BGB ist somit nicht einschlägig.
– Ende des Hilfsgutachtens –
6. Ergebnis
K hat gegen V keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 437 Nr. 2 At. 1, 346 I BGB.
III. Fazit
Auch wenn viele Bewertungen des BGH bezüglich der Entbehrlichkeit der Frist auf den Umstand zurückzuführen sind, dass bestimmte Umstände auf Tatsachenebene von den Vorinstanzen nicht hinreichend erforscht wurden, lassen sich einige Ausführungen finden, die im Gutachten hilfreich sein können.
Zum einen macht der Fall deutlich, dass zwischen den am Sachverhalt beteiligten genau zu unterscheiden ist. Das Verhalten und die Kenntnis des Herstellers/Lieferanten von der Mangelhaftigkeit der Kaufsache, kann dem Händlerverkäufer nach Auffassung des BGH nicht zugerechnet werden.
Zum anderen ist festzuhalten, dass für die Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 323 II Nr. 3 BGB eine umfassende Abwägung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist. Für die Klausur bedeutet dies insbesondere die Informationen des Sachverhalts hierzu fruchtbar zu machen und einen eher strengen Maßstab anzulegen. Dabei darf die Bedeutung des Rechts des Schuldners zur zweiten Andienung nicht übersehen werden. Da es hier auf eine Wertung im Einzelfall ankommt, ist das Ergebnis bei sorgfältiger Verwertung der Informationen des Sachverhalts und Gewichtung der Argumente eher nebensächlich. Hier gilt es, das Ergebnis klausurtaktisch zu wählen und ggf. weitere Probleme des Sachverhalts im Hilfsgutachten zu besprechen.

04.11.2021/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2021-11-04 08:22:272021-11-04 08:22:27Neues zum Dieselskandal: Rücktritt vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung?
Charlotte Schippers

OLG Karlsruhe zur Manipulation von Warenetiketten

Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht

Im Strafecht sind besonders Vermögens-, aber auch Urkundendelikte examensrelevant. Ein klassischer Fall ist in diesem Kontext der Austausch von Warenetiketten bzw. Strichcodes, wie er dem vorliegenden Beschluss des OLG Karlsruhe vom 13.3.2019 (1 Rv 3 Ss 691/18) zugrunde lag. Hierbei geht es maßgeblich um eine Strafbarkeit wegen Betrugs gem. § 263 Abs. 1 StGB sowie wegen Urkundenunterdrückung gem. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Diese Straftatbestände sollten unbedingt für das Examen beherrscht werden.
 
 I. Sachverhalt (leicht abgewandelt und gekürzt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: T nahm im Baumarkt eine Gartenschlauch-Anschlussgarnitur zum Preis von 14,50 € aus der Auslage. Auf dem zugehörigen Karton befand sich u.a. die für die Anschlussgarnitur ausgegebene European Article Number (EAN) bzw. Global Trade Item Number (GTIN-13) mit zugehörigem Strichcode, die zur Feststellung der Artikel- und Preisinformationen dient. Diese Garnitur brachte er mittels der für den Betrieb des Schlauchs vorgesehenen Steckvorrichtung an einer Schlauchtrommel zum Verkaufspreis von 54,95 € an. T riss das an der Schlauchtrommel angeklebte Etikett mit EAN und Strichcode ab, sodass auf dem Karton nur EAN und Strichcode der günstigeren Anschlussgarnitur angebracht waren. Mit der so manipulierten Ware begab er sich zur Kasse und legte die Schlauchtrommel mit dem Anschlussstück der Kassiererin K in der Absicht vor, diese über den wahren Kaufpreis zu täuschen. K scannte die auf der Kartonverpackung der Anschlussgarnitur aufgedruckte EAN in den Kassencomputer ein. Sie machte sich hierüber keine weiteren Gedanken, fragte T aber, ob der Preis „richtig“ sei, was er bejahte. Nach Zahlung der 14,50 € wollte T den Markt verlassen, wurde aber direkt hinter der Kasse von einer Ladendetektivin aufgehalten, die ihn von Anfang an beobachtet hatte.
 
II. Rechtliche Ausführungen
1. Zunächst kommt eine Strafbarkeit des T wegen Betrugs gem. § 263 Abs. 1 StGB infrage:
a) Das Vorlegen der manipulierten Schlauchtrommel zur Bezahlung an der Kasse beinhaltet eine konkludente Täuschung über den Preis für die Ware. Dies wurde weiterhin durch die bewusst wahrheitswidrige Erklärung, die T auf Nachfrage von K abgab, es handle sich um den „richtigen“ Preis, bestätigt.
b) Hierdurch sollte bei K eine Fehlvorstellung, also ein Irrtum, über den Preis hervorgerufen werden. Hier beschäftigte sich das OLG kurz mit der Aussage der K, sie habe sich keine weiteren Gedanken über den Preis gemacht. Denn dies könne darauf schließen lassen, dass die konkrete Fehlvorstellung fehle und K möglicherweise gar keine Vorstellung über den Preis habe. Allerdings lasse die Frage nach der Richtigkeit des Preises und die Aushändigung erst nach der Bestätigung durch T darauf schließen,

„[…] dass [K] […] – auch wenn sie sich üblicherweise keine Gedanken über die Richtigkeit der Preise der ihr zur Bezahlung vorgelegten Ware machte – jedenfalls im vorliegenden Einzelfall der positiven Fehlvorstellung unterlag, der Preis für Schlauchtrommel und Anschlussschlauch betrage lediglich 14,50 €“. (Rn. 18)

c) In Abgrenzung zum Diebstahl liegt hier infolge des Irrtums eine freiwillige Gewahrsamsübertragung von K an T vor, also eine Vermögensverfügung. Der Verfügungswille war auf die Schlauchtrommel konkretisiert.
d) Diese Vermögensverfügung führte auch zu einem Vermögensschaden: Ohne den Kaufpreis für die Ware zu bekommen, also ohne dass die Vermögensminderung kompensiert wurde, hatte K gem. § 929 S. 1 BGB das Eigentum an der Schlauchtrommel durch Übergabe und konkludente Einigung über den Eigentumswechsel an T übertragen.
e) Zu beachten ist noch, dass T durch die Ladendetektivin beobachtet und nach Abschluss des Bezahlvorgangs gestellt wurde. Das steht einer Vollendung des Betrugs aber nicht entgegen, denn der Vermögensschaden, der unmittelbar aus der Vermögensverfügung resultiert, ist zumindest teilweise eingetreten.

„Dass der von dem Täter erstrebte Vermögensvorteil erlangt oder auch nur erreichbar ist, ist hingegen wegen der überschießenden Innentendenz zur Tatbestandsvollendung nicht erforderlich. Danach ist erst recht dann von Vollendung auszugehen, wenn der Täter die rechtswidrig erstrebte Vermögensposition – wie hier Eigentum und Besitz an der Schlauchtrommel – bereits erlangt hat, diese aber noch nicht gegen die unmittelbar drohende Erhebung berechtigter Rückgabeansprüche des Geschädigten sichern konnte, weil er sich noch in dessen Herrschaftsbereich aufhält und seine Tat von einem im Auftrag des Geschädigten handelnden, eingriffsbereiten Dritten beobachtet wurde.“ (Rn. 22)

Daher ist T wegen Betruges strafbar.
 
2. Darüber hinaus kommt eine Strafbarkeit des T wegen Urkundenunterdrückung gem. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht.
a) Schwerpunkt ist die Überlegung, ob das Etikett zusammen mit der Schlauchtrommel eine zusammengesetzte Urkunde ist. Zur Erinnerung: Eine Urkunde ist eine verkörperte Gedankenerklärung, die ihren Aussteller erkennen lässt und zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist. So können auch mit einer Sache fest verbundene Zeichen Urkundenqualität aufweisen, so z.B. Nummernschilder an Autos.
Die mit der Ware fest verbundene EAN ist eine verkörperte Gedankenerklärung. Denn: Diese Nummer ermöglicht es, jedes Produkt weltweit zu identifizieren. Darüber hinaus kann mit der Nummer auf Produktinformationen zugegriffen werden, insbesondere den Preis der Ware, wofür lediglich der Strichcode eingescannt werden muss. Dieser hat selbst keinen eigenständigen Erklärungswert, sondern dient nur als für den Scanner lesbare Darstellung der Nummer. Die Tatsache, dass die Nummer dazu dient, die Ware zu identifizieren, ist auch allgemein bekannt. Das OLG führt hierzu aus:

„Die GTIN-13 dient danach nicht nur zur Unterscheidung und Erfassung verschiedener Produkte in der Sphäre eines Herstellers oder Händlers. Aufgrund der Bedeutung, welche sie insbesondere durch ihre massenhafte Verwendung bei der Abwicklung von Kaufgeschäften zwischen Einzelhändlern und Verbrauchern, wenn auch nicht durch Rechtsvorschriften, so aber doch durch entsprechende Übung erlangt hat, fungiert die GTIN-13 in ihrer festen Verbindung mit einer Ware vielmehr auch im Rechtsverkehr als Identitätsnachweis eines Produkts. Die Beweiserheblichkeit dieses Identitätsnachweises zeigt sich insbesondere daran, dass Einzelhandel und Verbraucher sich bei der Ermittlung des Preises für eine Ware während des Bezahlvorgangs an der Kasse gleichermaßen auf die Richtigkeit dieses Identitätsausweises verlassen. Auch bei der Frage, ob es sich bei einem bestimmten Produkt um eine Fälschung oder ein Original handelt, kann der mit einem Produkt fest verbundenen GTIN-13, die aussagt, dass das fragliche Produkt von einem bestimmten, aus der Basisnummer ersichtlichen Hersteller gefertigt und als nach seiner Gattung weltweit einzigartiges Produkt in den Verkehr gebracht wurde, Beweisbedeutung zukommen.“ (Rn. 28)

Folglich verkörpere die mit einem bestimmten Produkt fest verbundene GTIN-13 die Erklärung des Herstellers, dass die Nummer dem jeweiligen Produkt zur Identifizierung im Handelsverkehr zugeordnet ist.

„Beweisrechtliche Relevanz erlangt dieser Umstand insbesondere in Fallkonstellationen wie der vorliegenden, in der sie an der Kasse eines Einzelhandelsgeschäfts nach der Verkehrsübung zur verlässlichen Ermittlung des Preises herangezogen wird, zum dem der Einzelhändler die jeweilige Ware zum Verkauf anbietet.“ (Rn. 28)

Der Aussteller muss nach außen erkennbar sein. Hierbei ist ausreichend, dass er sich aus dem Inhalt ergibt, was hinsichtlich der GTIN-13 der Fall ist: Das Unternehmen, das die GTIN-13 vergeben hat, kann durch die Nummer identifiziert werden.
Des Weiteren ist eine feste Verbindung zwischen Etikett und Ware erforderlich. Weil das Etikett hier so fest mit der Schlauchtrommel verbunden war, dass es abgerissen werden musste, ist auch diese Voraussetzung gegeben.
Mithin liegt eine zusammengesetzte Urkunde vor.
b) Die Urkunde gehörte auch nicht dem T. Er hob durch das Abreißen die Gebrauchsfähigkeit dieser Urkunde und damit ihre Beweisfunktion auf: Der gedankliche Inhalt wurde völlig beseitigt, die Urkunde daher i.S.v. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB vernichtet.
Im Ergebnis hat T sich, da auch der subjektive Tatbestand verwirklicht wurde, wegen Urkundenunterdrückung strafbar gemacht.
 
3. Eine Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 StGB scheidet aus:

„Zwar können zusammengesetzte Urkunden auch durch Auswechseln ihres Bezugsobjekts verfälscht werden. Dies setzt jedoch voraus, dass auch die neue in der Verbindung von Bezugsobjekt und Beweiszeichen liegende Gedankenerklärung den Anschein erweckt, sie rühre unverändert von dem ursprünglichen Aussteller her. Auch bei der neu zusammengesetzten Urkunde muss daher eine feste und dauerhafte, wenn auch nicht untrennbare Verbindung zwischen Beweiszeichen und Bezugsobjekt zu einer Beweiseinheit bestehen.“ (Rn. 36)

Das ist hier mit dem Anbringen des Anschlussschlauchs auf die Steckvorrichtung, wodurch keine ausreichend feste Verbindung zwischen Umkarton und Schlauchtrommel erzeugt wird, gerade nicht der Fall. Ein Bedürfnis, den Tatbestand der Urkundenfälschung insoweit auszudehnen, besteht mangels Strafbarkeitslücken ebenfalls nicht.
 
4. Herauszustellen ist schließlich noch, dass Betrug und Urkundenunterdrückung in Tateinheit gem. § 52 StGB stehen:

„Denn beide Gesetzesverletzungen beruhten nicht nur auf demselben Tatentschluss, sie standen auch in einem engen räumlichen und zeitlichen sowie finalen Zusammenhang, weil das Zerstören der zusammengesetzten Urkunde nach dem Tatplan des [T] der Vorbereitung der Täuschungshandlung dienen sollte. Gesetzeskonkurrenz liegt nicht vor, weil § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 263 StGB verschiedene Rechtsgüter schützen.“ (Rn. 35)

 
III. Summa
Festzuhalten bleibt, dass es sich hiermit um einen spannenden und examensrelevanten Fall handelt. Vermögensdelikte stehen häufig im Zentrum strafrechtlicher Examensklausuren, ebenso die Urkundendelikte. Gerade die Überlegungen zur zusammengesetzten Urkunde bilden in Fällen wie hier den Schwerpunkt. Diesen Beschluss jedenfalls sollte man kennen.

12.02.2020/1 Kommentar/von Charlotte Schippers
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Charlotte Schippers https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Charlotte Schippers2020-02-12 09:31:062020-02-12 09:31:06OLG Karlsruhe zur Manipulation von Warenetiketten
Carlo Pöschke

Klassiker des Strafrechts: Tankstellenfälle

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Zu den Fallkonstellationen, die Jura-Studenten von den ersten Semestern bis zum Examen begleiten, gehören die sog. Tankstellenfälle. Hierbei betankt der Täter sein Fahrzeug an einer Selbstbedienungstankstelle, ohne den Kaufpreis an der Kasse zu entrichten. Die Komplexität dieser Fälle wird bereits deutlich, wenn man das Stichwort in die Google-Suche eingibt. So stellt eine Rechtsratgeber-Seite fest: „Inwieweit hier eine Strafbarkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls und unter Juristen umstritten.“ Und genau deshalb erfreuen sich die Tankstellenfälle sowohl in universitären Klausuren als auch im Examen größter Beliebtheit: Zu prüfen sind Straftatbestände wie Diebstahl (§ 242 StGB), Betrug (§ 263 StGB) und Unterschlagung (§ 246 StGB), die bereits in frühen Semestern zum Standard-Repertoire eines jeden Prüflings gehören (sollten), Vieles ist juristisch umstritten und durch kleine Abwandlungen lassen sich leicht neue Fallkonstellationen erzeugen. Bei genauem Hinsehen stellt man jedoch fest, dass sich solche Prüfungsaufgaben häufig auf einige wenige Grundfälle zurückführen lassen. Wer diese typischen Fallgestaltungen im Hinterkopf behält, kann auch bei unbekannten Abwandlungen mit der entsprechenden Argumentation und einem guten systematischen Verständnis der Vermögensdelikte in der Klausur punkten.
A. Fallgestaltung 1: Von vornherein zahlungsunwilliger Täter wird nicht beobachtet oder geht irrig davon aus, nicht beobachtet zu werden
Beispielsfall: T, der ständig knapp bei Kasse ist, aber trotzdem mit seinem Sportwagen auf der Straße prahlen möchte, betankt an der Selbstbedienungstankstelle des S seinen fast leeren Tank mit Benzin im Wert von 70 Euro mit der zuvor gefassten Absicht, das Tankstellengelände ohne Entrichten des Kaufpreises wieder zu verlassen. T hat bewusst die Tankstelle des S ausgewählt, da diese noch nicht über moderne Überwachungssysteme verfügt und das Kassenpersonal insb. zu Stoßzeiten mit dem Abkassieren so beschäftigt ist, dass das Geschehen im Außenbereich unbeachtet bleibt. So geschieht es:  Tankstellenmitarbeiter M bekommt von dem Tankvorgang zunächst nichts mit und nimmt von dem Vorfall erst Kenntnis, als T bereits unbehelligt davongefahren ist und ein Kunde ihn über die Sperrung der betreffenden Zapfsäule informiert. Strafbarkeit des T?
I. § 242 Abs. 1 StGB
Indem T den Tank seines Sportwagens an der Selbstbedienungstankstelle des S befüllte, könnte er sich gem. § 242 Abs. 1 StGB wegen Diebstahls strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
a) In objektiver Hinsicht verlangt der Tatbestand des § 242 Abs. 1 StGB zunächst, dass es sich bei dem Benzin um eine fremde bewegliche Sache handelt. Benzin stellt (unabhängig vom Aggregatzustand) einen körperlichen Gegenstand i.S.d. § 90 BGB dar, der auch tatsächlich fortgeschafft werden kann, mithin eine bewegliche Sache.
Fraglich ist, ob das Benzin für T auch fremd ist. Fremd ist eine Sache, wenn sie zumindest auch im Eigentum eines anderen steht. Insbesondere in der älteren Literatur und Rechtsprechung wurde die Fremdheit des Benzins jedoch abgelehnt: Der Tankstellenbetreiber unterbreite dem sich selbst bedienenden Kunden bereits mit Aufstellen der Tanksäule ein Angebot auf Übereignung des Benzins, das vom Kunden durch Einfüllen des Kraftstoffs in den Tank angenommen werde. Insofern vollziehe sich die Übereignung bereits an der Tanksäule gem. § 929 S. 1 BGB (OLG Düsseldorf NJW 1982, 249; Herzberg, NJW 1984, 896, 898). Nach der Gegenansicht sei die Fremdheit der Sache sehr wohl zu bejahen. Ganz überwiegend wird argumentiert, dass sich – sofern nicht ohnehin ein Eigentumsvorbehalt gem. § 449 BGB vereinbart wurde – die dingliche Einigung wie beim Kauf in Selbstbedienungsläden erst nach § 929 S. 2 BGB an der Kasse vollziehe (OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 364; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 242 Rn. 17). Denkbar wäre auch, einen gesetzlichen Eigentumserwerb des Tankenden gem.  § 948 Abs. 1 BGB i.V.m. § 947 Abs. 1 BGB anzunehmen. Da der Tankende über § 948 Abs. 1 BGB i.V.m. § 947 Abs. 1 BGB jedoch bloß Miteigentümer der Sache wird, wäre das Benzin für T immer noch fremd. Die Ansicht, die einen Eigentumsübergang bereits an der Tanksäule nach Maßgabe des § 929 S. 1 BGB annimmt, vermag nicht zu überzeugen, weil sie den Anschauungen des täglichen Lebens zuwiderläuft und mit einer Auslegung von Willenserklärungen nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB nicht zu vereinbaren ist. Denn es wird regelmäßig nicht dem Willen des Tankstelleninhabers entsprechen, an seine Kunden vorzuleisten. Vielmehr soll die Leistung Zug-um-Zug, d.h. Ware gegen Geld, erfolgen. Ob sich die Übereignung rechtsgeschäftlich nach § 929 S. 2 BGB an der Kasse oder gesetzlich nach § 948 Abs. 1 BGB i.V.m. § 947 Abs. 1 BGB vollzieht, ist nicht zu entscheiden, da beide Ansichten zu dem Ergebnis kommen, dass das Benzin eine für T fremde Sache ist.
Somit stellt das Benzin ein taugliches Tatobjekt dar.
b) Weiterhin müsste T dem S das Benzin weggenommen haben. Unter Wegnahme versteht man den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams. Dabei ist Gewahrsam die tatsächliche Herrschaft eines Menschen über eine Sache, die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragen und in ihrer Reichweite von der Verkehrsanschauung begrenzt wird. Vor Beginn des Betankungsvorgangs lag der Gewahrsam am Benzin bei S. Durch Befüllung des Tanks wurde dem S der ungehinderte Zugriff auf das Benzin entzogen, während T fortan – auch unter Zugrundlegung der Verkehrsanschauung – über das Benzin verfügen konnte. Insoweit hat er neuen Gewahrsam am Benzin begründet. Fremder Gewahrsam wird jedoch nur dann gebrochen, wenn der Täter gegen oder ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers handelt. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Begründung des neuen Gewahrsams am Benzin von einem tatbestandausschließenden Einverständnis des bisherigen Gewahrsamsinhabers (hier S) gedeckt wäre. Nach h.M. beinhaltet die Eröffnung einer Selbstbedienungstankstelle das generelle Einverständnis in die Entnahme von Kraftstoff. Wer die Zapfsäule ordnungsgemäß bediene, nehme selbst dann nicht weg, wenn er von vornherein nicht vorhat, das Benzin zu bezahlen (MüKo-StGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 242 Rn. 108 m.w.N.). Dies wird von einer Mindermeinung bestritten, die das Einverständnis nicht nur an die ordnungsgemäße Bedienung, sondern zusätzlich an die ordnungsgemäße Bezahlung geknüpft sieht und insofern auf einen rein innerlich gebliebenen Vorbehalt abstellt. Letztgenannte Ansicht führt jedoch dazu, dass die Abgrenzung zwischen Wegnahme i.S.v. § 242 Abs. 1 StGB und Täuschung i.S.v. § 263 Abs. 1 StGB verwischt und ist daher abzulehnen (so auch Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, § 242 Rn. 36a). Damit ist auch im vorliegenden Fall von einem unbedingten Einverständnis des S in den Gewahrsamsübergang auszugehen, das eine Wegnahme ausschließt.
2. Ergebnis
T hat sich nicht gem. § 242 Abs. 1 StGB wegen Diebstahls strafbar gemacht.
II. § 263 Abs. 1 StGB
Durch dieselbe Handlung könnte sich T gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht. Der Betrugstatbestand erfordert im objektiven Tatbestand zunächst eine Täuschung über Tatsachen, worunter jedenfalls jedes Verhalten mit Erklärungswert fällt, das irreführend auf das Vorstellungsbild eines anderen einwirkt. Weil T jedoch bis Beendigung des Tankvorgangs vom Tankstellenpersonal unberücksichtigt blieb, konnte er bereits gar nicht auf das Vorstellungsbild eines anderen einwirken. T hat sich nicht gem. § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
Anmerkung: Gäbe es im Sachverhalt nicht den Hinweis darauf, dass die Tankstelle über keine Überwachungssysteme verfügt und die Mitarbeiter regelmäßig nicht das Außengelände überwachen, müsste geprüft werden, ob sich T gem. § 263 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB wegen versuchten Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht hat. Hier könnte bspw. angeführt werden, dass bei realitätsnaher Betrachtung stets mit der Möglichkeit der unmittelbaren oder durch Überwachungsanlagen vermittelten Wahrnehmung zu rechnen ist und deshalb mit bedingtem Täuschungsvorsatz gehandelt wurde (OLG Köln NJW 2002, 1059, 1060).
III. § 246 Abs. 1 StGB durch Befüllen des Tanks
Durch dieselbe Handlung könnte sich T gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
a) Dass das Benzin eine fremde bewegliche Sache ist, wurde bereits zuvor ausgeführt.
b) Des Weiteren müsste sich T das Benzin zugeeignet haben. Erforderlich ist die objektive Manifestation eines Selbst- oder Drittzueignungswillens. T wollte das Benzin der Einwirkungssphäre des S dauerhaft entziehen, um es selbst zu behalten. Er handelte also mit Zueignungswillen. Problematisch erscheint hingegen, ob auch ein über den bloßen Zueignungswillen hinausgehender objektiver Zueignungsakt vorliegt.
Die sog. enge Manifestationstheorie der h.L. stellt darauf ab, ob ein nach außen erkennbares Verhalten des Täters verlässlich zum Ausdruck bringt, dass der Täter die Sache behalten will. Dies sei aus der Sicht eines objektiven Beobachters zu beurteilen, der abgesehen vom Zueignungswillen des Täters alle tatsächlichen Umstände des Falls kennt. Der Tankvorgang stellt sich dabei als ein „an sich neutrale[r] Vorgang“ (Borchert/Hellmann, NJW 1983, 2799, 2800) dar. Zu diesem Zeitpunkt kann ein objektiver Beobachter ohne Kenntnis des Täterwillens nämlich noch nicht sagen, ob der sich ansonsten unauffällig verhaltende Tankende die Tankstelle ohne Bezahlung des Kaufpreises verlassen wird oder ordnungsgemäß bezahlen wird und an der Kasse das Eigentum am Benzin erwerben wird. Nach dieser Ansicht wurde der Zueignungswille mithin nicht manifestiert.
Nach der sog. weiten Manifestationstheorie, die insb. von der Rspr. vertreten wird, kann hingegen jede beliebige Handlung als Ausdruck des Zueignungsinteresses verstanden werden, soweit ein objektiver Beobachter bei Kenntnis des Täterwillens das Verhalten als Bestätigung des Willens ansieht. Vorliegend würde ein objektiver Beobachter bei Kenntnis des Täterwillens das Betanken des Fahrzeugs bereits als Manifestation des Willens betrachten.
Die vorgestellten Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, sodass der Streit zu entscheiden ist. Würde man der Ansicht der Rspr. folgen, hätte dies zur Konsequenz, dass eine Abgrenzung zwischen Vorbereitung, Versuch und Vollendung nahezu unmöglich würde. Außerdem lässt sich aus § 22 StGB, wonach eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung unmittelbar zu ihr ansetzt, e contrario ableiten, dass die Vorstellungen des Täters im Rahmen des objektiven Tatbestands keine Berücksichtigung finden soll. Die weite Manifestationstheorie führt aber gerade dazu, dass der objektive Tatbestand vom subjektiven Tatbestand her interpretiert wird (vgl. MüKo-StGB/Hohmann, 3. Aufl. 2017, § 246 Rn. 18). Aus den genannten Gründen verdient die enge Manifestationstheorie den Vorzug. T hat durch das Befüllen des Tanks den Zueignungswillen nicht manifestiert hat.
2. Ergebnis
T hat sich durch das Befüllen des Tanks nicht gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
IV. § 246 Abs. 1 StGB durch Wegfahren
Dadurch, dass T unbehelligt davonfuhr, könnte er sich jedoch gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben.
Das Benzin ist ein taugliches Tatobjekt (s.o.).
Durch das Wegfahren wird vorliegend auch nach der engen Manifestationstheorie der Zueignungswille des T nach außen manifestiert.
T hatte keinen fälligen und einredefreien Anspruch auf das Benzin, sodass die Zueignung rechtswidrig war.
T handelte vorsätzlich.
Die Tat war auch rechtswidrig und schuldhaft.
T hat sich, indem er unbehelligt davonfuhr, gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
IV. Gesamtergebnis
T hat sich gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
B. Fallgestaltung 2: Anfänglich zahlungswilliger Täter fasst mit Abschluss des Tankvorgangs den Entschluss, die Tankstelle ohne Bezahlung des Kraftstoffs zu verlassen
Beispielsfall: T hat im vergangenen Monat mit seinem Geld gut gehaushaltet und hat sich 70 Euro beiseitegelegt, um seinen Sportwagen endlich wieder einmal vollzutanken. Er fährt zu der Selbstbedienungstankstelle des S in der Absicht, den Wagen vollzutanken und den Kaufpreis nach Beendigung des Tankvorgangs zu bezahlen. Er befüllt den Tank seines Sportwagens mit Benzin im Wert von 70 Euro. Auf dem Weg zur Kasse regt er sich jedoch über die Gewinnsucht der großen Ölkonzerne auf und sieht es gar nicht ein, die Reichen noch reicher zu machen. Um nicht aufzufliegen, entnimmt er deshalb aus dem Kühlregal des Tankstellenshops eine Dose Bier und bezahlt diese (aber nicht die Tankfüllung) an der Kasse. Wie von T erhofft geht die Tankstellenmitarbeiterin M irrig davon aus, dass T nur die Dose Bier bezahlen möchte und nicht getankt hat. Daraufhin fährt T unbehelligt davon. Strafbarkeit des T?
I. § 242 Abs. 1 StGB
Indem T den Tank seines Sportwagens an der Selbstbedienungstankstelle des S befüllte, könnte er sich gem. § 242 Abs. 1 StGB wegen Diebstahls strafbar gemacht haben.
Das Benzin ist eine für T fremde bewegliche Sache (s.o.).
T müsste den Kraftstoff auch weggenommen haben. Dass T eigenen Gewahrsam am Benzin begründet hat, steht außer Frage. Jedoch ist die Aufhebung des Gewahrsams des S von einem tatbestandsausschließenden Einverständnis gedeckt, da es Sinn und Zweck einer Selbstbedienungstankstelle ist, Benzin in den eigenen Tank zu füllen. Auch die bereits dargestellte Mindermeinung, die das Einverständnis zusätzlich an die ordnungsgemäße Bezahlung geknüpft sieht und insofern auf einen rein innerlich gebliebenen Vorbehalt abstellt, kommt zu keinem anderen Ergebnis. Denn hier hatte T anfänglich vor, den Kaufpreis an der Kasse zu bezahlen. K hat den Kraftstoff nicht weggenommen.
Er hat sich nicht gem. § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
II. § 263 Abs. 1 StGB
T könnte sich gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht haben, indem er nur die Bierdose an der Kasse vorlegte.
1. Objektiver Tatbestand
a) T müsste M getäuscht haben. Eine Täuschung ist jedes Verhalten mit Erklärungswert, das irreführend auf das Vorstellungsbild eines anderen einwirkt. Ausdrücklich hat T hier nicht getäuscht. Jedoch hat T dadurch, dass er nur die Bierdose vorlegte, zu erkennen gegeben, dass dies alles sei, was er bezahlen müsse. M wurde also konkludent von T getäuscht.
b) Aufgrund dieser Täuschung müsste bei M ein Irrtum hervorgerufen worden sein. Ein Irrtum liegt bei einem Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der Wirklichkeit vor. Hier liegt die Abweichung darin, dass M aufgrund des vorangegangenen Verhaltens des T glaubte, T müsse nur die Bierdose und nicht auch für getankten Kraftstoff bezahlen. Es liegt ein Irrtum vor.
c) Dieser Irrtum müsste zu einer Vermögensverfügung geführt haben. Eine Vermögensverfügung wird definiert als jedes rechtliche oder tatsächliche Handeln, Dulden oder Unterlassen, das unmittelbar zu einer Vermögensminderung im wirtschaftlichen Sinn führt. Vorliegend hat es M unterlassen, die Kaufpreisforderung des S i.H.v. 70 Euro gegen T geltend zu machen. Dass Verfügender (M) und Geschädigter (S) nicht übereinstimmen, stellt grds. kein Problem dar, da im Rahmen des § 263 StGB der Dreiecksbetrug allgemein anerkannt ist. Damit M und S eine Zurechnungseinheit bilden, müssten sich die beiden Personen aber in einem besonderen Näheverhältnis befinden. Streitig ist in diesem Zusammenhang, welche Anforderungen an die Qualität der Nähebeziehung zu stellen sind. Die strengste Ansicht, die sog. objektive Ermächtigungstheorie, fordert, dass der Getäuschte zur Vornahme der Verfügung ermächtigt ist. Für gewöhnlich werden Mitarbeiter zu solchen Verfügungen ausdrücklich oder zumindest konkludent bevollmächtigt. Jedenfalls kann aber auf die Vermutung für das Bestehen von Vertretungsmacht aus § 56 HGB („Ladenvollmacht“) abgestellt werden, die sich anhand der Sachverhaltsangaben nicht widerlegen lässt. Da M und S bereits nach der strengsten Ansicht eine hinreichende Nähebeziehung aufweisen, ist nach allen Ansichten eine Vermögensverfügung anzunehmen.
d) Die Vermögensverfügung müsste auch zu einem Vermögensschaden auf Seiten des S geführt haben. Ob ein Vermögensschaden vorliegt, ist durch Vermögensvergleich zu ermitteln und liegt demnach vor, wenn die Vermögensminderung nicht im Wege der Saldierung durch die Gegenleistung ausgeglichen wird. Hier fließt keine Gegenleistung, die die Vermögensleistung kompensieren könnte. Dass S zwar gegen T einen schuldrechtlichen Anspruch hat, ändert daran nichts, da eine Forderung wertlos ist, wenn der Schuldner unbekannt ist. Folglich hat S auch einen Vermögensschaden erlitten.
2. Subjektiver Tatbestand
a) T handelte vorsätzlich bzgl. aller objektiven Tatbestandsmerkmale.
b) T handelte in der Absicht, sich zu bereichern. Der Vorteil des T (ersparte 70 Euro) erweist sich auch als Kehrseite des Schadens (Nichtgeltendmachung der 70 Euro). T handelte in der eigennützigen Absicht stoffgleicher Bereicherung.
3. Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung und entsprechender Vorsatz
Die Bereicherung des T war zudem rechtswidrig, was er auch wusste. T handelte bzgl. der Rechtswidrigkeit der Bereicherung also ebenfalls vorsätzlich.
4. Rechtswidrigkeit und Schuld
Mangels Eingreifen von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen war die Tat rechtswidrig und schuldhaft.
5. Ergebnis: Strafbarkeit nach § 263 Abs. 1 StGB
T hat sich gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht.
III. § 246 Abs. 1 StGB durch das Vorlegen der Bierdose an der Kasse
Durch dieselbe Handlung könnte sich T gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung
Das Benzin ist ein taugliches Tatobjekt (s.o.).
Durch das Vorspiegeln an der Kasse, er müsse nur für die Bierdose bezahlen, hat T (auch nach der engen Manifestationstheorie) nach außen zum Ausdruck gebracht, dass er sich das Benzin zueignen will.
T hatte keinen fälligen und einredefreien Anspruch auf das Benzin, sodass die Zueignung rechtswidrig war.
T handelte vorsätzlich.
Die Tat war auch rechtswidrig und schuldhaft.
T hat sich durch das Vorlegen der Bierdose an der Kasse gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
 IV. § 246 Abs. 1 StGB durch das Wegfahren
Durch das Wegfahren von der Tankstelle könnte sich T gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben.
Das Benzin ist ein taugliches Tatobjekt (s.o.).
Im Davonfahren ist eine erneute Manifestation des Zueignungswillens zu sehen.
Fraglich ist, wie sich das Verhältnis zur bereits bejahten Strafbarkeit wegen Betrugs und der vorangegangenen Unterschlagung gestaltet. Nach der von Teilen der Literatur vertretenen Konkurrenzlösung (Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, § 246 Rn. 19) würden wiederholte Manifestationen des Zueignungswillens bezüglich derselben Sache jeweils eine weitere tatbestandsmäßige Zueignungshandlung darstellen, die im Konkurrenzfall als mitbestrafte Nachtat zurücktrete. Als Argument für diese Auffassung wird angeführt, dass auf diese Weise Verurteilungen bei nicht strafbarer Erstzueignungshandlung sowie wegen Teilnahme an späteren Zueignungshandlungen ermöglicht würden. Letztgenanntes Argument vermag jedoch nicht zu überzeugen, wenn man bedenkt, dass Anschlussstraftaten wie §§ 257, 259 StGB abschließende Regelungen für Verwertungshandlungen vorsehen. Diesem Einwand trägt die Tatbestandslösung (BGH NJW 1960, 684, 685; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 246 Rn. 38; Rengier, BT I, 20. Aufl. 2018, § 5 Rn. 51 f.) Rechnung, nach der sich ein Täter nach erfolgter Erstzueignung die Sache schon tatbestandlich nicht noch einmal zueignen kann. Für diese Ansicht streitet schon der Wortsinn des § 246 Abs. 1 StGB: Wer sich eine Sache einmal zugeeignet hat, kann sich die gleiche Sache nicht erneut zueignen. Nicht zuletzt würden durch die Konkurrenzlösung die für die Vortaten geltenden Verjährungsfristen (§§ 78 ff. StGB) faktisch aufgehoben. Es hat sich gezeigt, dass die besseren Argumente für die Tatbestandlösung sprechen, sodass sich im vorliegenden Fall T mangels Erfüllung des Tatbestands nicht erneut gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat.
V. Gesamtergebnis und Konkurrenzen
T hat sich gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht. Der durch Vorlegen der Bierdose an der Kasse verwirklichte § 246 Abs. 1 StGB tritt im Wege der ausdrücklich in der Vorschrift geregelten Subsidiarität gegenüber § 263 Abs. 1 StGB zurück.
C. Fallgestaltung 3: Von vornherein zahlungsunwilliger Täter wird vom Tankstellenperson beobachtet
Am einfachsten stellt sich der Fall dar, wenn ein von Anfang an zahlungsunwilliger Täter davon ausgeht, beobachtet zu werden und sich deshalb wie ein redlicher Kunde verhält. Hier wäre die Betrugsstrafbarkeit gem. § 263 Abs. 1 StGB lehrbuchmäßig zu prüfen, ohne dass sich neue Probleme ergäben. Durch das Auftreten wie ein redlicher Kunde täuscht der Täter konkludent über seine Zahlungsbereitschaft, wodurch er beim Tankstelleninhaber bzw. dessen Personal den Irrtum hervorruft, er werde den Kaufpreis für den Kraftstoff entrichten. Im Rahmen der Vermögensverfügung wäre dann kurz anzusprechen, dass die Vermögensverfügung nach einer Ansicht in der dinglichen Einigung nach § 929 S. 1 BGB liegt, nach der (überzeugenden) Gegenansicht in der Gestattung des Besitzwechsels, wobei dieser Streit nicht entscheidungserheblich ist. Für den Fall, dass die Täuschung gegenüber einem Angestellten verübt wurde, wäre kurz darauf einzugehen, ob getäuschter Verfügender und Geschädigter eine fiktive Zurechnungseinheit bilden, indem zwischen ihnen eine hinreichende Nähebeziehung besteht. Im Ergebnis ist nach einhelliger Ansicht eine Strafbarkeit wegen Betrugs nach § 263 Abs. 1 StGB oder im Falle fehlender Beobachtung wegen versuchten Betrugs nach §§ 263 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB zu bejahen (zu dieser Fallkonstellation s. auch Borchert/Hellmann, NJW 1983, 2799; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 242 Rn. 46).
D. Fazit
Der eilige Leser wird die längeren Ausführungen wahrscheinlich nur rasch überflogen haben und im Fazit nach der Antwort auf die Frage suchen, wie sich ein Täter strafbar macht, der an einer Selbstbedienungstankstelle tankt ohne zu bezahlen. Die wenig erfreuliche Antwort lautet: Inwieweit hier eine Strafbarkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls und unter Juristen umstritten. Die vorgestellten Fallgruppen können jedoch bei einer Ordnung der ersten Gedanken hilfreich sein und können verhindern, dass wichtige Probleme übersehen werden. Nichtdestotrotz sollte man nicht in ein allzu starres „Schubladendenken“ verfallen. Das kann dazu führen, dass eingebaute Probleme übersehen werden oder schlimmstenfalls ein Fall gelöst wird, der so gar nicht zur Bearbeitung steht. Insgesamt sollte der Bearbeiter bei Tankstellenfällen seinen Blick verstärkt auf die Straftatbestände der §§ 242, 263 sowie 246 StGB einschließlich Versuchsstrafbarkeiten richten.

25.09.2019/4 Kommentare/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2019-09-25 09:30:312019-09-25 09:30:31Klassiker des Strafrechts: Tankstellenfälle
Tom Stiebert

BGH: Vertragsschluss mit „unbekanntem“ Fluggast

Bereicherungsrecht, BGB AT, Für die ersten Semester, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Der BGH hat am gestrigen 16.10.2012 einen sehr interessanten Fall entschieden (Az. X ZR 37/12), der sich sehr gut eignet, die Grundsätze des Vertragsschlusses zu wiederholen und damit sowohl für Anfangssemester als auch für Examenskandidaten von höchster Bedeutung ist.
Verfügbar ist bisher nur die Pressemitteilung – dennoch zeigt die Lösung des BGH einige Besonderheiten des Vertragsschlusses auf.
Sachverhalt
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger buchte am 7. September 2009 über das Internetportal der Beklagten Flüge […] für zwei Personen. In die Buchungsmaske gab er unter der Rubrik „Person 1“ seinen Vor- und Zunamen ein. Unter der Rubrik „Person 2“ trug er in die Felder für die Eingabe des Vor- und Zunamens jeweils „noch unbekannt“ ein. Die Buchungsmaske der Beklagten enthielt folgenden Hinweis:

„Bitte beachten Sie, dass eine Namensänderung nach erfolgter Buchung nicht mehr möglich ist und der Name mit dem Namen in Ihrem Ausweis übereinstimmen muss.“

Die Beklagte übermittelte dem Kläger am selben Tag eine Buchungsbestätigung und zog den Preis für zwei Hin- und Rückflüge in Höhe von insgesamt 365,42 per Lastschrift vom Konto des Klägers ein.

Nachdem er einige Tage vor Reisebeginn die Daten seines Mitreisenden eintragen lassen wollte, dies aber von der Beklagten abgelehnt wurde, trat er die Reise gezwungenermaßen allein an und begehrte Rückzahlung der Kosten für das zweite Ticket.
 
Lösung der Rechtsprechung
Das AG und LG als Vorinstanz lehnten dieses Verlangen ab. Weder aus vertraglichen noch aus bereicherungsrechtlichen Ansprüchen konnte dies hergeleitet werden. Dies beruhte darauf, dass aufgrund des wirksamen Vertrages bereicherungsrechtliche Ansprüche auszuscheiden haben; der Beklagte aber auch keine Pflicht verletzt habe, sodass Schadensersatz- oder Rücktrittsansprüche ausscheiden. Begründet wird dies damit, dass die Angabe „noch unbekannt“ als Name anzusehen sei, sodass alle Voraussetzungen eines wirksamen Vertragsschlusses (zwei übereinstimmende, in Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen) vorgelegen haben.
Der BGH sah dies zu Recht nunmehr anders. Anspruchsgrundlage war hierbei wohl die Leistungskondiktion aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB. Der Beklagte hat etwas durch die Leistung des Klägers erlangt. Dies wäre dann rechtsgrundlos, wenn für die Zahlung kein Rechtsgrund bestanden hätte. Ein solcher könnte in Form des Vertrages vorliegen. Fraglich ist also, ob für die Beförderung der zweiten Person ein Vertrag geschlossen wurde.
Dazu bedarf es – wie erwähnt – zweier übereinstimmender, in Bezug aufeinander abgegebener Willenserklärungen, Angebot und Annahme. Hier wäre es dann erforderlich, die Grundsätze des Vertragsschlusses im Internet wiederzugeben und insbesondere zu klären, ob das Erscheinen des „Angebots“ auf der Seite bereits ein Angebot im Rechtssinne ist. Mit der herrschenden Meinung muss dies wohl mangels Rechtsbindungswillen verneint werden.
Ein Angebot wird damit erst durch die Buchung abgegeben. Dazu legt der BGH dar:

Indem der Kläger in der Buchungsmaske als Vor- und Zuname der zweiten Person „noch unbekannt“ eingab, hat er […] der Beklagten den Abschluss eines Beförderungsvertrags angeboten, bei dem er den Mitreisenden erst nachträglich benennen wollte.

Dieses Angebot müsste auch angenommen werden. Dies wird vom BGH verneint.

Dieses Angebot hat die Beklagte aber weder ausdrücklich noch durch schlüssiges Handeln angenommen.

Geprüft wird dabei, ob durch das Versenden des Bestätigungsschreibens oder durch das Abbuchen des Geldes eine Annahme erfolgte. Eine wirksame Annahme muss deckungsgleich zum Angebot sein. Im konkreten Fall würde dies bedeuten, dass die Annahme auch bezogen auf eine nicht namentlich genannte Person sein muss, ansonsten stellt sie ein neues Angebot (§ 150 Abs. 2 BGB) dar. Welchen Inhalt die Annahme hier hat, ist nach den Grundsätzen des objektiven Empfängerhorizonts (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln. Dies ergibt hier – insbesondere durch die aufgeführte Klausel und durch das Verwenden der Eingabemaske -, dass eine mit dem Angebot übereinstimmende Willenserklärung nicht abgegeben werden sollte.

Nach den Angaben der Beklagten in ihrer Buchungsmaske, nach der die Eingabe des Vor- und des Nachnamens des (zweiten) Passagiers für die Durchführung der Buchung erforderlich war, und dem Hinweis, dass eine Namensänderung nach erfolgter Buchung nicht mehr möglich sei und der angegebene Name mit dem Namen in dem Ausweis des Passagiers übereinstimmen müsse, konnte der Kläger nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont weder die Buchungsbestätigung noch die Einziehung des Entgelts dahin verstehen, dass die Beklagte ihm das Recht eingeräumt hätte, einen zweiten Fluggast nachträglich namentlich zu bestimmen.

Aus diesem Grund wurde das Angebot des Klägers nicht angenommen, sodass ein Vertrag nicht zustande kam. Damit war der Kondiktionsanspruch gegeben.
 
Bewertung
Die Entscheidung des BGH geht zunächst von der richtigen Prämisse aus, dass die Bezeichnung als „noch unbekannt“ keinen Namen i.S.d Eingabemaske darstellt, sondern lediglich die Option für eine spätere Eintragung bieten soll.
Die Argumente zum Vertragsschluss vermögen dann aber nicht vollends zu überzeugen. Deutlich wird dies, wenn man sich anstelle der automatischen Bearbeitung durch Computer einen Menschen als Annehmenden denken würde. Würde dieser die Bestätigung schicken und das Geld abbuchen, so wäre auch nach dem Empfängerhorizont eine Annahme gegeben. Er würde damit zeigen, dass er von seinem ursprünglich geäußerten Willen nunmehr abweicht. Überträgt man diesen Gedanken auf den vorliegenden Fall und stellt die Wertung auf, dass durch die Verwendung von technischen Mitteln der Mensch nur ersetzt werden soll, eine Veränderung der Rechtslage aber nicht eintreten darf, so muss dann hier auch Gleiches gelten.
Würde man dies so sehen wollen, verbliebe dann lediglich eine Anfechtungsmöglichkeit des Beklagten (§ 142 BGB). Jedenfalls möglich wäre hier eine Anfechtung nach § 119 BGB wegen eines Inhaltsirrtums; in Betracht käme auch eine Anfechtung nach § 123 Abs. 1 Var. 1 BGB. Die Angabe des Klägers suggeriert dem System, es läge eine wirksame Namenseingabe vor; tatsächlich stellt sie aber nur eine zusätzliche Vereinbarung einer Namensänderung dar, die der Computer dann – automatisch ohne Plausibilitätsprüfung – „untergejubelt“ bekommt. Die Situation ist damit mit § 123 BGB vergleichbar. Im Ergebnis würde damit auch hier ein Vertrag nicht mehr vorliegen.
 
Examensrelevanz
Der Fall eignet sich sehr gut für einen Teil einer Examensklausur und wird sicherlich in nächster Zeit laufen – gerade weil Fragen der Informationsdatenverarbeitung und des Internets zunehmend bedeutender werden. Man erkennt aber sehr gut, dass mit einer sauberen Prüfung des Vertragsschlusses – wie im Ersten Semester gelernt – ein vertretbares Ergebnis gefunden werden kann. Die Konstellation eignet sich zudem auch für Anfangssemester, um Fragen des Vertragsschlusses einmal in einer anderen Dimension zu zeigen.
Letztlich muss dem Examenskandidaten wohl eher geraten werden, der Lösung des BGH zu folgen. Dennoch kann eine vertiefte Diskussion der Annahmeproblematik und das Eingehen auf die aufgeführten Argumente dazu führen, dass die Klausur sich von den üblichen abhebt und damit weit überdurchschnittlich bewertet wird.
 

18.10.2012/4 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2012-10-18 15:00:422012-10-18 15:00:42BGH: Vertragsschluss mit „unbekanntem“ Fluggast

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